Alt werden, ohne alt auszusehen
Dass Menschen in Zukunft bis zu 120 Jahre alt werden, davon geht der Wissenschaftler Karl Otto Greulich vom Leibniz-Institut in Jena aus. Medizinische Eingriffe und eine DNA-Reparatur könnten zu dieser hohen Lebenserwartung führen.
Joachim Scholl: Länger leben - danach sehnt sich die Menschheit von Anbeginn und die moderne Medizin. Sie forscht energisch daran, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Zum Beispiel der Biogerontologe Karl Otto Greulich: Er beschäftigt sich mit der Ursache des Alterns und sucht nach dem Weg, unser Leben substanziell zu verlängern. Herr Greulich, ich grüße Sie!
Karl Otto Greulich: Guten Tag!
Scholl: Bevor wir uns mit dem längeren Leben befassen, Herr Greulich, vielleicht zunächst ein Blick in die Realität, die uns jeden Morgen trifft, wenn wir in den Spiegel blicken: Warum altern wir eigentlich?
Greulich: Die Sichtweise der Molekularbiologie ist folgende: Unsere DNS, der Bauplan für alle Moleküle, die wir im Körper synthetisieren, die DNS, kriegt pro Tag und pro Zelle etwa 10.000 DNA-Schäden ab. Die werden durch ein fantastisch gutes DNA-Reparatursystem repariert, aber kleinere Fehler bleiben. Und im Laufe von 60, 70 Jahren sammeln die sich an, diese Fehler, und dann übertragen sich diese Fehler auch erst auf unsere Zellen, dann auf ganze Gewebe, und deswegen sehen wir auch die Falten in der Haut.
Scholl: Das heißt, dass die Haare grau werden also, unsere Haut faltiger, die Figur unförmiger, das sind alles Fehler im System? Könnte man also diese Fehler nicht auch reparieren?
Greulich: Es gibt sogar eine Idee, solche Fehler zu reparieren: Erstens die DNA-Reparatursysteme zu verbessern, und da ist meine Arbeitsgruppe am Leibniz-Institut für Altersforschung in Jena direkt dran beteiligt, also die DNA-Reparatur zu verbessern beziehungsweise die Fehlerquote zu reduzieren. Da gibt es tatsächlich Perspektiven. Es gibt aber auch die Möglichkeit, durch medizinische Eingriffe die Folgen zu reduzieren, und das ist etwas, was ja eigentlich sehr erfolgreich läuft im Moment. Man darf nicht vergessen, dass die Lebenserwartung in Deutschland seit 1980, also in den letzten 30 Jahren, um fast zehn Jahre gestiegen ist, und das ist ein Erfolg dieser Maßnahmen.
Scholl: Welche Maßnahmen sind das? Ich hätte jetzt gedacht, das liegt daran, dass wir einfach gesünder leben.
Greulich: Da spielt eigentlich alles eine Rolle, es gibt keinen einzelnen Effekt. Da kommt die bessere Ernährung dazu, da kommt die bessere Sicherheit zum Beispiel auf unseren Straßen dazu, eine bessere Medizin, aber eben auch die Erkenntnisse, die sich aus der Molekularbiologie ergeben, die sich dann wieder auf die Empfehlungen für Ernährung und Ähnliches niederschlagen.
Scholl: Erzählen Sie so ein bisschen von diesen Erkenntnissen aus der Molekularbiologie! Was wird da geforscht, das also uns das Leben länger macht?
