Als das Radio schuldig wurde

Von Volker Trauth |
Die Rolle der Firma Telefunken im "Dritten Reich" ist Thema eines Theaterstücks von Hans-Werner Kroesinger in Berlin: Es geht um Zwangsarbeit, Kriegspropaganda und die Macht des neuen Mediums Radio. Doch unter dem Dauerfeuer von Fakten und Dokumenten spielen sich die szenischen Mittel leer.
Es beginnt wie eine Firmenpräsentation in Form einer Vernissage. Auf der Bühne und im Vorraum eine Reihe von Vitrinen mit elektronischen Bauelementen, mit Werkzeugen, Verordnungen und Betriebsausweisen ehemaliger Zwangsarbeiter. In der Mitte eine Zwischenwand, hinter der Zwischenwand, die sich erst zum Schluss öffnen wird, eine zweite Bühnenhälfte und ein zweiter nach hinten aufsteigender Zuschauerraum. In die Mittelwand eingelassen Kreidetafeln und Pergamentbahnen, auf die die Schauspieler, die zu beiden Seiten der Wand agieren, zur Illustration der verlesenen Dokumente zeichnen und schreiben werden. Ist von der neuen Sendeanlage in Nauen die Rede, wird das Bild eines riesigen Sendemastes aufs Pergament gezeichnet; wird von den vielen Produktionsstätten und Arbeitslagern gesprochen, werden deren Adressen auf die Tafel geschrieben.

Illustration und Bebilderung kennzeichnen das für Kroesingers Produktionen charakteristische Zusammenspiel von Dokument und Schauspielkunst. Hält der Werkleiter eine Weihnachtsansprache, schmücken die Schauspieler in einer Öffnung der Rückwand einen Weihnachtsbaum mit Lametta und Engelshaar, ist vom Gütesiegel "Arewa" (Produkte nur von Ariern hergestellt und vertrieben) die Rede, näht sich eine Darstellerin ein solches Textilsiegel auf den Rock.

Das Phänomen Radio, seine Sendeinhalte und seine elektronische Verbreitung spielt eine zentrale Rolle. Nicht nur, dass viele alte Rundfunkempfänger, Mikrofone, und Tonbandgeräte auf der Bühne stehen, es werden auch heute noch gängige Sendformate ausprobiert. Eine Stimme aus dem Äther befragt im Rahmen einer Hörerbefragung einzelne Bürger nach ihren Motiven für die Anschaffung eines Volksempfängers. Ein befragtes Ehepaar gerät in Streit und verhöhnt sich gegenseitig, wodurch für Momente situatives Spiel entsteht. Ein Rundfunkmitarbeiter fragt im Rahmen einer Quizsendung nach dem Autor des bekannten Ausspruches über die Macht des Radios, und der heißt natürlich Goebbels. Hier klingt nicht zum ersten Mal das Problem der Indienstnahme der technischen Errungenschaften durch Politik und Militär an.

Die Schauspieler haben es in der Kroesingerschen Produktionsweise bekanntlich sehr schwer. Die drei Schauspieler, die heute Abend sichtbar agieren (Verena Unbehaun, Nicola Schößler und Lajos Talamonti), haben jeder für sich genommen ungefähr 40 Minuten gesprochenen Text zu bewältigen, einen sperrigen und ungestischen, deshalb schwer erlernbaren Text. Sie geben sich alle Mühe, den Text emotional aufzuladen und suchen nach Möglichkeiten der Differenzierung im Ausdruck. Erfolgsmeldungen werden im triumphierenden Ton herausgeschmettert, die Radiowelle wird im blumigen Tonfall mit der Welle des Ozeans verglichen, schwelgerisch wird die Übertragung eines Konzerts beschrieben, und der Werkleiter wendet sich mit ölig verlogenem Bibber in der Stimme an die Belegschaft, die hier "Gefolgschaft" heißt. In den besten Momenten blitzen schauspielerische Einzelleistungen auf – wenn beispielsweise Nicola Schößler als Nazifunktionär das Volk an Krieg und Gewalt gewöhnen will – zunächst mit samtweicher Stimme und überfließender Freundlichkeit, dann aber mit hysterisch herausgeschrieenen einzelnen Worten.

Das Problem aber: Unter dem Dauerfeuer von Fakten und Dokumenten spielen sich die szenischen Mittel leer, Langeweile kann nicht ausbleiben. Der berühmte Satz von Walter Benjamin kommt mir in den Sinn: "Theater kann nicht Hilfsinstrument politischer Bildung sein". Für mich lebt Theater immer noch von der erfundenen dramatischen Figur, die dem Schauspieler die Möglichkeit gibt, deren Abgründe und Tiefenschichten aufscheinen zu lassen. Eines der wichtigsten Wirkungselemente des Kroesingertheaters fehlt: der Versuch, Täter und Opfer zur Sprache kommen zu lassen, den der Regisseur mit dem Verweis auf Heiner Müllers Satz "Mein Platz in Zeiten des Krieges ist auf beiden Seiten der Front" begründet. Außer einer jungen Polin, die von ihrer Zwangsarbeit bei Telefunken berichtet, kommen nur die Bürokraten und Macher des Erfolgs zu Wort.

Informationen des Theaters Hebbel am Ufer zu "Wellenartillerie Telefunken"
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