Neubau gegen Platz- und Personalmangel
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In Nordrhein-Westfalen fehlt es wie vielerorts im Land an Plätzen in Altenheimen. An Personal mangelt es ohnehin, zudem fehlt es an Zimmern – auch weil die Standards der Unterbringung gestiegen sind. Die Caritas in Düsseldorf reagiert und baut neu.
Architekt Markus Schmale steht im Neubau eines Pflegeheims im Süden von Düsseldorf und zeigt auf eine mit Baufolie zugehängte, gläserne Schiebetür. "Wir sind jetzt hier im zentralen Eingangsbereich."
In wenigen Wochen soll das Gebäude des Caritasverbands Düsseldorf eingeweiht werden. "Die Architektur muss schon darauf achten, dass man sich natürlich emotional total wohl fühlt. Sie braucht vor allen Dingen sehr viel Licht. Das ist ein ganz entscheidender Faktor für alte Menschen", erläutert Schmale.
Bodentiefe Fenster am Innenhof
Auf der anderen Seite des Eingangsbereichs erstreckt sich ein lichtdurchfluteter Innenhof – zu allen Seiten durch bodentiefe Fenster geöffnet.
"Also, Sie können hier einen kompletten Rundgang laufen. Das heißt, Menschen mit Wahrnehmungsdefiziten haben oft auch dieses Bedürfnis, viel Laufen zu gehen. Und in der Pflege ist es natürlich wichtig, dass diese Menschen dann auch wieder ein Endziel haben. Es ist noch nie günstig gewesen, wenn es einfach in einem Ende eines Flurs endet."
Heutzutage kommen die Menschen erst ganz am Ende ihres Lebens in ein Pflegeheim. Waren sie vor 30, 40 Jahren vielleicht noch 67 Jahre alt, sind sie heute eher 87 und älter, wenn sie ihr eigenes Zuhause verlassen. Die Architektur muss darauf Rücksicht nehmen.
Auch die Arbeitsabläufe haben sich geändert, erklärt der stellvertretende Direktor der Caritas Düsseldorf, Thomas Salmen. "Und dieser Rundlauf, ja, auf dieser Runde können sie zwei, drei Sachen mit erledigen, während sie da in die Sackgasse laufen und wieder zurück müssen und wieder neu in die nächste Sackgasse laufen."
Umzug weckt Freude und Ängste
Mit "da" meint Salmen das alte Haus in direkter Nachbarschaft, das aktuell noch bewohnte Seniorenheim St. Hildegard.
Dort bereitet der Einrichtungsleiter Lothar Nagel seine Bewohner allmählich auf ihren bevorstehenden Umzug vor. "Die Freude ist groß, aber die Ängste des Umzuges begleiten die Menschen schon. Wir werden mit den Bewohnern jetzt auch mal demnächst drüber gehen und die Räume zeigen, sodass ein wenig Ruhe einkehrt."
Der Sechziger-Jahre-Altbau entspricht schon länger nicht mehr den heutigen Anforderungen an ein Pflegeheim. Ist das neue Gebäude lichtdurchflutet, überwiegen im alten Bau dunkle Nischen und kleine Fenster.
Caritas-Vize-Chef Thomas Salmen sagt: "Wenn Sie sich das Haus im Einzelnen ansehen, wie das strukturell aufgebaut ist, erkennt man natürlich die Nachkriegszeit, wo mit sehr viel spärlicheren Räumlichkeiten gearbeitet wurde. Die Räume sind sehr viel kleiner, als wir sie heute anbieten müssen, nach den gesetzlichen Vorgaben. Die wenigsten haben Nasszellen."
Bedürfnisse ändern sich
Der renommierte Architekt Gottfried Böhm hat das alte Seniorenheim St. Hildegard entworfen. Dunkelroter Backstein prägt die Optik, die Wege sind aus schwarzem Asphalt.
Für heutige Bedürfnisse viel zu dunkel, erklärt Heimleiter Nagel: "Das führt natürlich auch zu Handicaps wie Stürzen oder Ängsten."
Er zeigt auf eine backsteinerne breite Rampe, die wie eine Wendeltreppe nach oben in den ersten Stock führt – die Schnecke, wie sie genannt wird. Mit acht Prozent Steigung ist sie von den meisten Bewohnern heute mit ihren Rollstühlen und Rollatoren kaum noch nutzbar.
Trafen sich frühere Generationen an Senioren eben genau auf dieser Schnecke für einen Plausch zwischendurch, müssen die meisten Bewohner heute den Aufzug nehmen. "Das war der multifunktionale Raum, der heute keine Bedeutung mehr hat, weil Menschen mit 87 erst zu uns kommen."
