Als sich Hitler und Hindenburg die Hand reichten
Bei einem Staatsakt in Potsdam kam es vor 80 Jahren zur vermeintlichen Aussöhung zwischen Nationalsozialisten und den preußisch-deutschen Konservativen. Den Nazis war die Verbeugung Hitlers vor Hindenburg jedoch peinlich, sagt der Historiker Martin Sabrow. Zur Ikone wurde das Bild erst nach dem Krieg.
Joachim Scholl: Heute und an den letzten Tagen waren und sind in Potsdam viele historisch interessierte und politisch engagierte Menschen auf den Beinen. Vorgestern wurde der Vorplatz des künftigen Landtags nach Otto Braun, dem letzten demokratisch gewählten preußischen Ministerpräsidenten benannt. Durch die Innenstadt von Potsdam hat sich gestern Abend ein Demokratiespaziergang gezogen, der einen Kontrast zu dem Geschehen heute vor 80 Jahren darstellen soll. Denn am 21. März 1933 inszenierten die Nationalsozialisten den Tag von Potsdam. Eine vermeintliche Aussöhnung mit den preußisch-deutschen Konservativen, der neue Reichskanzler Hitler und der alte Reichspräsident Hindenburg reichten sich feierlich die Hand.
Am Telefon in Potsdam ist jetzt Martin Sabrow. Er leitet das Zentrum für Zeithistorische Forschung am Neuen Markt in Potsdam und er hat das Ereignis von damals wissenschaftlich erforscht. Guten Tag, Herr Sabrow!
Martin Sabrow: Guten Tag, Herr Scholl!
Scholl: Was spielte sich vor 80 Jahren in Potsdam ab, Herr Sabrow? Wie zogen die Nationalsozialisten diesen Tag von Potsdam auf? In solchen Dingen waren sie ja fiese Meister der Inszenierung!
Sabrow: Zumindest sehen wir das 80 Jahre später so gern und ich glaube, dass wir damit auch vielleicht einer gewissen Legende aufsitzen. Denn was sich am Tag von Potsdam, wie dieser 21. März sehr bald genannt wurde, ereignete, war ja eigentlich das Ergebnis fast eines Fiaskos, nämlich des Versuches, den Reichstag in Potsdam zu eröffnen, und diese Reichstagseröffnung reduzierte sich am Ende auf einen fast belanglosen, politisch fast belanglosen Staatsakt in der Garnisonkirche mit Vorschaltgottesdiensten in der Peter-und-Paul- und in der Nikolaikirche, während die eigentliche Reichstagseröffnung gar nicht in Potsdam stattfand, sondern in Berlin, nämlich in der Nähe des ausgebrannten Reichstags, in der Krolloper.
Scholl: Das heißt, dieser Tag von Potsdam war jetzt gar nicht in dieser Form eine große Inszenierung?
Sabrow: Na ja, er war eine großartige inszenatorische Ausnutzung eines gegebenen Umstandes. Im Grunde kann man den Tag von Potsdam insoweit wahrscheinlich auch mit dem Reichstagsbrand vergleichen, wenn man der These anhängt, dass der Reichstag nicht von den Nationalsozialisten selbst angesteckt wurde, sondern von Marinus van der Lubbe. Immer wieder zeigt sich diese unglaubliche Fähigkeit des Nationalsozialismus, eine Stimmung, eine Bewegung zu nehmen und für seine Interessen zu instrumentalisieren. Ich glaube aber, dass der Tag von Potsdam mindestens ebenso der Tag der sehnsüchtigen Erwartung vieler Deutscher war als das Ergebnis einer bewussten Potsdamer Rührkomödie, wie Friedrich Meinecke nach dem Zweiten Weltkrieg sagte.
Scholl: Wie nahm die Bevölkerung in Potsdam denn dieses Ereignis wahr und auf?
