Als der Surrealismus Feuer fing
Die Kunsthalle Bielefeld beschäftigt sich in ihrer Ausstellung "1937 - Perfektion und Zerstörung" mit dem nationalsozialistischen Feldzug gegen die Moderne und den internationalen Schock durch die Bombardierung Guernicas. Siebzig Jahre nach 1937 kann der faschistische Versuch, die moderne Kunst zu vernichten, relativ authentisch nacherlebt werden.
Eine Tuba steht in hellen Flammen, giftig gelbe Feuerzungen züngeln um einen Festungsturm, Telefone schmelzen in bedrohlicher Gluthitze. Ob Magritte, Man Ray oder Salvador Dalí - die Surrealisten entdecken plötzlich das Feuer, malen einen Weltenbrand. Exakt im Jahr 1937 kommt es zu dieser Wende.
"Weil es der Beginn der großen Katastrophe ist. Die Stadt Guernica wird bombardiert und in München wird die "entartete Kunst" eröffnet. Und damit ist der Weg für den Zweiten Weltkrieg frei."
Thomas Kellein, Direktor der Kunsthalle Bielefeld, illustriert seine These mit einer Masse von Bildern, darunter exquisite Arbeiten der damaligen Avantgarde. Also durchaus kein Schreckenskabinett:
"Man sieht den klassizistischen Figurengeschmack in der Skulptur, man sieht die internationale Fotografie, die Ausstellung schließt mit wunderbaren Räumen zum Thema Surrealismus und Konstruktivismus. Man hat also eine Weltausstellung der Kunst des Jahres 1937 vor Augen."
Die zeigt zwar Bekanntes, in zahlreichen Büchern reproduzierte Kunst, aber eben alles im Original. Und da ergeben sich neue, auch überraschende Einsichten. Max Ernst zum Beispiel, der eben noch in einem Aufsatz eine Position "Jenseits der Malerei" bezog, kehrt zurück zum Ölgemälde: Auf die Niederlage der Republikaner in Spanien reagiert der Surrealist entschieden politisch mit dem "Hausengel", so sein ironischer Titel für ein groteskes Trampeltier, das in diktatorischem Furor alles vernichtet, was sich ihm in den Weg stellt.
"Es gibt zunächst einmal diese massive Welle des Entsetzens. Eine unglaubliche Anzahl von Künstlern, die sich gar nicht kannten, die alle plötzlich anfangen Ungeheuer zu malen."
So etwas, sollte man meinen, war in Nazideutschland nicht zugelassen. Aber wir sehen: "Die blinde Macht" von Rudolf Schlichter - ein Gigant in römischer Rüstung, der brennende Städte hinter sich lässt und als Kriegsmaschine dem Abgrund entgegenstampft. Ähnlich Heinz Lohmars "Übertier" oder Magnus Zellers düstere Vision "Der totale Staat". Und erfahren:
"Es gibt einen bekennenden Nazi, Franz Radziwill, der gleichzeitig solche alptraumhaften Luftkriege oder Ausfahrten eines U-Bootes malt, das natürlich die Nazis gemerkt haben: Das kann keiner von uns sein - und diese Werke wurden auch zur entarteten Kunst gezählt."
Mit der Ausstellung "entartete Kunst", mit 1000 auf engstem Raum zusammengepferchten Werken der verfemten Avantgarde, denunzierten die Nationalsozialisten 1937 nicht nur den politischen Gegner, nicht nur eine ungeliebte Kunstrichtung - sie machten einer ganzen Kultur den Garaus. Mit dem propagandistischen Mittel der Schwarzweißzeichnung, der undifferenzierten Gegenüberstellung, die auch heute noch nicht ganz aus der Kunstdebatte verschwunden ist:
"In vielen Fällen ist es ein unbeschreibliches Unwissen, dass mit diesem Begriff "entartet" heute noch operiert wird. Er setzt voraus, dass es das Böse gibt, und dass man das Gute findet."
Was die NS-Behörden für gut befanden, was dem Volk "Kraft durch Freude" verschaffen sollte, führt Kellein mit einem kurzen, aber eindrücklichen Prolog, mit Arbeiten, oder treffender: Machwerken von Naziheroen wie Arno Breker oder Thorak im Foyer der Kunsthalle vor Augen:
"Es ist eine Stilmelange, wie sie noch nicht einmal ein Konditor wagen würde. Das wird einfach alles in einen Topf geworfen und in die Form der steifen, disziplinierten Haltung, wie man einen Befehl vom Führer erwartet, gebracht. Und das kann bitte, beim besten Willen, keine Kunst sein."
