Alte und neue Techniken politischer Kommunikation

Wie drücken wir unsere Botschaft durch?

Die SPD wirbt mit einem Foto von Willy Brandt und der Aussage "Deutsche wir können stolz sein auf unser Land" und "Wählt Willy Brandt" vor den Bundestagswahlen 1972 für Stimmen. Ein Plakat zeigt den SPD-Politiker Wilderich Freiherr Ostmann von der Leye.
Die SPD wirbt mit einem Foto von Willy Brandt und der Aussage "Deutsche wir können stolz sein auf unser Land" und "Wählt Willy Brandt" vor den Bundestagswahlen 1972 für Stimmen. © picture-alliance / dpa / Alfred Hennig
Von Johannes Nichelmann |
Früher bearbeiteten Polit-Strategen Presse und Medien. Seit Obama und Trump funktionieren politische Kampagnen ganz anders. Wie gewannen Kohl und Brandt damals Wahlen, worauf setzen Politiker heute? Ein Feature über politische Kommunikation.
Reporter: "Sie hören die Willy-Willy-Rufe der in strömendem Regen Versammelten, die unverdrossen ausharren, um den Sieger dieses Tages, den Wahlsieger Bundeskanzler Willy Brandt, ihre erste Ehre zu erweisen."
Albrecht Müller: "Ich war, wenn ich mich recht erinnere, zuerst auch im Bundeskanzleramt. Aber nur ganz kurz. Dann bin ich in das SPD-Hauptquartier. Dort waren alle Mitarbeiter versammelt und dann kam Willy Brandt."
Willy Brandt: "Was wir miteinander geschaffen haben, ist gut für die deutsche Demokratie!"
Albrecht Müller: "Dann kam er quer durch alle Reihen und bedankte sich bei mir. Das war schon ein bewegendes Ereignis. Klar. Der wusste auch ganz genau, was er für einen Anteil hat und was die Mitarbeiter für einen Anteil haben und was ich als der planende Kopf für einen Anteil hatte."
Albrecht Müller war der Wahlkampfstratege von Willy Brandt. Der 78-Jährige erinnert sich an den Tag, an dem sein Chef die Wahl gewann: am 19. November 1972. Brandts SPD kam auf 45,8 Prozent – es war der bis heute größte Wahlerfolg der Sozialdemokraten bei einer Bundestagswahl. Seit 1969 regierte die SPD in Bonn. Der Sieg 1972 war der erste echte Wahlsieg. Erfolg einer Wahlkampagne, die herkömmliche Muster politischer Kommunikation aufbrach.
Das Bild zeigt den Publizisten und Politikberater Albrecht Müller im Portrait während einer Diskussionsveranstaltung.
Publizist und Politikberater Albrecht Müller© imago
Reporter: "Sie stellen sich dar als die treibende Kraft in Deutschland. Sie wollen alte Zöpfe abschneiden."
Was damals modern war, ist heute veraltet. Wie konnte die Politik damals, wie muss sie heute ihre Botschaften und Inhalte vermitteln? Stimmung machen für die eigene Politik? In diesem "Zeitfragen"-Feature begegnen wir Politstrategen von damals und heute.
Regierungskrise im Sommer 1972. Noch regiert die sozial-liberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt. Die Wirtschaftspolitik stößt auf Kritik. Der beliebte Finanzminister Karl Schiller tritt zurück und wendet sich gegen die Regierung.
Ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Brandt scheitert, aber die Regierung Brandt-Scheel hat keine Mehrheit mehr, Neuwahlen sind unausweichlich. Und das, obwohl die neue Ost- und Entspannungspolitik noch nicht in trockenen Tüchern ist und das Versprechen, innenpolitische Reformen voranzubringen, noch lange nicht eingelöst wurde. Wie kann eine Regierung in solch einer Situation für ihre Politik werben? Vor dieser Frage stand Albrecht Müller, als er sich im Frühsommer 1972 Gedanken über die Wahlkampfstrategie für Brandt machte.
Albrecht Müller: "Daraus wurde ein Drehbuch. Und dieses Drehbuch habe ich dann an die Führungsspitze der SPD verschickt. An Willy Brandt, an Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Heinz Kühn und dann hat Willy Brandt sich gemeldet und hat gesagt, ich soll doch mal vorbei kommen, und dann haben wir den ganzen Nachmittag eine Kampagne nach der anderen durchgegangen."