Sabrow: Sie nahm es so auf, dass die Polizei in Zehnerketten in die Tiefe gestaffelt die tobenden Massen zurückhalten musste, die sich auf die Reichsregierung, auf Hitler und vor allem auf Hindenburg drängten. Interessanterweise ist der Tag von Potsdam zugleich auch der Austragungsort einer symbolpolitischen Konkurrenz zwischen den Nationalkonservativen und den Nationalsozialisten. Und am 21. März ging scheinbar die konservative Rechte als Sieger aus diesem Duell hervor, und nicht der Nationalsozialismus mit Hitler an der Spitze, der an diesem Tag in Potsdam – in anderen Städten war das anders – durchaus linkisch wirkte, in Zivil gekleidet, fast verkleidet. Und das war etwas, was die Konservativen den Nazis aufgedrückt hatten.
Scholl: Was sagt denn diese Reaktion aus über die Anfangsphase der NS-Herrschaft?
Sabrow: Genau, das ist ein interessanter Punkt. Diese Situation zeigt, dass der Nationalsozialismus eben keine Machtergreifung in dem Sinne war, dass eine neue, gerissene Elite sich die Macht aneignete, um sie gegen die Gesellschaft ins Feld zu führen. Der Nationalsozialismus erreichte die Macht eigentlich auf den Wogen einer grandiosen Zustimmung. Natürlich nur eines Teils der Bevölkerung und mit erheblichem Gewalteinsatz, aber am Tag von Potsdam eben auch mit ganz massiver Unterstützung der Bevölkerung, die hier ihrem neuen Messias entgegenfieberte. Und dieser Messias war nicht alleine Hitler, er war auch Hindenburg. Und dahinter stand die Idee einer großartigen Versöhnung, stand die Idee einer Volksgemeinschaft, deren weitere Entwicklung wir dann kennen.
Scholl: Das heißt, der Tag von Potsdam hatte durchaus den gewünschten Erfolg, die solcherart eingehüllten Konservativen konnten ja politisch dann nichts mehr ausrichten!
Sabrow: Ja. Aber nicht im intentionalen Sinne. Hindenburg hat an diesem Tag die Überzeugung gewonnen, dass es gut und richtig sei, alle Macht, alle politische Macht jetzt beim Reichskanzler zu belassen und sich nicht mehr in politische Alltagsfragen einzumischen. Diese Überzeugung gewann er aber aufgrund dieser überwältigenden Sicherheit, dass der Konservativismus, dass die deutschnationale Rechte sich diesen Hitler und seine Bewegung jetzt gezähmt habe.
So war auch die Rede Hitlers in der Garnisonkirche angelegt, so war der triumphale Beifall, den Hindenburg bei der Fahrt durch die Stadt, bei einem richtigen Autokorso genoss. Und er sagte diesen Satz dann erleichtert zu Otto Dibelius, dass er froh sei, dass man so weit gekommen sei und nun mit einer Bewegung weiterarbeiten könne, die ja die Massen hinter sich habe und in gewisser Weise auch zähmen könne, um den Weg in einen reaktionären, monarchischen vielleicht Staat anzutreten.
Scholl: Heute vor 80 Jahren der Tag von Potsdam. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Historiker Martin Sabrow. Welche Folgen hatte dieser Tag von Potsdam, wie reagierten die Nationalsozialisten auf diese rauschhafte Zustimmung?
