Als der Tabak auf Reisen ging

Kolumbus entdeckte nicht nur die Neue Welt, er schuf auch eine: Denn mit seiner ersten Atlantikfahrt begann ein umfangreicher Austausch von Lebewesen – von Menschen, Tieren, Pflanzen und Mikroben. Der Journalist Charles Mann beschreibt in seinem faszinierenden Buch, was diese Veränderungen bewirkten.
Es sind ungewollte, aber bedeutsame Veränderungen, die mit Kolumbus‘ Reise begannen – Veränderungen, die weit mehr betrafen als die Kolonisierung der Länder. Charles Mann beschreibt anschaulich bislang eher wenig beachtete Aspekte der globalen Geschichte. Zum Beispiel, welche Folgen europäische Krankheiten auf die Entwicklung nicht nur Nordamerikas hatten: In den dortigen östlichen Küstenregionen starben bis Mitte des 16. Jahrhunderts etwa drei Viertel der indianischen Ureinwohner an Grippe und Pocken. 100 Jahre später waren die bei der Ankunft der Spanier waldlosen Gebiete von Wäldern überwachsen, da die Brandrodung durch die Indianer komplett zum Stillstand gekommen war. So gelangte weniger Kohlendioxid in die Luft, das Wachstum der Wälder entzog weiteres – Forscher schätzen, dass dies der Grund für die weltweite "Kleine Eiszeit" von 1550 bis 1750 war.
Detailliert schildert Charles Mann die absichtslosen Veränderungen und ihre Konsequenzen. Der Export des Silbers aus Peru heizte nicht nur in Spanien die Inflation an, sondern stärker noch in China – wohin mehr exportiert wurde. Tomaten und Kartoffeln wanderten aus Südamerika nach Europa, Tabak nach Nordamerika und Süßkartoffeln und Mais nach China. Immer mit unbeabsichtigten Folgen: Kartoffeln wurden in Irland so beliebt, dass der Ausfall weniger Ernten dort zu Hungersnöten und Massenemigration führte, und in China brachte der Maisanbau die Bauern dazu, sich ab dem 17. Jahrhundert auch im Hochland anzusiedeln. Entwaldung, Bodenerosion und Überschwemmungen folgten – Faktoren, die gemeinsam mit der Inflation China destabilisierten. Nur deshalb konnten die europäischen Länder das Land in Fernost als führende Ökonomie weltweit ablösen.
Bekannte Fakten verknüpft der Journalist oft auf ungewöhnliche Weise. Die von Europäern eingeschleppte Malariamücke sorgte dafür, dass in Virginia die Sklaverei begann. Denn Tabak war ein Exportschlager – in Europa verbot Papst Urban VIII. das Rauchen in der Kirche –, nur die Arbeitskräfte im malariaverseuchten Süden fehlten. Die Plantagenbesitzer kauften Sklaven aus Afrika, weil die gegen manche Malariaarten immun waren. Mit ihnen wanderten neue Nutzpflanzen ein, aber auch Krankheiten wie das Gelbfieber.
Charles Mann erzählt lebendig, engagiert, gebildet und wirklich lesefreundlich Universalgeschichte. Sein – unausgesprochener – Vorwurf an die Geschichtswissenschaft lautet, sie unterschätze die Rolle der ökologischen Veränderung nach 1492. Das mag stimmen, doch eines übersieht Charles Mann vor lauter scheinbar unausweichlichen Ursache-Wirkung-Ketten: Die Rolle des Individuums, seine Wünsche, Vorlieben und Entscheidungen.

Rezensiert von Günther Wessel

Charles C. Mann: Kolumbus‘ Erbe. Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013
812 Seiten, 34,95 Euro