Als Minderheit zwischen den Fronten
Sie tragen Jeans und T-Shirt, sind modern und haben eigene Ziele, die arabischen Christinnen in Jerusalem. Sie sind zwar eine Minderheit in Israel, leben dennoch friedlich mit den muslimischen Mädchen zusammen.
"Ich heiße Jihan, bin 14 Jahre alt und ich bin in Bethlehem geboren."
Gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester Sama sitzt sie im Gottesdienst der Erlöserkirche. Es ist die große Kirche, mitten im Herzen der Altstadt von Jerusalem; nur wenige Schritte von der Via Dolorosa entfernt.
Jihan ist arabische Christin. Das Palästinensertuch trägt sie locker um den Hals geschlungen. Das lange schwarze Haar ist zum Zopf gebunden. Mit dunkler Jacke, Pulli, Jeans und Turnschuhe sieht sie aus wie jedes moderne Mädchen in Deutschland.
"Alle Christen hier in Jerusalem sind Palästinenser. Und wir sind auch stolz darauf, wir tragen dieses Tuch nicht aus Mode - oder so – wir tragen das, weil wir zeigen, dass wir Palästinenser -- Christen und auch Palästinenser sein können."
Klare Worte einer 14-Jährigen. Und eine gewisse Ernsthaftigkeit in ihrem Gesicht.
"Alle Ausländer finden – Palästinenser sind Muslime – das ist ganz falsch, die Christen hier haben es auch ein bisschen schwerer hier als die Muslime, die Muslime sind klar die Mehrheit. Dann stehen die Christen, die Palästinenser, als Außenseiter."
Ein Prozent der Bevölkerung in Jerusalem ist christlich. Auch wenn die Pilgerströme in der Innenstadt ein anderes Bild geben, wenn manchmal im Minutentakt die Gruppen durch die Via Dolorosa laufen und das Bild der Christen – in dem Fall – das Bild der Straße bestimmt.. Die Christen im Land sind eine Minderheit.
Jihans Vater ist der Pfarrer der Gemeinde und sie ist sehr stolz auf ihn. Nicht nur, weil er ihr so gut Deutsch beigebracht hat.
"Papi ist der Pastor der evangelischen arabischen Gemeinde hier in Jerusalem. Er ist zuständig für die Sonntage. Er kümmert sich auch um die Probleme der Gemeinde und hilft auch allen andern, was ein Pastor also so macht."
Jihan hilft ihm, sammelt die Kollekte während der Gottesdienste, passt auf die Jüngeren auf und ist in das religiöse Leben voll – und auch gerne - integriert. Neben der Kirche sind die Büros, auch das ihres Vaters. Jihan trifft eine Freundin an der Tür.
Diese sei orthodoxe Christin, erklärt sie später und zeigt dann ihren Lieblingsort: einen kleinen Innenhof, direkt hinter der Kirche. Begrünt, still und friedlich.
"Und nach der Kirche am Sonntag treffen sich die ganze Gemeinde und wir gehen nach oben und trinken Tee und plaudern miteinander."
Jihan ist stolz auf ihre Tradition sagt sie immer wieder – und meint beides. Die arabisch-palästinensische und die christliche:
"Ja ich finde diesen Ort wunderschön. Die Kirche ist für mich ein besonderer Ort. Ich fühle mich sicher hier."
Ein Wort, das zum Alltagsglück gehört; jedoch nie selbstverständlich ist in diesem Umfeld.
Was Sicherheit ist und was nicht, erlebt sie – als Palästinenserin – durch die israelischen Checkpoints. Die gehen gar nicht, schimpft sie in der Jugendsprache:
"Also es ist total schwer für uns, also unsere Familien sind auch hinter den Checkpoints oder in Jordanien es ist auch schwer für uns. Jordanien ist ja nur eine halbe Stunde von uns entfernt, aber wir brauchen mehr als 6 Stunden damit wir dort hinkommen. Also Checkpoints ist ein sehr großes Thema."