CDU und CSU scheinen übermächtig. Anonyme Unternehmer haben für Millionen D-Mark Anzeigen geschaltet, die zur Wahl des Unions-Herausforderers Rainer Barzel auffordern. Die SPD ist im Umfragetief. Das ist die Ausgangslage für Albrecht Müller.
Albrecht Müller: "Wir müssen eine Gegenöffentlichkeit gegen die 'BILD-Zeitung' und gegen das 'ZDF-Magazin' und was da sonst noch an Medien waren. Wir müssen diese Medienbarriere überwinden. Wir müssen Menschen gegen das große Geld in Bewegung setzen."

Früher ließen sich Presse, Funk und Fernsehen nicht umgehen

Brandt geht es 1972 ähnlich wie Obama 2008: Er hat ein Problem mit dem Gros der herrschenden Medien. Aber anders als das Obama-Team 2008 hat Brandts Team 1972 nicht die Möglichkeit, mit Hilfe digitaler Kommunikation Presse, Funk und Fernsehen zu umgehen. In Anzeigen und Fernsehauftritten fragt die SPD den Herausforderer Barzel, was dieser seinen Gönnern für deren Investitionen in den Wahlkampf versprochen habe. Brandts Wahlkampfteam rückt den Spitzenkandidaten in den Mittelpunkt – Brandt, der Popstar. "Willy wählen"-Aufkleber für Autos werden verteilt, Prominente von Günter Grass bis Inge Meysel werben für ihn auf eine Weise, wie heute Fußballstars eine Marke bewerben. Der Wahlkampf setzt auf Emotionen.
Sprecher: "Das ist Friedrich Gipser. 93 Jahre alt, selbstständiger Handwerksmeister aus Krefeld."
Friedrich Gipser: "Adenauer habe ich sehr geschätzt. Aber diese Rosen sind für Willy Brandt. Der uns den Weltfrieden bringt."
Willy Brandt: "Vielen Dank für die Rosen und herzlichen Dank allen, die mir in diesen Wochen geholfen haben."
Albrecht Müllers Team wagt den Spagat, offensiv politische Botschaften zu verkaufen und zugleich mit Gefühl für den Spitzenkandidaten zu werben – und ist erfolgreich damit: Die SPD wird erstmals stärkste Partei.
Bei den Unionsparteien stehen die Initialen PR für Peter Radunski. Der heute 78-Jährige hat von 1976 bis 1990 die Wahlkämpfe von Franz-Josef Strauß und Helmut Kohl geleitet. 1983 wirbt er erstmals für Kohl als Kanzler. NATO-Doppelbeschluss, NATO-Nachrüstung: das sind die heißen Themen, die die Republik bewegen. Radunski hat in diesen aufgeregten Zeiten sein Gespür für strategische Kommunikation in der Politik entwickelt.
Peter Radunski: "Sie können keine Stimmung machen, wenn es nicht irgendwas Virulentes gibt. Das merken Sie jetzt ja auch. Seit die AfD da ist und das ist fast ihr Verdienst, haben wir plötzlich mehr Politisierung, haben wir mehr Wahlbeteiligung und natürlich kommt das auch aus der Welt um uns herum, und das alles bedeutet, dass, wenn es eine politische relevante Situation gibt, in der auch Polarisierung, Diskussionen da sind, dann können Sie auch Wahlkampfstimmung machen."
Der ehemalige Wahlkampfmanager der CDU, Peter Radunski
Der ehemalige Wahlkampfmanager der CDU, Peter Radunski© imago stock&people
Helmut Kohl: "Dass wir mitten im heißen Wahlkampf zur Bundestagswahl 1983..."
In der CDU Wahlkampfzentrale wird hitzig debattiert. Der Kalte Krieg ist neu entfacht und viele haben Angst vor einer militärischen Eskalation. Doch Peter Radunski stellt ein anderes Thema in den Mittelpunkt: die Wirtschaft. Es ist das Thema, an dem die Regierung unter Helmut Schmidt 1982 gescheitert ist. Der wirtschaftsliberale Koalitionspartner FDP ließ den Kanzler fallen. Wie Albrecht Müller 1972 offensiv Themen setzte und für Brandt warb, so wirbt Peter Radunski 1983 ebenfalls mit einer thematischen Offensive für den neuen Kanzler. Ein Wahlwerbespot 1983::
Sprecher: "Die CDU greift die Fragen der Bürger auf. Hier ist es Minister Geißler, der antwortet."
