Altenbetreuung als Wirtschaftsfaktor

Von Klaus Seifert |
In Freyburg im Süden Sachsen-Anhalts sind rund um ein Pflegeheim im modern ausgebauten "Armenhospital" aus dem 16. Jahrhundert Dependancen entstanden: Ein restauriertes Bürgerhaus wurde zum barrierefreien Wohn- und Pflegeort für Behinderte ausgebaut.
Beispielhaft auch die neue "Wohngemeinschaft Akzeptanz". Sie will Schutzraum sein für 36 Frauen und Männer, die andere Heime eher als "Problemfälle" abschieben, weil Altersdemenz sie angeblich aggressiv macht.

Im Januar 2007 eröffnete auch ein Kindergarten im Altenheim. Der Clou dabei: kaum schlagbare Öffnungszeiten (täglich von 6 - 20.00 Uhr, auch an Sonn- und Feiertagen), günstige Elternbeiträge (84 Euro im Monat bei Vollverpflegung) .

Wer an diesem Sommervormittag nach Freyburg, dem alten Städtchen im Tal der Unstrut, im Südzipfel Sachsen-Anhalts kommt, der könnte meinen, er sei auf eine Seniorengruppe beim Vereinausflug gestoßen:
An die fünfzig alte Menschen, teils im Rollstuhl, sitzen unter zwei großen, hellen Zelt-Baldachinen. Einige haben es sich in bunten Strandkörben bequem gemacht. Bedient werden sie von Frauen und Männern in freundlichem Hellblau. Eine der gastlichen Damen, Brigitte Bornschein, ist die Chefin - in einem Gartenlokal?

Brigitte Bornschein: "Ja, es passiert öfter, dass hier Gäste einkehren. Die setzen sich hin und fragen, ob sie ein Bier trinken können. Und dann sagen wir immer: Das machen wir auch gerne, aber wir haben leider nur Flaschenbier, wir haben keinen Biertresen – wir sind nämlich ein Pflegeheim."

In vielen Pflegeheimen sitzen die Bewohner tagsüber in ihren Zimmern oder dösen vor dem Fernseher.

"Also bei diesem schönen Wetter möcht’ es wohl sein, dass die Leute draußen sitzen. Wir haben draußen gefrühstückt, es ist eben das zweite Frühstück ausgeteilt worden. Es werden jetzt im Laufe des Vormittags Getränke gereicht und och es Mittagessen findet hier draußen statt. Die, die schlafen möchten, werden dann nach dem Mittagessen zu Bett gebracht. Und wer nicht möchte – sie sehen, wir haben Strandkörbe hier stehen, da können sie sich, Beine hoch … - Ja, nur Wasser und Sand fehlt uns hier eigentlich noch in Freyburg."

Auffällig ist, dass auch hilflos wirkende Hochbetagte hier unter freiem Himmel dabei sind.

"Sie können durchs ganze Haus gehen – bei uns liegt keiner im Bett. Selbst Apalliker liegen nicht im Bett. Und selbst wenn wir sie mit dem Bett rausschieben. (Aber) die sind alle aus dem Zimmer raus und liegen in Pflegeschalen und sind mit im Geschehen drinne. – Jetzt kommt gerade so ein Lüftchen, die spüren also noch Lufthauch auf der Haut, die hören die Stimmen der anderen, die sind nicht abgeschirmt aus dem Leben, sondern sie sind mitten drin."

Das Haus vor dem wir stehen, hatte schon immer eine soziale Funktion. Seit dem Mittelalter kannte man es in Freyburg als Sankt Laurentius Hospital. Mal war es Armen- und mal Krankenhaus. Für seine neue Aufgabe wurde das alte Haus aus massiven Steinquadern entkernt, mit moderner Technik ausgestattet und durch einen hellen, funktionalen Neubau erweitert. Brigitte Bornschein, die Gründerin und Chefin, lädt ein zu einem Rundgang durch ihr privates Pflegheim.