Kunst war dagegen, was deutsche Museen in der Weimarer Republik von Zeitgenossen angekauft hatten, und zwar in einem damals für internationale Verhältnisse außergewöhnlichen Umfang. Gut 20.000 Werke fielen den Beschlagnahmungen der Nazis zum Opfer - und weil Museumsdirektoren sich vor 1933 für die Moderne engagiert hatten, konnte die Ausstellung "entartete Kunst" mit einem perfiden Trick Ressentiments schüren:
"Die Nazis haben die Preise aus der Weimarer Inflationszeit, also zehntausende von Reichsmark, neben diese Werke geschrieben. Darunter stand dann: Dieses wurde mit dem Geld des deutschen Steuerzahlers gekauft - was automatisch Entsetzen verursachte."
Kellein dagegen setzt nicht auf reflexhaftes Abhaken bekannter "Fälle", sondern zeigt in einer bemerkenswerten Fülle hochkarätiger Kunst immer wieder Unentschiedenes: Georg Kolbe zum Beispiel, dessen Skulpturen sich auch in der Nazizeit gar nicht weit entfernt hatten vom Menschenbild eines Maillol oder Laurens. Herbert List, der 1937 auf der Weltausstellung in Paris Thoraks Nazi-Skulpturen vor der Enthüllung fotografiert, bandagiert wie Schwerverwundete und auf dem Abzug vermerkt "Deutschland marschiert, aber es weiß nicht wohin." Karl Hofer dagegen wusste, wohin die Reise gehen würde: Er malte einen völlig entblößten "Mann in Ruinen", sah schon 1937 jene Trümmerlandschaft voraus, in der deutsche Städte 1945 dann endgültig versunken waren. Kein Wunder, dass sich die Bielefelder Schau aufgrund ihres differenzierten Ansatzes ebenfalls die schematische Gleichsetzung von deutscher und sowjetischer Kunst, auch von Propaganda, unter dem Etikett des "Totalitarismus" versagt: Schließlich gab es in Russland zwanzig Jahre zuvor eine Revolution, und dass die Kunst davon nicht unberührt blieb, ist selbst dem Jahrgang 1937 noch anzusehen - vorausgesetzt, man schaut so genau und kenntnisreich hin wie Kurator Thomas Kellein:
"Erst in dem Augenblick, wo Stalin an die Macht kommt wird eine gleichgeschaltete, staatlich dekretierte sozialistisch-realistische Kunst gefordert und es wird jede Art von falscher Propaganda mit dem Tode geahndet. Und das ist nichtsdestoweniger eine wesentlich fröhlichere, subtilere phantasievollere Kunst als das, was in Deutschland passiert ist."
Info:
1937. Perfektion und Zerstörung
Kunsthalle Bielefeld vom 30. September 2007 bis 13. Januar 2008
Zehn Themen, zweihundert Künstlerinnen und Künstler, vierhundert Leihgaben: Die Kunsthalle Bielefeld dokumentiert das Jahr 1937 als "Perfektion und Zerstörung".
"Weil es der Beginn der großen Katastrophe ist. Die Stadt Guernica wird bombardiert und in München wird die "entartete Kunst" eröffnet. Und damit ist der Weg für den Zweiten Weltkrieg frei."
Thomas Kellein, Direktor der Kunsthalle Bielefeld, illustriert seine These mit einer Masse von Bildern, darunter exquisite Arbeiten der damaligen Avantgarde. Also durchaus kein Schreckenskabinett:
"Man sieht den klassizistischen Figurengeschmack in der Skulptur, man sieht die internationale Fotografie, die Ausstellung schließt mit wunderbaren Räumen zum Thema Surrealismus und Konstruktivismus. Man hat also eine Weltausstellung der Kunst des Jahres 1937 vor Augen."
Die zeigt zwar Bekanntes, in zahlreichen Büchern reproduzierte Kunst, aber eben alles im Original. Und da ergeben sich neue, auch überraschende Einsichten. Max Ernst zum Beispiel, der eben noch in einem Aufsatz eine Position "Jenseits der Malerei" bezog, kehrt zurück zum Ölgemälde: Auf die Niederlage der Republikaner in Spanien reagiert der Surrealist entschieden politisch mit dem "Hausengel", so sein ironischer Titel für ein groteskes Trampeltier, das in diktatorischem Furor alles vernichtet, was sich ihm in den Weg stellt.
"Es gibt zunächst einmal diese massive Welle des Entsetzens. Eine unglaubliche Anzahl von Künstlern, die sich gar nicht kannten, die alle plötzlich anfangen Ungeheuer zu malen."
So etwas, sollte man meinen, war in Nazideutschland nicht zugelassen. Aber wir sehen: "Die blinde Macht" von Rudolf Schlichter - ein Gigant in römischer Rüstung, der brennende Städte hinter sich lässt und als Kriegsmaschine dem Abgrund entgegenstampft. Ähnlich Heinz Lohmars "Übertier" oder Magnus Zellers düstere Vision "Der totale Staat". Und erfahren:
"Es gibt einen bekennenden Nazi, Franz Radziwill, der gleichzeitig solche alptraumhaften Luftkriege oder Ausfahrten eines U-Bootes malt, das natürlich die Nazis gemerkt haben: Das kann keiner von uns sein - und diese Werke wurden auch zur entarteten Kunst gezählt."
