Wie der Sound der Bibel angepasst wird
Altbischof Christoph Kähler ist Leiter des Lenkungsausschusses zur Durchsicht der Lutherbibel und somit für ihre sprachliche Überarbeitung verantwortlich. Im Gespräch verrät er, wie neue Geschlechterrollen berücksichtigt werden - zumindest teilweise.
Kirsten Dietrich: Martin Luther war nicht der Erste, der sich an einer Übersetzung der Bibel ins Deutsche versucht hat, aber seine war sicher die wirkmächtigste. 1522 hat Luther seine erzwungene Auszeit auf der Wartburg genutzt, um mit dem Neuen Testament zu beginnen, 1534 war die Gesamtausgabe fertig – und hat seitdem geprägt, wie der Protestantismus klingt. Bis heute ist die Lutherbibel als Standard in evangelischen Gottesdiensten vorgesehen. Nun ist die Sprachentwicklung natürlich nicht bei Luther stehengeblieben, die Erkenntnisse über die richtige Form des biblischen Originaltextes auch nicht, und deswegen ist auch die scheinbar so heilige Lutherbibel immer wieder überarbeitet worden, zum letzten Mal vor genau 30 Jahren.
2017 feiert die evangelische Kirche mit großem Aufwand das 500-jährige Jubiläum der Reformation. Und zu diesem Anlass wird auch die Lutherbibel neu durchgesehen. Rund 50 Fachleute sitzen an dieser Aufgabe. Christoph Kähler ist Neutestamentler und ehemaliger Bischof von Thüringen. Jetzt hat er den schönen Titel: Vorsitzender des Lenkungsausschusses für die Durchsicht der Lutherbibel. Ich habe mit Christoph Kähler über den Stand der Arbeit gesprochen und ich wollte von ihm wissen, wie sie denn klingt, die Lutherbibel!
Christoph Kähler: Die Lutherbibel klingt für viele Leute ein kleines bisschen altmodisch, aber vor allem hat sie einen Sound, der so was wie heiliger Text ist. Wenn Sie in einem deutschen Film heilige Sprache nachmachen wollen oder heilige Sprache hörbar machen wollen, dann gehe ich mit Ihnen jede Wette darauf ein, zu 100 Prozent kommt dann Luther-Text, weil die Leute das noch im Ohr haben. Das ist eine Sprache, die man an ihrem auch zum Teil unvertrauten Klang erkennt, es ist nicht die gegenwärtige Alltagssprache.
Dietrich: Wie hat Luther das gemacht?
Kähler: Luther hat einerseits die heilige Sprache, die einerseits im Griechischen und Hebräischen vorlag, auch aufgenommen. Es gibt so bestimmte Wendungen, die würden wir nie in einer Erzählung untereinander und gegenüber unseren Kindern verwenden, aber: "Und siehe ...", dann weiß jeder, jetzt kommt was ganz Wichtiges! Und dieses "Und siehe ..." hat Luther sehr bewusst aus der Bibel aufgenommen, das heißt, manches ist eine genial übersetzte Bibelsprache.
In anderem hat er einfach eine neue Sprache auch geschaffen und hat dann erreichen können mit dieser guten Sprache, dass das ganz schnell aufgenommen worden ist. Es gibt Worte, die Luther völlig neu gebildet hat, "Feuereifer", "Wirrkopf" und so was alles, also, wir haben eine unendliche Verwurzelung der Lutherbibel in der deutschen Kultur, und umgekehrt, die deutsche Kultur wurzelt in der Lutherbibel und ihrem Klang- und Sprachraum, sodass wir da mit Zittern und Zagen nur drangehen können!
Durchgeguckt, verbessert, verändert
Dietrich: Ja, aber Sie gehen dran! Also, wie kann man so eine Ikone der deutschen Sprache überarbeiten, ohne das Original zu verlieren?
Kähler: Wir tun etwas, was Luther immer selber getan hat: Er hat keines seiner Werke, wenn es mal gedruckt war, korrigiert, aber die Lutherbibel hat er – seine Übersetzung des Neuen Testaments und dann auch des Alten Testaments –, hat er von 1522 an regelmäßig intensiv durchgeguckt, verbessert, verändert. Sodass die wissenschaftlichen Ausgaben mehrere Lutherbibeln sozusagen nebeneinanderstellen. Und es gibt seit 1892 auch eine ganze Reihe von kirchenamtlichen Revisionen, wo man versucht hat, unverständliche Wendungen herauszunehmen – und davon gab es eine ganze Menge –, allerdings haben wir jetzt bei dieser Durchsicht, die später dann vielleicht Revision genannt wird, den Eindruck bekommen, dass manchmal die Revisoren, die vor uns, vor 50 Jahren, vor 100 Jahren gearbeitet haben, zu viel des Guten getan haben.
