"Schwani, gestehe es dir ein. Es ist noch nicht vorbei."
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Nach der Geburt wieder zurück in den Leistungssport? Topathletinnen müssen wie andere Frauen viel organisieren, um Kind und Karriere zu verbinden. Inzwischen gibt es immerhin Vorbilder, etwa Christina Schwanitz. Das helfe durchaus, sagt eine Olympiasiegerin.
Fernweh kommt auf, sobald man die Beachhalle im Hamburger Stadtteil Dulsberg betritt. "Aloha" steht auf einer Tafel im Restaurant hinter dem Eingangsbereich, auf den Holztischen liegen große Muscheln. Von hier gelangt man direkt in die Halle mit den Beachvolleyball-Plätzen. An der Hallenwand klebt eine riesengroße Fototapete auf der Meer, Strand und Palmen abgebildet sind.
In dieser künstlichen Südsee-Idylle wird jedoch hart trainiert. Auf einem der Felder spielen Laura Ludwig und Margarete Kozuch. Mit einer Sparringspartnerin und Trainer Morph Bowes trainiert das Duo heute Ballannahme, Zuspiel und Angriffsschlag.
Ludwig ist 34 Jahre alt. Sie hat bereits alles gewonnen, was man im Beachvolleyball gewinnen kann. Gemeinsam mit ihrer ehemaligen Doppel-Partnerin Kira Walkenhorst wurde sie zwei Mal Europameisterin, Weltmeisterin und 2016 Olympiasiegerin. "Deutschland holt Gold und Kira Walkenhorst und Laura Ludwig umarmen sich", jubelte der Reporter damals in Rio.
Wettkampfpause wegen Schwangerschaft
Ende 2017 verkündete Laura Ludwig eine Wettkampfpause. Es war keine Verletzung, die sie dazu zwang, sondern ihre erste Schwangerschaft. Doch für Laura Ludwig stand fest, dass ein Baby nicht das Ende ihrer sportlichen Laufbahn bedeuten sollte: "Ich wollte auf jeden Fall wieder zurückkommen, ich war noch nicht fertig, es war noch Potenzial da, und Beachvolleyball ist einfach meine Leidenschaft. Und ich kann es mir auch eigentlich nicht vorstellen, ohne Beachvolleyball ein Leben zu führen. Ich bin noch gespannt, wann der Punkt kommt, wo ich es nicht mehr machen werde", sagt sie.
"Deswegen war von Anfang an klar, dass ich in einer Schwangerschaft auch weiter Sport machen werde, mich fit halte", fährt die Olympiasiegerin fort. Sie habe schauen wollen, "wie das überhaupt funktioniert in der Schwangerschaft." Es sei eine spannende Zeit gewesen, wie sie sie auch nicht erwartet habe: "Das mit Kind muss man wahrscheinlich erst erleben, damit man wirklich weiß, was das bedeutet."
Kind und Karriere unter einen Hut bringen – das ist für Leistungssportlerinnen eine ganz besondere Herausforderung. Doch es gibt viele Athletinnen, denen es gelingt, beides zu vereinbaren, und die nach der Geburt ihrer Kinder wieder in die Erfolgsspur zurückfinden.
Den Trainer langsam ranführen
Langläuferin Marit Björgen, die Leichtathletinnen Allyson Felix und Shelly-An Fraser Pryce, Dressurreiterin Isabell Werth oder die Tennisspielerinnen Serena Williams und Kim Clijsters: Sie alle haben nach der Geburt ihrer Kinder die sportliche Karriere erfolgreich fortgesetzt.
Beeindruckend war auch die Rückkehr der deutschen Kugelstoßerin Christina Schwanitz, die sich schon während der Schwangerschaft nicht bremsen ließ: "Ich muss dazu sagen, ich habe bis in den fünften Monat noch Leistungssport betrieben, bin noch Deutscher Meister geworden. Das wollte ich unbedingt. Da ist mein Trainer schon vom Hocker gefallen, weil er überhaupt nicht damit klarkommt, dass jemand sagt 'Ich bin schwanger'", erinnert sich die Athletin. "Und dann hab ich ihm erstmal ein bissel Zeit gelassen und eine Woche drauf habe ich gesagt, 'Trainer, ich weiß da noch was.' Sagt er: 'Was'nen, sind's Zwillinge?' Ich sage: 'Ja.' Aber man muss ja Männer ein bisschen langsamer ranführen."
