Frühlingserwachen in Bammental
04:50 Minuten
Viele Bewohnerinnen und Mitarbeiter des Anna-Scherer-Hauses haben eine Corona-Infektion überstanden. Nun sind Lockerungen möglich. Der Heimleiter fragt: "Warum sollen fünf Leute, die positiv getestet sind, nicht um den Tisch herum sitzen und singen?"
Da sitzt sie in ihrem Rollstuhl, schaut hinunter in den Park, wo gelb, weiß, lila die ersten Krokusse blühen. Frau M., inzwischen 83 Jahre alt.
"Manchmal denke ich, es ist Krieg", hat sie mir vor zehn Monaten gesagt – bei meinem ersten Besuch im Anna-Scherer-Haus, einem Altenheim in Bammental bei Heidelberg. "Manchmal denke ich, es hat mich wieder eingeholt. Damals durfte man ja auch gar nichts: Egal, wo man gespielt hat – in den Keller musste man."
Schnelltests für Kinder und Enkel
Inzwischen hat Frau M. eine Corona-Infektion überstanden – wie viele Bewohner und Mitarbeiter des Heims. Die anderen sind geimpft. Fast täglich kommen wieder Kinder und Enkel zu Besuch, machen einen Schnelltest, bevor sie rein dürfen. "Und dann gehen wir draußen spazieren", sagt Frau M., im von den Bewohnerinnen und Bewohnern so geliebten Park, wo die Bänke im letzten Mai verwaist waren.
Dieses Jahr jedoch hat Frau M. schon im sonnigen Februar draußen gelesen, hat sich an Schneeglöckchen, Krokussen und Vögeln erfreut: "Das finde ich fantastisch, dass alles wieder so kommt, wissen Sie. Und da fühlt man sich auch irgendwie wieder frisch und frei."
Beim Mittagessen wartet an ihrem Tisch bereits eine Bekannte. 1,50 Meter ist der noch vorgeschriebene Abstand, nicht mehr mehrere Meter. Unterhalten ist auch wieder erlaubt.
"Es ist wieder mehr Leben, wissen Sie. Vorher war alles immer so ruhig, so still. Jetzt ist wieder mehr Leben, wieder mehr Geschrei. Und das tut einem gut."
Erleichterung nach zwei Wochen Quarantäne
Ich klopfe bei den Schwestern Gade, betrete ihr großes Zimmer, das an eine Kapelle erinnert. Klara, 96 Jahre alt, sitzt am Bett ihrer Schwester Dorothea. "Oh, der Herr Journalist", freut sie sich und erzählt von Weihnachten, als das Pflegepersonal nur noch verhüllt in ihrem Zimmer auftauchte, weil auch sie sich infiziert hatten und zwei Wochen in Quarantäne mussten:
"Auf einmal kamen sie wieder normal angezogen, ohne die Kleider. Und da sagten sie mir eben: Es ist vorbei gegangen. Nun, da haben wir halt dem lieben Gott gedankt."
Sie deutet auf das kerzenumstandene Jesus-Bild auf dem Tisch. Ich gehe hinüber ins Haus 2 und muss sofort an die Singstunde dort vor zehn Monaten denken, an den allein sitzenden alten Herrn, dem dabei Tränen in den Augen standen.
Betreuerin Claudia Schönfelder musste damals einem im Dorf lebenden Herrn verbieten, seine demenzkranke Frau zu besuchen. Im Oktober kam dann für alle noch die Quarantäne hinzu.
"Die Leute saßen ja wirklich nur in ihrem Zimmer und haben die Wände angeguckt", sagt Schönfelder. "Die Tür war zu, kein Kontakt. Es war sehr, sehr schlimm. Also, die Psyche ist richtig nach unten gegangen bei den Bewohnern. Kein Kontakt, nicht rausgehen, wirklich nur sitzen und essen, trinken, Fernsehen gucken - mehr gab es nicht."
Die Menschen blühen wieder auf
Heute sitzt man wieder beisammen auf Station 2B. Abstand und Maske fürs Personal sind zwar noch Vorschrift, ansonsten aber habe sich das Leben weitgehend normalisiert, sagt Claudia Schönfelder:
"Die Leute blühen einfach wieder auf, seitdem die Lockerungen wieder ein bisschen da sind. Gestern zum Beispiel war der Herr von der Gymnastik da. Da haben sie alle im Stuhlkreis gesessen und Gymnastik gemacht. Heute wurden Muffins gebacken. Also, es ist eigentlich alles so, wie es vorher auch war. Nur größere Veranstaltungen, Feste, gibt es noch nicht."
Heimleiter Michael Nicolaus findet das in Ordnung. Andere Anordnungen des Gesundheitsamtes hält er für weniger sinnvoll: "Warum sollen fünf Leute, die positiv getestet sind, nicht um den Tisch herum sitzen und singen?" Weil eine Reinfektion mit Mutanten nicht ausgeschlossen sei, sage das Gesundheitsamt. "Also hypothetisch-spekulative Annahmen begründen das Fortführen von Maßnahmen, die meinem Verständnis nach sonst obsolet wären", sagt Nicolaus.
Als ich das Anna-Scherer-Haus verlasse und den nach Blumen duftenden Park durchquere, denke ich noch einmal an Frau M., sie hat nach einem Jahr der Entbehrungen in diesem Frühling gleich zweimal Grund, sich zu freuen:
"Ich werde jetzt Uroma, im Mai. Das ist schön. Sie hat gesagt, wenn es da ist, bringt sie's mir hierher, zeigt's mir. Ja, da freue ich mich."