Sabrow: Also, die Folgen sind einmal so, dass schon am Nachmittag in der Krolloper Hitler wieder im Braunhemd auftaucht und die andere Seite des Nationalsozialismus zum Vorschein kommt, die schrankenlose Entgrenzung einer gewonnenen Macht, die sich über alle Widerstände hinwegsetzt. Am selben Tag wird in Dachau das erste KZ eröffnet und das KZ in Oranienburg unmittelbar danach. Auf der anderen Seite spielt Potsdam in der Inszenierung des nationalsozialistischen Feierkalenders später keine weitere Rolle mehr. Interessanterweise ist die Potsdamer Veranstaltung den Nazis, wie ich eben versuchte zu zeigen, ja gar nicht richtig geglückt. Und der Händedruck dieser tiefen Verneigung Hitlers vor Hindenburg, der war den Nazis nicht ein willkommener Ausdruck ihrer Gerissenheit, sondern eine eher peinliche Szene, die sich erst nach 1945 als Ikone durchsetzte und dann in jedem Schulbuch auftauchte, weil sie zu belegen schien, wie gerissen hier sich der Nationalsozialismus das Bündnis mit den Konservativen verdient hätte.
Scholl: In Potsdam wird jetzt mit vielen Veranstaltungen an diesen Tag erinnert, auch mit einem sogenannten Demokratiespaziergang gestern Abend. Wie schätzen Sie das ein, Herr Sabrow: Braucht es das eigentlich heute wirklich, um an ein Ereignis zu erinnern, das eigentlich kaum jemand noch im Bewusstsein hat?
Sabrow: Na ja, noch ist das 20. Jahrhundert seit 1917 Teil der Zeitgeschichte, und noch ist es auch Teil unserer gesellschaftlichen Identitätsbildung. Ich finde es nicht schlecht, dass sich eine Bürgerschaft an einem solchen Tag seiner eigenen Werte versichert und das auch in Abgrenzung zu dem, und gerade in scharfer Abgrenzung zu dem, wofür Potsdam einmal gestanden hat oder gestanden haben soll. Nun ist aber dieser politische Aufruf oder der politisch-moralische Umgang mit der historischen Vergangenheit natürlich nicht identisch mit dem, was die Historiografie, was die Geschichtswissenschaft aus solch einem Tag herausinterpretieren kann. Und insoweit gewinnt man natürlich auch den Eindruck, dass sich in solchen Inszenierungen, wie wir sie jetzt in diesen Tagen erleben, auch vor allem eine Selbstbestätigung unserer Gegenwart ausdrückt, dass sie sich von der Vergangenheit so weit entfernt hat.
Und dahinter steht eigentlich eine Doppelbewegung, wenn ich das noch anschließen darf: Vergangenheit ist für uns eine ganz wesentliche Identitätsressource geworden, aber nicht im Sinne der Bestätigung, der Nachahmung, der Verpflichtung, sondern eher im Sinne einer Abgrenzung, einer Vergewisserung, dass diese Vergangenheit nicht wiederkehrt. Also eine fast jupitermondartige Bewegung hin zur Vergangenheit, die wir sehr nahe erleben wollen, bis hin in den Wiederaufbau einer Garnisonkirche oder des Potsdamer Stadtschlosses, und auf der anderen Seite der Gewissheit, dass dies eine vergangene Vergangenheit ist, die nicht wiederkehrt. Und darum lösen sowohl der Tag von Potsdam wie auch die Bemühungen um die Rekonstruktion der historischen Altstadt Potsdams solche unterschiedlichen Bewegungen aus.
Scholl: Jetzt haben Sie die Garnisonkirche schon erwähnt, der Ort des Geschehens. Diese soll ja nun wieder aufgebaut werden, insofern verbindet sich jetzt dieser historisch verhängnisvolle Tag auch mit einem aktuell diskutierten Thema in Potsdam. Der frühere EKD-Vorsitzende Bischof Huber hat das sogar zu einer nationalen Aufgabe erklärt. Stimmen Sie dem zu?
Sabrow: Na ja, der Rede von nationalen Aufgaben stimme ich, glaube ich, nie zu. Und ich weiß nicht, wer diese nationalen Aufgaben definiert und in wessen Interesse und warum. Aber ich kann dieses Wiederaufbauprojekt durchaus verstehen und glaube auch, dass die Silhouette Potsdams dadurch gewinnt. Weil, wie ich das eben sagte, wir mit dem Wiederaufbau der Garnisonkirche ja nicht die Idee verbinden, die dort in Stein gehauenen Werte wieder erwecken zu wollen. Es ist eher der Versuch, eine verlorene Vergangenheit, mit der man sich auseinandersetzen möchte, so nahe wie möglich wieder bei sich zu haben.
