Rückbau von Atomkraftwerken
Der Abrisstrupp: Der eine oder andere Mitarbeiter im stillgelegten Atomkraftwerk Greifswald-Lubmin wird im Rentenalter sein, ehe der Rückbau vollendet ist. © Deutschlandradio / Tom Schimmeck
Unterwegs mit den Abrisstrupps
10:53 Minuten
Abschied von der Kernenergie – ja, bitte. Allerdings zu einem hohen Preis: Der Rückbau stillgelegter Atomkraftwerke kostet Hunderte Millionen Euro und einige Jahrzehnte Zeit. Das zeigen die Beispiele Unterweser, Brunsbüttel und Greifswald-Lubmin.
Besuch im Atomkraftwerk Brunsbüttel an der Elbe, 75 km stromabwärts hinter Hamburg, kurz vor der Nordsee. Nicht das typische Atom-Ei. Der schwarze Kasten mit Schornstein sieht eher aus wie eine Fabrik.
Es ist ein sogenannter Siedewasserreaktor, gebaut Anfang der 1970er – in der Frühphase des damals euphorisch betriebenen nuklearen Aufbruchs. Baureihe SWR-69.
Brunsbüttel war für seine Pannen bekannt
Das AKW ist nahezu baugleich mit dem österreichischen Kraftwerk Zwentendorf an der Donau, das viel berühmter ist, weil es nach einem Volksentscheid niemals angefahren wurde.
Brunsbüttel war eher für seine Störfälle bekannt. Im Juli 2007 wurde das Atomkraftwerk final ausgeknipst.
Kurz vor Weihnachten 2022 möchte der aktuelle Betreiber – die Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH – die Medien über die Fortschritte beim Rückbau informieren. Es gibt Schaubilder und Kaffee, später feste Schuhe, Overall, Helm, Dosimeter und, vor dem Betreten des Reaktorgebäudes, noch Überschuhe und weiße Handschuhe. Das wirkt fast schon elegant. Dazu: Schwimmwesten.
Abgebaut wird von innen nach außen
Überall hängen Schilder: „Handschuhe tragen!“, „Vorsicht! Kontamination“, „Kein Dauerarbeitsplatz!“ In einer Ecke liegt der gewaltige Deckel des Druckbehälters. Demontiert.
Abgebaut wird so ein Atomkraftwerk von innen nach außen. Zuerst die abgebrannten Brennelemente. Die liegen jetzt im Zwischenlager gleich nebenan.
Auch der Reaktorbehälter, die Gerätschaften und die Zu- und Ableitungen sind hier fast vollständig zerlegt. Knapp 200 Leute von Vattenfall arbeiten daran, dazu Hunderte Expertinnen und Experten von Fremdfirmen. Etwa 9000 Tonnen Material sollen später in Endlagern verschwinden.
15 Jahre dauert der Rückbau noch
Zum Beispiel im Schacht Konrad im niedersächsischen Salzgitter, wo die Bundesgesellschaft für Endlagerung Platz für über 300.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Abfälle schafft – und ab 2027 mit der Einlagerung beginnen will. Viele dicht bepackte sogenannte „Konrad-Behälter“ warten schon an etlichen Standorten und in Zwischenlagern der Republik. Auch hier in Brunsbüttel.
Wirklich böse Überraschungen habe es bislang nicht gegeben, sagt der Technische Geschäftsführer von Vattenfall Europe Ingo Neuhaus: „Keine großen zumindest. Wir hatten gehofft, ein bisschen schneller zu sein.“
Unverhofft kommt hier besonders oft. Der Zeitplan gilt immer nur bis zum nächsten Problem. Es wird noch lange dauern, bis das AKW beseitigt ist und auf dem Areal eine Kuh grasen könne, erklärt Neuhaus: „So 15 Jahre noch. Irgendwie in den 30er-Jahren, sagen wir’s mal so ganz salopp.“
Strahlendes Erbe unter der Erde
Für den Rückbau von Brunsbüttel rechnet Vattenfall mit Kosten von rund einer Milliarde Euro. Reichen die Rücklagen? Auf jeden Fall, beteuert Neuhaus. Und wenn sich Änderungen ergeben, „egal in welche Richtung, werden die Rückstellungen angepasst. Das heißt, die Rückstellung reichen per Definition immer.“
Einige Monate zuvor: Besuch im Zwischenlager für hoch radioaktive Abfälle Unterweser. Eine nagelneue Halle hinter einem sehr robust wirkenden Zaun.
Hier lagert das strahlende Erbe des AKW Unterweser – ein klassisches Atom-Ei, das direkt daneben aufragt und 2011 abgeschaltet wurde nach der Fukushima-Katastrophe.
Für die provisorischen Atommülllager zwischen Brokdorf und Gundremmingen wie auch für die zentralen Zwischenlager Gorleben und Ahaus ist die BGZ, die Gesellschaft für Zwischenlagerung mbH verantwortlich, ein Bundesunternehmen. Die Kosten für die Zwischenlagerung an allen BGZ-Standorten sowie deren zentrale Verwaltung beliefen sich allein im Jahr 2021 auf gut 250 Millionen Euro.