Ein großes Thema war - und ist - auch der jüngste gewaltvolle Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern vor wenigen Monaten.
"Es gibt Dinge, die sie machen, die aus Absicht sind, das betrifft uns Palästinenser sehr hart und das vertragen wir nicht so gerne und wir haben kein Recht sie anzusprechen. Und das finden wir blöd. Einfach nur blöd."
Denn wer Recht hat, sollte auch sprechen dürfen – sagt sie.
"Und meine Freundin und ich, wir sprechen darüber, was wir machen können also irgendwas zu tun, damit wir den Arabern hier helfen. So wir schreiben auch viele Dinge darüber. Aber es hilft ja nicht, weil wir noch zu jung sind. Aber die glaube eines Tages werden wir es schaffen."
Große Pläne hat Jihan, nicht weil es die Eltern wollen, sondern weil sie so viel machen will, erklärt sie und hat klare Vorstellungen, dass ein Beruf wohl nicht reichen wird:
"Ich möchte Doktor werden, aber auch nicht nur Doktor. Ich möchte auch Schriftsteller werden, auch ein bisschen Schauspieler, ... es gibt so vieles zu tun. Ich hab mal darüber nachgedacht, Jura zu studieren."
An Plänen fehlt es nicht, an Motivation aber auch nicht. So wie Jihan planen viele Mädchen ihre Zukunft: Lernen und Bildung stehen weit oben im Alltag; sind kein Muss, sondern ein Glück. Nicht um schnell hier weg und woanders hin zu kommen, sondern um hier das Leben besser zu machen. Eine neue Mädchen-, eine neue Frauengeneration entsteht. Eine mit mehr Weit- und Weltblick, mehr Power und Mut, den sie sich leisten kann.
So wie Romina, auch arabische Christin. Ihre Mutter stammt aus Rumänien.
"Ich träume davon, etwas für Frauen zu tun, weil viele Rechte den Frauen genommen werden. Nicht nur in diesem Land, auch außerhalb. Aber hier ist es vermutlich mehr. Hier ist vielleicht nicht alles schlecht – aber außerhalb haben die Frauen eine Stimme. Ich möchte das für die Menschen tun, die hier leben."
Romina ist 16. Geht in die elfte Klasse. Nimmt auch an einem Buchklub teil, dort treffen sich jüdische und arabische Mädchen. Sie sollen vorbehaltlos miteinander umgehen lernen, um eine bessere Zukunft zu haben. Denn davon träumt nicht nur Romina, die arabische Christin:
"Ich träume von einer Zukunft, die eine bessere Situation ist für jeden, für die Menschen in der Westbank und hier. Aber andererseits fühle ich nicht wirklich diese Hoffnung, dass es besser wird. Denn alles wurde bislang nur schlechter, von Jahr zu Jahr."
Romina und Jihan sind Schülerinnen der Schmidt-Schule. Nikolaus Kircher ist der Direktor. Er stammt aus Deutschland und leitet hier deutsche Auslandsschule, an der nur arabische Mädchen unterrichtet werden, egal ob Muslime oder Christen:
"Also die Schmidtschule als in katholischer Trägerschaft befindliche Privatschule steht ja hier nicht alleine. Es gibt etwa 15 christliche Privatschulen in Ostjerusalem, die alle sehr stark angefragt sind und es ist ganz schlicht zu sagen, dass ohne diese Schulen, die Positionen der wenigen Christen – es sind ja nur noch 1,5 % der Bevölkerung, noch schlechter wäre. Also die christlichen Pfarrgemeinden könnten die Identität der Christen und den Zusammenhalt gar nicht mehr garantieren."
Aber nicht nur um Identität geht es hier, sondern schlicht um den Start eines jeden Mädchens in die Zukunft.
Griechische Geschichte auf Deutsch. Wer es hier schafft, schafft das internationale deutsche Abitur. Unterrichtet wird auf Arabisch, Englisch und Deutsch.
Nebenan zeigt Isabell Achterberg ihrer Klasse einen englischen Film. Es geht um Zivilcourage, um Mut und das Aufbegehren von Jugendlichen, um die Rolle von Literatur und Bildung.
