Als das deutsche Fernsehen seinen Arzt bekam

Von Hartmut Goege |
1985 war der Schwarzwald eines der beliebtesten Urlaubsgebiete der Deutschen, der Arztroman die populärste Trivialliteratur und das Fernsehen hatte noch keine Konkurrenz im Netz. Was lag also näher, als alle drei miteinander zu kombinieren und die Mutter aller deutschen TV-Krankenhausserien zu basteln: "Die Schwarzwaldklinik".
"Morgen, mein Name ist Brinkmann, ich bin der neue Chefarzt!"

Erste Visite für Professor Klaus Brinkmann in der Schwarzwaldklinik. Als an diesem 22. Oktober 1985 der Pilotfilm über den Bildschirm flimmerte, hatte keiner der ZDF-Programmmacher mit einer solchen Resonanz gerechnet. Fast 24 Millionen Zuschauer fieberten den Heilkünsten des ersten deutschen TV-Serien-Arztes entgegen.

"Na , was macht der Beinbruch?" - "Alles prima, Herr Professor, das juckt und zwickt wie ein Sack Flöhe!" - "Na, wenn's juckt und zwickt, dann heilt's!"

Nur der Produzent Wolfgang Rademann - seit Jahren war er mit seiner Idee hausieren gegangen - hatte an den Erfolg geglaubt.

"Kein Buchverlag kommt ohne Arztroman aus. Kinofilm ist ohne den Halbgott in Weiss nicht denkbar. Jede Illustrierte hat ihre Medizinseite, nur das deutsche Fernsehen hatte keinen Arzt. Das war eine ganz schlichte Erkenntnis."

61 Prozent Sehbeteiligung: Soviel hatte bisher nicht einmal ein Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft erreicht. Von Beginn an wurde das kolossale Doktorspiel von einem beispiellosen Medienrummel begleitet. Programmzeitschriften druckten Romane zur Serie, Illustrierte prophezeiten genialische OP-Künste. Und BILD verriet sogar zum Serienstart:

"In turbulenter Folge jagen sich kleine und große Geschichten um Personal und Patienten der Klinik. Gleich heute stirbt eine Frau an Krebs."

Um das Fernsehvolk möglichst schnell an den Tropf zu hängen, hatte das ZDF in der ersten Woche gleich vier dramatische TV-Abende Klinikaufenthalt verordnet.

"Wir waren in einer gewissen Panik, weil sie..."-"Weil ich gerade einen Mörder operiere? Diesen Zustand müssen sie sich abgewöhnen Kollege, ein Arzt in Panik kann schwerwiegende Fehler begehen!" "Ja!"

Im Kampf um die Zuschauer hoffte das ZDF den bisherigen ARD-Hit, die US-Serie Dallas um den Fiesling J. R. Ewing vom Quoten-Sockel zu stoßen. Die Operation gelang, der Schwarzwälder Schinken aus dem Glottertal um Professor, Arztsohn Udo, Haushälterin Käti und Lernschwester Elke konnte im Laufe der ersten Woche sogar zulegen. Damalige Umfrageergebnisse lieferten das Erfolgsgeheimnis: Professor Brinkmann sei ein Arzt, dem man vertraue.

"Ist ein netter Mann, der Herr Professor!"

Der Schwarzwald sei landschaftlich schöner als die Wüste in Texas, die Geschichten realistischer als Dallas.

"Schwester, was hat meine Tochter denn, der Blinddarm ist doch schon vor zwei Wochen raus."

Und die Frage, ob Schwester Christa des Professors Herz erobert, allemal spannender als jede Intrige im Ölgeschäft.

"Heute scheinen wir beide dienstfrei zu haben, wollen wir ein bisschen zusammen gehen?" - "Warum nicht, zumal wir sowieso ein Verhältnis miteinander haben." - "Nein!" - "Ja, das weiß die ganze Klinik!"

Während in den ZDF-Chefetagen die Champagnerflaschen kreisten und von "Einem Stück Fernsehgeschichte" gesprochen wurde, wetzten Kritiker die Messer und spotteten über "TV-Hospitalismus", "Romanze in Mull" und "Ärzte am Schneideweg". Mit dem Aufmacher "Operation Kitsch" widmete "Der Spiegel" dem Serienstart seine Titelstory:

"Die Eskalation des Stumpfsinns hat mittlerweile auch die letzten Hemmungen der öffentlich-rechtlichen Ordnungshüter überwunden. `Die Schwarzwaldklinik´ ist ein Rückfall in die Gemütslage der 50er-Jahre - dorthin, wo Kitsch und Sentimentalität, falsche Innerlich-keit und ein sich gegen alles Neue verzweifelt anstemmender Konservatismus lebten und webten." ("Der Spiegel", 28.10.1985)

Produzent Wolfgang Rademann nahm es gelassen:

"Der Verriss war gigantisch. Das war also erstmal enorm. Aber das bin ich nun seit 35 Jahren gewohnt, damit kann man umgehen. Also das berührt mich nicht. Ich werde ja nicht von Kritikern bezahlt, sondern vom Publikum und das ist ja das entscheidende."

Während das ZDF 3 Jahre und 74 Folgen lang den Samstag als Familien-tauglichsten Fernsehabend der Schwarzwaldklinik reservierte, das Merchandising mit Stoff-Puppen entdeckte, die des Professors Schreibtisch zierten...

"Na die sind ja entzückend!"-"Aber wenn die älteren Patienten so ein Engelchen sehen, dann wollen sie auch eins, aber das kostet natürlich."

Und während die Folgen immer teurer und aufwendiger wurden, Politmagazine dafür gekürzt und anspruchsvolle Produktionen dem beginnenden Quotenwahn zum Opfer fielen, setzte ein enormer Bustourismus an die Original-Drehschauplätze ein. Nach dem Ende der Serie wurden nicht nur seine gebührenfinanzierten Ratschläge vermisst, die größten Fans von Professor Brinkmann waren sogar enttäuscht, dass er im Glottertal nicht tatsächlich weiter praktizierte.

"Ein guter Arzt zweifelt immer ein bisschen, vor allem an sich selbst !"

2005 versuchte das ZDF, mit zwei weiteren Folgen eine Neuauflage zu starten. Doch diese Generation Ärztekittel lockte nur sieben Millionen Zuschauer, zu wenig für einen Quotenhit.