"Wir gehen also jetzt durch den Eingangsbereich, rechts haben wir die Küche. Wir kochen (also) selber, damit es im Haus nach Essen, nach Kuchen riecht. Hier in der guten Stube essen die Heimbewohner. Hier sehen sie ein altes Vertiko, einen alten Schrank. Das sind die Möbel, in denen ich groß geworden bin, das sind die Möbel meiner Eltern. Die Bilder sind noch von meinen Großeltern und ich denke mal, das sind auch die Möbel, in denen die Generation, die jetzt hier drinnen ist, groß und alt geworden ist."

Im Haus verbinden sich funktionale Architektur und altes Gemäuer, bei allen modernen Pflegeeinrichtungen weht hier auch ein Hauch menschlicher Wärme.

"Hier vorne ist ein Kamin mit alten Kacheln, das ist keine Attrappe – der brennt tatsächlich. Und im Winter, wenn’s draußen kalt ist und die Leute kommen … aus den Betten und sind gewaschen worden und sie frösteln vielleicht noch ein bisschen, dann hat mein Mann hier früh ein Kaminfeuer gemacht, dann ist das hier ne herrliche, kuschelige Atmosphäre."

Kuscheln ist genau das richtige Stichwort für unsere nächste Station. Das St. Laurentius Hospital hat nämlich einen eigenen Streichelzoo!

"Das sind kleine Zickleins – Ziegen! – und zwei – wie nennen sie sich? – Hängebauchschweine! Die schleifen so richtig mit dem Bauch auf der Erde lang. Ist was Besonderes! Und wenn die Ziegen sich mal so gegenseitig boxen, das sieht auch sehr gut aus.
Die haben auch alle ihren Namen: Das ist Hänsel und Gretel, hier vorne. Das ist Schneeweißchen und Rosenrot."

Muntere Kinderstimmen im Altenheim? – Seit Januar betreibt das Heim einen eigenen Kindergarten. In großzügigen Räumen, die ursprünglich für eine Arztpraxis vorgesehen waren und nun kindgerecht ausgestattet wurden. Die Leiterin, Cornelia Jesswein geborene Bornschein, erklärt die Idee.

"Dieser Kindergarten ist eigentlich etwas ganz Besonderes. Wo gibt es heutzutage schon Kinder, die mit Großeltern aufwachsen, richtige Omas mit Brille und grauem Dutt, die Märchen vorlesen? Heute sind ja die Großeltern meistens berufstätig … Hier lachen und tanzen und spielen die Kinder mit 'ihren' Großeltern im Heim – und das ist wunderbar."

Die Kinder werden hier aber auch konfrontiert mit Behinderungen und Gebrechlichkeit …

"Also, die Kinder lernen von Anfang an, was ein Rollstuhl ist, was es heißt, einen alten Menschen auch mal zu füttern. Sie laufen hier auch durch das Pflegeheim ganz ungezwungen. Haben keine Scheu vor dem Alter und fragen mitunter, wenn jetzt ein älterer Mensch reinkommt, der läuft: Warum hat Du keinen Rollstuhl, ja? Also dieses hinterfragen, dass ist hier ganz enorm."

Hinter dem Projekt steckt ein sehr praktischer Gedanke. Der Kindergarten im Altenheim ist nämlich eigentlich eine Betriebseinrichtung: Tagesstätte für die Kinder der Mitarbeiterinnen. Und weil fast alle im Schichtdienst arbeiten, bietet diese Kita unschlagbare Öffnungszeiten. Für alle, natürlich auch für die Kinder aus dem Ort.

"Unser Kindergarten ist gerade für beruftätige Eltern ideal. Wir haben montags bis freitags von 6 bis 20 Uhr geöffnet. Bei Bedarf an Sonn- und Feiertagen. Und das ist für Eltern, die im Schichtsystem arbeiten, eine so günstige Möglichkeit, ihre Kinder unterzubringen und mit ruhigem Gewissen zur Arbeit zu gehen.
Die Kindergartenbeiträge bei uns sind genau dieselben wie in einem städtischen Kindergarten hier am Ort."

Den Müttern, die wir treffen, gefällt es hier. Warum?

