Alte Debatte neu entfacht
"Kulturinfarkt". Diese Formulierung spricht weitverbreitete Ressentiments an: Wer hätte sich nicht schon geärgert über subventionierte Inszenierungen oder Ausstellungen, die ihm als überflüssig, als vermeidbare Belastung der Kulturhaushalte erschienen, fragt Kulturjournalist Jochen Stöckmann.
Die öffentliche Kritik, der sachkundige Streit über jeden einzelnen dieser Fälle, sozusagen die "Diagnose", gehört zum täglichen Geschäft - und lässt weder Theaterintendanten noch Museumsdirektoren kalt. Seit Langem schon verantworten sie selbst ihre Budgets, müssen wirtschaften - und dürfen bei diesem Blick auf die Bilanz nicht jene "Minderheiten" aus dem Auge verlieren, deren spezielle Interessen für Neue Musik, experimentelles Theater oder auch Lyrik "Kultur" entstehen lässt, jeden Tag, jeden Abend aufs Neue. Diese individuelle Differenzierung des Publikums ist ein kostbares Gut, gerade weil es sich nicht in klingender Münze auszahlen lässt.
Nun aber soll alles über einen einzigen, angeblich "marktgängigen" Leisten geschlagen werden, soll dem durch Umfrageexperten und Werbestrategen konfektionierten Geschmack der Kulturindustrie folgen. Auf diese Branche, und insbesondere auf Computerspiele als, so wörtlich, "neue Form kulturellen Ausdrucks" singen die vier Infarkttherapeuten ihr Hohelied. In die Kulturindustrie sollen staatliche Kulturgelder fließen, die durch Amputation der von ihnen mit Seiten weiser Schmähkritik bedachten "Hochkultur" frei werden.
Dabei ist diese Finanzspritze völlig überflüssig. Denn die mehr als robuste Konstitution der Kulturindustrie besingen die vier Analysten mit dem Satz: "Sie ist Herstellung und Vertrieb von ästhetischen Erlebnissen in Warenform mit dem unbeugsamen Willen zum Erfolg." Verkörpert wird dieser Erfolgsdrang und -zwang von "Kulturmanagern, die vom ersten Tag an sich als Unternehmer erproben". Kühne Industrieritter also, ganz andere Typen als wohlbestallte Intendanten, Direktoren - oder das durch gut bezahlte Anstellungen abgesicherte Autorenquartett. Unternehmerrisiko trägt nur Dieter Haselbach, Geschäftsführer der Unternehmensberatung ICG.
Dieser Soziologe sieht sich außerstande, qualitative Aussagen über das Publikumsverhalten zu machen. Statt dessen beschränkt sich seine Arbeit darauf, die Erfolgszahlen der von ihm gepriesenen Kreativunternehmen alle Jahre wieder aufzulisten im teuer bezahlten "Kulturwirtschaftsbericht", etwa für Berlin, Thüringen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen.
Sehr aussagekräftig oder gar eine solide Grundlage für kulturpolitische Reformen sind diese Statistiken nicht. Auch die Laiendiagnose "Kulturinfarkt" steht auf empirisch ähnlich schwachen Füßen. Da verwundert es nicht, wenn auch diese Wirtschaftsapologeten am Ende Zuflucht suchen in der Magie und ihrem kleinen Maschinengott, dem Tablet, eine große Zukunft prophezeien. Mit diesem wie ein Amulett beschworenen und gepriesenen Universalmedium nämlich geht vielleicht nicht Kunst oder Kultur, aber auf jeden Fall die Kulturwirtschaft goldenen Zeiten entgegen:
Der Tablet-Computer eignet sich als Musikinstrument, zum Komponieren, ist ein Buch, eine Schreibmaschine oder gleich das ganze Kino. Das Ding ist "viel sozialer als ein PC", es lassen sich darauf "Anwendungsroutinen für kulturelle Zwecke" entwickeln und "pädagogische Absichten implementieren". Und Gemälde erscheinen "in hoher Auflösung", "viel detailreicher als im Museum". So zumindest sehen das die vier Kulturexperten. Und geben Anlass für eine erste Schnelldiagnose: Die Herren sind womöglich von Sinnen, zumindest aber auf mehr als einem Auge blind.
