Als Erwachsener getauft

Von Josefine Janert |
Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, warum man als Erwachsener wieder oder ganz neu in eine Kirche eintritt - etwa eine grundlegend veränderte Sichtweise auf das Leben oder der Tod eines nahen Menschen. Die Kirchen müssen ihnen eine feste Grundlage für den Glauben vermitteln.
Steffen T.: "Bei mir ging das schon in der Kindheit los, wo ich so ne enge Bindung zu Gott hatte. Also zum Beispiel als Kind kann ich mich daran erinnern, da hatte ich bei meiner Oma, hatte ich nen Gesangsbuch gefunden von der Uroma. Und da hab ich das draufgehabt, dann das Altdeutsch zu entziffern und das Vaterunser auswendig zu lernen. Das hab ich geheim gehalten."

Ulrike T.: "Man hatte als Kind das Gefühl, dass man da hingehört, aber man konnte es in dem Sinn eben auch nicht offen irgendwie – weil, von der Familie her war's nicht akzeptiert."

Steffen und Ulrike T. haben sich im Dezember 2009 evangelisch taufen lassen. Sie gehören nun zur Jakobigemeinde in Chemnitz. Wie an fast jedem Sonntag gehen sie zum Gottesdienst. Wie der abläuft, wissen sie noch nicht genau. Steffen T. hält eine Gottesdienstordnung in der Hand.

Steffen T.: "Wann muss ich beten, und wann muss ich nen bestimmten Text sagen? Das ist schon sehr befremdlich, wenn man das jetzt überhaupt nie, nie gelernt hat. Davor hab ich praktisch dann Bedenken, dass die Anderen da schauen oder lachen. Aber das war komplett unbegründet."

T. hat die harten, schwieligen Hände eines Mannes, der sein Brot mit körperlicher Arbeit verdient. Der 38-Jährige ist Maurermeister in einem Baubetrieb. Auf den ersten Blick wirkt der hochgewachsene Mann selbstbewusst. Doch in der Kirche fühlt er sich unsicher. Bevor sein Taufunterricht begann, wagte er sich kaum in den Gottesdienst.

Steffen T.: "Vor dem Abendmahl, da haben wir uns nicht rein getraut, weil wir dachten, da müssen wir uns die Füße waschen oder so, wie das auf den Bildern oder in der Kirche so praktisch mit dieser Salbung."

Beide Eheleute wuchsen mit dem Atheismus auf, den die DDR predigte. Die 27-jährige Verwaltungsassistentin erinnert sich:

Ulrike T.: "Und die, die religiös waren, das waren damals in meiner Schulklasse von 25, eine katholische, eine evangelische, die wurden auch ganz schön geärgert von der Klasse her. Die haben wir, ich inklusive, geärgert."

Ihre Vorurteile hat Ulrike T. längst überwunden – und ist froh, dass sie in der Jakobigemeinde willkommen ist. Sie strahlt, als eine ältere Frau ihr die Hand drückt.

Ulrike T.: "Ist ne sehr alte Gemeinde, ja. Sind kaum Jüngere. Leider."

Die Eheleute setzen sich auf eine der hinteren Bänke. Während des Gottesdienstes blättert Ulrike T. nervös im Gesangbuch. Sie sucht einen Psalm.

Ulrike T.: "Was sollen wir lesen? Die Eingerückten oder?"

Steffen T.: "Der Herr ist meines Lebens Kraft. Vor wem sollte mir grauen?"

Bernd Frauenlob ist Pfarrer in der Jakobikirche. Fünf Monate lang besuchte er das Ehepaar T. an jedem Montagabend, um über die Bibel zu reden.

Bernd Frauenlob: "Weil der Glaube eine feste Grundlage braucht. Allein Gefühle und Stimmungen wären zu wenig. Es kommen ja dann auch Anfechtungen, es kommen ja auch Enttäuschungen."

Steffen T. muss sich mit solchen Anfechtungen auseinandersetzen. Sein Chef hält wenig von seinem christlichen Glauben.