Greulich: Es wird vor allem im Augenblick erforscht, welche Gene dafür verantwortlich sein könnten. Man kann so als Faustregel sagen, etwa 70 Prozent des Alterns ist durch Umwelteinflüsse, also im allerweitesten Sinne Umwelteinflüsse bedingt und 30 Prozent ist durch Gene bedingt. Wie kann man das rauskriegen? Wir haben in Jena einen Fisch, das ist ein Karpfenabkömmling, für Aquarienfreunde der Prachtgrundkärpfling, da gibt es eine Variante, die lebt in Simbabwe, und die wird etwa 15 Wochen alt, also sehr kurzlebig, und eine zweite Variante, die lebt in Mosambik, die wird 40, 45 Wochen, also etwa dreimal so alt. Jetzt könnte man zunächst sagen, na ja, das ist umweltbedingt. Wenn man die aber nach Jena ins Aquarium bringt, dann leben die dort genauso lang, es ist also nicht umweltbedingt. Und wenn man die beiden kreuzt, dann werden die Nachkommen etwa 30 Wochen alt, also etwa genau das, was dazwischen liegt.
Scholl: Aber was hat denn der Mosambik-Karpfen dann in den Genen, das ihn dann länger leben lässt?
Greulich: Und das ist genau die Frage, die wir im Moment angehen, und wir gehen das mit sozusagen brutaler Gewalt an, wir sequenzieren die DNA, die gesamte DNA der beiden Kärpflinge durch, und dort, wo wir Unterschiede sehen, dort glauben wir die Gene zu finden, die tatsächlich für das längere Alter der einen Variante verantwortlich ist. Es geht hier wirklich erst einmal darum, die Gene zu finden. Man hört in der Presse immer wieder, dass mal beim Menschen Altersgene gefunden werden, da ist aber nie ganz klar, ob das Gen nur deswegen verändert ist, weil der Mensch alt ist, oder ob es die Ursache war, damit der Mensch so alt werden konnte. Und in diesem Fischbeispiel, da werden wir es hoffentlich richtiggehend rauskriegen können.
Scholl: Länger leben - in unserer Reihe in dieser Woche hier im "Radiofeuilleton" heute der Biogerontologe Karl Otto Greulich. Herr Greulich, interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Sie auch herausgefunden haben, wenn Tiere Diabetes haben, also zuckerkrank sind, dann leben sie auch länger. Wie sind Sie denn zu diesem Ergebnis gekommen?
Greulich: Das ist eine ganz, ganz verwirrende Beobachtung, die nicht von uns, sondern von vielen Altersforschern gemacht wird, die betrifft sehr viele Tierarten. Das geht von der Fliege über den Wurm bis hoch auch wieder zu diesem Prachtgrundkärpfling und letztendlich auch zum Menschen, dass diabetesartige Zustände lebensverlängernd sind. Also Beispiel dieser Prachtgrundkärpfling: Wenn man bei dem diabetesartigen Zustand erzeugt, dann lebt der anderthalb mal so lange. Beim Menschen stellt man fest, dass 100-Jährige oft eher Diabetes haben als deren früher verstorbene Geschwister.
So, jetzt stehen wir vor der Frage: Was passiert da eigentlich? Es geht um Diabetes 2, es geht nicht um den Jugenddiabetes 1, und bei diesem Diabetes 2 muss man in der Tat noch mal nachfragen, ob der wirklich so schädlich ist. Wieder zu dem Fisch zurück, da gibt es eine ganz überraschende Beobachtung: Wenn man diese diabetesartigen Zustände in der Jugend erzeugt, dann sterben diese Fische früher, wenn sie im Alter erzeugt werden, sterben sie später. Das könnte also sein, dass Diabetes 2 eine Entwicklung beinhaltet, die uns im Alter tatsächlich nützt, aber in der Jugend schadet.
Scholl: Das heißt also, man könnte jetzt - also wenn man jetzt so ein bisschen spinnt, könnte man sagen, im Alter erzeugen wir einen diabetesähnlichen Zustand, so ab 90, und nehmen dann 'ne Pille, Diabetes 2 aktiv, und leben zehn Jahre länger?
Greulich: Also die Übertragung dieser Tierversuche auf den Menschen steht noch an, das muss noch untersucht werden, aber angenommen, es ginge in dieser Richtung weiter, wäre das unter Umständen ein Weg, ja. Aber ich muss noch mal wiederholen, ob man von diesen Tierversuchen auf den Menschen schließen kann, das ist noch offen.