Standard ist Einzelzimmer und Bad
Das größte Hindernis für ein Fortbestehen des Pflegeheims im alten Bau waren allerdings die Zimmer: "Wir haben zu viele Doppelzimmer."
Seit eineinhalb Jahren gilt in Nordrhein-Westfalen eine Einzelzimmerquote von 80 Prozent. Bei Neubauten sind es sogar 100 Prozent. Außerdem muss jedes Zimmer ein eigenes Bad haben.
Das Sechziger-Jahre-Haus von Gottfried Böhm und seine 36 Einzel- und 32 Doppelzimmer hätte nicht so umgebaut werden können, dass es diesen gesetzlichen Regelungen entspricht.
Da kam es dem Caritasverband Düsseldorf gut gelegen, dass ganz in der Nähe ein Grundstück der evangelischen Kirche frei wurde – sonst hätte das Heim St. Hildegard vielleicht sogar ganz geschlossen werden müssen. Denn ohne Grundstück kein Neubau.
Thomas Salmen sagt zum Thema Grundstücke: "Sie sind nicht preisgünstig und sie sind rar. Also insofern haben wir wirklich Glück gehabt."
Mangel an Plätzen in NRW
So viel Glück hatten nicht alle Betreiber von Pflegeheimen in Nordrhein-Westfalen. Durch die Einführung der Einzelzimmerquote Mitte 2018 mussten fünf Einrichtungen schließen, stellte das nordrhein-westfälische Gesundheitsministeriums fest. Umbauten wären nicht mehr wirtschaftlich gewesen.
Die dadurch weggefallenen Plätze sind verglichen mit den Gesamtzahlen im Land zwar gering, aber dennoch: Insbesondere in den Ballungszentren des bevölkerungsreichsten Bundeslands fehlen hunderte, zum Teil mehr als tausend Pflegeplätze.
In seinem Büro nahe am Rhein rechnet der Direktor des Caritasverbands Düsseldorf, Henric Peeters, vor: "Insgesamt muss man sagen, dass durch Einführung der Einzelzimmerquote die Gesamt-Platzzahl deutlich zurückgegangen ist. Und das bei immer noch 1000 fehlenden Plätzen. Und so viele Altenheime werden auch in Düsseldorf aufgrund des Grundstücksmangels nicht neu gebaut."
Sechs Altenzentren betreibt die Caritas in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt. "Es gibt keine Grundstücke und die Grundstücke, die es gibt in Düsseldorf, da stehen wir in Konkurrenz zu weltweit tätigen Unternehmen, die sich niederlassen wollen und die fast bereit sind, jeden Preis zu zahlen. Das ist uns als Träger der freien Wohlfahrtspflege nicht möglich."
Appell an die Kommunalpolitiker
Peeters appelliert an die kommunale Politik: "Die Stadt muss das auch als Daseinsvorsorge für ihre Bürgerinnen und Bürger auffassen, dass neben den vielen Kindertagesstätten-Plätzen in gleichem Maße auch dafür gesorgt werden muss, dass alte Leute versorgt werden."
In Düsseldorf berät die Politik gerade, ob sie wieder kommunale Seniorenpflegeheime bauen sollte, also Einrichtungen selbst betreiben sollte.
Allerdings bleibt auch dann ein weiteres Problem: der Fachkräftemangel. Der Beruf ist körperlich und psychisch anstrengend und auch wegen der eher unattraktiven Bezahlung unbeliebt. "Wir haben, da sich der Fachkräftemangel nicht nur im stationären Bereich bemerkbar macht, sondern auch im ambulanten, haben wir nicht versorgte Senioren mit Pflegebedarf in der dritten Etage ohne Aufzug", berichtet Peeters.
"Also im schlimmsten Fall kommt es da zur Vereinsamung bis zur Verwahrlosung, weil es keine adäquaten Möglichkeiten gibt, die Menschen zu versorgen", so Peeters weiter. Das werde an Dramatik noch deutlich zunehmen.
Tatsächlich steigt die Zahl der Pflegebedürftigen in NRW – wie auch bundesweit – steil an. Nach letzten Zählungen Ende 2017 gab es in Nordrhein-Westfalen knapp 770.000 Menschen mit Pflegebedarf – knapp ein Viertel mehr als noch zwei Jahre zuvor. Gut drei Viertel davon werden zuhause versorgt.