Anrufer: "Peter Förster hier, Offenbach. Herr Minister Geißler, ich hätte eine Frage an Sie. Früher haben Sie der SPD vorgeworfen, sie betreibe Rentenbetrug und Haushaltslüge und heute wirft man der SPD die Mietenlüge vor. Was verstehen Sie überhaupt darunter?"
Heiner Geißler: "Ja, erst will ich Ihnen ein Beispiel erzählen. Die Hamburger SPD hat..."
Peter Radunski: "Früher hieß es immer: 'all politics ist local' – also die allgemeine Umwelt in der lokalen, regionalen Nähe spielt eine Rolle. Und da kann noch soviel auch Weltpolitik... erst wenn die sehen, die Söhne müssen an die Front und so, dann ist die Politik da. Seit vielleicht... ja, seit der Obama-Ära sagt man in Amerika 'all politic is personal'. Und das haben wir jetzt erfahren mit der AfD. Mir geht’s nicht schlecht und ich sehe das nicht ein und das ist nicht für mich und da wird gar nicht an mich gedacht und so weiter. Das ist ein interessanter Punkt, nicht. Sie müssen in ganz anderer Art und Weise sich wieder um die Leute kümmern."
Bundeskanzler Helmut Kohl, aufgenommen 1983
Bundeskanzler Helmut Kohl, aufgenommen 1983© dpa / Peter Popp
Kohl gewinnt 1983 und bleibt Kanzler. Bei der Bundestagswahl 1990 ist die Stimmung nicht mehr so euphorisch. Viele spüren, dass der nun beginnende Prozess der Wiedervereinigung mühevoll wird. Wie kann man in einer solchen Situation die Menschen erwartungsfroh stimmen? So verspricht Kohl zu den ersten gesamtdeutschen Wahlen "blühende Landschaften". Ein waghalsiges Versprechen.
Helmut Kohl: "Wenn wir die Ärmel hochkrempeln. Wenn die Menschen hier bereit sind hart zu arbeiten, das werden sie tun. Und wenn wir..."
Peter Radunski: "Wie weit es bei ihm geplant war, er hat ja sehr selten aus Redemanuskripten gelesen. Er hat immer so ganz dicke, große Stichworte gehabt."
Helmut Kohl: "...dann wird Sachsen und Sachsen-Anhalt und Thüringen und Brandenburg in drei, vier, fünf Jahren blühende Landschaften in Deutschland sein. Warum auch nicht? Das ist die Frage, die ich ganz einfach stelle."
Peter Radunski: "Die einen haben an die Arbeitslosigkeit und an soziale Schwierigkeiten gedacht, die längst nicht abgestellt sind. Die anderen haben an den Aufbau gedacht und da sieht man natürlich neue Häuser, bessere Straßen."
Autor: "Sind diese Sätze deswegen wertvoll, weil sie eben von allen verschieden interpretiert werden können?"
Peter Radunski: "Ja! Die Kunst ist ja immer, etwas zu sagen, wo andere auch Dinge hinein projizieren können, an die Sie vielleicht nicht so unbedingt denken. Denn sie wollen ja bei den großen Parteien, wo man ja doch, früher noch über 40, heute über 30 gehen will, ist ja immer noch eine ganze Menge Holz, da können Sie nicht mit einem Satz die Stimmung aller treffen. Das ist eben deswegen ganz gut, wenn solche Sachen gesagt werden. 'Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört' und all solche Geschichten sind nicht schlecht. Oder: 'Deutsche, Ihr könnt stolz sein auf unser Land', Brandt 1972. Super!"
Albrecht Müller: "'Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land'. Die Urfassung hieß 'Deutsche, wir können stolz sein auf Willy Brandt'. Mit diesem Slogan, schon auf ein Plakat draufmontiert, sind wir, Harry Walter, der Wahlkampfmanager der Agentur, und ich zu Willy Brandt gegangen, in sein Kanzler-Büro. Da hat der gesagt, Ihr seid ja verrückt! Könnt doch nicht... könnt doch nicht schreiben 'Deutsche, wir können stolz sein auf Willy Brandt!', geht doch nicht! Ist doch peinlich für mich. Dann hat er diese Variante erfunden: 'Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land.'