Scholl: In welchen Spannen denken Sie eigentlich als Forscher, Herr Greulich, also wie alt könnte ein Mensch werden, was wäre möglich? So wirklich 120, 150 Jahre, was man manchmal so liest?
Greulich: Es gibt im Moment eine Übereinkunft, dass man sagt, etwa 110 bis 120 Jahre, das ist das sogenannte Hayflick-Limit. Das kommt folgendermaßen zustande: Wenn man Hautzellen entnimmt von jungen Organismen, dann teilen die sich sehr oft, bis sie dann als Zellkultur auch absterben. Wenn man diese Zellen von alten Organismen nimmt, dann teilen die sich nicht mehr so oft. Und beides rechnet sich etwa hoch zum gleichen Gesamtalter, und dieses Alter liegt bei etwa 110 bis 120 Jahren, und deswegen ist das im Augenblick so die Annahme, dass das das theoretisch erreichbare Alter für den Menschen ist.
Scholl: Wenn Ihr Forscherherz für solchen Fortschritt nun natürlich schlägt, Herr Greulich, pocht es nicht bisweilen auch manchmal ängstlich, weil man sich doch ein wenig so an der Schöpfung vergreift?
Greulich: In der Tat, darüber wird nachgedacht, und ich selbst habe da auch Gespräche schon mit Theologen gehabt. Ich denke aber, wenn - sprechen wir von Gott - wenn er da was dagegen hätte, dann hätte er so Leute wie mich schon längst aus dem Verkehr gezogen. Also insofern denke ich, dass er uns es jetzt erlaubt, da nachzuschauen.
Scholl: In meiner Jugend habe ich mit Begeisterung Perry Rhodan gelesen - der ist nämlich unsterblich, weil er einen sogenannten Zellaktivator hat. Unsterblichkeit, das bleibt aber wohl Fiktion, oder?
Greulich: Wahrscheinlich ist es aus thermodynamischen Gründen nicht möglich. Wir können die Fehler eigentlich nicht mehr rückgängig machen, wir können das Entstehen der Fehler nur verlangsamen. Das Rückgängigmachen würde enorm viel Energie brauchen, die der Körper eigentlich nicht hat, deswegen denke ich, dass man unsterblich nicht werden kann. Die Frage ist allerdings in der Tat, wollen wir das eigentlich.
Und ich möchte zu Ihrem Perry Rhodan zurückkommen: Ich hab in der Jugend einen anderen Roman gelesen, von einer Gesellschaft, in der die Leute unsterblich waren. Sie konnten natürlich durch einen Unfall sterben, und die haben ein ganz langweiliges Leben geführt, weil jeder natürlich Angst hatte, dass er viele, viele Jahre verliert, wenn er jetzt was Riskantes macht. Dann hat sich in diese Gesellschaft ein Virus eingeschlichen, die Leute haben wieder sterben können und waren glücklich und haben ein tolles Leben geführt - zwar begrenzt, aber dann doch mit viel mehr Spaß. Also insofern meine ich eigentlich, man sollte es gar nicht anstreben.
Scholl: Wie alt wollen Sie denn gern werden, Herr Greulich?
Greulich: Also ich möchte so alt werden, wie ich im Kopf noch halbwegs vernünftig bin. Körperliche Schwächen würde ich durchaus akzeptieren, aber wenn dann der Kopf nicht mehr mitspielt, dann möchte ich eigentlich meine Ruhe haben, definitiv meine Ruhe haben. Wenn das mit 70 ist, soll’s mit 70 sein, wenn’s wie bei meinem Schwiegervater mit 97 immer noch nicht der Fall ist, möchte ich auch 97 werden.
Scholl: Länger leben - was die Forschung derzeit anstrebt, um unser Leben zu verlängern. Das war der Biogerontologe Karl Otto Greulich. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Greulich!
