Als London keine Luft mehr bekam

Von Irene Meichsner |
Am 5. Dezember 1952 bildete sich in London ein dichter, von Schadstoffen durchtränkter Nebel, der sich tagelang hielt und rund 12.000 Menschen das Leben kostete. Der schwerste Fall von Luftverschmutzung in der englischen Geschichte gab aber auch den Anstoß zu einer europäischen Luftreinhaltepolitik.
"Da war ein junger, aktiver Soldat, der vor meinen Augen kollabierte - mit schwerer Atemnot und offenkundigem Herzversagen. Ich bin mit ihm zu zwei Londoner Krankenhäusern gefahren, beide waren überfüllt. Als ich wieder hinaus stürmte, war er gerade gestorben – in dem Moment tat er seinen letzten Atemzug. Ich habe noch versucht, ihn wiederzubeleben, aber es war zwecklos."

Horace Pile hat den "Großen Smog" von London als junger Militärarzt miterlebt. In den Tagen zuvor war es besonders kalt gewesen, und es wehte fast kein Wind – die typischen Voraussetzungen für eine sogenannte Inversionswetterlage. Dabei wird die kalte, mit Schadstoffen durchsetzte Luft von wärmeren Luftmassen in größerer Höhe regelrecht am Boden festgehalten.

Am Abend des 5. Dezember 1952 bildete sich ein dichter Nebel, in den Abgase und Rußpartikel aus unzähligen Schornsteinen eingeschlossen waren. Im Prinzip kannten die Briten das Phänomen. Durch die Industrialisierung war die Luft immer schmutziger geworden. Doch dieser "Killersmog", an dessen Folgen schätzungsweise 12.000 Menschen starben, sprengte jeden Rahmen.

"Man konnte buchstäblich seine Hand nicht mehr vor Augen sehen. Der Nebel hatte eine gelbliche Farbe und stank nach Schwefel, denn es waren ja Schadstoffe von Kohlefeuern, die sich zusammengeballt hatten."

Erinnerte sich eine Zeitzeugin. Der Verkehr in London kam zum Erliegen, die Menschen verirrten sich auf dem Weg nach Hause. Der Nebel wurde immer dicker, er quoll durch alle Türen und Ritzen, drinnen war es fast so schlimm wie draußen.

Eine Opernaufführung im Sadler's Wells Theatre musste abgebrochen werden, weil das Geschehen auf der Bühne nicht mehr zu erkennen war. In Kliniken wurden Experten für Chemiewaffen hinzugezogen, so Robert Waller, ehemaliger Arzt des Londoner
St. Bartholomäus-Hospitals:

"Unser erstes Problem nach der großen Smogkatastrophe von 1952 war es, Leben zu retten. Die Leute wurden von den Straßen krank hereingebracht. Und sie starben an der schrecklichen Luftverschmutzung. Und so versuchten wir es mit Atemmasken – um die Leute auf der Straße zu schützen. Wir haben Versuche gemacht mit allerlei Installationen in unseren Krankenhäusern. Eine Maßnahme, mit der wir experimentiert haben, war die Neutralisation der sauren Bestandteile des Nebels. Denn wir erkannten, dass aus Schwefeldioxid in Verbindung mit Rauch und Nebel Schwefelsäure gebildet wird, die für die akuten Effekte mitverantwortlich schien. Und so hatten wir die Idee, diese Schwefelsäure in der Innenraumluft zu neutralisieren, indem wir Flaschen mit Ammoniak aufstellten. Man nimmt den Verschluss ab, das Ammoniakgas entweicht, neutralisiert die Säure und die Atembeschwerden nehmen ab. Wir haben diese Flaschen in den Krankenhäusern verwendet, und die Patienten fanden sie sehr wirkungsvoll."

Erst vier Tage später, am 9. Dezember, änderte sich das Wetter, der Wind frischte auf, sodass die Menschen wieder durchatmen konnten. Als der Bericht einer Untersuchungskommission vorlag, war klar, dass gegen den winterlichen Smog endlich etwas getan werden musste. Mit dem "Clean Air Act" von 1956 wurde der Ausstoß von schwarzem Ruß in den ersten, besonders belasteten Stadtgebieten untersagt. Seit 1968 durften Briten in den Großstädten ihre Öfen nicht mehr mit Holz oder Kaminkohle beheizen. Auch in anderen Ländern rückte das Problem der Luftverschmutzung, nicht zuletzt durch den zunehmenden Autoverkehr, stärker ins Bewusstsein.

Der Fernsehfilm "Smog" - nach dem Drehbuch des kürzlich verstorbenen Wolfgang Menge – schilderte 1973 einen fiktiven Smog im Ruhrgebiet so plastisch, dass viele die Geschichte für echt hielten. Im Januar 1985 war es dann wirklich so weit: Im westlichen Ruhrgebiet wurde zum ersten Mal ein Smogalarm der Stufe 3 ausgerufen - mit einem totalen Fahrverbot und Einschränkungen für die industrielle Produktion.

"Ich war ziemlich sicher, dass irgendwann sowas passieren würde. Es hat ja insofern bewirkt, dass zumindest Smoggesetze erlassen worden sind, das heißt, die Leute müssen sich heute danach richten,"

sagte Menge im Nachhinein. Durch den Einbau von weiteren Filtern und Katalysatoren ist die Luft bei uns inzwischen sehr viel sauberer geworden. Dennoch bleibt genug zu tun – wie die aktuelle Diskussion um Dieselruß und sonstige Feinstaubpartikel zeigt.
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