Und wir haben im Laufe der Arbeit einen zunehmenden Respekt vor Luthers Leistung zusätzlich gewonnen und haben eine eigene Regel aufgestellt, die lautet: Wenn ein Text von Luther exakter übersetzt ist, als es bisher in der Lutherbibel von 1984 steht, und er noch heute gut verständlich ist, dann gehen wir flugs zu Luther, 1545 zurück und es kommt der alte Luther-Klang wieder rein.
Dietrich: Wie klingt das dann, können Sie da ein Beispiel für nennen?
Kähler: Ja. Also, in der Weihnachtsgeschichte gibt es so einen schönen Satz, der klingt deswegen, weil ganz viele As in diesem Satz sind: "Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazaret, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Betlehem." Und dann geht das weiter in dem Text von 1984: "... weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war." Luther hatte da noch zwei schöne As: " ... darum, dass er aus dem Hause und Geschlechte Davids war."
Dietrich: Das heißt, es ist also nicht unbedingt eine Modernisierung der Sprache, sondern es ist der Versuch, beiden gerecht zu werden, heutigen Leserinnen und Lesern und Luther?
"Wir sollen nicht die Sprache modernisieren"
Kähler: Ja, der Auftrag des Rates der EKD lautet – glücklicherweise, kann ich nur sagen – so, dass wir nicht die Sprache modernisieren sollen. Das hat man noch 1984 gewollt und manches da auch gemacht. Unser Auftrag lautet nur: überprüfen am Ausgangstext – das heißt, am hebräischen und am griechischen Text –, ist das noch korrekt oder ist die Wissenschaft inzwischen so weit, dass man sagen muss, das ist nicht sauber übersetzt, das muss man noch anders machen?
Die zweite Aufgabe, die wir hatten und haben, ist die, möglichst viel Luther zu erhalten. Das interpretieren wir so, dass wir zum Teil auch wirklich zum alten Luther-Text zurückgehen. Und die dritte Aufgabe heißt: Es muss liturgisch brauchbar sein, man muss ihn gut lesen können und man muss ihn sofort gut verstehen können, wenn man gutwillig ist und ein kleines bisschen sich schon mal eingehört hat in biblische Geschichte und biblische Sprache.
Dietrich: Kommt daher dann auch die Änderung, dass Sie in den Paulus-Briefen, der bisher in seinen Briefen nur die Brüder in den Gemeinden grüßte, dann auch jetzt künftig die Brüder und Schwestern gegrüßt haben wollen?
Kähler: Bis in die 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts konnte man von einer Gemeinde mit gutem Willen erwarten, dass sie bei "Brüder" sofort mitdachte, und die Schwestern sind mit gemeint. Das hat sich deutlich gewandelt. Unter "Brüder" fühlen sich Frauen heute in der Regel auch in der Kirche nicht mehr angeredet und sie möchten nicht nur mitgemeint sein. Und wenn Paulus eindeutig eine ganze Gemeinde anredet, in der Frauen hervorragende Rollen gehabt haben – es gab Frauen, die Gemeindeleiterinnen waren zur Zeit des Paulus –, wenn Paulus eine ganze Gemeinde also mit "Brüder" anredet, dann hat er damals die Frauen mitgemeint. Das muss man heute hören, deswegen ändern wir an den entscheidenden Anredestellen in "Brüder und Schwestern". Allerdings, das muss ich gleich als Vorsicht dazu sagen: Wir werden die Bibel nicht in ein modernes Gleichberechtigungsbuch verwandeln, sondern die Kultur damals, in der der Mann der Bestimmer war, in der der Vater über die Kinder herrschte, in der der Mann bestimmte, wo die Familie wohnte, und die Familie wurde natürlich auch nach dem Mann genannt, diese Kultur werden wir nicht verwischen, sondern die ist da. Und die bleibt auch in der Lutherbibel erhalten.
Nur darauf nämlich glänzen dann so schöne Stellen wie aus dem ersten Schöpfungsbericht in dem ersten ... Mose 1, Genesis 1, wo es heißt: "Er schuf sie als Mann und als Frau." Das heißt, da werden zwei gleichwertige Menschen vorgeführt, die Gott geschaffen hat. Das Erstaunliche und Hervorstechende dieser Stellen kommt nur dann zustande, wenn wir ansonsten die kulturelle Färbung nicht künstlich modernisieren.
"Ein Buch, in dem man viel entdecken kann"
Dietrich: In diesem Jahr feiert die evangelische Kirche zur Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum ein Themenjahr, in dem die Bibel ganz besonders zum Thema wird. Und der Protestantismus gilt ja gemeinhin als die Form des Christentums, in dem sich wirklich die Gläubigen ganz besonders der Schrift verpflichtet fühlen. Aber deckt das noch die heutige Realität in den Gemeinden ab?