Das löst natürlich ganz verschiedene wichtige Gefühle aus. Erst einmal da drüber dick 'Deutsche' ist für die Menschen völlig ungewohnt, dass das von den Sozialdemokraten kommt. Ja. Dass die auch noch sagen können, wir können stolz sein auf unser Land, ist völlig überraschend. Und solche Überraschungen in einer politischen Aussage lösen dann, wenn das nicht negativ belastet ist, positive Gefühle aus. Oder überhaupt Gefühle, zunächst einmal."

Herz und Kopf ansprechen

Peter Radunski: "Und ich sag dann immer, es darf keine schiefe Schlachtordnung zwischen Herz und Kopf geben. Man muss die Fakten sagen, aber auch dabei erklären, was das für den einzelnen bedeutet. Also das wird die große Kunst. Das ist uns dadurch gelungen, dass wir früher in den Milieus verhaftet waren. Das waren die kirchlichen Gruppen, das waren Vereine, das waren die Landfrauen. Und, und, und. Und umgekehrt die SPD genauso mit ihren Gewerkschaften usw. Ist alles nicht mehr da. Praktisch läuft der Wähler, wenn ich es übertreiben darf, vereinzelt rum und Sie müssen sich ihn irgendwo catchen. Und das ist nicht so einfach."
Autor: "Haben Sie eine Idee, wie das gehen soll?"
Peter Radunski: "Naja, dass sie jetzt erstens Mal verständlicher sprechen. Wird schon seit 20 Jahren gesagt, aber jetzt ist es da. Das ist gar kein Zweifel und dass sie auch sehr viel mehr wieder zum Wähler selbst gehen und mit ihm sprechen. Die Massenmedien haben eben den Transfer des Vertrauens, des Denkens, des politischen Wollens an die Wähler nur bedingt geschafft. Ja?
Das ist kein Vorwurf, sondern das ist so und wir sind wieder bei der alten Form der politischen Kommunikation: 'Menschen bewegen Menschen' und das freut mich also maßlos, ja. Dass es keine Technik gegeben hat, die das ersetzen kann."
Es gibt offenbar Konstanten in der politischen Kommunikation, obwohl die Digitalisierung die Massenkommunikation grundlegend verändert hat. In den USA bezieht heute fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler Informationen über die sozialen Medien. Auch in Deutschland werden sie für die politische Kommunikation immer wichtiger. Vor allem die Parteien, die besonders klare und einfache Botschaften verbreiten, haben die meisten Facebook-Follower. Die AfD liegt mit knapp 320.000 Likes auf Platz 1. Gefolgt von den Linken mit 186.000 Followern und der CSU mit 166.000 Likes. Erst dann kommen SPD, CDU, Grüne und FDP. Auf Facebook befinden sich vermutlich vor allem die Mittelalten und Älteren. Genaue Zahlen veröffentlicht der US-Konzern nicht.
Aber klar ist: nachwachsende Generationen sind längst auf anderen Plattformen, wie Snapchat. Einer App, auf der Videos und Nachrichten geteilt werden können, die nach einer gewissen Zeit auch wieder verschwinden. 158 Millionen Menschen weltweit nutzen Snapchat.

Sollten Politiker anfangen zu snapen?

Snapchat wird vor allem von Menschen unter 30 Jahren genutzt. Wie sollen die Parteien diese Zielgruppe der jungen Wählerinnen und Wähler über diese Medien erreichen? Sollten die Generalsekretäre anfangen zu snapen? Haben sie überhaupt etwas auf dieser Plattform verloren? Der Politikwissenschaftler Christoph Bieber von der Universität Duisburg-Essen:
Christoph Bieber: "Es gibt eigentlich nicht wirklich Gebrauchsanweisungen, was kann und was soll ich damit machen? Und wenn es politischen Akteuren gelingt, die eine oder andere Plattform auch mal gegen die vermutete Hauptnutzung zu verwenden, kann man da auch gute Erfolge mit feiern."
Autor: "Ich sehe gerade schon Junge-Unions-Mitglieder, wie sie snapchatten vom Parteitag und super cool sind."
Christoph Bieber: "Man kann es auch durchaus positiv auslegen und sagen, naja, wenn wir es nicht versuchen, dann verweigern wir uns einer bestimmten Form von Modernisierung von Kommunikation. Wenn man es nicht macht, wird man dafür auch gescholten werden. Muss man nur zurückdenken, an die ersten Twitter-Tage in Deutschland, als ein junger SPD-Vertreter den demokratischen Parteitag - ich glaube, in 2007 müsste es gewesen sein - besucht hat und dann getwittert hat, wurde er erst mal auch von den etablierten Medien mehr oder weniger ausgelacht."