Und dem dienen Wiederaufbauprojekte, die nur deswegen erfolgreich sein können, weil sei gerade nicht die Idee an einen militärischen, konservativen, nationalen Geist von Potsdam transportieren wollen, sondern ganz im Gegenteil den Gedanken der Versöhnung, den die EKD für den Neubau oder für den Wiederaufbau der Garnisonkirche so stark macht, und das Interesse an einer Begegnung mit Geschichte.
Ich meine allerdings, wenn ich das noch ergänzen darf, Herr Scholl, dass ein Wiederaufbauprojekt nur der eine Teil ist. Ich glaube, dass auf der anderen Seite es nicht angängig ist, das dort jetzt stehende Rechenzentrum völlig abzureißen und eine Vorvergangenheit wiederherzustellen, die die jüngere Vergangenheit auslöscht. Zumal es da ja auch um Mosaike und dergleichen noch geht.
Scholl: Wie könnte man denn oder wie sollte man denn dann diese historischen Brüche kenntlich machen?
Sabrow: Ja, das ist im Rahmen unserer Patchwork-Identität gar nicht so schwierig. Ich meine, dass man von der Garnisonkirche den Turm natürlich wiederherstellen wird und dass das auch möglich sein wird, ohne dass man das ganze Rechenzentrum opfert. Gerade die beiden Schenkel, die zur Breite Straße und zur Dortustraße hinweisen und diese sozialistischen Mosaike des Fortschrittstriumphes tragen, die könnten bestehen bleiben und sie würden sich hart begegnen mit der Garnisonkirche, vielleicht auch mit einer im ganzen Schiff aufgebauten Garnisonkirche. Und man könnte auf diese Weise die Bruchhaftigkeit, die seltsame Verschlungenheit der deutschen Geschichte viel besser zum Ausdruck zu bringen, als wenn man eine Zeitschicht rekonstruiert und die andere ganz ins Vergessen drängt.
Scholl: Diese Worte werden wohl gehört werden an diesem Tag von Potsdam, an den Martin Sabrow hier erinnert hat, der Leiter des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Ich danke Ihnen sehr, Herr Sabrow, für dieses Gespräch.
Sabrow: Ich Ihnen auch, auf Wiederhören, Herr Scholl.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon in Potsdam ist jetzt Martin Sabrow. Er leitet das Zentrum für Zeithistorische Forschung am Neuen Markt in Potsdam und er hat das Ereignis von damals wissenschaftlich erforscht. Guten Tag, Herr Sabrow!
Martin Sabrow: Guten Tag, Herr Scholl!
Scholl: Was spielte sich vor 80 Jahren in Potsdam ab, Herr Sabrow? Wie zogen die Nationalsozialisten diesen Tag von Potsdam auf? In solchen Dingen waren sie ja fiese Meister der Inszenierung!
Sabrow: Zumindest sehen wir das 80 Jahre später so gern und ich glaube, dass wir damit auch vielleicht einer gewissen Legende aufsitzen. Denn was sich am Tag von Potsdam, wie dieser 21. März sehr bald genannt wurde, ereignete, war ja eigentlich das Ergebnis fast eines Fiaskos, nämlich des Versuches, den Reichstag in Potsdam zu eröffnen, und diese Reichstagseröffnung reduzierte sich am Ende auf einen fast belanglosen, politisch fast belanglosen Staatsakt in der Garnisonkirche mit Vorschaltgottesdiensten in der Peter-und-Paul- und in der Nikolaikirche, während die eigentliche Reichstagseröffnung gar nicht in Potsdam stattfand, sondern in Berlin, nämlich in der Nähe des ausgebrannten Reichstags, in der Krolloper.
