Als die FDP nach links rückte
Gesellschaftliche Reformen, Kritik am Kapitalismus, Würdigung des Umweltschutzes – 1971 gab sich die FDP ein fortschrittliches Parteiprogramm, das die Bonner Koalition mit der SPD befestigte.
"Ich bin davon überzeugt, dass der Parteitag, der heute beginnt, ein Programm verabschieden wird, das den Ansprüchen eines modernen Liberalismus gerecht wird."
Walter Scheel zu Beginn des Bundesparteitags der Liberalen am 27. Oktober 1971 in Freiburg. Der damalige FDP-Vorsitzende und spätere Bundespräsident war einer der Initiatoren des einzigen Parteiprogramms, das an die demokratischen Revolutionen des 18. Jahrhunderts anknüpfte. In Freiburg, erinnert sich der Linksliberale Gerhart Baum, "öffnete die FDP das Fenster, atmete sehr tief durch und wagte den Aufbruch zu einer gesellschaftspolitischen Neuorientierung". Maßgeblich waren vier Thesen:
Liberalismus nimmt Partei für Menschenwürde durch Selbstbestimmung.
Liberalismus nimmt Partei für Fortschritt durch Vernunft.
Liberalismus fordert Demokratisierung der Gesellschaft.
Liberalismus fordert Reform des Kapitalismus.
Besonders die vierte These sorgte für Furore und innerparteiliche Unruhe. Die Väter des Freiburger Programms – neben Walter Scheel der Vorsitzende der Programmkommission und spätere Bundesinnenminister Werner Maihofer und der FDP-Generalsekretär Karl-Hermann Flach – plädierten für eine Reform, die sich heute wie eine linke Kritik am Neoliberalismus liest:
Die liberale Reform des Kapitalismus erstrebt die Aufhebung der Ungleichgewichte [...] und der Ballung wirtschaftlicher Macht, die aus der Akkumulation von Geld und Besitz und der Konzentration des Eigentums an den Produktionsmitteln in wenigen Händen folgen [...]
Reformen des Eigentums- und Erbrechts waren die angestrebten Ziele der neuen FDP, ebenso wie die Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung. Kurz nach Verabschiedung des Programms betonte FDP-Generalsekretär Karl-Hermann Flach:
"Eigentum ist für die FDP nicht mehr tabu. Eigentum ist nicht Selbstzweck. Eigentum ist für die FDP heute Mittel zum Zweck. Ohne persönliches Eigentum gibt es auch keine persönliche Freiheit, aber Eigentum kann auch Freiheit beschränken, vor allen Dingen, wenn es in den Händen Weniger konzentriert ist, und für diesen Fall muss sich das Eigentum selbst auch Beschränkungen gefallen lassen."
Die Freiburger Thesen waren das erste Parteiprogramm, in dem dem Umweltschutz ein "Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen" eingeräumt wurde. Zum einen sollte es die Fundamente der 1969 gegründeten sozialliberalen Koalition zementieren, zum anderen der FDP ein eigenständiges Profil verleihen. Der Seitenwechsel zu den Sozialdemokraten hatte den Liberalen nicht zuletzt wegen Willy Brandts damals unpopulärer Ostpolitik herbe Stimmenverluste beschert. 1969 schafften sie es mit 5,8 Prozent nur knapp in den Bundestag und Anfang der 70er-Jahre flog die FDP aus mehreren Landtagen.
Der Politikwissenschaftler Jürgen Dittberner glaubt, dass die Freiburger Thesen Annäherungen der Liberalen an die 68er waren. Aber bereits auf dem Parteitag in Mainz von 1975 mahnte Bundesinnenminister Werner Maihofer:
"Wir haben heute entgegen allen gängigen Meinungen auch in unserer Partei eher mehr denn weniger Anlass als 1971, mit äußerstem Nachdruck für die Verwirklichung der gesellschaftspolitischen Reformen unseres Freiburger Programmes einzutreten – heißen sie nun Reform des Bodenrechts oder des Erbrechts, auch so eine vergessene Sache, Reform der Betriebsverfassung oder der Unternehmensmitbestimmung."
Der sozialliberale Geist von Freiburg war endgültig passé, als die FDP auf ihrem Programmparteitag im November 1977 auf einen streng wirtschaftlich ausgerichteten Kurs umschwenkte und damit die Wende zur Union 1982 einleitete. Kurz nach dem 35. Jahrestag der Freiburger Thesen kritisierte der altliberale, frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum in Spiegel Online:
Im Berliner Parlamentsviertel erinnerte [...] sich zunächst niemand an dieses Jubiläum. Auch die Liberalen nicht. Nur der Sozialdemokrat Kurt Beck gratulierte uns. Danach erinnerte sich plötzlich auch der FDP-Generalsekretär – das ist fast ein bisschen bitter."