Dann wird diskutiert. Die Lehrerin wird sich nicht einmischen, sie lässt die Mädchen ausreden und das Gespräch selbst entwickeln. Aber eines hat sie erreicht: Sie denken nach über das Verändern, über eigene Wege, friedliche Zivilcourage und Gerechtigkeit, auch zwischen den Generationen.
"In meinem Unterricht bin ich immer wieder überrascht, denn zum Beispiel man stellt sich das vor, dass arabische Mädchen nicht selbstbewusst seien, aber ich denke, gerade meine Mädchen, die können vielen deutschen Mädchen noch eine Lektion im Selbstbewusstsein geben. Zum andern muss man auch sagen, so wie man sich das auch immer vorstellt, dass sie sehr in Traditionen verhaftet sind, dass ist zum Teil richtig zum anderen habe ich auch erlebt, dass im letzten Jahr sich fast die ganze Klasse die Haare kurz abgeschnitten hat."
Traditions-Boykott oder modischer Trend? Wohl eine Mischung aus beidem. Fest steht, dass diese jungen Mädchen andere Wege gehen als ihre Mütter.
"Aber die palästinensischen Mädchen sind auch immer so ein bisschen hin und her gerissen zwischen der Tradition und dem sich Verändern. Dadurch, dass es noch keinen palästinensischen Staat gibt, ist es so, dass der Palästinenser und die Palästinenserin sich sehr stark über Traditionen definieren."
Und künftig auch über Bildungsabschlüsse. Alle wollen studieren und haben klare Ziele:
"Erstaunlicherweise liegen die im naturwissenschaftlichen Bereich, Mediziner, Ärzte, Psychiaterinnen. Physik, Chemie, Mathematik ... da liegen dann auch die Berufswünsche."
Isabell Achterberg stammt lehrt u.a. englische Literatur an der Schule in Jerusalem. Leicht war ihr Start dort nicht:
"Ich hatte kurze blonde Haare, ich hab mich anders angezogen, ich hatte eine andere Art zu unterrichten als meine palästinensischen Kolleginnen."
Und musste somit als Lehrerin auch erst ihren Platz finden, zumal sie modern und weltoffen unterrichten wollte. Werte, wie freies Denken und liberales Miteinander, gegen verkrustete Strukturen tauschen wollte:
"Ich halte die Rolle der arabischen Christinnen gerade auch in meiner Klasse als sehr wichtig, sie sind häufig ein ausgleichendes Element, sie sind ein verbindendes Element zwischen mir, der Lehrerin aus Deutschland und den muslimischen Schülerinnen. Sehr häufig stellen sie sich auch gegen Radikalisierung innerhalb der palästinensischen Gesellschaft. Das hat man jetzt während des Gazakrieges sehr stark gemerkt, dass es eigentlich fast nur die christlichen Schülerinnen waren, die sich sehr deutlich und sehr klar innerhalb der Klassengemeinschaft auch gegen jegliche Gewalt von welcher Seite auch immer entgegen gestellt haben."
Ein Konflikt, dem sich auch der Schuldirektor Nikolaus Kircher täglich gegenüber sieht. Konflikte in Handeln umsetzen, ist sein Credo. Positive Ventile schaffen – sein Ziel:
"Das ist nun mal eine Erfahrung der palästinensischen Gesellschaft, dass sie im Grunde Dinge immer nur hinnehmen muss, das sie wirklich nichts aktiv gestalten können. Wir haben dann ja noch die andere Situation gehabt, dass hier palästinensische Siedlungshäuser abgerissen werden sollten, die nach offizieller Darstellung illegal gebaut waren, das hat natürlich auch zu einer großen Welle der Solidarisierung in der palästinensischen Bevölkerung in Ostjerusalem geführt. Wir haben das auch wieder umgemünzt in eine Schulversammlung, wo wir einen Politiker eingeladen haben, der sehr rational, sehr vernünftig mit historischen Hintergründen erklärt hat, wir haben versucht, das auch von beiden Seiten zu beleuchten, denn wir wollen ja schließlich, dass unsere Mädchen dialogfähig sind und nicht einseitig kämpferisch verbohrt."