Christina Schwanitz wurde 2017 Mutter von Zwillingen. In einem Café in Chemnitz erzählt die 34-Jährige, dass sie sich vor und während der Schwangerschaft noch nicht sicher war, ob sie danach wieder zurück in den Ring will.
"Es ist noch nicht vorbei"
"Der Gedanke zurück in den Leistungssport war da noch gar nicht so präsent, sondern einfach wieder 'Ich möchte gerne wieder zumindest ansatzweise so aussehen wie vorher.' Mir gefällt das. Deswegen mache ich Kraftsport. Mir gefällt das, wenn man ein paar Muskeln sieht, auch an ner Frau. Wenn sie nicht nur fraulich ist. Und mir gefällt das, wenn auch ein bisschen was straffer ist und das geht nur durch Disziplin und Fleiß", bekennt Schwanitz.
Dann habe sie wieder angefangen mit dem Training: "Einfach ein bisschen Stabilisation, Athletik, um so ein bisschen erst mal reinzukommen und dann war das so. Dann habe ich den anderen beim Kugelstoßen zugeguckt und dann habe ich die Kugel in die Hand genommen und dann war das so: 'Schwani, gestehe es dir ein. Es ist noch nicht vorbei.'"
Statt ans Karriereende zu denken, zählt bei Christina Schwanitz jetzt nur noch eins: Sie möchte weitere Erfolge feiern, am liebsten noch eine olympische Medaille gewinnen. Christina Schwanitz ist Weltmeisterin, Doppel-Europameisterin und mehrfache Deutsche Meisterin. Und: Sie hat im vergangenen Jahr die Bronzemedaille bei der WM in Doha gewonnen – zwei Jahre nach der Geburt ihrer Kinder.
"Fünfter Versuch: sie kann es doch, sie kann über 19 Meter stoßen, ganz sicher", beschwört der Reporter sie geradezu. "Und sie weiß auch, sie muss schneller in den Beinen sein. Das ist sie jetzt, in diesem Fall. Und endlich fliegt die Kugel auch mal dahin, wo sie hin soll, nämlich über die 19 Meter-Marke. Das reicht auf jeden Fall zum dritten Platz."
"Jetzt ist Bronze daraus geworden. Ich bin so stolz, so glücklich, so zufrieden. Einfach unglaublich", bekennt Schwanitz.
Den Alltag organisieren
Wie jede Frau, die nach der Geburt eines Kindes zurück in den Job möchte, müssen auch Athletinnen ihren Alltag neu organisieren. Durch Aufenthalte im Trainingslager und Reisen zu Wettkämpfen kann das aber etwas komplizierter sein.
Laura Ludwig und ihr Mann Morph Bowes, der auch ihr Trainer ist, nehmen ihren knapp zweijährigen Sohn Teo manchmal mit, wenn sie länger unterwegs sind. "Es ist auch superschön, ihn dabeizuhaben. Da ist dann auch meist meine Mama oder meine Schwiegermama mit dabei, um auf ihn aufzupassen", berichtet Ludwig. "Und die Turniere versuche ich vorher einfach so zu planen, dass er eigentlich meistens in den europäischen Turnieren dabei ist und jemand mitkommt. Aber das eine oder andere Mal bleibt er bei meinen Eltern, damit man wirklich mal für sich ist und sich auf sich konzentrieren, auf Beachvolleyball konzentrieren kann – ein bisschen länger schlafen; damit nicht um sechs Uhr wieder jemand an meinem Bett hängt und unbedingt aufstehen will und spielen will. So versuche ich halt eine Mischung schon von vornherein zu planen."