Gemeint ist der damalige SPD Generalsekretär Hubertus Heil, der vom Parteitag der US-Demokraten aus Denver (Anm. d. R.: im Jahr 2008) twitterte. Der Journalist Carsten Matthäus schrieb in der "Süddeutschen Zeitung":
"Die schlechte Nachricht: Heil hat nichts zu melden, gar nichts. Ein Beispiel: 'Themen sind Armutsbekämpfung und Klimawandel. Joschka ist Moderator, Clinton hielt Impulsreferat. Kernthese: gute Absichten reichen nicht'."
Niemand ahnte damals, dass eines Tages ein US-Präsident genau so seine Kommunikation steuern würde. Immerhin betreibt die Bundesregierung seit Jahren einen eigenen YouTube-Kanal. Wenngleich Videos wie "Merkel: Zuschüsse für neue Heizungsanlagen abrufen!" nicht für große Reichweite sorgen.
Barack Obama: "In this election, at this defining moment change is come to America!" (Applaus)
Als Barack Obama 2008 in das Amt des US-Präsidenten gewählt wird, liegt ein besonderer Wahlkampf hinter ihm. "Yes we can" wird zur Formel der Hoffnung. Gegen den Irak-Krieg und gegen Guantanamo. Facebook und Co. werden zum ersten Mal intensiv als Wahlkampfplattformen genutzt. Aber sie waren schon damals nicht das Allheilmittel sagt der Politikberater Julius van de Laar.
Julius van de Laar: "Dieses Argument, Obama hätte in den sozialen Netzwerken gewonnen, ist völliger Unsinn. Obama hat damals gewonnen, weil der den Nerv der Zeit erwischt hat. Weil er eine Bewegung gegen George W. und die katastrophale Politik von acht Jahren... und man dazu sagen muss, dass Obama der Katalysator war, genau diese Bewegung auch zu analysieren und letztendlich auch ins Weiße Haus zu tragen."
Der Politikwissenschaftler Julius Van der Laar (rechts hinten) im Wahlkampf für Barack Obama im Jahr 2008
Der Politikwissenschaftler Julius Van der Laar (rechts hinten) im Wahlkampf für Barack Obama im Jahr 2008© dpa / picture alliance / Jonathan Schmidt
Julius van de Laar, damals 25 Jahre alt, gehörte zum Wahlkampfteam von Obama. Sein Job: für den Demokraten werben, Spenden sammeln und Wählerinnen und Wähler zum Wahlgang animieren. Heute berät Julius van de Laar Politikerinnen und Politiker in Deutschland in Sachen Kommunikation.
Autor: "Jetzt bin ich Bundeskanzler und will meine Botschaften durchdrücken. Will, dass meine Gesundheitsreform... Wie kriege ich das jetzt durch?"
Julius van de Laar: "Ich glaube, es geht im Endeffekt weiter, dass einfach weiter auch Kampagne gemacht wird. Ich glaube, diese Zeiten von Kampagne und Wahlkampf und dann regieren sind vorbei. Wir leben auch mittlerweile in Deutschland in einem 24-Stunden-Nachrichtenzyklus, wo Nachrichten auch gefüttert werden wollen. Wählerinnen und Wähler zu Hause wollen wissen, was passiert. Aber vor allem die Nachrichten. So, wir müssen Nachrichten produzieren. Dementsprechend würde ich Sie sofort wieder rausschicken aus Berlin und sagen, der Wahlkampf geht weiter!"
Sobald die öffentliche Meinung einbricht, wird regieren schwierig. Obama spürt dies beim Versuch seine Gesundheitsreform "Obama-Care" durchzusetzen. Angela Merkels Umfragewerte brechen im Zuge ihrer Flüchtlingspolitik ein.
Julius van de Laar: "Die Kanzlerin der letzten Legislaturperiode war natürlich auch extrem getrieben durch externe Faktoren. Griechenland und die Eurokrise als den einen Punkt, natürlich auch die Flüchtlingskrise im anderen Punkt, wo, glaube ich, eine innenpolitische Agenda nicht mehr nachvollziehbar war, weil es einfach nur noch getrieben war und nicht mehr selber handelnd war."