Während sich Klasse 5 noch durch die griechische Geschichte quält, die Daten von Drakon und Solon wiederholt, erklärt die 16-jährige Alin, warum sie – übrigens auch Christin - armenisch, arabisch, englisch und deutsch kennt:
"Ich lebe hier, wurde hier geboren, habe armenische Eltern. Aber, auch die Menschen hier denken, wir sind keine Araber, sie denken, wir sind Ausländer. Sie sprechen mit uns, als würden wir die arabischen Traditionen nicht kennen. In Jerusalem gibt es 3000 Menschen, in Ostjerusalem etwa 2000 – 1000. Ich bin nicht sicher."
Alin meint damit die Zahl der arabischen Christen, die armenischen inklusive. Für sie ist es ein Wandeln zwischen den Religionen und Kulturen. Zwischen der arabischen, der armenischen der Mutter und der katholischen des Vaters.
Wie auch immer die Umwelt auf diesen Mix reagiert, sie lernt fleißig und weiß auch, was sie später werden will:
"Ich möchte Modedesigner werden, aber ich denke, das funktioniert hier nicht. Ich werde wohl in ein anderes Land gehen um mein Ziel zu erreichen."
Italien oder USA sagt sie, auf jeden Fall will sie Mode machen und Design entwerfen.
Nikolaus Kircher läutet die Ferien ein. Die arabischen Mädchen – ob Muslime oder Christen strömen aus dem Raum.
Auch Jihan ist dabei. In Schuluniform, blauem Rock, roter Jacke, weißem Polohemd.
Ihr Vater wird sie gleich abholen und gemeinsam gehen sie dann nach Hause.
Tradition hin oder her. Jihan --- hat da noch einen Wunsch an die Politikern:
"Also ich finde, die sollten mal probieren, dass eine Frau den ganzen Stadtkram und alles organisiert, also ich finde, die Frauen verstehen schon ein bisschen mehr als die Männer. Die können was schaffen. Wenn sie alle zusammen arbeiten dann geht alles."
Gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester Sama sitzt sie im Gottesdienst der Erlöserkirche. Es ist die große Kirche, mitten im Herzen der Altstadt von Jerusalem; nur wenige Schritte von der Via Dolorosa entfernt.
Jihan ist arabische Christin. Das Palästinensertuch trägt sie locker um den Hals geschlungen. Das lange schwarze Haar ist zum Zopf gebunden. Mit dunkler Jacke, Pulli, Jeans und Turnschuhe sieht sie aus wie jedes moderne Mädchen in Deutschland.
"Alle Christen hier in Jerusalem sind Palästinenser. Und wir sind auch stolz darauf, wir tragen dieses Tuch nicht aus Mode - oder so – wir tragen das, weil wir zeigen, dass wir Palästinenser -- Christen und auch Palästinenser sein können."
Klare Worte einer 14-Jährigen. Und eine gewisse Ernsthaftigkeit in ihrem Gesicht.
"Alle Ausländer finden – Palästinenser sind Muslime – das ist ganz falsch, die Christen hier haben es auch ein bisschen schwerer hier als die Muslime, die Muslime sind klar die Mehrheit. Dann stehen die Christen, die Palästinenser, als Außenseiter."
Ein Prozent der Bevölkerung in Jerusalem ist christlich. Auch wenn die Pilgerströme in der Innenstadt ein anderes Bild geben, wenn manchmal im Minutentakt die Gruppen durch die Via Dolorosa laufen und das Bild der Christen – in dem Fall – das Bild der Straße bestimmt.. Die Christen im Land sind eine Minderheit.
Jihans Vater ist der Pfarrer der Gemeinde und sie ist sehr stolz auf ihn. Nicht nur, weil er ihr so gut Deutsch beigebracht hat.