Auch der Alltag von Teo in Hamburg ist perfekt geplant. Seine Betreuung ist mit Hilfe eines ausgeklügelten Netzwerkes organisiert. "Kita hatten wir uns dann doch gegen entschieden, weil wir sehr viel auf Reisen sind und immer wieder das Rein, Raus, das hat uns dann ein bisschen irgendwie gestört, auch die Eingewöhnung, da hatten wir nicht so richtig viel Zeit für", erläutert Ludwig. "Und wir haben zwei ganz tolle Nannies, das sind Mamis von Freunden eigentlich auch, die Rentnerinnen sind und Zeit für Teo haben. Und da machen wir dann eigentlich mal ne Wochenplanung und die sind entweder den ganzen Tag oder den halben Tag bei uns zu Hause und kümmern sich um Teo, wenn wir nicht da sind. Und das ist so quasi die Nummer vier und fünf an Betreuungs- oder Bezugspersonen für Teo und sowieso ein bisschen kleines Dörfchen für ihn."
Der Rabenmutter-Vorwurf
Bei Christina Schwanitz läuft es etwas anders. Ihre knapp dreijährigen Zwillinge gehen in einen Kindergarten seit sie sechs Monate alt sind. Mit ihrem Mann, der einen Vollzeitjob hat, teilt sie sich die Betreuung der Zwillinge am Nachmittag oder wenn die Kinder krank sind. Zu Trainingslagern und Wettkämpfen fährt Christina Schwanitz in der Regel ohne ihre Familie. "Ich bin dieses Jahr tatsächlich einmal zum Geburtstag meiner Kinder da. Das ist etwas Besonderes, das ist auch nicht selbstverständlich, weil die letzten zwei Mal war ich nicht da, da war ich entweder im Training oder Trainingslager oder bei einem Wettkampf.
Ich habe schon gesagt, Gott sei Dank war ich zur Geburt da, sagt Schwanitz. "Aber das isses halt, ich musste mir auch schon anhören, was ich für eine Rabenmutter bin, weil ich meine Kinder im Kindergarten gebe, damit ich meinem Hobby nachgehen kann, wo ich mir dann so denke, naja, ich verdiene halt durch mein Hobby mein Geld. Ich habe halt die Chance, dass ich aus meinem Hobby meinen Beruf machen konnte, aber ich muss jeden Tag dafür arbeiten, damit ich auch mein Hobby betreiben kann."
Die ersten Schritte verpasst
Das Hobby zum Beruf machen – das klingt traumhaft, aber der Arbeitsalltag von Leistungssportlerinnen ist häufig zeitintensiver als ein herkömmlicher Fulltime-Job. Wer da noch Kinder mit reinpacken will, muss sich sehr gut organisieren. Und zum Teil Abstriche machen – dazu gehören längere Trennungen vom Kind, verpasste Kindergeburtstage oder auch: die ersten Schritte zu versäumen.
So ist es Tennisprofi Serena Williams ergangen: "Meine Tochter Olympia begann mit neun oder zehn Monaten zu laufen. Ich war gerade im Training, in der Vorbereitung auf ein Match und dann bekam ich dieses Video, und alle sagten: 'Oh, sie machte ihre ersten Schritte'. Und ich dachte, 'Ah, ich habe es verpasst.' Mein Herz war gebrochen."
Serena Williams wurde im September 2017 Mutter einer Tochter. Im selben Jahr hatte sie noch die Australian Open gewonnen – da war sie schon im zweiten Monat schwanger.
Die 38-Jährige US-Amerikanerin teilt in den sozialen Netzwerken viele Fotos und Videos, die das Leben einer Profisportlerin mit Kind illustrieren. Da sieht man zum Beispiel wie die kleine Olympia die Tennisschläger der Mutter im Wohnzimmer verteilt oder im selben Outfit wie ihre Mutter posiert. Ein Foto zeigt das schlafende Kind in den Armen von Serena Williams, die in Trainingskleidung auf dem Rücksitz eines Autos sitzt und müde aussieht. Ihr Kommentar: "Arbeiten und Muttersein ist nicht einfach. Ich bin oft erschöpft, gestresst und dann spiele ich ein professionelles Tennismatch. Wir machen weiter. Ich bin stolz und inspiriert von Frauen, die das tagein, tagaus leisten. Und ich bin stolz, die Mutter dieses Kindes zu sein."
