"Alte Stellwerke verursachen einen sehr hohen Personalbedarf"

Jörn Pachl im Gespräch mit Julius Stucke |
Der Verkehrsexperte Jörn Pachl sieht keinen Zusammenhang zwischen der Privatisierung der Bahn und akuten Personalengpässen wie in Mainz. Problematisch seien vielmehr Altlasten aus der Zeit vor der Reform, die noch abgearbeitet werden müssten.
Julius Stucke: Die Bahn ist Garant für Pünktlichkeit. Ja, pünktlich ist die Bahn, denn pünktlich zum Wahlkampf liefert das Bahnchaos in Mainz der Politik Stoff zum Streiten. Roger Lewentz, SPD-Verkehrsminister in Rheinland-Pfalz, wirft Peter Ramsauer, Bundesverkehrsminister, Versagen vor. Ramsauer wiederum meint, Rot-Grün sei schuld, hätte die Privatisierung der Bahn damals zu schnell vorangepeitscht. Und das ließe sich jetzt lange fortführen mit den gegenseitigen Schuldzuweisungen. Ein Bahngipfel gestern und ein zweites Treffen heute sollen klären, woran liegt's und was ist zu tun.

Das wollten wir auch gerne wissen, und zwar von Jörn Pachl. Er leitet das Institut für Eisenbahnwesen und Verkehrssicherung an der TU Braunschweig und er ist Mitglied im Bahnbeirat, einem unabhängigen Gremium, das die Bahn berät und ihr auf die Finger schauen soll. Ich habe ihn vor der Sendung gefragt, ob man denn ganz einfach sagen kann, wer oder was schuld ist an der Misere.

Jörn Pachl: Man kann jetzt nur feststellen, dass es dort ein Personalmanagementproblem gibt. Es gab offenbar durch den Urlaub und durch mehrere Krankheitsfälle, dass Personal nicht mehr ausreichte, nicht ausreichend Reserven in Form von Springern, also in Form von Fahrdienstleitern, die neben ihrem planmäßigen Stellwerk auch für andere Stellwerke geprüft sind und dort hätten einspringen können. Und was da wirklich die Ursache war und wer schuld ist, kann man so aus der Ferne eigentlich nicht unmittelbar sagen. Es kann sein, dass das Personal zu knapp geplant wurde, dass man einfach keine Ressourcen hatte – also das lässt sich nicht sagen. Man kann nur feststellen, die Ursache ist eben, dass zu wenig Reserven verfügbar waren.

Stucke: Aber wenn ich ein Unternehmen führe, dann bin ich auch für das Personal zuständig, und wenn das Personal dann nicht in ausreichendem Maß vorhanden ist beziehungsweise ich bei Engpässen nicht reagieren kann, dann habe ich schlecht geplant.

Pachl: An dieser Stelle auf jeden Fall. Dort ist ein schlechtes Personalmanagement zu konstatieren, und der Vorstand hat ja auch schon Konsequenzen gezogen.

Stucke: Die Bahn sagt ja, sie suche händeringend nach Personal, findet aber keins. Glauben Sie das?

Pachl: Ja, das stimmt in gewisser Weise schon. Man hat zwar seit etwa zwei Jahren eine sehr erfolgreiche Kampagne zur Gewinnung junger Leute laufen, die auch sehr großes Feedback findet. Also man findet jetzt schon eine ganze Reihe von jungen Leuten, die interessiert sind, bei der Bahn einzusteigen. Aber bis die dann erst mal durch die dreijährige Berufsausbildung durch sind und dann noch weitere Qualifikationen gemacht haben, bis sie als Fahrdienstleiter tätig sein können, gehen auch drei, vier Jahre ins Land.

Davor war es offenbar wirklich schwierig, Leute entsprechend zu motivieren für die Bahn. Ist auch generell so, dass man also ein bisschen Probleme hat, genug Nachwuchs zu bekommen, da es einfach auch zu wenig Absolventen von den Schulen gibt. Und man muss auch sehen, dass man vielleicht dann bahnintern über die Erwachsenenqualifizierung noch Leute umschult. Aber generell ist die Personalsituation schon angespannt, nicht nur bei Fahrdienstleitern, sondern bei vielen Berufen. Also es gibt nicht genug Ressourcen, um dort hinreichend Personal kurzfristig zu rekrutieren.

Stucke: Sie sagen, Umschulen sei vielleicht eine Möglichkeit – ist das denn so einfach möglich, vom Schaffner zum Stellwerksexperten – ist das die Sicherheit gewährleistet, wenn ich jetzt einfach von einer Position auf die andere umschule? Und geht das denn auch schnell?