Greulich: Ja, es hat mich sehr gefreut, mit Ihnen zu sprechen.
Scholl: Und wir werden es fortsetzen, morgen um die gleiche Zeit, kurz nach 14 Uhr hier im "Radiofeuilleton" von Deutschlandradio Kultur - dann mit dem Philosophen Sebastian Knell.
Karl Otto Greulich: Guten Tag!
Scholl: Bevor wir uns mit dem längeren Leben befassen, Herr Greulich, vielleicht zunächst ein Blick in die Realität, die uns jeden Morgen trifft, wenn wir in den Spiegel blicken: Warum altern wir eigentlich?
Greulich: Die Sichtweise der Molekularbiologie ist folgende: Unsere DNS, der Bauplan für alle Moleküle, die wir im Körper synthetisieren, die DNS, kriegt pro Tag und pro Zelle etwa 10.000 DNA-Schäden ab. Die werden durch ein fantastisch gutes DNA-Reparatursystem repariert, aber kleinere Fehler bleiben. Und im Laufe von 60, 70 Jahren sammeln die sich an, diese Fehler, und dann übertragen sich diese Fehler auch erst auf unsere Zellen, dann auf ganze Gewebe, und deswegen sehen wir auch die Falten in der Haut.
Scholl: Das heißt, dass die Haare grau werden also, unsere Haut faltiger, die Figur unförmiger, das sind alles Fehler im System? Könnte man also diese Fehler nicht auch reparieren?
Greulich: Es gibt sogar eine Idee, solche Fehler zu reparieren: Erstens die DNA-Reparatursysteme zu verbessern, und da ist meine Arbeitsgruppe am Leibniz-Institut für Altersforschung in Jena direkt dran beteiligt, also die DNA-Reparatur zu verbessern beziehungsweise die Fehlerquote zu reduzieren. Da gibt es tatsächlich Perspektiven. Es gibt aber auch die Möglichkeit, durch medizinische Eingriffe die Folgen zu reduzieren, und das ist etwas, was ja eigentlich sehr erfolgreich läuft im Moment. Man darf nicht vergessen, dass die Lebenserwartung in Deutschland seit 1980, also in den letzten 30 Jahren, um fast zehn Jahre gestiegen ist, und das ist ein Erfolg dieser Maßnahmen.
Scholl: Welche Maßnahmen sind das? Ich hätte jetzt gedacht, das liegt daran, dass wir einfach gesünder leben.
Greulich: Da spielt eigentlich alles eine Rolle, es gibt keinen einzelnen Effekt. Da kommt die bessere Ernährung dazu, da kommt die bessere Sicherheit zum Beispiel auf unseren Straßen dazu, eine bessere Medizin, aber eben auch die Erkenntnisse, die sich aus der Molekularbiologie ergeben, die sich dann wieder auf die Empfehlungen für Ernährung und Ähnliches niederschlagen.
Scholl: Erzählen Sie so ein bisschen von diesen Erkenntnissen aus der Molekularbiologie! Was wird da geforscht, das also uns das Leben länger macht?
Greulich: Es wird vor allem im Augenblick erforscht, welche Gene dafür verantwortlich sein könnten. Man kann so als Faustregel sagen, etwa 70 Prozent des Alterns ist durch Umwelteinflüsse, also im allerweitesten Sinne Umwelteinflüsse bedingt und 30 Prozent ist durch Gene bedingt. Wie kann man das rauskriegen? Wir haben in Jena einen Fisch, das ist ein Karpfenabkömmling, für Aquarienfreunde der Prachtgrundkärpfling, da gibt es eine Variante, die lebt in Simbabwe, und die wird etwa 15 Wochen alt, also sehr kurzlebig, und eine zweite Variante, die lebt in Mosambik, die wird 40, 45 Wochen, also etwa dreimal so alt. Jetzt könnte man zunächst sagen, na ja, das ist umweltbedingt. Wenn man die aber nach Jena ins Aquarium bringt, dann leben die dort genauso lang, es ist also nicht umweltbedingt. Und wenn man die beiden kreuzt, dann werden die Nachkommen etwa 30 Wochen alt, also etwa genau das, was dazwischen liegt.