Zwei extreme Anforderungen
Deutlich wird, dass Leistungssportlerinnen mit Kindern zwei extreme Anforderungen verquicken müssen: Sie müssen und wollen für ihre Kinder sorgen, aber sie müssen auch den Alltag einer Athletin absolvieren und stehen unter Druck, sportliche Höchstleistungen zu erbringen und Erfolg zu haben.
Wie dieser Spagat gelingen kann, erläutert Marion Sulprizio. Sie ist Psychologin an der Deutschen Sporthochschule in Köln und berät unter anderem Schwangere und Mütter, die weiter Sport treiben wollen. Wie findet die Athletin zu einer neuen Identität? "Das Wort Identität ist eigentlich hier, glaube ich, das richtige Stichwort. Man muss ja zunächst einmal schauen, man ist bis zu dem Zeitpunkt, wo man dann Mutter wird, ja eigentlich eher diese Vollblutsportlerin: Leistungssport ist alles, man stellt alles unter diese sportlichen Ziele, also stellt alles zurück. Und nun in dem Moment, wo das Kind da ist, muss sich die Identität ja ändern. Das heißt, man kann ja jetzt nicht einfach nur noch Sportlerin sein, sondern da kommt eben die Mutterrolle dazu. Es gibt ja auch viele Athletinnen, die hören dann auf mit dem Sport und sagen, ich will jetzt einfach nur mein Mutter-Dasein genießen. Es gibt aber auch welche, die dann sagen, 'Nee, das reicht mir nicht', und 'Ich will wieder anfangen'."
Die Zerrissenheit, die Serena Williams offen beschreibt, kennt auch Beachvolleyballerin Ludwig nur zu gut. Es ist nicht nur der Stress, zwei außerordentlich herausfordernde Rollen organisatorisch zu verbinden, sondern auch eine mentale Belastung. "Es ist einfach eine 24/7 Lebensaufgabe für den kleinen Wurm da zu sein. Und das hat mich am Anfang auf jeden Fall auch tierisch überfordert. Wo ich dann schon gedacht habe, da haste dir aber was angetan und auch mit Schuldgefühlen und viel mit Stress und mit allem Drum und Dran zu tun gehabt, dass ich da wirklich in die richtige Bahn komme, bei beidem Spaß zu haben."
Ein Netzwerk aufbauen
Schuldgefühle und schlechtes Gewissen – keine besonders gute Grundlage für ein erfolgreiches Mutter- und Sportlerinnen-Dasein. Marion Sulprizio: "Wenn man ein schlechtes Gewissen hat, kann ich das völlig nachvollziehen, weil man ja bei beiden Rollen im Prinzip gerne 100 Prozent geben würde – was aber dann in dieser Kombination nicht gerade möglich ist. Und mein Hinweis oder meine Empfehlung wäre natürlich – so machen das glaube ich die beiden auch – sich einfach ein gutes Netzwerk an Helfern mit aufzubauen, sodass das nicht so das schlimme Gewissen ist, wenn man dann selber nicht zuständig ist, sondern wenn man sagt, 'Okay, dann nimmt eine Tagesmutter oder die Oma oder mein Mann oder Partner oder Partnerin, übernimmt da auch eine Rolle, sodass ich damit auch gut klarkomme, dann meine beiden Identitäten wieder auszuleben'."
Schuldgefühle gegenüber dem eigenen Kind, aber auch Schwierigkeiten, die sportliche Karriere wieder in Gang zu bringen. Ludwig hat beides durchgemacht. Nachdem ihre langjährige Doppelpartnerin Kira Walkenhorst wegen gravierender Verletzungen ihre Karriere vorläufig beendet hatte, musste Ludwig sich eine neue Mitspielerin suchen. Seit ihrer Rückkehr aus der Babypause geht sie mit Margareta Kozuch auf Medaillenjagd.