Dennoch: auch die Kanzlerin hat eine Kernbotschaft. Deutschland geht es gut. Deutschland ging es nie besser. Die wachsende Schere zwischen arm und reich, Altersarmut und prekäre Jobmöglichkeiten für junge Menschen sind kein Thema.

Gerhard Schröder als selbstbewusster Herausforderer

Erst wenn sich eine spürbare Wechselstimmung ausbreitet, gibt es die Chance, dass die Regierungspartei abgelöst wird: das haben Politikwissenschaftler bei den Machtwechseln der vergangenen Jahrzehnte festgestellt.
In solch einer Situation kommt es darauf an, wie der Herausforderer auftritt. Im Jahr 1998 hatte Helmut Kohl sechszehn Kanzlerjahre auf dem Buckel. Die SPD-Opposition stellt dagegen einen selbstbewussten Herausforderer in den Mittelpunkt: Gerhard Schröder.
Gerhard Schröder (SPD-Wahlwerbung, 1998): "Als Kanzlerkandidat wird man immer wieder gefragt: Warum machst Du eigentlich Politik? Für mich ist Politik viel mehr als ein Job. Der eigentliche Antrieb sind die persönlichen Visionen."
Matthias Machnig: "Gerhard Schröder ist auf einer Insel und Sie sehen sehr viele Bilder. Diese Insel, den Sand, das Wasser..."
Gerhard Schröder (SPD-Wahlwerbung, 1998): "Dafür werde ich mich einsetzen."
Matthias Machnig: "... und Sie sehen einen Gerhard Schröder, der sich noch einmal Rechenschaft darüber ablegt, warum er eigentlich Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden will."
Matthias Machnig war damals der Wahlkampfstratege für Gerhard Schröder. Heute ist er Staatsekretär im SPD-geführten Bundeswirtschaftsministerium.
Matthias Machnig: "Meine politische Karriere oder mein politisches Engagement bestand immer darin, Mehrheiten für die SPD zu organisieren und dann 1998 dabei gewesen zu sein, das war schon was Besonderes."
Die SPD holt mit Gerhard Schröder an der Spitze ganze 40,9 Prozent. Zum ersten Mal seit dem Brandt-Sieg 1972 stellt die Partei die stärkte Bundestagsfraktion. Vier Jahre später wird es nur noch ein knapper Vorsprung zum Unions-Herausforderer Edmund Stoiber. Die Arbeitslosigkeit steigt, Deutschland steckt in einer strukturellen Wirtschaftskrise.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und der Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter der SPD, Matthias Machnig (r.), stehen neben einem Plakat für die Bundestagswahl, das Schröders Konterfei zeigt.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und der Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter der SPD, Matthias Machnig (r.)© picture-alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Gerhard Schröder, 2003: (Applaus) "Ich möchte Ihnen heute Punkt für Punkt darlegen, welche Maßnahmen nach Überzeugung der Bundesregierung vorrangig ergriffen und umgesetzt werden müssen."
14. März 2003. Die Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder versucht, die Probleme zu lösen, indem sie das härteste Reformprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik in Angriff nimmt: eine Reform des Sozialsystems, bei dem tiefe Einschnitte vorgenommen werden.
Gerhard Schröder, 2003: "Wir werden, meine sehr verehrten Damen und Herren, Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen."
Ein politisches Desaster. Und ein Kommunikationsdesaster. Denn CDU/ CSU, FDP und Grüne tragen die Reformen zum größten Teil mit, aber verantwortlich gemacht werden fast ausschließlich die Sozialdemokraten. Das Hartz-Reformwerk ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich eine Regierungspartei ruinieren kann, wenn sie ein heikles Regierungsprojekt ohne ausgefeiltes Kommunikationskonzept angeht. Wolfgang Clement war damals in der rot-grünen Koalition Super-Minister für Wirtschaft und Arbeit. 2013 erinnert er sich:
Wolfgang Clement: Ja. Wenn Sie etwas haben, was den Menschen viel abverlangt, ist es schwierig mit 'zu verkaufen'. Wir hatten keine Wohltaten zu verkaufen, sondern wir haben den Menschen etwas abverlangt. Dass das Ganze dann zu Hartz geworden ist und Hartz-Gesetz und Hartz IV, das haben wir ja nicht gewollt, sondern wir waren da vielleicht ein bisschen, ein bisschen auch ein bisschen zu, zu stieslig. Ein bisschen zu stur, um da eine bessere Kommunikation zu erzeugen."
