"Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Schutz nicht nötig ist"
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Vor zwei Jahren wurde Andreas Hollstein wegen seiner Flüchtlingspolitik mit einem Messer angegriffen. Doch der Bürgermeister von Altena setzt weiter auf "Mut und Haltung". In diesem Jahr kandidiert der CDU-Politiker als Bürgermeister von Dortmund.
Für seine Freunde waren es paradiesische Zustände, in denen Andres Hollstein im sauerländischen Altena aufwuchs. Schließlich waren die Eltern Inhaber eines Spielwarengeschäfts.
Was er sich wünscht, das könne er sich aus den Regalen ziehen, so die Vorstellung der Kinder. "Das war aber bei aller Liebe meiner Eltern so nicht möglich. Ich kriegte da aber Vorzugspreise. Was auch schon dazu geführt hat, dass ich eine große Carrera Bahn hatte."
Sein späterer Berufswunsch hatte im weitesten Sinne auch etwas mit Spielen zu tun. Er wollte "Europameister im Tischtennis werden". Aber der liebe Gott hat mir das Talent an Motorik nicht mitgegeben." Über Umwege kam Andreas Hollstein zum Jurastudium in Bonn. Die Stadt am Rhein war zu dieser Zeit noch Bundeshauptstadt. Bei der CDU/CSU-Fraktion verdiente sich der Student Andreas Hollstein sein Geld und politische Erfahrungen. 1999 wurde aus dem promovierten Juristen der Berufspolitiker. Überraschend gewann der damals 36-Jährige die Bürgermeisterwahl in seiner Heimatstadt Altena. Seit 20 Jahren regiert der CDU-Mann mittlerweile die ehemalige sozialdemokratische Hochburg.
Flüchtlinge für eine schrumpfende Stadt
Für seine Arbeit hat Andreas Hollstein, trotz der wirtschaftlichen und demografischen Probleme der Stadt, viel Zuspruch erfahren. 2015 traf er eine ganz unkonventionelle Entscheidung. Hollstein hatte die Flüchtlingslager in Griechenland besucht.
"Ich habe für mich festgestellt, dass es nicht mein Europa ist. Das ist nicht das Europa, für das ich seit Jugend an kämpfe, von dem ich überzeugt bin." Also holte der Bürgermeister weitere Flüchtlinge, vorrangig aus Bürgerkriegsländern. Untergebracht wurden sie nicht in Heimen, sondern viele in Wohnungen. In Altena hatte man Platz. "In Westdeutschland waren wir in der Tat die Stadt, die am stärksten geschrumpft ist."
Messerangriff 2017
Eine Entscheidung, die Andreas Hollstein heute wieder so treffen würde. Sie brachte ihm viel Kritik, Beschimpfungen, sogar Morddrohungen ein, bis heute. Der Messerangriff auf Andreas Hollstein sorgte im November 2017 bundesweit für Aufsehen. Ein Mann attackierte ihn in einem Döner-Imbiss.
Der Täter hatte "ein Küchenmesser gezogen, mit 30-Zentimeter-Klinge. Er hielt mir das Messer an die Gurgel und schrie höchst erregt: 'Du lässt mich verdursten. Und 200 Ausländer' was zahlenmäßig natürlich auch falsch war, 'holst du in die Stadt'."
In der Gewalt des Täters waren das für Andreas Hollstein "quälende Minuten". Mit Hilfe der Imbissbesitzer konnte er sich befreien, wurde dabei aber am Hals verletzt.
Der Täter kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Es habe sich um kein politisches Attentat gehandelt, der Ausruf sei kein Beleg für eine fremdenfeindliche Haltung gewesen, so das Gericht. Heute möchte Andreas Hollstein, vor allem auch als Jurist, dieses Urteil nicht kommentieren.
"Hass gestaltet die Gesellschaft"
"Ich habe den Täter nicht als Haupttäter gesehen, sondern als Werkzeug. Das heißt der Hass, der uns in den Medien, vor allen Dingen in den sozialen Medien begegnet, im Alltag, das Draufhauen, ohne vorher nachzudenken, das gestaltet natürlich Gesellschaft. Und das hat den Menschen dazu gebracht."
Auch nach dem Attentat seien die Schmähungen und Beschimpfungen nicht weniger geworden. Im Gegenteil, kurz vor der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hätten sie einen neuen Höhepunkt erreicht.
Über seinen, aber auch über den Schutz der "14.000 Bürgermeister und Bürgermeisterinnen in Deutschland" mache er sich deshalb Gedanken. "Ich glaube eben nicht, dass das umsetzbar ist, die zu schützen." Daher wünsche er sich "eine Gesellschaft, in der Schutz nicht nötig ist." Auch deshalb wolle sich Andreas Hollstein von den Drohungen nicht einschüchtern lassen.
Neues Ziel: Bürgermeister von Dortmund
"Es ist mir zu billig zu sagen, ich überlasse Menschen die Hassreden halten, die unseren Staat kaputtmachen wollen, unseren Staat kampflos. Nein, ich möchte dafür eintreten." Denn nur mit "Mut und Haltung", so der 56-Jährige, würden wir "unsere Gesellschaft auch wieder in Ordnung bekommen."
Für dieses Jahr hat Andreas Hollstein übrigens ein neues Ziel ins Auge gefasst. Wird in Dortmund der neue Bürgermeister gewählt, dann will er hier der Sieger sein. Wie damals, 1999 in Altena.