Zu Beginn lief es etwas holprig für das neue Duo, doch zum Saisonende 2019 wurden die beiden deutsche Vize-Meisterinnen und gewannen das World Tour Finale in Rom. Ludwig ist zuversichtlich, dass sie mit Kozuch weitere Erfolge feiern wird. Und dass sie beiden Rollen – Spitzensportlerin und Mutter – gerecht werden kann. Mittlerweile gelingt es ihr gut, ihren Sohn loszulassen, um sich auf das Sportliche zu konzentrieren und um dann danach die gemeinsame Zeit mit ihm wieder voll zu genießen. Aber es war ein recht steiniger Weg dorthin.
Ratgeberin mit Zwillingen
Eine gute Ratgeberin für sie war Christina Schwanitz: "Ich glaube, das war die Europameisterschaft, wo sie Silber geholt hatte. Da habe ich sie im Fernsehen gesehen und dachte, heftig, sie hat Zwillinge und macht das alles und gewinnt hier. Ich muss unbedingt wissen, wie sie das macht oder wie sie mit ihren Gefühlen klarkommt, weil ich da derzeit noch ein bisschen zu hadern hatte, Teo alleine zu lassen oder was heißt alleine, aber wegzugehen von Teo. Das war echt erfrischend, das Gespräch, sie hat mir auf jeden Fall ein bisschen Freiheiten für meine Gedanken gegeben."
Doch auch bei Schwanitz lief es nicht von Anfang an rund. Zumal Zwillinge in den ersten Monaten eine extreme Herausforderung für alle Eltern darstellen. Aber auch nachdem die Kinder gut im Kindergarten angekommen waren, hatte die Kugelstoßerin mit Schuldgefühlen zu kämpfen. "Ich hatte immer sofort das schlechte Gewissen, wenn ich mir mal Zeit für mich genommen habe, und ich mal einfach einkaufen war, oder mich mal hingesetzt habe, ein Buch gelesen oder irgendwie so, war das immer mit einem schlechten Gewissen verbunden; so von wegen, du könntest jetzt auch Zeit mit deinen Kindern verbringen, machste aber nicht, weil du egoistisch bist", erinnert sich die Kugelstoßerin.
"Mittlerweile ist es so, dass ich sage, 'Ja, ich bin so egoistisch, weil ich einfach die Zeit brauche, da meine Kinder die restlichen Stunden am Tag voll ausfüllen und meine Aufmerksamkeit bekommen'. Es sind halt immer zwei ganz schön lebhafte Kinder, die mit zweieinhalb Jahren noch dauernd Radau und Remmidemmi machen. Von daher bin ich dann einfach so egoistisch, oder so wie jetzt, dass wir uns zusammensetzen und uns unterhalten, wäre am Anfang ihres Lebens nicht so locker gewesen."
Mütter waren im Leistungssport die Ausnahmen
Auch früher schon gab es Leistungssportlerinnen, die als Mütter in den Sport zurückgekehrt sind. Doch es waren Ausnahmen. Tennisspielerin Margret Court gewann 1973, ein Jahr nachdem sie ihr erstes Kind zur Welt gebracht hatte, drei Grand Slam Turniere und beendete ihre Karriere erst, als sie ihr viertes Kind erwartete. Zwei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes holte Kanutin Birgit Fischer bei den Olympischen Spielen in Seoul drei Medaillen. Nach der Geburt ihrer Tochter im Jahr 1989 nahm sie an vier weiteren Olympischen Spielen teil und gewann insgesamt noch acht Mal Edelmetall.
Wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, ob Frauen heutzutage nach der Geburt eines Kindes häufiger den Weg zurück in den Leistungssport finden als früher, gibt es nicht, sagt die Psychologin Marion Sulprizio. Klar sei aber, dass Sportlerinnen – genau wie Sportler – häufig bis ins fortgeschrittene Alter Höchstleistungen erbringen können und eine Schwangerschaft für Frauen noch nicht unbedingt das Ende der Karriere bedeutet.