Steffen T.: "In den kleinen PKW sollte ich irgendwelche ganz lange Schienen reinmachen. Und da kommen solche Bemerkungen wie: Bete zu Deinem Gott, dass die Schienen hier reinpassen. Und das sind die Sachen, die ich vom Pfarrer gelernt habe: Man muss zu Gott stehen."

Ulrike T.: "Ich hab das gesagt: So, wir gehen jetzt in die Kirche, wir lassen uns taufen. Entweder Ihr kommt. Also die wollten ja erst gar nicht so richtig mitkommen, meine Eltern. Hab ich gesagt: Entweder Ihr kommt oder dann bin ich auch enttäuscht, das ist ein wichtiger Tag für mich, und ich hätt euch gern dabei. Die sind dann auch gekommen. Und das war ganz gut so."

Nicole Jakobs zu ihrer Tochter: "Erinnerst Du Dich, dass du hier schon warst? Ja? Ist die schön, die Kirche, Hannah?"

Ein Sonnabend in Bochum. Nicole Jakobs zeigt ihrer Tochter, wie die katholische Probsteikirche St. Peter von innen aussieht. Mit der Zweieinhalbjährigen auf dem Arm geht sie leise durch das Foyer.

Nicole Jakobs zu ihrer Tochter: "Da vorn ist gerade ein Baby getauft worden. Ist genauso hier getauft worden wie Du. Das weißt Du nicht mehr. Du hast es fast verschlafen."

Nicole Jakobs ist eine zierliche Frau Ende 30. Die PR-Beraterin erwartet ihr zweites Kind. Sie wuchs im Ruhrgebiet auf.

Nicole Jakobs: "Also ich hab im Nachhinein erst mitbekommen, dass meine Heimatgemeinde sehr konservativ war. Sie werden als Katholik ja getauft mit acht Jahren, glaube ich. Und in der Grundschule ist einem unglaublich viel beigebracht worden, was man sprechen muss an Taufspruch. Du musst halt wirklich auch jeden einzelnen Spruch und jede einzelne Entgegnung auf das, was gesagt wird, muss richtig sein, muss korrekt sein. Da hab ich erst mal riesenhafte große Angst gehabt."

In einem Café erzählt Nicole Jakobs, warum sie aus der katholischen Kirche erst aus- und dann wieder eingetreten ist. Sie wird zusehends emotionaler.

Nicole Jakobs: "Dann halt eben die Beichte selber. Da hatt' ich natürlich auch große Angst, weil Ihnen ja gesagt wird: Wenn Sie eine Sünde verschweigen bei der Beichte, ist die Absolution hinfällig. Das heißt: Alles, was Sie vorher gebeichtet haben, alle Sünden, werden Ihnen halt eben nicht vergeben. Das heißt, Sie setzen sich mit Sünden auseinander oder Sie fühlen sich unglaublich sündig und unglaublich unzureichend, obwohl Sie doch eigentlich als achtjähriges Kind nichts Schlimmes getan haben können."

Auch wegen ihrer Familiengeschichte hadert sie mit der Kirche. Ihre Oma hat ein uneheliches Kind bekommen und erst viel später geheiratet.

Nicole Jakobs: "Und meine Oma war zeitlebens furchtbar krank und lag dann in den 60er Jahren auf dem Totenbett und verlangte nach einem Priester, einem Pfarrer, der ihr die Letzte Ölung verabreichen sollte.

Und es kam ein Pfarrer, der gesagt hat, auf ihrem Totenbett: Nein, ich gebe Ihnen die Letzte Ölung nicht. Ich verweigere Ihnen die Letzte Ölung, weil: Sie sind exkommuniziert, und Sie sind eine Sünderin, Sie haben ein uneheliches Kind zur Welt gebracht, und das machen wir nicht. Und das waren die 60er Jahre. Mein Opa hat ihn hochkant rausgeschmissen. Sie ist übrigens nicht gestorben."