Die Lagerhalle ist ein weiß getünchter, riesengroßer Saal. Mit einem gewaltigen Kran, der über die ganze Fläche schweben kann. Unter dem Kran eine Laufkatze, die per Joystick dirigiert wird. An ihrem Hubseil ein Spreader – ein Greifer, der Fässer und Kisten präzise packen und absetzen kann.
Überall Probleme mit der Endlagerung
Im hinteren Teil der Halle stehen schon etliche Behälter. Graue Kisten – die Konrad-Container – und die runden Mosaikbehälter, gelb, etwa anderthalb Meter hoch, mit dicken Wänden.
Aktuell sind in Deutschland 33 Atomreaktoren abgeschaltet. 22 Reaktorblöcke befinden sich im genehmigten Rückbau. Nur bei einem Kraftwerk, Würgassen, gilt dieser als beendet.
Mitte 2022 zählte man weltweit 204 stillgelegte AKW. Nur zehn, meldet der World Nuclear Status Report, seien wirklich komplett abgerissen. Denn überall gibt es Probleme mit der Endlagerung – vor allem der hoch radioaktiven Abfälle.
Deutschland sucht seit 2017 erneut nach einem Standort, nach dem Debakel mit Gorleben und katastrophalen Zwischenlösungen in den Bergwerken Asse im Westen und Morsleben im Osten. Es sind Fehlentscheidungen, die weiterhin Milliarden verschlingen.
Langzeitkosten tragen die Steuerzahler
Experten sagen: Die Endlagerung wird bis weit ins 22. Jahrhundert dauern. Die Verantwortung hierfür ist 2017 vergesellschaftet worden. Damals einigte sich die Atomkommission darauf, dass die vier Atomkonzerne in Deutschland 23 Milliarden Euro in einen staatlichen Fonds übertragen für die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls. Alle weiteren Kosten darüber hinaus tragen die Steuerzahler.
Berechnungen sagen, dass die Aufgabe einen mittleren zweistelligen – oder auch einen dreistelligen Milliardenbetrag verschlingen könnte.
Vom Lehrling bis zur Rente in Lubmin
Wie langwierig, mühsam und teuer der Ausstieg aus dieser Technologie noch werden wird, lässt ein Besuch in Greifswald-Lubmin erahnen, dem größten Atomkomplex der DDR an der Ostsee. Hier waren bis 1990 fünf sowjetische Atomreaktoren in Betrieb, einer fast fertig, zwei weitere noch im Bau.
Seit 33 Jahren wird der Komplex jetzt abgerissen, erzählt Jörg Meyer: „Ich bin hier in diesem Unternehmen der Stilllegungsverantwortliche für die Maschinentechnik.“
Meyer, der eigentlich Lokomotivführer werden wollte, soll 2025 in Rente gehen und sagt: „Ich hab’ angefangen als junger, ahnungsloser, hoffnungsvoller Lehrling, am 1. September 1980.“
Seit 33 Jahren wird der Komplex jetzt abgerissen, erzählt Jörg Meyer: „Ich bin hier in diesem Unternehmen der Stilllegungsverantwortliche für die Maschinentechnik.“
Meyer, der eigentlich Lokomotivführer werden wollte, soll 2025 in Rente gehen und sagt: „Ich hab’ angefangen als junger, ahnungsloser, hoffnungsvoller Lehrling, am 1. September 1980.“
Das kann noch ein halbes Jahrhundert dauern
Ein Leben für die Atomkraft. Als die DDR-Reaktoren nach der Wende abgeschaltet werden sollten, demonstrierte Meyer mit vielen anderen lautstark dagegen. Heute hat er eine andere Sicht.
Egal, ob das Klimawandel ist, ob das die aktuellen Ereignisse in Osteuropa sind, habe ich für mich den Schluss gezogen: Nein, dieses Restrisiko, gerade auch mit Blick auf das Alter der Anlagen, auch in Westeuropa, ist mit gutem Gewissen so nicht tragbar.
Der Abriss in Greifswald-Lubmin, sagt er, könnte noch ein halbes Jahrhundert dauern. „Irgendwelche Pläne – die radiologische Sanierung, das Geländes und alles – die sprachen mal irgendwas von 2070.“
Verstrahlte Bauteile
Schon weil manche Bauteile kolossal verstrahlt sind, müsse man dem radioaktiven Zerfall der Kernphysik erst mal seinen Lauf lassen, findet Meyer.
Ingo Neuhaus, der technische Geschäftsführer von Vattenfall, sieht das sehr anders. Er habe sein Leben bewusst der Kerntechnik gewidmet, sagt der Ingenieur auf der Arbeitsbühne über dem Becken im AKW Brunsbüttel.
„Ich halte es durchaus für verantwortbar, Kernenergie zu machen. Ich glaube aber auch, dass Kernenergie eine breitbandige Rückendeckung in der Bevölkerung braucht, damit sie funktionieren kann. Ich glaube, dass die Ängste in der deutschen Bevölkerung – woher auch immer – so aus geprägt sind, dass Kernenergie in Deutschland leider keine Zukunft hat.“