Und noch etwas hat sich geändert: Hieß es früher, Frauen sollten sich in der Schwangerschaft schonen, wird heute sogar empfohlen, weiter Sport zu treiben – egal ob als Leistungs- oder Freizeitsportlerin: "Ich glaube, da hat sich schon ganz viel getan auch in diese Richtung, dass Sport in der Schwangerschaft zunächst mal was Gutes ist. Vor 10, 15 Jahren war das ja noch nicht so", sagt Sulprizio. "Da fing es gerade an, dass man sich abgewendet hat von dieser Idee, man darf gar nichts machen, man muss einfach nur am Sofa sitzen und warten; dass man aktiv sein kann, das hat sich tatsächlich in den letzten Jahren immer mehr verbreitet. Grundsätzlich ist die Tendenz natürlich da, dass Schwangerschaft und Sport vereinbar sind. Aber man sollte es auch nach wie vor nicht übertreiben, also, so coachen wir auch in unserem Arbeitskreis die Frauen."
Sportliche Beratung in der Schwangerschaft
Im Arbeitskreis "Sport und Schwangerschaft" der Deutschen Sporthochschule Köln berät Marion Sulprizio Frauen, die in der Schwangerschaft sportlich aktiv sein wollen – egal ob sie vorher keinen oder regelmäßig Sport getrieben haben oder sogar Leistungssportlerin waren. Sport und Bewegung in richtiger Form und Dosierung steigert das psychische und physische Wohlbefinden – das gilt auch in der Schwangerschaft. Doch gerade bei Leistungssportlerinnen stellt sich häufig die Frage, in welcher Intensität sie ihren Sport weiter betreiben können.
Dazu Sulprizio: "Wir unterscheiden da die körperlichen und psychischen Effekte von Sport in der Schwangerschaft. Und grundsätzlich ist natürlich Leistungssport etwas, was jetzt in der Schwangerschaft nicht unbedingt im Vordergrund des Tuns stehen sollte, sondern zunächst einmal geht es darum, das Baby vernünftig auf die Welt zu bringen. Und wir müssen unsere Leistungssportlerinnen, wenn die in unser Coaching kommen, wenn die sich beim Online-Coaching der Sporthochschule melden, dann müssen wir die oft ja ein bisschen bremsen, weil man eben nicht alles so weitermachen kann wie vorher. Das heißt in der Schwangerschaft ist eher das Zauberwort, moderat Sport zu machen."
Schwangere sollten vor allem stark ruckartige Bewegungen und anstrengende Belastungen, sogenanntes anaerobes Training, vermeiden. Und dennoch: Kugelstoßerin Schwanitz gewann im fünften Monat ihrer Schwangerschaft den deutschen Meistertitel, Serena Williams im zweiten Monat die Australian Open. Während der Frühschwangerschaft kann sich die körperliche Leistungsfähigkeit wegen höherer Herzleistung und einer Zunahme des Blutvolumens um 30 Prozent steigern.
Eine Tatsache, die seit Jahren Gerüchte über "Abtreibungs-Doping" befeuert. Das bedeutet, Sportlerinnen werden absichtlich schwanger, um ihre Leistungen zu verbessern und treiben dann im Nachhinein den ungewollten Fötus ab. "Ja, aus der Sicht unseres Arbeitskreises ist das ein absolutes No-Go", sagt Sulprizio. "Wir finden, dass es so etwas überhaupt gar nicht geben sollte. Aber naja, man hat natürlich die verrücktesten Dinge schon gehört. Und wenn, sage ich mal, Trainer oder Funktionäre wollen, dass ihre Athletinnen funktionieren, dann die künstlich schwanger zu machen, um dann sowas wie eine erhöhte Leistungsfähigkeit zu erzeugen. Ja, scheint es zu geben. Ich finde es auf jeden Fall ganz, ganz verwerflich."
Unterschiedliche Reaktionen
Wenn eine Leistungssportlerin schwanger wird, steht sie erst einmal selbst vor der Frage, ob sie ihren Sport und damit ihren Beruf weiter ausüben kann und möchte. Sie muss aber auch früher oder später ihr Umfeld informieren. Und das kann – wie auch im normalen Berufsleben – manchmal zu unangemessenen Reaktionen führen.