Scholl: Das heißt, dieser Tag von Potsdam war jetzt gar nicht in dieser Form eine große Inszenierung?
Sabrow: Na ja, er war eine großartige inszenatorische Ausnutzung eines gegebenen Umstandes. Im Grunde kann man den Tag von Potsdam insoweit wahrscheinlich auch mit dem Reichstagsbrand vergleichen, wenn man der These anhängt, dass der Reichstag nicht von den Nationalsozialisten selbst angesteckt wurde, sondern von Marinus van der Lubbe. Immer wieder zeigt sich diese unglaubliche Fähigkeit des Nationalsozialismus, eine Stimmung, eine Bewegung zu nehmen und für seine Interessen zu instrumentalisieren. Ich glaube aber, dass der Tag von Potsdam mindestens ebenso der Tag der sehnsüchtigen Erwartung vieler Deutscher war als das Ergebnis einer bewussten Potsdamer Rührkomödie, wie Friedrich Meinecke nach dem Zweiten Weltkrieg sagte.
Scholl: Wie nahm die Bevölkerung in Potsdam denn dieses Ereignis wahr und auf?
Sabrow: Sie nahm es so auf, dass die Polizei in Zehnerketten in die Tiefe gestaffelt die tobenden Massen zurückhalten musste, die sich auf die Reichsregierung, auf Hitler und vor allem auf Hindenburg drängten. Interessanterweise ist der Tag von Potsdam zugleich auch der Austragungsort einer symbolpolitischen Konkurrenz zwischen den Nationalkonservativen und den Nationalsozialisten. Und am 21. März ging scheinbar die konservative Rechte als Sieger aus diesem Duell hervor, und nicht der Nationalsozialismus mit Hitler an der Spitze, der an diesem Tag in Potsdam – in anderen Städten war das anders – durchaus linkisch wirkte, in Zivil gekleidet, fast verkleidet. Und das war etwas, was die Konservativen den Nazis aufgedrückt hatten.
Scholl: Was sagt denn diese Reaktion aus über die Anfangsphase der NS-Herrschaft?
Sabrow: Genau, das ist ein interessanter Punkt. Diese Situation zeigt, dass der Nationalsozialismus eben keine Machtergreifung in dem Sinne war, dass eine neue, gerissene Elite sich die Macht aneignete, um sie gegen die Gesellschaft ins Feld zu führen. Der Nationalsozialismus erreichte die Macht eigentlich auf den Wogen einer grandiosen Zustimmung. Natürlich nur eines Teils der Bevölkerung und mit erheblichem Gewalteinsatz, aber am Tag von Potsdam eben auch mit ganz massiver Unterstützung der Bevölkerung, die hier ihrem neuen Messias entgegenfieberte. Und dieser Messias war nicht alleine Hitler, er war auch Hindenburg. Und dahinter stand die Idee einer großartigen Versöhnung, stand die Idee einer Volksgemeinschaft, deren weitere Entwicklung wir dann kennen.
Scholl: Das heißt, der Tag von Potsdam hatte durchaus den gewünschten Erfolg, die solcherart eingehüllten Konservativen konnten ja politisch dann nichts mehr ausrichten!
Sabrow: Ja. Aber nicht im intentionalen Sinne. Hindenburg hat an diesem Tag die Überzeugung gewonnen, dass es gut und richtig sei, alle Macht, alle politische Macht jetzt beim Reichskanzler zu belassen und sich nicht mehr in politische Alltagsfragen einzumischen. Diese Überzeugung gewann er aber aufgrund dieser überwältigenden Sicherheit, dass der Konservativismus, dass die deutschnationale Rechte sich diesen Hitler und seine Bewegung jetzt gezähmt habe.