Willy Brandts Berater Albrecht Müller: "Das ist so anti-sozialdemokratisch, das können Sie nicht kommunizieren. Da müssen Sie ja die Hälfte der Wähler austauschen. 'Soziale Sicherheit ist das Vermögen der kleinen Leute' – das war eine der wichtigsten, schönen Botschaften von Helmut Schmidt. Die haben kein anderes Vermögen, aber sie haben soziale Sicherheit. Die nehmen sie ihnen mit Hartz IV weg. Da können Sie doch nicht kommunizieren."

Schröders Rede im Bundestag Beginn der Agenda-Debatte

Matthias Machnig, Schröder-Berater bei der Wahl ´98, meint:
"Na, ich sag ja ganz offen: wichtige Entscheidungen brauchen einen Vorlauf. Brauchen einen Verlauf. Ich glaube, die Agenda-Debatte hat eines gezeigt. Es gab diesen Vorlauf nicht und deswegen hat die SPD sich auch viele Jahre sehr, sehr schwer getan. Ja."
Autor: "Warum hat es denn damals keinen Plan gegeben? Warum…"
Matthias Machnig: "Das müssen Sie andere fragen. Ja, weil dann 2003 der Eindruck entstand, es muss jetzt gehandelt werden und dann hat Gerhard Schröder eine Rede im Deutschen Bundestag gehalten und das war der Beginn der Agenda-Debatte. Die Rede. Und ich glaube, es gab keine Debatte, die das sozusagen vorbereitet hat."
Autor: "D.h. heute würde man versuchen, eine erste Debatte zu..."
Matthias Machnig: "Das Flüchtlingsthema war jetzt ein Beleg, dass es nicht so ist. Auch heute."
Anfang der 70er-Jahre ging es nicht weniger turbulent zu, als Willy Brandt seine heiß umstrittene neue Ostpolitik durchsetzen wollte. Denn die brach Tabus: die DDR wurde nicht mehr ignoriert, sondern als real existierender Staat ernst genommen. Für viele empörend. Und noch schlimmer: Brandt nahm Millionen Vertriebenen die Hoffnung, dass sie einst wieder in ihre alte Heimat, in die ehemaligen deutschen Ostgebiete, zurückkehren können. Für den damaligen Wahlkampfmanager und Planungschef im Bundeskanzleramt, Albrecht Müller, war die intensive gedankliche und kommunikative Vorbereitung entscheidend für den Erfolg:
Albrecht Müller: "Eine der größten Strategien, die sich Politiker je in Europa ausgedacht haben – es ist ein Musterbeispiel für eine Langfriststrategie zu sagen: 'Wandel durch Annährung'. Wir wollen einen Wandel im Osten erreichen – in Polen, in Russland, in der Sowjetunion, in Tschechien und so weiter – dadurch, dass wir die Konfrontation abbauen. Und dies ist in den 50er-Jahren entwickelt worden, im Kreis von Willy Brandt und dann 1963 von Egon Bahr in Tutzingen bekannt gemacht worden. Also zwei Jahre nach dem Mauerbau."
Dieser Gedanke musste populär gemacht werden: die Idee, nationale und internationale Entspannung zu bekommen und im Gegenzug auf anachronistisch gewordene Ansprüche zu verzichten. Anerkennung der bestehenden Grenzen. Brandt setzt sich mit seiner ganzen rhetorischen Kraft dafür ein, seine Landsleute davon zu überzeugen, dass der Gewinn ungleich größer ist als der Verzicht.
Und er setzt ein emotionales Zeichen, das bis heute in Erinnerung ist: der Kniefall von Warschau im Dezember 1970.
Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) während des Kniefalls vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettos in Warschau im Jahr 1970
Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) während des Kniefalls vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettos in Warschau im Jahr 1970© imago/Sven Simon
Albrecht Müller: "Wir wussten, das Menschen sehr verschieden sein können. Sie können bei Menschen die verschiedensten Emotionen ansprechen. Die verschiedenen Haltungen. Die verschiedensten Entscheidungen ansprechen. Wir nannten das dann später in der Planung für Brandt und Schmidt im innenpolitischen Bereich: man muss bei den Menschen auch die altruistische Seite ansprechen. Also nicht die egoistische, nicht die harte, die feindselige. Sondern die friedliche Seite ansprechen. In den Menschen ist das drin. Ja. Nicht in allen. Es gibt verhärtete Menschen, da hilft nichts."