Pachl: Schnell geht es natürlich auch nicht, aber es geht etwas schneller als die komplette Berufsausbildung von drei Jahren, wenn man schon Vorkenntnisse im Bahnbetrieb hat. Aber es ist sicherlich nicht in wenigen Wochen getan. Das ist schon ein entsprechender Aufwand. Aber auch da stellt sich die Frage, ob man da genug Potenzial überhaupt hat, ob es dann die Leute nicht wieder woanders fehlen.

Stucke: Das heißt, wenn wir es über die Frage des Personals nicht schnell, vielleicht sogar gar nicht so richtig lösen können, wie kann man das Problem denn dann lösen?

Pachl: Eine weitere Strategie, die man verfolgen muss, ist, dass man ältere Sicherungsanlagen, also alte Stellwerke, die wir noch in großer Zahl auch im Einsatz haben, durch moderne elektronische Stellwerke ablöst, denn diese alten Stellwerke verursachen einen sehr hohen Personalbedarf. Und je schneller es gelingt, diese Alttechnik durch moderne Anlagen zu ersetzen, desto mehr wird auch der Personalbedarf absinken, und dann entspannt sich auch die Personalsituation.

Das geht aber auch wieder nicht von heute auf morgen. Es ist mit sehr großen Investitionen verbunden und ist auch ein längerer Prozess, sodass hier kurzfristig eigentlich man nur versuchen kann, zu schauen, wo sind kritische Regionen, wo vielleicht besonderer Personalmangel besteht, man versuchen muss, dort gezielt Leute hinzuschicken. Alle anderen Maßnahmen greifen eher längerfristig.

Stucke: Jörn Pachl von der TU Braunschweig. Ich habe es vorhin gesagt, Sie sind Mitglied im Bahnbeirat, ein unabhängiges Gremium, das die Bahn berät. Was raten Sie denn dann jetzt der Bahn?

Pachl: Ja, was ich gerade gesagt habe, sich also konzentriert um Nachwuchskräfte zu bemühen, was aber zurzeit auch schon läuft. Also an sich hat man schon die richtigen Entscheidungen vor etwa zwei Jahren getroffen, aber das dauert eben einige Jahre, bis es greift. Man ist auf jeden Fall auf dem richtigen Weg und muss natürlich auch sehen, dass die lokalen Personalmanager, wenn so eine Situation sich abzeichnet wie in Mainz, etwas früher vielleicht Alarm schlagen, dass man also schon eingreifen kann, bevor so eine Situation auftritt.

Stucke: Das heißt, die Bahn war zu langsam?

Pachl: Insgesamt hätte man mit der Nachwuchsgewinnung etwas früher angreifen müssen.

Stucke: Könnte es sein – Sie haben ja im Bahnbeirat auch Einblick in die ganzen Diskussionen –, dass Börsengang, Privatisierung, Sparzwang, dass das alles diese Situation verschlimmert hat, weil man eben auf viele Fragen gar nicht die richtigen Antworten geben wollte, weil das alles Geld gekostet hätte? Also in Personal investieren, in Ausbildung investieren, in moderne Technik, Sie haben es vorhin gesagt, investieren. Das alles kostet Geld ... dass man das einfach nicht wollte?

Pachl: Na, auf der einen Seite muss man schon sagen, dass nach der Bahnreform eigentlich sehr viel in moderne Technik investiert wurde, also gerade, was elektronische Stellwerke anging. Das ist eher früher so ein bisschen vernachlässigt worden, die Modernisierung der Stellwerke, das geht jetzt eigentlich schon relativ gut voran, aber man würde sich wünschen, dass es noch etwas zügiger geht. Da werden eigentlich eher so Altlasten aus der Vergangenheit abgearbeitet, die noch aus der Zeit von vor der Bahnreform stammen.

Beim Personal habe ich nicht so den Überblick, da könnten die Gewerkschaften sicherlich was dazu sagen, denn ein guter Indikator für die Personalausstattung ist immer die Menge der Überstunden, die Leute vor sich herschieben. Da habe ich aber keine Zahlen. Aber insgesamt sehe ich so einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Bahnreform und den Ereignissen der letzten Jahre und der aktuellen Situation unmittelbar nicht.

Stucke: Und Ihre Prognose für die Menschen in Mainz und Umgebung? Wie lange dauert es, bis der akute Zustand da gelöst ist?

Pachl: Ja, das wird unter anderem davon abhängen, wie schnell es der ärztlichen Kunst gelingt, die Kranken wieder zurückzuholen. Dann können die wieder aufs Stellwerk, und dann geht es weiter.

Stucke: Schön. Wir müssen also einfach nur hoffen.

Pachl: Vielleicht geht es ja ganz schnell.

Stucke: … meint Jörn Pachl, Leiter des Instituts für Eisenbahnwesen und Verkehrssicherung an der TU Braunschweig.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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