So war auch die Rede Hitlers in der Garnisonkirche angelegt, so war der triumphale Beifall, den Hindenburg bei der Fahrt durch die Stadt, bei einem richtigen Autokorso genoss. Und er sagte diesen Satz dann erleichtert zu Otto Dibelius, dass er froh sei, dass man so weit gekommen sei und nun mit einer Bewegung weiterarbeiten könne, die ja die Massen hinter sich habe und in gewisser Weise auch zähmen könne, um den Weg in einen reaktionären, monarchischen vielleicht Staat anzutreten.
Scholl: Heute vor 80 Jahren der Tag von Potsdam. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Historiker Martin Sabrow. Welche Folgen hatte dieser Tag von Potsdam, wie reagierten die Nationalsozialisten auf diese rauschhafte Zustimmung?
Sabrow: Also, die Folgen sind einmal so, dass schon am Nachmittag in der Krolloper Hitler wieder im Braunhemd auftaucht und die andere Seite des Nationalsozialismus zum Vorschein kommt, die schrankenlose Entgrenzung einer gewonnenen Macht, die sich über alle Widerstände hinwegsetzt. Am selben Tag wird in Dachau das erste KZ eröffnet und das KZ in Oranienburg unmittelbar danach. Auf der anderen Seite spielt Potsdam in der Inszenierung des nationalsozialistischen Feierkalenders später keine weitere Rolle mehr. Interessanterweise ist die Potsdamer Veranstaltung den Nazis, wie ich eben versuchte zu zeigen, ja gar nicht richtig geglückt. Und der Händedruck dieser tiefen Verneigung Hitlers vor Hindenburg, der war den Nazis nicht ein willkommener Ausdruck ihrer Gerissenheit, sondern eine eher peinliche Szene, die sich erst nach 1945 als Ikone durchsetzte und dann in jedem Schulbuch auftauchte, weil sie zu belegen schien, wie gerissen hier sich der Nationalsozialismus das Bündnis mit den Konservativen verdient hätte.
Scholl: In Potsdam wird jetzt mit vielen Veranstaltungen an diesen Tag erinnert, auch mit einem sogenannten Demokratiespaziergang gestern Abend. Wie schätzen Sie das ein, Herr Sabrow: Braucht es das eigentlich heute wirklich, um an ein Ereignis zu erinnern, das eigentlich kaum jemand noch im Bewusstsein hat?
Sabrow: Na ja, noch ist das 20. Jahrhundert seit 1917 Teil der Zeitgeschichte, und noch ist es auch Teil unserer gesellschaftlichen Identitätsbildung. Ich finde es nicht schlecht, dass sich eine Bürgerschaft an einem solchen Tag seiner eigenen Werte versichert und das auch in Abgrenzung zu dem, und gerade in scharfer Abgrenzung zu dem, wofür Potsdam einmal gestanden hat oder gestanden haben soll. Nun ist aber dieser politische Aufruf oder der politisch-moralische Umgang mit der historischen Vergangenheit natürlich nicht identisch mit dem, was die Historiografie, was die Geschichtswissenschaft aus solch einem Tag herausinterpretieren kann. Und insoweit gewinnt man natürlich auch den Eindruck, dass sich in solchen Inszenierungen, wie wir sie jetzt in diesen Tagen erleben, auch vor allem eine Selbstbestätigung unserer Gegenwart ausdrückt, dass sie sich von der Vergangenheit so weit entfernt hat.
Und dahinter steht eigentlich eine Doppelbewegung, wenn ich das noch anschließen darf: Vergangenheit ist für uns eine ganz wesentliche Identitätsressource geworden, aber nicht im Sinne der Bestätigung, der Nachahmung, der Verpflichtung, sondern eher im Sinne einer Abgrenzung, einer Vergewisserung, dass diese Vergangenheit nicht wiederkehrt. Also eine fast jupitermondartige Bewegung hin zur Vergangenheit, die wir sehr nahe erleben wollen, bis hin in den Wiederaufbau einer Garnisonkirche oder des Potsdamer Stadtschlosses, und auf der anderen Seite der Gewissheit, dass dies eine vergangene Vergangenheit ist, die nicht wiederkehrt. Und darum lösen sowohl der Tag von Potsdam wie auch die Bemühungen um die Rekonstruktion der historischen Altstadt Potsdams solche unterschiedlichen Bewegungen aus.