War der Kniefall kalkuliert, um die Öffentlichkeit zu beeindrucken und für das Projekt Ostverträge Stimmung zu machen?
Albrecht Müller: "Der Kniefall von Brandt ist nicht gemacht worden, damit wir so argumentieren können. Damit das mal klar ist. Aber natürlich ist es so, dass dann die Bilder von diesem Kniefall in den Fernsehspots diese Szenen dann zeigen. Ist ja klar. Um zu zeigen, wie das funktioniert hat und welchen großen Erfolg das gehabt hat."
… in einer Zeit, in der das Wort Twitter noch nicht im Duden stand.
Donald Trump: "You are Fake-News!"
Wenn Willy Brandt mit gekonnter Rhetorik und Symbolik erfolgreich die friedliche Seite des Menschen angesprochen hat, dann spricht er erfolgreich eine andere Seite des Menschen an: Donald Trump. Die Kommunikationslandschaft hat sich grundlegend verändert, er braucht keine teuren Fernsehspots, er hat Twitter und versteht es meisterhaft, mit seinen Tweets kostenlose Sendezeit auf allen Kanälen des Erdballs zu bekommen.
Im Jahr 2016 werden die Fake-News, die alternativen Fakten, zum geflügelten Begriff. Auch in der politischen Kommunikation. Politikwissenschaftler Christoph Bieber:
Christoph Bieber: "Was wir mit den Fake-News Diskussionen der jüngeren Tage, und da ist denke ich die US-Präsidentschaftswahl wieder so eine Zäsur, verbinden, ist ja, dass es gewissermaßen ein systemisches Ausnutzen verschiedener Kommunikationsstrukturen und Möglichkeiten gibt, die dazu instrumentalisiert werden, um ganz gezielt Stimmung zu machen und ganz zielgerichtet Menschen von einer Position zu überzeugen, koste es, was es wolle."
Autor: "Haben Sie 'Fake-News' eingesetzt?"
Peter Radunski: "Nein! Nein, das haben wir nicht. 'Fake-News', soweit wir es überblicken können, nie. Aber wir haben einmal eine Wahrheit unterdrückt. Das war bei dem ersten gesamtdeutschen Wahlkampf `90, als wir gesagt haben, das geht ohne Steuererhöhung ab. Sie wissen ja, das kam ja dann sehr viel mehr, nicht. Es kam ja dann der Soli, den es heute noch gibt und Steuern mussten mehrfach erhöht werden. Wir brauchten ja viel, viel mehr Geld für den Aufbau. Und das war schwer. Das war natürlich auch deshalb schwer, weil der Lafontaine seine ganze Wahlkampagne darauf aufgebaut hat, Wiedervereinigung viel zu teuer, machen wir später.
Ich hab zwei, drei Interviews wie wir sie hier führen, gemacht. Das ist mir schwer gefallen. Das muss ich sagen. Und das will ich auch nie wieder machen."
Autor: "Haben Sie mit Kohl später darüber gesprochen?"
Peter Radunski: "Ja, er hat es auch bereut."
Autor: "Haben Sie auch so was mal in einem Wahlkampf oder in ihrer politischen Arbeit gemacht?"
Albrecht Müller: (Pause) "Hm... Bewusst gelogen..." (Pause) "... Ne, fällt mir jetzt nicht ein. Ich will mich da nicht rühmen, aber es fällt mir einfach nichts ein, was ich sagen könnte."
Autor: "Hätten Brandt oder Schmidt getwittert, wenn sie gekonnt hätten?"
Albrecht Müller: "Äh..." (lacht) "… also glaube nicht, dass die... bei beiden würde ich annehmen sie hätten es nicht getan."
Christoph Bieber: "Tweets von, sagen wir mal, Herbert Wehner oder Franz-Josef Strauß die hätten uns in gewisser Hinsicht, glaube ich, schon auch Freude gemacht heutzutage."
Peter Radunski: "Der Kohl hätte sicher nicht getwittert. Da bin ich ziemlich sicher. Bei Strauß bin ich nicht sicher. Weil Strauß ist ja jemand, der unglaublich Lust an Technik hatte. Der hätte bestimmt alles ausprobiert, was es da gab."
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