Mit der Ausstellung "entartete Kunst", mit 1000 auf engstem Raum zusammengepferchten Werken der verfemten Avantgarde, denunzierten die Nationalsozialisten 1937 nicht nur den politischen Gegner, nicht nur eine ungeliebte Kunstrichtung - sie machten einer ganzen Kultur den Garaus. Mit dem propagandistischen Mittel der Schwarzweißzeichnung, der undifferenzierten Gegenüberstellung, die auch heute noch nicht ganz aus der Kunstdebatte verschwunden ist:
"In vielen Fällen ist es ein unbeschreibliches Unwissen, dass mit diesem Begriff "entartet" heute noch operiert wird. Er setzt voraus, dass es das Böse gibt, und dass man das Gute findet."
Was die NS-Behörden für gut befanden, was dem Volk "Kraft durch Freude" verschaffen sollte, führt Kellein mit einem kurzen, aber eindrücklichen Prolog, mit Arbeiten, oder treffender: Machwerken von Naziheroen wie Arno Breker oder Thorak im Foyer der Kunsthalle vor Augen:
"Es ist eine Stilmelange, wie sie noch nicht einmal ein Konditor wagen würde. Das wird einfach alles in einen Topf geworfen und in die Form der steifen, disziplinierten Haltung, wie man einen Befehl vom Führer erwartet, gebracht. Und das kann bitte, beim besten Willen, keine Kunst sein."
Kunst war dagegen, was deutsche Museen in der Weimarer Republik von Zeitgenossen angekauft hatten, und zwar in einem damals für internationale Verhältnisse außergewöhnlichen Umfang. Gut 20.000 Werke fielen den Beschlagnahmungen der Nazis zum Opfer - und weil Museumsdirektoren sich vor 1933 für die Moderne engagiert hatten, konnte die Ausstellung "entartete Kunst" mit einem perfiden Trick Ressentiments schüren:
"Die Nazis haben die Preise aus der Weimarer Inflationszeit, also zehntausende von Reichsmark, neben diese Werke geschrieben. Darunter stand dann: Dieses wurde mit dem Geld des deutschen Steuerzahlers gekauft - was automatisch Entsetzen verursachte."
Kellein dagegen setzt nicht auf reflexhaftes Abhaken bekannter "Fälle", sondern zeigt in einer bemerkenswerten Fülle hochkarätiger Kunst immer wieder Unentschiedenes: Georg Kolbe zum Beispiel, dessen Skulpturen sich auch in der Nazizeit gar nicht weit entfernt hatten vom Menschenbild eines Maillol oder Laurens. Herbert List, der 1937 auf der Weltausstellung in Paris Thoraks Nazi-Skulpturen vor der Enthüllung fotografiert, bandagiert wie Schwerverwundete und auf dem Abzug vermerkt "Deutschland marschiert, aber es weiß nicht wohin." Karl Hofer dagegen wusste, wohin die Reise gehen würde: Er malte einen völlig entblößten "Mann in Ruinen", sah schon 1937 jene Trümmerlandschaft voraus, in der deutsche Städte 1945 dann endgültig versunken waren. Kein Wunder, dass sich die Bielefelder Schau aufgrund ihres differenzierten Ansatzes ebenfalls die schematische Gleichsetzung von deutscher und sowjetischer Kunst, auch von Propaganda, unter dem Etikett des "Totalitarismus" versagt: Schließlich gab es in Russland zwanzig Jahre zuvor eine Revolution, und dass die Kunst davon nicht unberührt blieb, ist selbst dem Jahrgang 1937 noch anzusehen - vorausgesetzt, man schaut so genau und kenntnisreich hin wie Kurator Thomas Kellein:
"Erst in dem Augenblick, wo Stalin an die Macht kommt wird eine gleichgeschaltete, staatlich dekretierte sozialistisch-realistische Kunst gefordert und es wird jede Art von falscher Propaganda mit dem Tode geahndet. Und das ist nichtsdestoweniger eine wesentlich fröhlichere, subtilere phantasievollere Kunst als das, was in Deutschland passiert ist."
Info:
1937. Perfektion und Zerstörung
Kunsthalle Bielefeld vom 30. September 2007 bis 13. Januar 2008
Zehn Themen, zweihundert Künstlerinnen und Künstler, vierhundert Leihgaben: Die Kunsthalle Bielefeld dokumentiert das Jahr 1937 als "Perfektion und Zerstörung".