Hans-Christian Ströbele und sein Rad
Er ist der dienstälteste Bundestagsabgeordnete der Grünen und der einzige, der jemals ein Direktmandat für die Partei holte. Jetzt scheidet Hans-Christian Ströbele aus dem Bundestag aus, nimmt aber einen treuen Begleiter mit: sein Dienstfahrrad.
Der Lichtkegel eines Scheinwerfers huscht über die Bürotüren im Bundestagsgebäude. Ein Fahrrad rollt über den Gang. Hans-Christian Ströbele schiebt. Weiße Jeans, blaues Hemd, Handschuhe, Helm.
"Meine Neigung, einen Helm aufzusetzen, ist doch sehr eingeschränkt und bescheiden. Aber meine Frau ermahnt mich nach jeder Meldung über einen getöteten Radfahrer."
Also trägt er Helm, ihr zu Liebe. Natürlich mit Anti-Atomkraft Aufkleber. Den Weg über den Flur nimmt Ströbele immer, wenn der hintere Ausgang geschlossen ist.
"Für längere Strecken bin ich unterwegs mit Stock. Und den muss ich da ja auch unterbringen am Gepäckträger."
Fest verzurrt ragt der Stock vom Gepäckträger, einem Extrabreiten-Modell. Wie gemacht für den Aktentransport. Ob zum NSU- oder Kohl-Untersuchungsausschuss: Die Akten fuhren hintendrauf mit.
Ein altes Alu-Rad als Dienstwagen
Draußen, unter den Linden, stellt der 78-Jährige das Rad auf den Ständer. Modell "Kettler Alu", fast 20 Jahre alt, 5 Gänge, aufgerüstet mit Nabendynamo, der Lack am Rahmen abgeplatzt, die Aufkleber verblichen.
"Hier sehen sie, da steht jetzt dran 'Dienstwagen', damit jeder weiß, dass er das nicht klauen soll, weil das dienstlich benötigt wird, und dann habe ich hier so ein kleines Sofa eingerichtet, das ist mein Sattel, da ist ein echtes Lammfell drauf."
Die Stange des Herrenrades macht ihm in letzter Zeit zu schaffen. Darum hat er sich ein anderes Modell zugelegt:
"Ich hatte ein Damenfahrrad, das ist mir geklaut worden, vor drei Wochen, das habe ich benutzt weil ich da schneller auf- und absteigen kann."
Also muss sein altes Dienstfahrrad wieder ran. Ströbele lächelt. Klappt den Ständer ein. Geht einen Schritt zurück. Hebt langsam das rechte Bein über die Stange. Im zweiten Versuch klappt es.
"Wenn ich mal drauf sitze, dann bin ich einigermaßen sicher. Sicherer als zu Fuß ohne Stock."
Ströbele drückt den Rücken durch, tritt kräftig in die Pedale. Fährt Richtung Reichstag. Ein Stückchen auf dem Bürgersteig. Dann auf der Straße.
Früher Fahrradpionier des Bundestages
Wenige hundert Meter sind es bis zum Parlament. Ein SUV brettert bei Rot über die Ampel. Auf der Heckscheib ein Aufkleber: "Baby on Board". Ströbele schüttelt den Kopf. Er fährt bei Grün.
"Nach dem Umzug des Bundestages von Bonn nach Berlin war ich, ich will nicht sagen der Einzige, aber einer der ganz, ganz wenigen Abgeordneten. Da konnte ich mir mein Fahrrad hinstellen, wo ich wollte."
Auf der Ostseite des Reichstags warten die Limousinen der Fahrbereitschaft. Der wachhabende Polizist grüßt mit einem Kopfnicken.
"Inzwischen stehen hier, wenn Sitzungen sind, Tausende von Fahrrädern, und sie haben echt Parkplatznot für ihr Fahrrad."
Ströbele parkt immer am Eingang vorne links. Bei Staatsbesuchen soll sein Rad immer weg, aus Sicherheitsgründen. Weil die Limousinen aber bleiben dürfen, lässt er es manchmal auch stehen. Dann gibt es Ärger mit dem Parlamentspräsidenten, sagt er lachend.
Fahrradkuriere finden sein geklautes Rad
Von oben filmen Kameras den Vorplatz. Dass sein Fahrrad hier geklaut wurde, konnten sie nicht verhindern. 2005 war das. Ströbele war plötzlich fahrradlos. Und fahndete:
"Ich zur Polizeistelle im Bundestag und gesagt: Sie haben doch Kameras da draußen. Haben Sie da noch die Aufnahmen? Nee, sagt der, die waren nicht eingeschaltet."
Ströbeles Fahrrad machte das erste Mal Schlagzeilen. Es war Wahlkampf. Und Kanzlerin Merkel sah ihre Chance:
"Das kam in ihrer Rede immer wieder vor, dass sie die Geschichte von dem Grünen Ströbele erzählt hat, nach dem Motto, da sieht man, wie die Grünen sind, nach dem Motto, wenn es ihr eigenes Fahrrad betrifft, dann nutzen sie auch die Videoüberwachung. Da kann ich nur sagen, da bin ich voll geständig."
Das Fahrrad fanden schließlich Fahrradkuriere. Die hatte Ströbele um Mithilfe gebeten.
Büro, Bundestag, Kanzleramt, Kreuzberg - seine Strecken, jahrelang. Und immer wieder durch den Tiergarten. Morgens hin. Abends zurück.
Das Deutsche Historische Museum will sein Fahrrad
Weiter geht es. Die Ahornallee entlang. Dann auf die Straße des 17. Juni. Busse, Taxen und PKW donnern vorbei. Während der Sitzungswochen staut sich hier der Verkehr:
"Da fahre ich immer freundlich winkend an den Kollegen vorbei, die da im Dienstwagen anrollen."
In der neuen Legislaturperiode wird er nicht mehr winken. Ströbele tritt nicht mehr an. Aber er macht weiter Politik, sagt er. Der 78-Jährige überlegt, sich ein E-bike zuzulegen. Das alte Dienst-Fahrrad bekommt vielleicht einen Ehrenplatz:
"Das Deutsche Historische Museum hat schon mal nachgefragt. Ich würde ihm so einen Alterssitz gönnen. Vielleicht vermittelt es den jungen Leuten, die da durchgeschleust werden, das, was wirklich wichtig ist: Fahrrad." (lacht)