Trainer, Verbände und Sponsoren wollen leistungsstarke Athletinnen, die sich ganz auf ihre Disziplin konzentrieren. 2019 beschuldigten mehrere US-amerikanische Leichtathletinnen einen großen Sportartikelhersteller, Sportlerinnen im Fall einer Schwangerschaft die Verträge zu kappen. Die Sprinterin Allyson Felix ging an die Öffentlichkeit. Der 34-Jährigen, die zwölf Weltmeistertitel, sechs olympische Gold- und drei Silbermedaillen gewonnen hatte, bot der Sponsor nach Bekanntgabe ihrer Schwangerschaft einen deutlich schlechter dotierten Vertrag an. Sie sagt: "Ich will Mutterschutz, ich will einen Vertrag unterschreiben, der dieses Recht beinhaltet. Sie haben in den bisherigen Gesprächen immer wieder Nein gesagt, die Verhandlungen haben schon lange gedauert, ich habe seit Dezember 2017 keinen Vertrag mehr und mir wurden siebzig Prozent weniger geboten, als ich vorher bekam."
Auch Schwanitz hat schlechte Erfahrung mit demselben Sportartikelhersteller gemacht, als sie diesen über ihrer Schwangerschaft informierte: "Ich hatte zwei Sponsoren. 'Sie sind schwanger. Aus innerwirtschaftlichen Veränderungen, Umstrukturierungen, müssen wir leider den Sponsorenvertrag aufgeben.' Schon klar. Ich ziehe mir meine Hose auch mit dem Kran an. Dann sollen sie das doch einfach sagen, dass sie mir das nicht zutrauen, dass ich wiederkomme, und gut ist. Aber dafür braucht man halt Rückgrat." Nach dem Protest der US-Sportlerinnen kündigte der Sportartikelhersteller an, schwangere Athletinnen in Zukunft nicht mehr zu diskriminieren. Ein großer Erfolg.
Rückendeckung bei der Bundeswehr
Von ihrem Arbeitgeber, der Bundeswehr, hat Schwanitz im Übrigen volle Rückendeckung erhalten, als klar war, dass Sie Zwillinge erwartet: "Ich bin jetzt seit vielen, vielen Jahren bei der Bundeswehr und werde unterstützt. Auch in der Zeit meiner Schwangerschaft wurde ich von der Bundeswehr unterstützt. Und da hat nie einer das in den Mund genommen, von wegen 'Na, die ist jetzt schon so alt und kriegt jetzt auch noch Kinder, sollen wir sie nicht lieber raus schmeißen?' Nicht ein Mal."
Berufstätige Mütter sind heute Normalität, auch wenn sie häufig immer noch stärker unter der Doppelbelastung von Beruf und Familie leiden als Männer. Die Spitzenmütter im Sport machen an dieser Stelle auch deutlich, dass es möglich ist, ein anspruchsvolles Programm unter einen Hut zu bringen: Auch mit Kind oder Kindern sind Wettkampf- und Trainingsreisen sowie Top-Ergebnisse möglich.
Für Ludwig war die Beachvolleyballspielerin Kerry Walsh inspirierend, die nach der Geburt von zwei Kindern weiter aktiv und erfolgreich war. Ludwig sagt: "Es war einfach auch schön zu hören, dass es bei anderen auch funktioniert. Man braucht dann wahrscheinlich einfach auch irgendwie die Gemeinschaft. Ich weiß zum Beispiel auch nicht, wenn es vorher schon keine Mamis auf der Tour gegeben hätte, ob ich mir das überhaupt zugetraut hätte. Es ist schön zu sehen, mehr oder weniger Vorbilder als Mami zu haben."
Ludwig und Schwanitz sind nun selbst zu Vorbildern geworden – für Sportlerinnen, aber auch für alle andere Frauen außerhalb, die sich vielleicht fragen, ob es möglich ist, Kind und Karriere zu vereinbaren.