Scholl: Aber was hat denn der Mosambik-Karpfen dann in den Genen, das ihn dann länger leben lässt?
Greulich: Und das ist genau die Frage, die wir im Moment angehen, und wir gehen das mit sozusagen brutaler Gewalt an, wir sequenzieren die DNA, die gesamte DNA der beiden Kärpflinge durch, und dort, wo wir Unterschiede sehen, dort glauben wir die Gene zu finden, die tatsächlich für das längere Alter der einen Variante verantwortlich ist. Es geht hier wirklich erst einmal darum, die Gene zu finden. Man hört in der Presse immer wieder, dass mal beim Menschen Altersgene gefunden werden, da ist aber nie ganz klar, ob das Gen nur deswegen verändert ist, weil der Mensch alt ist, oder ob es die Ursache war, damit der Mensch so alt werden konnte. Und in diesem Fischbeispiel, da werden wir es hoffentlich richtiggehend rauskriegen können.
Scholl: Länger leben - in unserer Reihe in dieser Woche hier im "Radiofeuilleton" heute der Biogerontologe Karl Otto Greulich. Herr Greulich, interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Sie auch herausgefunden haben, wenn Tiere Diabetes haben, also zuckerkrank sind, dann leben sie auch länger. Wie sind Sie denn zu diesem Ergebnis gekommen?
Greulich: Das ist eine ganz, ganz verwirrende Beobachtung, die nicht von uns, sondern von vielen Altersforschern gemacht wird, die betrifft sehr viele Tierarten. Das geht von der Fliege über den Wurm bis hoch auch wieder zu diesem Prachtgrundkärpfling und letztendlich auch zum Menschen, dass diabetesartige Zustände lebensverlängernd sind. Also Beispiel dieser Prachtgrundkärpfling: Wenn man bei dem diabetesartigen Zustand erzeugt, dann lebt der anderthalb mal so lange. Beim Menschen stellt man fest, dass 100-Jährige oft eher Diabetes haben als deren früher verstorbene Geschwister.
So, jetzt stehen wir vor der Frage: Was passiert da eigentlich? Es geht um Diabetes 2, es geht nicht um den Jugenddiabetes 1, und bei diesem Diabetes 2 muss man in der Tat noch mal nachfragen, ob der wirklich so schädlich ist. Wieder zu dem Fisch zurück, da gibt es eine ganz überraschende Beobachtung: Wenn man diese diabetesartigen Zustände in der Jugend erzeugt, dann sterben diese Fische früher, wenn sie im Alter erzeugt werden, sterben sie später. Das könnte also sein, dass Diabetes 2 eine Entwicklung beinhaltet, die uns im Alter tatsächlich nützt, aber in der Jugend schadet.
Scholl: Das heißt also, man könnte jetzt - also wenn man jetzt so ein bisschen spinnt, könnte man sagen, im Alter erzeugen wir einen diabetesähnlichen Zustand, so ab 90, und nehmen dann 'ne Pille, Diabetes 2 aktiv, und leben zehn Jahre länger?
Greulich: Also die Übertragung dieser Tierversuche auf den Menschen steht noch an, das muss noch untersucht werden, aber angenommen, es ginge in dieser Richtung weiter, wäre das unter Umständen ein Weg, ja. Aber ich muss noch mal wiederholen, ob man von diesen Tierversuchen auf den Menschen schließen kann, das ist noch offen.
Scholl: In welchen Spannen denken Sie eigentlich als Forscher, Herr Greulich, also wie alt könnte ein Mensch werden, was wäre möglich? So wirklich 120, 150 Jahre, was man manchmal so liest?