"Weil das schön hier ist, weil man viel Gutes hört.
Nicht so groß, wo viele Gruppen sind. Hier ist eine Gruppe, wo viele was lernen – grad jüngere dabei, größere, ältere, also find ich besser.
Ich find’ das sehr schön, dass die Kinder an die älteren Menschen rangeführt werden, ja. Und, dass es nicht nur gesunde Menschen gibt, sondern auch kranke Menschen. Und, dass man sich um diese Menschen sorgt.
So lernen sie es gleich, mit Älteren umzugehen. Und die Älteren freuen sich genau so, wenn sie Kinder sehen. Also: so ist es gut und andersrum genau so."

Zwei Damen fragen wir, wie sie es finden, dass jetzt auch Kinder im Heim sind.

"Sehr gut! Da sind mer nicht so allein und haben immer mal die Jugend bei uns.
Das find’ ich klasse! Vor allen Dingen: Mein Urenkelchen, der hat ja mir noch mal 'nen Auftrieb gegeben in meinem ganzen Leben. Und da kann ich immer mal gucken, wenn er früh gebracht wird, oder wenn er abgeholt wird. – Und wie die untergebracht sind, das ist ja wirklich gut! Mir gefällt das wunderbar. Und wir freuen uns auch immer, wenn die hoch kommen."

Nicht nur der Kindergarten ist neu. Seit das Stammhaus vor sieben Jahren in der Freyburger Oberstraße eröffnet wurde, sind zahlreiche weitere Einrichtungen hinzugekommen. Brigitte Bornschein blickt zurück:

"Angefangen hat das Ganze Juli 2000 mit dem Hospital, 43 Heimbewohner, dann konnten wir von der Stadt ein Gelände, was nebenan war, kaufen. Da kam dann Haus zwei dazu, da war Eröffnung 1.4.2003. Zwischendurch ist es Dorotheenhaus entstanden. Das ist das Elternhaus meines Mannes gewesen, was dem Verfall preisgegeben war. Dann haben wir am 1.10. vorigen Jahres, also 2006, die Akzeptanz eröffnet, weil wir zwischendurch dann merkten, dass wir diese extrem Verwirrten hatten. Am 1.1. diesen Jahres 2007 haben wir unsere Kita, unsere Kindereinrichtung, eröffnet mit 20 Plätzen für Krippe und Kindergartenkinder. Das neueste Kind ist die Tagesbetreuung, ja und zwischendurch, so ganz nebenbei, ist ein Café entstanden, in Freyburg auf dem Markt."

An die fünf Millionen Euro haben die Bornscheins an Krediten und eigenem Geld aufgebracht. - Gewinn bringend, in der Währung, die im strukturschwachen Sachsen-Anhalt am meisten zählt: Arbeitsplätze.

"Am Anfang hab ich zwar immer gesagt: Wenn dann wenigstens nur die Familie Arbeit hat! Mittlerweile haben viele hier Arbeit …"

Und wer macht was im Familienkonzern?

"Mein Mann ist so was wie der technische Leiter, sag’ ich jetzt mal. Also, mein Mann ist Mädchen für Alles. Der Schwiegersohn ist als Hausmeister, der andere Schwiegersohn hat ne Ausbildung zum Altenpfleger gemacht. Meine älteste Tochter ist eigentlich meine rechte Hand. Wir vertreten uns gegenseitig – sie leitet auch eigenständig die Akzeptanz. Meine andere Tochter, die leitet den Kindergarten, ja und unser Pflegekind ist Krankenschwester und die arbeitet mittlerweile auch bei uns im Pflegeheim. – Die Enkelkinder hopsen natürlich auch schon mittendrin. Also die, die sind in der Einrichtung groß geworden."

Rund um die Altenpflege sind in Freyburg bemerkenswert viele Jobs entstanden. Die Chefin, die in der DDR als Gemeindeschwester angefangen hat, erklärt nicht ohne Stolz:

"Mitarbeiter haben wir im Moment 152. Davon sind 18 Auszubildende, 16 in der Pflege, zweie werden Koch.
Es sind Mitarbeiter Kindergarten, es sind Mitarbeiter in der Gastronomie, die sind bei diesen 152 alle mit dabei."