"Papi ist der Pastor der evangelischen arabischen Gemeinde hier in Jerusalem. Er ist zuständig für die Sonntage. Er kümmert sich auch um die Probleme der Gemeinde und hilft auch allen andern, was ein Pastor also so macht."
Jihan hilft ihm, sammelt die Kollekte während der Gottesdienste, passt auf die Jüngeren auf und ist in das religiöse Leben voll – und auch gerne - integriert. Neben der Kirche sind die Büros, auch das ihres Vaters. Jihan trifft eine Freundin an der Tür.
Diese sei orthodoxe Christin, erklärt sie später und zeigt dann ihren Lieblingsort: einen kleinen Innenhof, direkt hinter der Kirche. Begrünt, still und friedlich.
"Und nach der Kirche am Sonntag treffen sich die ganze Gemeinde und wir gehen nach oben und trinken Tee und plaudern miteinander."
Jihan ist stolz auf ihre Tradition sagt sie immer wieder – und meint beides. Die arabisch-palästinensische und die christliche:
"Ja ich finde diesen Ort wunderschön. Die Kirche ist für mich ein besonderer Ort. Ich fühle mich sicher hier."
Ein Wort, das zum Alltagsglück gehört; jedoch nie selbstverständlich ist in diesem Umfeld.
Was Sicherheit ist und was nicht, erlebt sie – als Palästinenserin – durch die israelischen Checkpoints. Die gehen gar nicht, schimpft sie in der Jugendsprache:
"Also es ist total schwer für uns, also unsere Familien sind auch hinter den Checkpoints oder in Jordanien es ist auch schwer für uns. Jordanien ist ja nur eine halbe Stunde von uns entfernt, aber wir brauchen mehr als 6 Stunden damit wir dort hinkommen. Also Checkpoints ist ein sehr großes Thema."
Ein großes Thema war - und ist - auch der jüngste gewaltvolle Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern vor wenigen Monaten.
"Es gibt Dinge, die sie machen, die aus Absicht sind, das betrifft uns Palästinenser sehr hart und das vertragen wir nicht so gerne und wir haben kein Recht sie anzusprechen. Und das finden wir blöd. Einfach nur blöd."
Denn wer Recht hat, sollte auch sprechen dürfen – sagt sie.
"Und meine Freundin und ich, wir sprechen darüber, was wir machen können also irgendwas zu tun, damit wir den Arabern hier helfen. So wir schreiben auch viele Dinge darüber. Aber es hilft ja nicht, weil wir noch zu jung sind. Aber die glaube eines Tages werden wir es schaffen."
Große Pläne hat Jihan, nicht weil es die Eltern wollen, sondern weil sie so viel machen will, erklärt sie und hat klare Vorstellungen, dass ein Beruf wohl nicht reichen wird:
"Ich möchte Doktor werden, aber auch nicht nur Doktor. Ich möchte auch Schriftsteller werden, auch ein bisschen Schauspieler, ... es gibt so vieles zu tun. Ich hab mal darüber nachgedacht, Jura zu studieren."
An Plänen fehlt es nicht, an Motivation aber auch nicht. So wie Jihan planen viele Mädchen ihre Zukunft: Lernen und Bildung stehen weit oben im Alltag; sind kein Muss, sondern ein Glück. Nicht um schnell hier weg und woanders hin zu kommen, sondern um hier das Leben besser zu machen. Eine neue Mädchen-, eine neue Frauengeneration entsteht. Eine mit mehr Weit- und Weltblick, mehr Power und Mut, den sie sich leisten kann.
So wie Romina, auch arabische Christin. Ihre Mutter stammt aus Rumänien.
"Ich träume davon, etwas für Frauen zu tun, weil viele Rechte den Frauen genommen werden. Nicht nur in diesem Land, auch außerhalb. Aber hier ist es vermutlich mehr. Hier ist vielleicht nicht alles schlecht – aber außerhalb haben die Frauen eine Stimme. Ich möchte das für die Menschen tun, die hier leben."
