Warum keiner mehr einer sein will
Klischee, sozialkritische Kategorie oder Diffamierung? Der Begriff „alter weißer Mann“ kursiert seit Jahrzehnten, sorgt aber immer noch für Aufregung. Jetzt macht eine Filmkomödie Witze darüber. Was steckt hinter dem Reiz-Begriff?
Alte, weiße Männer riskieren auf Schritt und Tritt, sich daneben zu benehmen. Sie reißen sexistische Witze und wettern gegen das Gendern, sind privilegiert und glauben trotzdem, ihre gesellschaftliche Position aus eigener Kraft erreicht zu haben. Den gesellschaftlichen Wandel belächeln sie. Soweit das Klischee.
In der neuen Filmkomödie „Alter weißer Mann“ hat sich Familienvater Heinz Hellmich, verkörpert von Jan Josef Liefers, im Job eine Reihe einschlägiger Fehltritte nach oben benanntem Muster geleistet. Nun will er seinem Chef und der Diversitätsberaterin der Firma beweisen, dass er doch auf der Höhe der Zeit ist. Logisch, dass dabei schiefgeht, was schiefgehen kann.
Doch warum reizt der Begriff "alter weißer Mann" so sehr und wo kommt er her?
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Warum will sich fast niemand als „alter weißer Mann“ sehen?
„Ich bin kein alter weißer Mann, der beklagt, dass die Dinge nicht mehr so sind wie früher.“ Der Fernsehmoderator Thomas Gottschalk hat sich in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung dagegen verwahrt, in die Schublade „Alter weißer Mann“ gesteckt zu werden. Gottschalk hat mit dem dritten Teil seiner Autobiografie „Ungefiltert“ die Debatte über alte weiße Männer neu entfacht. Seine Aussage in einem Interview mit der Zeitschrift Der Spiegel, er habe Frauen im TV „rein dienstlich angefasst“, hat ebenfalls für Empörung gesorgt.
Die Soziologin Paula-Irene Villa Braslavsky von der Universität München kann Gottschalks Reaktion nachvollziehen. Niemand wolle auf seine Gruppenzugehörigkeit reduziert werden. Jede und jeder sei eine einzigartige individuelle Person. Sie plädiert aber auch für mehr Gelassenheit im Umgang mit Zuspitzungen dieser Art. Man könne durchaus mal anerkennen, dass man dieses oder jenes Merkmal einer Gruppe ab und an zeige und gleichzeitig Pauschalisierungen zurückweisen.
Welches Mindset verkörpert der alte weiße Mann?
Alter weißer Mann sei kein wissenschaftlicher Begriff, erläutert Villa Braslavsky. Es handele sich um ein Etikett oder Label, das im Moment viel genutzt werde, um „in verkürzter und stereotyper Art und Weise ein bestimmtes Mindset, eine bestimmte Mentalität“ auf den Punkt zu bringen.
Hinter der Figur des alten weißen Mannes steht die Auseinandersetzung mit einer „strukturellen und sehr tiefgehenden Geschichte von Gewalt, von Ausgrenzung, von Diskriminierung“, sagt die Soziologin. Denn all jene, die nicht der Gruppe „alter, weißer, bildungsbürgerlicher, nicht-behinderter, heterosexueller Cis-Männer“ angehörten, wurden historisch als sogenannte „Andere“ markiert, ob als Frauen, Kinder, Perverse, Schwarze oder Wilde – und hätten aufgrund der Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen Gewalt, Stigmatisierung oder Ausgrenzung erfahren.
Mit dem Begriff „alter weißer Mann“ ist nicht jedermann gemeint, der männlich, alt und weiß ist. Aus Sicht von Sophie Passmann, die 2019 das Buch "Alte weiße Männer: Ein Schlichtungsversuch" veröffentlicht hat, qualifizierten sich nur solche Personen, die über Macht oder den Zugang zu Machtressourcen verfügten, weil sie einer Elite der Gesellschaft angehörten. Männlich, alt und weiß sein allein reicht nach dieser Lesart also nicht aus – ein Klempner oder Bäcker entspricht nicht dem Feindbild des alten weißen Mannes.