Greulich: Es gibt im Moment eine Übereinkunft, dass man sagt, etwa 110 bis 120 Jahre, das ist das sogenannte Hayflick-Limit. Das kommt folgendermaßen zustande: Wenn man Hautzellen entnimmt von jungen Organismen, dann teilen die sich sehr oft, bis sie dann als Zellkultur auch absterben. Wenn man diese Zellen von alten Organismen nimmt, dann teilen die sich nicht mehr so oft. Und beides rechnet sich etwa hoch zum gleichen Gesamtalter, und dieses Alter liegt bei etwa 110 bis 120 Jahren, und deswegen ist das im Augenblick so die Annahme, dass das das theoretisch erreichbare Alter für den Menschen ist.
Scholl: Wenn Ihr Forscherherz für solchen Fortschritt nun natürlich schlägt, Herr Greulich, pocht es nicht bisweilen auch manchmal ängstlich, weil man sich doch ein wenig so an der Schöpfung vergreift?
Greulich: In der Tat, darüber wird nachgedacht, und ich selbst habe da auch Gespräche schon mit Theologen gehabt. Ich denke aber, wenn - sprechen wir von Gott - wenn er da was dagegen hätte, dann hätte er so Leute wie mich schon längst aus dem Verkehr gezogen. Also insofern denke ich, dass er uns es jetzt erlaubt, da nachzuschauen.
Scholl: In meiner Jugend habe ich mit Begeisterung Perry Rhodan gelesen - der ist nämlich unsterblich, weil er einen sogenannten Zellaktivator hat. Unsterblichkeit, das bleibt aber wohl Fiktion, oder?
Greulich: Wahrscheinlich ist es aus thermodynamischen Gründen nicht möglich. Wir können die Fehler eigentlich nicht mehr rückgängig machen, wir können das Entstehen der Fehler nur verlangsamen. Das Rückgängigmachen würde enorm viel Energie brauchen, die der Körper eigentlich nicht hat, deswegen denke ich, dass man unsterblich nicht werden kann. Die Frage ist allerdings in der Tat, wollen wir das eigentlich.
Und ich möchte zu Ihrem Perry Rhodan zurückkommen: Ich hab in der Jugend einen anderen Roman gelesen, von einer Gesellschaft, in der die Leute unsterblich waren. Sie konnten natürlich durch einen Unfall sterben, und die haben ein ganz langweiliges Leben geführt, weil jeder natürlich Angst hatte, dass er viele, viele Jahre verliert, wenn er jetzt was Riskantes macht. Dann hat sich in diese Gesellschaft ein Virus eingeschlichen, die Leute haben wieder sterben können und waren glücklich und haben ein tolles Leben geführt - zwar begrenzt, aber dann doch mit viel mehr Spaß. Also insofern meine ich eigentlich, man sollte es gar nicht anstreben.
Scholl: Wie alt wollen Sie denn gern werden, Herr Greulich?
Greulich: Also ich möchte so alt werden, wie ich im Kopf noch halbwegs vernünftig bin. Körperliche Schwächen würde ich durchaus akzeptieren, aber wenn dann der Kopf nicht mehr mitspielt, dann möchte ich eigentlich meine Ruhe haben, definitiv meine Ruhe haben. Wenn das mit 70 ist, soll’s mit 70 sein, wenn’s wie bei meinem Schwiegervater mit 97 immer noch nicht der Fall ist, möchte ich auch 97 werden.
Scholl: Länger leben - was die Forschung derzeit anstrebt, um unser Leben zu verlängern. Das war der Biogerontologe Karl Otto Greulich. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Greulich!
Greulich: Ja, es hat mich sehr gefreut, mit Ihnen zu sprechen.
Scholl: Und wir werden es fortsetzen, morgen um die gleiche Zeit, kurz nach 14 Uhr hier im "Radiofeuilleton" von Deutschlandradio Kultur - dann mit dem Philosophen Sebastian Knell.