Jochen Stöckmann, Jahrgang 1956, freier Kulturjournalist, Kunst- und Architekturkritiker.
Studium Soziologie und Sozialpsychologie, Feuilletonredakteur der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", Arbeitsaufenthalte in Frankreich, Ausflüge in das 18. Jahrhundert und - nach 15 Monaten als "Bürger in Uniform" - in Militärgeschichte und -politik.
Nun aber soll alles über einen einzigen, angeblich "marktgängigen" Leisten geschlagen werden, soll dem durch Umfrageexperten und Werbestrategen konfektionierten Geschmack der Kulturindustrie folgen. Auf diese Branche, und insbesondere auf Computerspiele als, so wörtlich, "neue Form kulturellen Ausdrucks" singen die vier Infarkttherapeuten ihr Hohelied. In die Kulturindustrie sollen staatliche Kulturgelder fließen, die durch Amputation der von ihnen mit Seiten weiser Schmähkritik bedachten "Hochkultur" frei werden.
Dabei ist diese Finanzspritze völlig überflüssig. Denn die mehr als robuste Konstitution der Kulturindustrie besingen die vier Analysten mit dem Satz: "Sie ist Herstellung und Vertrieb von ästhetischen Erlebnissen in Warenform mit dem unbeugsamen Willen zum Erfolg." Verkörpert wird dieser Erfolgsdrang und -zwang von "Kulturmanagern, die vom ersten Tag an sich als Unternehmer erproben". Kühne Industrieritter also, ganz andere Typen als wohlbestallte Intendanten, Direktoren - oder das durch gut bezahlte Anstellungen abgesicherte Autorenquartett. Unternehmerrisiko trägt nur Dieter Haselbach, Geschäftsführer der Unternehmensberatung ICG.
Dieser Soziologe sieht sich außerstande, qualitative Aussagen über das Publikumsverhalten zu machen. Statt dessen beschränkt sich seine Arbeit darauf, die Erfolgszahlen der von ihm gepriesenen Kreativunternehmen alle Jahre wieder aufzulisten im teuer bezahlten "Kulturwirtschaftsbericht", etwa für Berlin, Thüringen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen.
Sehr aussagekräftig oder gar eine solide Grundlage für kulturpolitische Reformen sind diese Statistiken nicht. Auch die Laiendiagnose "Kulturinfarkt" steht auf empirisch ähnlich schwachen Füßen. Da verwundert es nicht, wenn auch diese Wirtschaftsapologeten am Ende Zuflucht suchen in der Magie und ihrem kleinen Maschinengott, dem Tablet, eine große Zukunft prophezeien. Mit diesem wie ein Amulett beschworenen und gepriesenen Universalmedium nämlich geht vielleicht nicht Kunst oder Kultur, aber auf jeden Fall die Kulturwirtschaft goldenen Zeiten entgegen:
Der Tablet-Computer eignet sich als Musikinstrument, zum Komponieren, ist ein Buch, eine Schreibmaschine oder gleich das ganze Kino. Das Ding ist "viel sozialer als ein PC", es lassen sich darauf "Anwendungsroutinen für kulturelle Zwecke" entwickeln und "pädagogische Absichten implementieren". Und Gemälde erscheinen "in hoher Auflösung", "viel detailreicher als im Museum". So zumindest sehen das die vier Kulturexperten. Und geben Anlass für eine erste Schnelldiagnose: Die Herren sind womöglich von Sinnen, zumindest aber auf mehr als einem Auge blind.
Jochen Stöckmann, Jahrgang 1956, freier Kulturjournalist, Kunst- und Architekturkritiker.
Studium Soziologie und Sozialpsychologie, Feuilletonredakteur der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", Arbeitsaufenthalte in Frankreich, Ausflüge in das 18. Jahrhundert und - nach 15 Monaten als "Bürger in Uniform" - in Militärgeschichte und -politik.