André Herzberg: "Was aus uns geworden ist"
Ullstein-Verlag, Berlin 2018, 240 Seiten, 22 Euro
Die gleichnamige CD ist beim Label Reptiphon erschienen.
Wie eine Katze im Hundeland
06:18 Minuten
Jüdische Identität? - In der DDR war das kein Thema - auch nicht für jüdische Familien wie die von André Herzberg. Erst spät begann der Musiker und Schriftsteller, sich mit seiner Herkunft auseinanderzusetzen. Wie nun in seinem Buch "Was aus uns geworden ist".
"Was aus uns geworden ist" – was melancholisch, sehnsüchtig und poetisch klingt, hat einen bitteren Hintergrund:
"Sprich das Wort nicht aus. Vor allen Dingen sage niemals, du wärst so einer." So heißt es in André Herzbergs "Was aus uns geworden ist".
André Herzberg, einst Frontmann der in der DDR beliebten Rockband "Pankow", jetzt Solokünstler und Schriftsteller, beschreibt in beiden Kunstformen seine jüdische Herkunft, die im DDR-konformen sozialistischen Elternhaus verschwiegen wurde:
"Dieses Fremdsein begleitet mich schon, seit ich denken kann. Ich fühle mich als Katze im Hundeland. (…) Nun bin ich an dem Punkt angelangt, wo ich mich nicht mehr solchen Bildern unterwerfe. Ich spreche das Wort Katze wie das Wort Mensch aus. Ich sage, ich bin keine Katze, ich bin ein Mensch." (Aus: André Herzberg, "Was aus uns geworden ist".)
"Man muss hinsehen"
Der Umgang mit der eigenen Familienbiografie fällt ihm nicht leicht.
"Es ist schwer bei diesen Themen", sagt Herzberg. "Entweder ist man wahnsinnig wütend, dann wird es schwach, man muss eine gewisse Kälte haben beim Zuschauen, man muss hinsehen. Und das ist schon schwer genug."
Erst nach der Wende begann André Herzberg, sich mit seiner jüdischen Herkunft auseinanderzusetzen. Es ginge im Buch um Juden, sagt er, die ihre eigene Identität unterdrücken. Und darum zuerst um die eigenen Eltern:
"Die hatten viele Gründe, das alles zu verbergen. Die waren ja alle geflohen, entweder in der inneren Flucht sozusagen, die sind buchstäblich in eine Höhle gekrochen, haben alles verwischt, damit das nicht rauskommt, bis zum letzten Tag, wer sie wirklich sind."
Seine Mutter floh als 17-Jährige noch rechtzeitig nach England.
"Und dann sind die da zurückgekommen mit dem Märchen im Kopf, eine bessere Welt aufzubauen, und so weiter", so der Künstler. "Meine Mutter ist ja buchstäblich wieder in die Wohnung zurückgegangen, wo sie mal gewohnt hat. Also, das muss in jeder Weise traumatisch gewesen sein. Und ich glaube, sie hat noch nicht mal mit ihrem Mann darüber gesprochen, der auch Jude war."
"Man hat das Wort Jude nicht in den Mund genommen"
Doch wie ging es Juden in der sozialistischen und antifaschistischen Realität der DDR? Gab es so etwas wie eine jüdische Identität, wurden zum Beispiel Feste gefeiert, oder das Neujahr Rosh Hashanah?
"Nein, wir waren Kommunisten. Ich habe ja im Grunde genommen damit gelebt, darüber in der Öffentlichkeit nicht zu sprechen. Also, das blieb hinter der Wohnungstür zu Hause. Ich weiß aber inzwischen, dass andere sehr wohl gewusst haben, dass ich Jude bin. Und man hat ja das Wort Jude gar nicht in den Mund genommen, man hat Antifaschist gesagt. Und so wurde überhaupt nicht offen darüber geredet, das existierte überhaupt nicht. Sowohl für mich nicht als auch für die anderen, die auch nicht darüber sprachen."
Und dann später, beim Wehrdienst in der antifaschistischen Volksarmee, habe es so "Hobbys" gegeben wie "Bierkrüge basteln, mit Hilfe von Klebstoff, und der Klebstoff war eben aus toten Juden, wurde gesagt. Es herrschte so ein Ton, bei dem ich mich natürlich total stigmatisiert gefühlt habe."
Das Gefühl anders zu sein, prägte Herzbergs Kindheit und Jugend. Ein Leben, das dem in der BRD zu dieser Zeit wohl nicht ganz unähnlich gewesen sein wird. In beiden Teilen gab es nämlich noch das alte Gefühl, diesem "deutschen Blick", wie es so heißt, ausgesetzt gewesen zu sein.
"Ich will ihn loswerden", betont der Künstler. "Ich möchte endlich frei und ohne diesen Blick auskommen. Es kam mir immer darauf an, mich davon zu emanzipieren, dieses Gefühl, nicht das sagen zu können, was man will."
Das Buch "Was aus uns geworden ist" und die gleichnamige CD sind wie in einem gleichem Schaffensstrahl entstanden. Und manchmal hat die Arbeit in einem Medium die Arbeit im anderen Medium sogar bedingt. Es ist, als hätte er beim Schreiben eine Melodie im Kopf gehabt – oder bei der Melodie einen Text.
"Ich habe beim Schreiben – oder sehr oft bei der Arbeit – Krisen. Und dann bin ich inzwischen in der guten Lage, mich abzulenken. Also, ich wechsle vom Computer an die Gitarre. Und dann verschaffe ich mir sozusagen in dem negativen Gefühl wieder ein positives Gefühl und sage, vielleicht kriege ich ein Lied fertig."
Vielleicht sind die sogenannten Krisen auch eher Schaffensschübe gewesen, die sich ihre jeweiligen Wirkräume selbst gesucht haben: mal als Melodie, mal als Wort. Was bleibt, wenn man das Buch liest, die Lieder hört, ist das Gefühl einer Nähe zum Autor, zum Sänger: als wäre er von der eigenen gleichen Art, als wäre nah, "neben Dir", wie es in einem der Liedtexte heißt.