Initiative für Kurzzeitplätze
Im Rathaus von Neuss, einer Stadt vor den Toren von Düsseldorf, überlegt auch Dirk Brügge, Direktor des knapp 450.000 Einwohner großen Rheinkreis Neuss, wie seine Behörden dieser Entwicklung begegnen können. "Wir haben das Problem, wie viele, viele andere bundesweit, dass wir zu wenige Pflegekräfte haben und deswegen die Betten, die real vorhanden sind, am Markt nicht angeboten werden."
In den insgesamt 46 Pflegeheimen des Kreises seien 184 Plätze aufgrund des Fachkräftemangels nicht belegt, obwohl sie rein faktisch zur Verfügung stünden.
"Wir sind intensiv in den Gesprächen mit den Heimbetreibern, dass diese nicht nur stationäre Plätze anbieten, sondern dass Kurzzeit- und Tagespflegeplätze gewinnbringend sein können."
Familienstrukturen ändern sich
Diese würden nämlich umso mehr gebraucht, umso länger Menschen zuhause, also ambulant, gepflegt werden. "Es ist einfach für die pflegebedürftigen Menschen schöner, möglichst lange zu Hause zu bleiben. Und da können Angehörige unterstützt werden, indem sie Möglichkeiten von Tages- und Kurzzeitpflege bekommen."
Noch würden im Rhein-Kreis-Neuss weit mehr Pflegebedürftige als im Landesschnitt, also mehr als 80 Prozent zuhause versorgt. Aber die Sozialstrukturen verändern sich. Junge Familien ziehen weg, dem Job oder Ehepartner zuliebe, alte Menschen bleiben alleine zurück.
"Gesellschaft verändert sich in den Bereichen", sagt Brügger. "Wenn ich keine Nachbarschaften habe, wo so etwas funktioniert, wird es schon schwieriger. Wo die familiären Zusammenhänge nicht mehr da sind."
Dann müssten wieder mehr Menschen in die vollstationäre Pflege, also in Altenheime – und das würde dort wieder den Platzmangel verschärfen und die Nachfrage nach Fachkräften erhöhen.
Bedürfnisse der Altenpfleger gerecht werden
Pflegeheime konkurrieren jetzt schon um die besten Kräfte, auch das St. Hildegard im Süden von Düsseldorf.
Der Architekt Markus Schmale hat beim Entwurf seines Baus auch deshalb nicht nur an die zukünftigen Bewohner des Hauses gedacht. "Dieses Haus lebt durch seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, nicht nur durch die Bewohnerinnen und Bewohner, sondern vor allen Dingen muss dieses Haus auch den Bedürfnissen des Pflegepersonals entsprechen. Und es ist ein anspruchsvoller Beruf."
Schmale hat die Wege im Haus kurz gehalten, Räume geschaffen, in denen konzentriert – und in Ruhe – gearbeitet werden kann, und solche, in denen ein zwangloser Austausch mit den Bewohnern möglich ist.
Auch die lichtdurchflutete Atmosphäre im Gebäude und der quasi ständige Blick ins Grüne dürften dem Personal gefallen. "Sonst kann man einfach nicht mehr konkurrenzfähig bleiben. Gerade was den Anspruch von gutem Personal angeht."
NRW bei Heimkosten Spitzenreiter
Das alles kostet allerdings viel Geld – Geld, das nicht nur von den zuständigen Behörden und Pflegekassen kommt. Auch die Heimbewohner müssen einen Eigenanteil tragen, an den Pflegekosten und vor allem für Unterbringung und Verpflegung.
In Nordrhein-Westfalen sind diese Kosten zuletzt gestiegen. Allein der Eigenanteil für die Pflegeleistungen erhöhte sich nach jüngsten Zahlen um knapp zehn Prozent auf etwas mehr als 750 Euro im Monat. Insgesamt müssen in NRW in der vollstationären Pflege gut 2.200 Euro pro Monat hinzugezahlt werden – das ist so viel wie in keinem anderen Bundesland. Der Sozialverband VdK macht hierfür die hohen Investitionskosten für die Immobilien und die Einzelzimmerquote verantwortlich.
Der Direktor des Caritasverbands Düsseldorf, Henric Peeters meint: Letztlich müsse sich die Gesellschaft und jeder Einzelne die Frage beantworten: Wie wollen wir gepflegt werden?
"Ich glaube, es ist notwendig, dass die Gesellschaft, dass wir alle es als unsere Aufgabe annehmen: Wie kümmern wir uns um unsere älteren Menschen. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe und wir sollten es als gesellschaftliche Aufgabe begreifen, die eben auch Geld kostet."