Kähler: Also, wenn Sie fragen, wie Menschen in der christlichen Gemeinde zu Hause sind, dann ist meine Beobachtung, dass man in der Regel voraussetzen kann, dass die Leute eine Bibel zu Hause haben, und das ist in der Regel die Lutherbibel. Wie häufig sie darin lesen, ist nicht unbedingt gesagt. Aber die intensivsten Veranstaltungen, die ich als Gemeindepfarrer in Leipzig erlebt habe, waren Gespräche über Bibeltexte. Da habe ich dann unter Umständen auch mal eine andere Übersetzung danebengelegt, damit man ein bisschen die Spannung sehen kann.
Aber es ist erstaunlich, wenn eine Gruppe sich darauf einlässt, mal über einen Bibeltext zu arbeiten und auch miteinander zu diskutieren, dann kommt dabei mehr heraus, als wenn ein Pfarrer einen Vortrag vorbereitet, denn zwölf Augenpaare sehen immer mehr als das eine Augenpaar. Und die Bibel ist, wenn man sich mit ihr beschäftigt, nach wie vor ein anregendes, ein selbst infrage stellendes Buch, ein Buch, in dem man viel entdecken kann. Und es wäre ein Schaden für unsere Kultur, wenn die Bibel-Vergessenheit noch weiter wächst. Sie ist schon heftig gewachsen.
Dietrich: Braucht man für dieses Angehen gegen eine wachsende Schriftvergessenheit wirklich die Lutherbibel oder bräuchte man dafür nicht eine ganz andere, viel elementarere Bibel?
Kähler: Sie haben recht, viele, die als Kinder und Jugendliche mit Bibeln anfangen und das erste Mal selber in eine Bibel hineinschauen, brauchen entweder eine Kinderbibel oder sie verwenden eine Bibel mit einer sogenannten kommunikativen Übersetzung, das heißt, da haben die Übersetzer sich grundsätzlich die Erlaubnis gegeben, biblische Sachverhalte auch etwas ausführlicher darzustellen, zu umschreiben, sehr modernes Deutsch dazu zu sprechen. Klassisch geworden ist die sogenannte "Gute Nachricht Bibel". Aber ich habe eine Reihe von Menschen vor mir gehabt, auch in meiner jungen Gemeinde und andere, die zunächst einmal mal mit der "Guten Nachricht" angefangen haben, die auch ziemlich ausführlich gelesen haben und dann im Laufe ihres Lebens immer stärker zu dem Schwarzbrot des Luther-Textes zurückgekehrt sind.
"Ich rechne mit Kritik von beiden Seiten"
Dietrich: Bei der letzten Revision der Lutherbibel brauchte die evangelische Kirche zwei Anläufe. Beim ersten Mal gab es einen Aufschrei, weil vertraute Herzenstexte auf einmal ganz anders klingen sollten.
Kähler: Ja.
Dietrich: Was wäre denn schlimmer jetzt mit Ihrer neuen Durchsicht: Wenn es auch diesmal einen Aufschrei gibt, der vielleicht Ihre Arbeit wertlos macht, oder wenn der Aufschrei ganz ausbleibt?
Kähler: Also, ich hoffe, dass sich genügend Leute interessieren, und Interesse hat man üblicherweise, wenn es auch ein bisschen Streit gibt. Also, ich rechne damit, dass wir Streit haben. Es gibt sicher einerseits die germanistisch Interessierten, die eher daran interessiert sind, wieder einen echten Luther-Sound herzustellen, die ganz alte Lutherbibel vollständig zu haben. Denen muss man raten, dass sie vielleicht eine Faksimile-Ausgabe kaufen. Aber da wird es Leute geben, die sagen, ihr seid noch nicht genug zu Luther zurückgekehrt.
Es wird auf der anderen Seite Leute geben, die sagen: Dieser altmodische Klang, der ist uns doch ein bisschen zu herb, ihr stellt die Bibel ins Museum und sie wird da nicht mehr so Alltagsgebrauchsgegenstand sein, wie sie vielleicht jetzt hin und wieder noch ist. Ich rechne mit Kritik von beiden, und je gleichmäßiger die Kritik von beiden Seiten kommt, desto eher, habe ich den Eindruck, haben wir dann vielleicht die mittlere Lage getroffen, die der Praxis noch dient, aber zugleich Luther wieder Luther-Text sein lässt.
Dietrich: Zum Reformationsjubiläum 2017 soll die Lutherbibel neu durchgesehen werden. Über den Stand der Arbeit sprach ich mit Altbischof Christoph Kähler, der diese Durchsicht leitet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.