Damit wurden Bornscheins zum größten Arbeitgeber am Ort. Sogar noch vor Deutschlands größter Sektkellerei: Rotkäppchen Mumm, dem anderen Vorzeigebetrieb des traditionsreichen Weinstädtchens Freyburg.

"In Freyburg ist die Sektkellerei von den Mitarbeitern nicht so groß wie wir. – Hat natürlich auch den Hintergrund, dass dort viel maschinell gemacht wird:
In der Pflege sind Menschen gefragt. Und das ist ja für die Arbeitslosigkeit das Positive: Dass hoffentlich nie das zum Tragen kommt, dass Pflege durch Roboter ersetzt wird."

Wie sehr gute Pflege Menschen braucht, lässt sich wohl nirgends so deutlich erkennen wie in einer der jüngsten Einrichtungen der Heimfamilie: Die Wohngemeinschaft Akzeptanz ist ein Haus für wirklich schwere Fälle: Demenzkranke, die anderswo schon mal für gefährlich erklärt und auch abgeschoben werden. - Die Chefin bringt uns zu einem großzügigen, flachen Neubau im Gewerbegebiet.

"Wir sind jetzt in der Wohngemeinschaft Akzeptanz. Am Rand der Stadt Freyburg gebaut für 36 Demenzkranke mit Verhaltensauffälligkeiten. Die eben austherapiert sind, wo es die Pille nicht gibt, dass die wieder anders werden. Die sind nicht hier weggesperrt, sondern der Sinn dieses Ganzen ist, dass die vor dem sich lächerlich Machen geschützt werden. Hier sind die unter sich und hier kann jeder erzählen, was er will. Das stört den Nächsten schon gar nicht mehr. Die lächeln sich hier alle an und die beschimpfen sich auch mal, in zwei Minuten sind sie wieder die besten Freunde. – Also das ist mein Lieblingshaus, hier."

Wir betreten einen großen, hellen Raum: das Wohnzimmer. An der Wand entlang, eine Hand auf einer Art Reling, läuft eine alte Dame…

"Die Frau Schmitz. Den ganzen Tag läuft die hier lang und poliert diese Stange… Hier kann sie laufen, hier kann sie Kilometer schrubben. – Und das macht müde! Deswegen braucht die keine Psychopharmaka und die muss nicht angebunden werden, die kann sich betun… (beschreibt). Mitten im Wohnzimmer ein Strandkorb, ein Zitronenbaum…
Ja, jetzt sind wir hier im Garten … Sie sehen also: Freiluft …, Speisegaststätte…, sie essen zum Teil drinne, zum Teil draußen …, er sitzt im Strandkorb, freut sich seines Lebens …, ja, Sie merken an der Geräuschkulisse: es ist was Anderes …
Mecki, unser Hund… Das ist der Therapiehund und Mecki wohnt hier. Mecki ist der Freund aller…, ein Hund, der akzeptiert, dass mal ein Stock fällt, dass jemand laut ist, dass jemand auch mal Bewegungen macht, die schnell sind – der kann aber nicht alleine sein! Dann jault er. Das ist absolut der Hund, den wir brauchen –das ist ein Fünfer im Lotto."

Im zentralen Raum der Wohngemeinschaft Akzeptanz erwartet uns Frau Bornscheins älteste Tochter. Steffi Schindler ist die Leiterin dieses Hauses. Für uns kommentiert sie das lebhafte Treiben.

"Hier werden die Stühle auf den Tisch gestellt und es wird irgendetwas von A nach B gerückt, unsere Dekoration ist alles bruchsicher, es kann alles umgeräumt werden. Die Leute leben in ihrer eigenen Welt und gestalten diese Welt auch. - Obwohl das manchmal nicht so im Sinne eines normal denkenden Menschen ist."

Wie kann man sich darauf einstellen?