Romina ist 16. Geht in die elfte Klasse. Nimmt auch an einem Buchklub teil, dort treffen sich jüdische und arabische Mädchen. Sie sollen vorbehaltlos miteinander umgehen lernen, um eine bessere Zukunft zu haben. Denn davon träumt nicht nur Romina, die arabische Christin:
"Ich träume von einer Zukunft, die eine bessere Situation ist für jeden, für die Menschen in der Westbank und hier. Aber andererseits fühle ich nicht wirklich diese Hoffnung, dass es besser wird. Denn alles wurde bislang nur schlechter, von Jahr zu Jahr."
Romina und Jihan sind Schülerinnen der Schmidt-Schule. Nikolaus Kircher ist der Direktor. Er stammt aus Deutschland und leitet hier deutsche Auslandsschule, an der nur arabische Mädchen unterrichtet werden, egal ob Muslime oder Christen:
"Also die Schmidtschule als in katholischer Trägerschaft befindliche Privatschule steht ja hier nicht alleine. Es gibt etwa 15 christliche Privatschulen in Ostjerusalem, die alle sehr stark angefragt sind und es ist ganz schlicht zu sagen, dass ohne diese Schulen, die Positionen der wenigen Christen – es sind ja nur noch 1,5 % der Bevölkerung, noch schlechter wäre. Also die christlichen Pfarrgemeinden könnten die Identität der Christen und den Zusammenhalt gar nicht mehr garantieren."
Aber nicht nur um Identität geht es hier, sondern schlicht um den Start eines jeden Mädchens in die Zukunft.
Griechische Geschichte auf Deutsch. Wer es hier schafft, schafft das internationale deutsche Abitur. Unterrichtet wird auf Arabisch, Englisch und Deutsch.
Nebenan zeigt Isabell Achterberg ihrer Klasse einen englischen Film. Es geht um Zivilcourage, um Mut und das Aufbegehren von Jugendlichen, um die Rolle von Literatur und Bildung.
Dann wird diskutiert. Die Lehrerin wird sich nicht einmischen, sie lässt die Mädchen ausreden und das Gespräch selbst entwickeln. Aber eines hat sie erreicht: Sie denken nach über das Verändern, über eigene Wege, friedliche Zivilcourage und Gerechtigkeit, auch zwischen den Generationen.
"In meinem Unterricht bin ich immer wieder überrascht, denn zum Beispiel man stellt sich das vor, dass arabische Mädchen nicht selbstbewusst seien, aber ich denke, gerade meine Mädchen, die können vielen deutschen Mädchen noch eine Lektion im Selbstbewusstsein geben. Zum andern muss man auch sagen, so wie man sich das auch immer vorstellt, dass sie sehr in Traditionen verhaftet sind, dass ist zum Teil richtig zum anderen habe ich auch erlebt, dass im letzten Jahr sich fast die ganze Klasse die Haare kurz abgeschnitten hat."
Traditions-Boykott oder modischer Trend? Wohl eine Mischung aus beidem. Fest steht, dass diese jungen Mädchen andere Wege gehen als ihre Mütter.
"Aber die palästinensischen Mädchen sind auch immer so ein bisschen hin und her gerissen zwischen der Tradition und dem sich Verändern. Dadurch, dass es noch keinen palästinensischen Staat gibt, ist es so, dass der Palästinenser und die Palästinenserin sich sehr stark über Traditionen definieren."
Und künftig auch über Bildungsabschlüsse. Alle wollen studieren und haben klare Ziele:
"Erstaunlicherweise liegen die im naturwissenschaftlichen Bereich, Mediziner, Ärzte, Psychiaterinnen. Physik, Chemie, Mathematik ... da liegen dann auch die Berufswünsche."
Isabell Achterberg stammt lehrt u.a. englische Literatur an der Schule in Jerusalem. Leicht war ihr Start dort nicht:
"Ich hatte kurze blonde Haare, ich hab mich anders angezogen, ich hatte eine andere Art zu unterrichten als meine palästinensischen Kolleginnen."
