Als Stalin mit seinen Lagern kam
Bettina Greiner hat mit "Verdrängter Terror" eine Gesamtdarstellung der sowjetischen Speziallager in Deutschland vorgelegt. Offiziell existierten die zwischen 1945 und 1950 eingerichteten Lager an Orten wie Buchenwald, Sachsenhausen und Bautzen gar nicht.
Offiziell existierten die zwischen 1945 und 1950 von den Sowjets in Ostdeutschland eingerichteten Speziallager an Orten wie Buchenwald, Sachsenhausen und Bautzen gar nicht. Von den etwa 150.000 inhaftierten Jugendlichen, Frauen und Männern überlebte ein Drittel die Schrecken der Lager nicht. Erstaunlicherweise begann die wissenschaftliche Erforschung dieser Speziallager erst nach dem Mauerfall. Mit ihrem umfassend aus zum Teil bisher nicht zugänglichem Quellenmaterial schöpfenden Buch legt Bettina Greiner jetzt die erste - erschütternde - Gesamtdarstellung dieser Speziallager vor.
Durch ihre intellektuell saubere Hinterfragung und differenzierende Analyse des Quellenmaterials leistet die Autorin einen wesentlichen Beitrag zur Aufarbeitung der lange verdrängten und durch die Ideologie des Kalten Krieges deformierten Erinnerungen der Überlebenden an die Schrecken dieser Lager. Es ist schwer, herauszufinden, was - aus der Sicht der Sowjets - der Zweck dieser Lager war.
Eine Überprüfung der NS-Vergangenheit der Häftlinge fand nicht statt. Denkbar ist, dass die Sowjets tatsächlich Angst vor Sabotage hatten und mit erheblichem Widerstand rechneten. In den sowjetischen Speziallagern wurden allerdings frühere KZ-Häftlinge wahllos mit NS-Funktionsträgern und Menschen zusammengepfercht, die aufgrund von Denunziationen verdächtigt erschienen.
Bettina Greiner rekonstruiert in ihrem Buch den Alltag der Lager und zeigt erschreckend plastisch auf, wie durch Hunger und Angst vor Folter viele Mithäftlinge zu schlimmeren Peinigern wurden als die sowjetischen Bewacher. In den Erinnerungsberichten der Überlebenden sind es nicht die Sowjets, sondern die deutschen Mithäftlinge, die die tiefsten Wunden schlugen.
Durch die spezielle Chemie der Lagerzusammensetzung und die Willkür der Lagerleitung, die durch ein ausgeklügeltes Spitzelsystem die Häftlinge disziplinierte, kam es nach der Schließung der Lager zu einem merkwürdigen Phänomen. Egal ob mit oder ohne NS-Belastung kam es unter den Überlebenden zu einer Art Opfer-Schulterschluss.
Die Opfer dieser Lager kämpften lange Zeit auf der Grundlage der Formel, wir sind genauso Opfer des politischen Terrors wie die Opfer des Holocaust, um Anerkennung und Entschädigung. Durch diese Gleichsetzung versuchten sich diejenigen, die in den Naziterror verwickelt waren, ihrer Verantwortung für die Gräuel der Nazis zu entziehen indem sie aus der Täterrolle in die der Opferrolle schlüpften.
Die erschreckende Quintessenz, die sich aus Bettina Greiners Buch ergibt, ist, dass Menschen unter extremem Druck sich nicht mit ihren Leidensgenossen solidarisieren, sondern sich auf einander stürzen und sich so in der Hölle des Lagers noch eine zusätzliche Hölle der gegenseitigen Zerfleischung schaffen. "Am schlimmsten" - so ein öfters variiertes Erinnerungszitat - " waren die Deutschen auf Posten".
Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr
Bettina Greiner: Verdrängter Terror
Geschichte und Wahrnehmung sowjetischer Speziallager in Deutschland
510 Seiten, 35 Euro
Durch ihre intellektuell saubere Hinterfragung und differenzierende Analyse des Quellenmaterials leistet die Autorin einen wesentlichen Beitrag zur Aufarbeitung der lange verdrängten und durch die Ideologie des Kalten Krieges deformierten Erinnerungen der Überlebenden an die Schrecken dieser Lager. Es ist schwer, herauszufinden, was - aus der Sicht der Sowjets - der Zweck dieser Lager war.
Eine Überprüfung der NS-Vergangenheit der Häftlinge fand nicht statt. Denkbar ist, dass die Sowjets tatsächlich Angst vor Sabotage hatten und mit erheblichem Widerstand rechneten. In den sowjetischen Speziallagern wurden allerdings frühere KZ-Häftlinge wahllos mit NS-Funktionsträgern und Menschen zusammengepfercht, die aufgrund von Denunziationen verdächtigt erschienen.
Bettina Greiner rekonstruiert in ihrem Buch den Alltag der Lager und zeigt erschreckend plastisch auf, wie durch Hunger und Angst vor Folter viele Mithäftlinge zu schlimmeren Peinigern wurden als die sowjetischen Bewacher. In den Erinnerungsberichten der Überlebenden sind es nicht die Sowjets, sondern die deutschen Mithäftlinge, die die tiefsten Wunden schlugen.
Durch die spezielle Chemie der Lagerzusammensetzung und die Willkür der Lagerleitung, die durch ein ausgeklügeltes Spitzelsystem die Häftlinge disziplinierte, kam es nach der Schließung der Lager zu einem merkwürdigen Phänomen. Egal ob mit oder ohne NS-Belastung kam es unter den Überlebenden zu einer Art Opfer-Schulterschluss.
Die Opfer dieser Lager kämpften lange Zeit auf der Grundlage der Formel, wir sind genauso Opfer des politischen Terrors wie die Opfer des Holocaust, um Anerkennung und Entschädigung. Durch diese Gleichsetzung versuchten sich diejenigen, die in den Naziterror verwickelt waren, ihrer Verantwortung für die Gräuel der Nazis zu entziehen indem sie aus der Täterrolle in die der Opferrolle schlüpften.
Die erschreckende Quintessenz, die sich aus Bettina Greiners Buch ergibt, ist, dass Menschen unter extremem Druck sich nicht mit ihren Leidensgenossen solidarisieren, sondern sich auf einander stürzen und sich so in der Hölle des Lagers noch eine zusätzliche Hölle der gegenseitigen Zerfleischung schaffen. "Am schlimmsten" - so ein öfters variiertes Erinnerungszitat - " waren die Deutschen auf Posten".
Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr
Bettina Greiner: Verdrängter Terror
Geschichte und Wahrnehmung sowjetischer Speziallager in Deutschland
510 Seiten, 35 Euro