"Wir haben völlig neu gebaut und wir haben genau das Konzept, was auch unten ist: Ein großes Wohnhaus mit vielen Schlafzimmern und einem riesengroßen Wohnzimmer. Dieses Wohnzimmer hat 150 Quadratmeter. Es ist eingeschossig und dadurch hatten wir die Möglichkeit, Licht von oben ins Zimmer zu lassen. Das heißt, wir haben einen riesengr0ßen Glasüberbau und bei und ist es eigentlich auch wenn’s trübe ist, taghell. Und das wirkt sich auch positiv aufs Gemüt aus."

In diesem Haus herrscht alles andere als Ruhe. Bleibt hier denn niemand auf seinem Zimmer?

"Es sind eigentlich nur die auf den Zimmern, die sich zwischendurch ausruhen müssen. Dadurch, dass die Bewohner eigentlich den ganzen Tag auf Achse sind, den ganzen Tag im Garten und hier im Wohnzimmer, auf den Fluren überall rumlaufen, sich beschäftigen, sind die abends müde. Und das ist eigentlich auch unser Ziel. Denn in der Demenz ist ein häufiges Problem, dass die Leute abends nicht müde sind. – Wovon auch? Wenn sie den ganzen Tag sitzen und mittags noch schlafen? So haben wir auch das Problem nicht, dass wir abends Psychopharmaka geben müssen, dass alle in ihren Betten bleiben. Und die, die abends trotzdem nicht in ihren Betten bleiben, die laufen dann halt bis Mitternacht. Und wer hier mal auf der Couch einschläft, dem geben wir ne Decke und ein Kissen und dann kann er auch bis früh schlafen."

Nach einem kurzen Abstecher in die ebenfalls neue Tagespflegestätte, geht es zu der Einrichtung, von der die Chefin sagt:

"Dieses Dorotheenhaus ist für mich der Inbegriff eines Pflegeheims, weil es wirklich sehr individuell ist."

Zwei Bürgerhäuser, direkt am Freyburger Marktplatz gelegen, wurden liebevoll saniert und mit moderner Technik ausgestattet. Nur 18 Bewohner leben hier zusammen wie eine große Familie. Hier wird man liebevoll bekocht von der hauseigenen Küche - vorgefertigte Speisen wie beim "Essen auf Rädern" sind verpönt im Reich der Bornscheins. Und wer Lust hat, kann sich ins öffentliche Café des Hauses setzen. Anett Schmidt, leitet das Dorotheenhaus. - "Ist das hier nicht eher luxuriöses, betreutes Wohnen?"

"Betreutes Wohnen, ist eigentlich ne Abstellkammer, find ich immer. Da sitzen Sie drin in Ihrem Stübchen und keiner bewegt sich und keiner macht irgendwas. Dann können Sie alleine nicht raus oder trauen sich nicht – und dafür sind wir halt da: wir sind der Transfer nach außen."

Was ist das Charakteristische am Dorotheenhaus?

"Es ist ne Art Außenwohngruppe vom Hospital für somatisch Kranke. Sie wohnen in einem Stadthaus, die Selbstständigkeit, die vorhanden ist, wird gefördert und es wird ihnen die Lebensführung ermöglicht, die sie zu Hause auch hatten. Die älteste Bewohnerin ist 97 und die jüngste, die ist um die 47 alt."

Da somatisch Kranke hauptsächlich an körperlichen Gebrechen leiden, fühlen sie sich bei guter Betreuung in einem "normalen Haus" wie diesem am wohlsten.

"Dadurch, dass das hier so verwinkelt ist, wirkt's halt wie ein Haus und nicht wie ein Krankenhaus oder wie ne große Einrichtung. Und das ist jetzt etwas familiärer, man kennt sich, man sitzt an einer Tafel, man kann früh frühstücken und Mittag essen und kennt sich vom Abendbrot und vom Kaffee. Und dann gibt’s das Café, das wird halt auch für Feste genutzt, wie auch hier die Terrasse – wenn wir ein kleines Sommerfest machen oder ein Grillfest."