Scholl: Jetzt haben Sie die Garnisonkirche schon erwähnt, der Ort des Geschehens. Diese soll ja nun wieder aufgebaut werden, insofern verbindet sich jetzt dieser historisch verhängnisvolle Tag auch mit einem aktuell diskutierten Thema in Potsdam. Der frühere EKD-Vorsitzende Bischof Huber hat das sogar zu einer nationalen Aufgabe erklärt. Stimmen Sie dem zu?
Sabrow: Na ja, der Rede von nationalen Aufgaben stimme ich, glaube ich, nie zu. Und ich weiß nicht, wer diese nationalen Aufgaben definiert und in wessen Interesse und warum. Aber ich kann dieses Wiederaufbauprojekt durchaus verstehen und glaube auch, dass die Silhouette Potsdams dadurch gewinnt. Weil, wie ich das eben sagte, wir mit dem Wiederaufbau der Garnisonkirche ja nicht die Idee verbinden, die dort in Stein gehauenen Werte wieder erwecken zu wollen. Es ist eher der Versuch, eine verlorene Vergangenheit, mit der man sich auseinandersetzen möchte, so nahe wie möglich wieder bei sich zu haben.
Und dem dienen Wiederaufbauprojekte, die nur deswegen erfolgreich sein können, weil sei gerade nicht die Idee an einen militärischen, konservativen, nationalen Geist von Potsdam transportieren wollen, sondern ganz im Gegenteil den Gedanken der Versöhnung, den die EKD für den Neubau oder für den Wiederaufbau der Garnisonkirche so stark macht, und das Interesse an einer Begegnung mit Geschichte.
Ich meine allerdings, wenn ich das noch ergänzen darf, Herr Scholl, dass ein Wiederaufbauprojekt nur der eine Teil ist. Ich glaube, dass auf der anderen Seite es nicht angängig ist, das dort jetzt stehende Rechenzentrum völlig abzureißen und eine Vorvergangenheit wiederherzustellen, die die jüngere Vergangenheit auslöscht. Zumal es da ja auch um Mosaike und dergleichen noch geht.
Scholl: Wie könnte man denn oder wie sollte man denn dann diese historischen Brüche kenntlich machen?
Sabrow: Ja, das ist im Rahmen unserer Patchwork-Identität gar nicht so schwierig. Ich meine, dass man von der Garnisonkirche den Turm natürlich wiederherstellen wird und dass das auch möglich sein wird, ohne dass man das ganze Rechenzentrum opfert. Gerade die beiden Schenkel, die zur Breite Straße und zur Dortustraße hinweisen und diese sozialistischen Mosaike des Fortschrittstriumphes tragen, die könnten bestehen bleiben und sie würden sich hart begegnen mit der Garnisonkirche, vielleicht auch mit einer im ganzen Schiff aufgebauten Garnisonkirche. Und man könnte auf diese Weise die Bruchhaftigkeit, die seltsame Verschlungenheit der deutschen Geschichte viel besser zum Ausdruck zu bringen, als wenn man eine Zeitschicht rekonstruiert und die andere ganz ins Vergessen drängt.
Scholl: Diese Worte werden wohl gehört werden an diesem Tag von Potsdam, an den Martin Sabrow hier erinnert hat, der Leiter des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Ich danke Ihnen sehr, Herr Sabrow, für dieses Gespräch.
Sabrow: Ich Ihnen auch, auf Wiederhören, Herr Scholl.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.