Auch Frauen können "alte weiße Männer" sein
Die Frage, ob auch mächtige Frauen „alte weiße Männer“ sein könnten, ist darum berechtigt. Sie selbst als weiße, weibliche Professorin habe etwas vom „alten weißen Mann“, räumt die Soziologin Paula-Irene Villa Braslavsky von der Universität München, ein.
Ist das nicht auch eine Form der Diskriminierung?
Auch wenn ein Begriff vielleicht gemein oder spöttisch sei, Diskriminierung sei das nicht, sagt Villa Braslavsky. Mit Diskriminierung sind Strukturen rechtlicher, ökonomischer, politischer Art gemeint, „die Menschen als zugehörig zu einer bestimmten Gruppe fernhalten, ausschließen von Ressourcen, also Recht, Anerkennung, Geld, Bildung und so weiter.“
In der Auseinandersetzung mit dem alten weißen Mann werden Machtfragen verhandelt. Dabei sei das Ende der alten weißen Männer nicht wörtlich zunehmen, argumentiert die Kolumnistin Marina Weisband. „Sondern das Ende von deren Projektion als Norm und Mittelpunkt der Gesellschaft. Hin zu einer Gesellschaft, in der Menschen auch mal weiblich und lesbisch und schwarz sein und Macht haben können, ohne dass irgendjemand das seltsam findet.“
Wer hat den „alten weißen Mann“ erfunden?
Der Begriff „alter weißer Mann“ ist nicht neu, zeigt eine Recherche der Schweizer Tageszeitung NZZ. Allerdings mussten dem Dreiklang aus „alt, weiß, männlich“ anfangs noch einschlägige Adjektive beigegeben werden, um eindeutig abwertend zu wirken. 1998 soll die amerikanische Feministin Betty Friedan, Autorin des Bestsellers „Der Weiblichkeitswahn“, die Republikaner als einen „Haufen dreckiger, alter weißer Männer“ bezeichnet haben. Der Wandel von der neutralen Beschreibung zur Beleidigung hatte aber schon Anfang der 1990er-Jahre begonnen, als Junge, Schwarze und Frauen ihr Recht auf Mitbestimmung einforderten.
Selbst wer seinerzeit nicht von Diskriminierung betroffen war, konnte nicht umhin, die Vielzahl von alten weißen Männern in den Geschichtsbüchern, Parlamenten und Gerichten zur Kenntnis zu nehmen.
Die Reihenfolge der Wörter ist übrigens kein Zufall: das wichtigste Privileg ist das Geschlecht, gefolgt von Rasse und zuletzt Alter.
Im deutschen Sprachraum kam der Begriff erst später als Provokation auf. 2012 nannte die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen, damals Bundesarbeitsministerin, die schwächelnde deutsche Wirtschaft einen „old white man“. 2021 stürzte die Wochenzeitung Der Spiegel auf seinem Cover die Büste eines Mannes vom Sockel. Spätestens jetzt wollte niemand mehr ein alter weißer Mann sein.
Wie verarbeitet der Film von Simon Verhoeven das Thema?
In seiner neuen Filmkomödie „Alter weißer Mann“ dekliniert der Filmregisseur Simon Verhoeven sämtliche Wokeness-Aufreger durch, angefangen bei Gendersprache über den Sohn mit lackierten Fingernägeln bis zu rassistischen Vorurteilen. Auch wenn der Film thematisch einen Nerv trifft, haben viele der Gags das Verfallsdatum schon hinter sich - und sollen vor allem niemandem weh tun. Weniger Klischee, mehr Schärfe und Provokation hätten dem Film gutgetan. So ist "Alter weißer Mann" uninteressant.
tha