An eine spontane Einladung des Chefs erinnert sich Bewohnerin Elly Bukowski als wäre es erst gestern gewesen.

"Erst jetzt hat er uns auch Würstchen gebraten, eines Abends, um sechs, halb sechs einmal. Im Garten hinten mit einer Musike. Und die waren so goldgelb gebraten! Da hab ich ihn gelobt, wissen Sie – die schmeckten so gut und waren nicht so braun. Waren die schön gebraten! Die hat er frisch gekauft. Damit die auch gut sind. Das schmeckte tadellos.
Und die Frau Bornschein hat uns serviert, sogar, die Chefin, ja? Die zuständig für uns ist. Das hat mich sehr gefreut, nicht? – Den Abend. Es war dann … mal was anderes als das tägliche Einerlei, nicht? Ja!"

Von Einerlei will Bewohnerin Johanna Lautsch nichts wissen. Mit immerhin 92 Jahren fühlt sie sich hier mitten im Leben.

"Also das ist sehr schön, weil wir alles sehen! Wir gehen ja bloß zur Tür raus und sitzen jeden Morgen am Markt. Und nachmittags nach dem Kaffee auch. - Und da kommen natürlich viele vorbei, die einen begrüßen. Manche hab’ ich schon über zehn Jahre nicht mehr gesehen."

Am Nachmittag sind wir noch einmal mit der Chefin Brigitte Bornschein im Stammhaus verabredet. Draußen im Garten beim Kaffeetrinken werden inzwischen Volkslieder gesungen. Zwei-, dreimal in der Woche kommt Horst Czerny mit seiner Gitarre. Vor allem die alten Damen singen kräftig mit.

In den Heimen der Bornscheins gibt es viele Extras. Vom Grillfest im Garten bis zum spontanen Ausflug mit den hauseigenen Behindertenbussen. Nur Eines gibt es nicht: Extra-Kosten.

"Die Extras sind mit dem Heimentgeld bezahlt. Das ist ganz einfach ein Service und das haben die Leute verdient, dass sie gewisse Höhepunkte in ihrem Einerlei doch noch erleben dürfen und… ich find’ es nicht gut, wenn ne Rollstuhlausfahrt fünf Euro kosten soll, oder, dass der Wellensittich, der dann gepflegt und gefüttert wird, dass der auch noch Betrag X kostet."

Es gibt eine Ausnahme – aber wer will sich darüber beklagen?

"Wir machen Urlaubsfahrten mit den Heimbewohnern, wir fahren in den Schwarzwald oder in die Sächsische Schweiz, in die Lüneburger Heide. Da kommt Personal mit, da kommen unsere Busse mit, also da fahren wir mit Sack und Pack – mit Dekubitusmatratzen, mit Lifter, mit allem Pipapo wird dann losgezogen."

Und wer kann sich das leisten?

"Da sprechen wir dann mit den Angehörigen. – Ne Woche Urlaub mitfinanziert, das haben alle dankend gemacht. Aber das ist das Einzige, und es hat noch nie 300 Euro überschritten."

Bleiben wir beim Geld: Pflegeheime sind im Westen deutlich teurer als zum Beispiel in Sachsen-Anhalt. In einem durchschnittlichen Pflegeheim in Düsseldorf müssen Bewohner oder deren Angehörige in Pflegestufe 3 ca. 1000 Euro mehr zuzahlen als hier in Freyburg. Woran liegt das?
"Keine Ahnung! Also meine Pflegesätze sind seit 2000 so geblieben wie sie jetzt sind und ich komme klar – also mir geht’s wirtschaftlich gut. Und ich weiß, dass meine Mitarbeiter nicht viel schlechter bezahlt werden als das im Moment in den westlichen Bundesländern ist. Ich hab’ jetzt zwei Schüler, die voriges Jahr mit der Ausbildung fertig geworden sind, die in die Alten Bundesländer gegangen sind, die haben (also) 50 Euro mehr wie meine Fachkräfte hier. Ich weiß nicht, wie die Pflegesätze zustande kommen."