Als Huren noch verehrt wurden

Rezensiert von Christine Westerhaus |
Sie gilt als das älteste Gewerbe der Welt, es gab sie zu jeder Zeit und bei allen Völkern. Doch über die Prostitution öffentlich reden, das will auch in der heutigen modernen Zeit kaum jemand. Dabei gibt es viele spannende Dinge über die käufliche Liebe zu erfahren, wie Nils Johan Ringdal in seiner "Neuen Weltgeschichte der Prostitution" zeigt.
Kaum ein Gewerbe erlebte im Laufe der Jahrhunderte eine so wechselhafte Geschichte wie dieses. Und an kaum einem Thema lässt sich der Wandel der gesellschaftlichen Situation im Laufe der Jahrhunderte so gut ablesen, wie an der Prostitution.

Immer wieder gab es laut Ringdal Zeiten, in denen die Prostitution angesehen war und als fester Bestandteil in die Gesellschaft integriert wurde. Im alten Babylon beispielsweise wurden Huren sogar verehrt. Sie arbeiteten in den Tempeln und galten als direkte Verbindungsglieder zu den Göttern. Auch im Japan des 17. und 18. Jahrhunderts hatte die Prostitution einen guten Stand: Es gab Huren, die in gesellschaftlich angesehenen Kreisen verkehrten, die ihre Körper nur für sehr viel Geld anboten und denen sich nur hochrangige Männer nähern durften.

Der Autor macht in seinem Buch deutlich, dass es in diesen goldenen Zeiten der Prostitution für Frauen auch nicht anrüchig war, ihren Körper zu verkaufen. Genauso wurden auch die Männer nicht dafür verurteilt, wenn sie ihre Befriedigung im Bordell suchten. So ist es auch verständlich, dass es den Huren vor allem dann gut ging, wenn die Prostitution anerkannt war und legal betrieben wurde. In den meisten Fällen hatten sie sich freiwillig dazu entschieden, im Rotlichtmilieu zu arbeiten. In Zeiten, in denen die käufliche Liebe in die Hinterzimmer der Gesellschaft verbannt wurde – zum Beispiel in England des 19. Jahrhunderts -, driftete die Prostitution dagegen oftmals in ein kriminelles Umfeld ab, so Ringdal. Viele Huren lebten in Armut und wurden nicht selten zur Prostitution gezwungen.

Überraschend ist dabei vor allem zu erfahren, dass die Prostitution in vielen Kulturkreisen erst in den vergangenen Jahrhunderten einen anrüchigen Beigeschmack bekam. Zum Teil hängt das mit den engen Moralvorstellungen der Kirche zusammen, deren Lehren in der ganzen Welt verbreitet wurden. Aber auch die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten wie der Syphilis spielte dabei eine Rolle, da man die Huren für das Entstehen solcher Seuchen verantwortlich machte.

Je weiter man in der Geschichte zurückschaut, desto freier war der Umgang mit der käuflichen Liebe in vielen Ländern der Erde. Und umso freier der Umgang mit Sex war, desto weniger Nachfrage gab es nach Prostituierten. So schildert Ringdal, dass es zum Beispiel im Afrika der Vorkolonialzeit kaum einen Bedarf an Prostituierten gab, da die meisten Männer mit mehreren Frauen verheiratet waren. Erst die Missionare förderten die Prostitution - wenn auch ungewollt - weil sie die Polygamie abschaffen wollten. Geschickt arbeitet der Autor diese Zusammenhänge aus seinen Schilderungen heraus, ohne seine persönlichen Ansichten in den Vordergrund zu stellen oder in seinen Interpretationen zu weit zu gehen.

Zudem erzählt er die Situation der Prostitution in manchen Kapiteln anhand von Einzelschicksalen, womit dem Autor einen sehr persönlichen Zugang zu dem Thema gelingt. Er greift auch zu berühmten Romanfiguren, die als Prostituierte arbeiteten und Skandale auslösten. John Clelands "Fanny Hill", ein Werk, das Mitte des 18. Jahrhunderts entstand und lange verboten war zum Beispiel, oder Émile Zolas "Nana", ein Roman über eine Hure, von dem im 19. Jahrhundert das gesamte literarische Paris sprach. Mit diesem Einblick in die Literatur gelingt es Ringdal, die Prostitution nicht nur in den gesellschaftlichen, sondern auch in den kulturhistorischen Kontext einzuordnen. Dank dieser Erzählweise liest sich "Die neue Weltgeschichte der Prostitution" fast durchgängig wie eine unterhaltsame Geschichte. Gleichzeitig lässt der Autor an manchen Stellen witzige Anekdoten mit in den Text fließen, die nicht nur amüsant sind, sondern auch das detailreiche Wissen des Autors illustrieren.

Der Leser erfährt in diesem Buch nicht nur, wie es um die Situation der käuflichen Liebe auf der ganzen Welt von der heutigen Zeit an bis in das Jahr 2000 v. Chr. hinein bestellt war, sondern erfährt auch etwas über die kulturellen Hintergründe. Themen wie die Kinderprostitution hat der Autor dagegen ausgespart, die Prostitution von Männern wird am Rande erwähnt. Doch dieses Buch erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auf fast 500 Seiten liefert Ringdal einen guten und ausführlichen Überblick. Zudem ist dieses Buch hervorragend recherchiert. Zumeist sogar vor Ort, denn der Autor begleitete seinen Freund, der im Auftrag der WHO Untersuchungen zu AIDS unternahm, auf seinen Reisen um die ganze Welt.

Nils Johan Ringdal: Die neue Weltgeschichte der Prostitution
Aus dem Norwegischen von Ulrich Sonnenberg
Piper Verlag, München 2006
457 Seiten