Eines Tages meinte Nicole Jakobs, dass sie nun einen Schlussstrich ziehen müsse. Sie ging zum Amtsgericht und erklärte ihren Austritt. Kurz darauf machte sie Urlaub in der Bretagne.

Nicole Jakobs: "Und dort is ne ganz, ganz furchtbar tolle Kathedrale. Und ich hab total Schiss gehabt, durch dieses Kirchtor einzutreten, durch diese Tür einzutreten, weil ich halt eben dachte, im Moment steht die Tür offen, und in dem Moment, wo ich da rein gehe, weil ich mich ja selbst exkommuniziert habe quasi, knallt mir die Tür vor der Nase zu. Und das war halt auch noch mal ein Beweis für mich, dass dieser Austritt nicht auf ewig sein kann. Im Herzen katholisch, ditt is so."

Nicole Jakobs spricht von ihrer katholischen Identität. Was das ist, fällt ihr schwer zu erklären. Die Religion gehöre einfach dazu zu ihrem Leben. Sie sei so erzogen worden und will nun auch ihre eigenen Kinder so erziehen.

Nicole Jakobs: "Es hat ganz viel mit Moral zu tun und ganz viel mit, ja, Werten vom Miteinanderleben. Und mein Mann hat mir das Versprechen abgenommen: Okay, du darfst unsere Tochter katholisch taufen lassen, aber nur, wenn du mir versprichst, gut auf sie aufzupassen. Weil er halt eben auch genug hatte von den ganzen Geschichten, die ich ihm immer erzählt hab. Also ich werde auf sie gut aufpassen, dass sie halt eben keine furchtbaren Beichterlebnisse hat oder so."

Über die Internetseite "katholisch-werden" fand Nicole Jakobs den Mann, der sie auf ihrem Weg begleitete. Bernd Steinrötter war längere Zeit Stadtjugendpfarrer. Inzwischen ist er Pastor in Gelsenkirchen. Die meisten Menschen, die katholisch werden oder zum Glauben zurückkehren, sind zwischen 30 und 40 Jahre alt, erzählt er. Da haben viele einen Partner gefunden, sich im Beruf etabliert. Und denken noch einmal grundlegend über das Leben nach. Manche haben auch Schicksalsschläge erlitten.

Bernd Steinrötter: "Und dass wir den Tod nicht wegdiskutieren können. Der Mensch kommt ja nicht mehr wieder. Das ist wie ne Wunde, die in die Seele geschlagen worden ist, die dann irgendwann zuwächst. Und da zu versuchen, den Menschen eine Botschaft zu geben, Halt zu geben, damit sie Hoffnung schöpfen können."

Auch Bernd Steinrötter führt lange Gespräche mit den Menschen, die sich bei ihm melden.

Bernd Steinrötter: "Vielfach sind die Menschen auf einem Glaubenslevel stehen geblieben, was auf einem Jugendalter oder Kindesalter stehen geblieben ist. Wo man heute als Erwachsener versucht, mit seinem Kinderglauben Lösungen oder beziehungsweise Antworten auf Fragen zu geben, die man gar nicht geben kann.

Und dann kommt man da relativ schnell ins Gespräch, zu sagen, das sind Aussagen, die für Kinder wichtig sind, ja, aber du musst dich genauso weiterbilden wie in deinem Beruf, wie im Leben, auch im Glauben, der muss wachsen. Mit ihm muss man sich auseinandersetzen. Da muss man auch noch mal Texte lesen und sich damit reiben und auch noch mal schauen: Was sagt das für mein Leben?"

In Chemnitz führt Pfarrer Frauenlob pro Monat etwa drei Gespräche mit Menschen, die über eine Taufe nachdenken. Wegschicken würde er niemanden.

Bernd Frauenlob: "Und wenn jemand kommt und Interesse bekundet, dann ist da ein Anknüpfungspunkt da. Wir würden ja in jedem Fall versuchen, uns auf die Menschen einzustellen."