Und musste somit als Lehrerin auch erst ihren Platz finden, zumal sie modern und weltoffen unterrichten wollte. Werte, wie freies Denken und liberales Miteinander, gegen verkrustete Strukturen tauschen wollte:
"Ich halte die Rolle der arabischen Christinnen gerade auch in meiner Klasse als sehr wichtig, sie sind häufig ein ausgleichendes Element, sie sind ein verbindendes Element zwischen mir, der Lehrerin aus Deutschland und den muslimischen Schülerinnen. Sehr häufig stellen sie sich auch gegen Radikalisierung innerhalb der palästinensischen Gesellschaft. Das hat man jetzt während des Gazakrieges sehr stark gemerkt, dass es eigentlich fast nur die christlichen Schülerinnen waren, die sich sehr deutlich und sehr klar innerhalb der Klassengemeinschaft auch gegen jegliche Gewalt von welcher Seite auch immer entgegen gestellt haben."
Ein Konflikt, dem sich auch der Schuldirektor Nikolaus Kircher täglich gegenüber sieht. Konflikte in Handeln umsetzen, ist sein Credo. Positive Ventile schaffen – sein Ziel:
"Das ist nun mal eine Erfahrung der palästinensischen Gesellschaft, dass sie im Grunde Dinge immer nur hinnehmen muss, das sie wirklich nichts aktiv gestalten können. Wir haben dann ja noch die andere Situation gehabt, dass hier palästinensische Siedlungshäuser abgerissen werden sollten, die nach offizieller Darstellung illegal gebaut waren, das hat natürlich auch zu einer großen Welle der Solidarisierung in der palästinensischen Bevölkerung in Ostjerusalem geführt. Wir haben das auch wieder umgemünzt in eine Schulversammlung, wo wir einen Politiker eingeladen haben, der sehr rational, sehr vernünftig mit historischen Hintergründen erklärt hat, wir haben versucht, das auch von beiden Seiten zu beleuchten, denn wir wollen ja schließlich, dass unsere Mädchen dialogfähig sind und nicht einseitig kämpferisch verbohrt."
Während sich Klasse 5 noch durch die griechische Geschichte quält, die Daten von Drakon und Solon wiederholt, erklärt die 16-jährige Alin, warum sie – übrigens auch Christin - armenisch, arabisch, englisch und deutsch kennt:
"Ich lebe hier, wurde hier geboren, habe armenische Eltern. Aber, auch die Menschen hier denken, wir sind keine Araber, sie denken, wir sind Ausländer. Sie sprechen mit uns, als würden wir die arabischen Traditionen nicht kennen. In Jerusalem gibt es 3000 Menschen, in Ostjerusalem etwa 2000 – 1000. Ich bin nicht sicher."
Alin meint damit die Zahl der arabischen Christen, die armenischen inklusive. Für sie ist es ein Wandeln zwischen den Religionen und Kulturen. Zwischen der arabischen, der armenischen der Mutter und der katholischen des Vaters.
Wie auch immer die Umwelt auf diesen Mix reagiert, sie lernt fleißig und weiß auch, was sie später werden will:
"Ich möchte Modedesigner werden, aber ich denke, das funktioniert hier nicht. Ich werde wohl in ein anderes Land gehen um mein Ziel zu erreichen."
Italien oder USA sagt sie, auf jeden Fall will sie Mode machen und Design entwerfen.
Nikolaus Kircher läutet die Ferien ein. Die arabischen Mädchen – ob Muslime oder Christen strömen aus dem Raum.
Auch Jihan ist dabei. In Schuluniform, blauem Rock, roter Jacke, weißem Polohemd.
Ihr Vater wird sie gleich abholen und gemeinsam gehen sie dann nach Hause.
Tradition hin oder her. Jihan --- hat da noch einen Wunsch an die Politikern:
"Also ich finde, die sollten mal probieren, dass eine Frau den ganzen Stadtkram und alles organisiert, also ich finde, die Frauen verstehen schon ein bisschen mehr als die Männer. Die können was schaffen. Wenn sie alle zusammen arbeiten dann geht alles."