Walter Scheel zu Beginn des Bundesparteitags der Liberalen am 27. Oktober 1971 in Freiburg. Der damalige FDP-Vorsitzende und spätere Bundespräsident war einer der Initiatoren des einzigen Parteiprogramms, das an die demokratischen Revolutionen des 18. Jahrhunderts anknüpfte. In Freiburg, erinnert sich der Linksliberale Gerhart Baum, "öffnete die FDP das Fenster, atmete sehr tief durch und wagte den Aufbruch zu einer gesellschaftspolitischen Neuorientierung". Maßgeblich waren vier Thesen:
Liberalismus nimmt Partei für Menschenwürde durch Selbstbestimmung.
Liberalismus nimmt Partei für Fortschritt durch Vernunft.
Liberalismus fordert Demokratisierung der Gesellschaft.
Liberalismus fordert Reform des Kapitalismus.
Besonders die vierte These sorgte für Furore und innerparteiliche Unruhe. Die Väter des Freiburger Programms – neben Walter Scheel der Vorsitzende der Programmkommission und spätere Bundesinnenminister Werner Maihofer und der FDP-Generalsekretär Karl-Hermann Flach – plädierten für eine Reform, die sich heute wie eine linke Kritik am Neoliberalismus liest:
Die liberale Reform des Kapitalismus erstrebt die Aufhebung der Ungleichgewichte [...] und der Ballung wirtschaftlicher Macht, die aus der Akkumulation von Geld und Besitz und der Konzentration des Eigentums an den Produktionsmitteln in wenigen Händen folgen [...]
Reformen des Eigentums- und Erbrechts waren die angestrebten Ziele der neuen FDP, ebenso wie die Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung. Kurz nach Verabschiedung des Programms betonte FDP-Generalsekretär Karl-Hermann Flach:
"Eigentum ist für die FDP nicht mehr tabu. Eigentum ist nicht Selbstzweck. Eigentum ist für die FDP heute Mittel zum Zweck. Ohne persönliches Eigentum gibt es auch keine persönliche Freiheit, aber Eigentum kann auch Freiheit beschränken, vor allen Dingen, wenn es in den Händen Weniger konzentriert ist, und für diesen Fall muss sich das Eigentum selbst auch Beschränkungen gefallen lassen."
Die Freiburger Thesen waren das erste Parteiprogramm, in dem dem Umweltschutz ein "Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen" eingeräumt wurde. Zum einen sollte es die Fundamente der 1969 gegründeten sozialliberalen Koalition zementieren, zum anderen der FDP ein eigenständiges Profil verleihen. Der Seitenwechsel zu den Sozialdemokraten hatte den Liberalen nicht zuletzt wegen Willy Brandts damals unpopulärer Ostpolitik herbe Stimmenverluste beschert. 1969 schafften sie es mit 5,8 Prozent nur knapp in den Bundestag und Anfang der 70er-Jahre flog die FDP aus mehreren Landtagen.
Der Politikwissenschaftler Jürgen Dittberner glaubt, dass die Freiburger Thesen Annäherungen der Liberalen an die 68er waren. Aber bereits auf dem Parteitag in Mainz von 1975 mahnte Bundesinnenminister Werner Maihofer:
"Wir haben heute entgegen allen gängigen Meinungen auch in unserer Partei eher mehr denn weniger Anlass als 1971, mit äußerstem Nachdruck für die Verwirklichung der gesellschaftspolitischen Reformen unseres Freiburger Programmes einzutreten – heißen sie nun Reform des Bodenrechts oder des Erbrechts, auch so eine vergessene Sache, Reform der Betriebsverfassung oder der Unternehmensmitbestimmung."
Der sozialliberale Geist von Freiburg war endgültig passé, als die FDP auf ihrem Programmparteitag im November 1977 auf einen streng wirtschaftlich ausgerichteten Kurs umschwenkte und damit die Wende zur Union 1982 einleitete. Kurz nach dem 35. Jahrestag der Freiburger Thesen kritisierte der altliberale, frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum in Spiegel Online:
Im Berliner Parlamentsviertel erinnerte [...] sich zunächst niemand an dieses Jubiläum. Auch die Liberalen nicht. Nur der Sozialdemokrat Kurt Beck gratulierte uns. Danach erinnerte sich plötzlich auch der FDP-Generalsekretär – das ist fast ein bisschen bitter."