Ist Unsterblichkeit eine gute Idee?
Es ist Ostersonntag. Christen feiern die Auferstehung Jesu von den Toten. Hartnäckig arbeiten Wissenschaftler daran, das ewige Leben auch für uns Menschen zu realisieren. Aber wie attraktiv ist die Unsterblichkeit wirklich?
Die Gottwerdung des Menschen scheint tatsächlich in greifbare Nähe gerückt: So behaupten namhafte Wissenschaftler, dass Sterblichkeit gar nicht zwingend sei, sondern dass der Tod als natürliche Grenze des Lebens überwunden werden kann. Im Silicon Valley werden zur Zeit Milliarden in die Erforschung des menschlichen Alterungsprozesses gepumpt – mit dem Ziel, den Code für den biologischen Jungbrunnen zu knacken und den Tod selbst ins Jenseits zu befördern.
Bloß: Ob uns das auch glücklich machen wird, daran habe ich meine Zweifel.
Erstens wirkt diese Idee eines Jungbrunnens nur gegen eine Todesart – nämlich gegen den Tod als Folge des Alters. Mord, Totschlag und Unglücksfälle bringen auch den biologisch optimierten Menschen weiterhin ums Leben. Der neue Mensch wird deshalb misstrauisch sein und das Risiko scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Denn wer mit dem sicheren Ende seines Lebens nicht mehr rechnen muss, der fürchtet das Unglück erst recht. Schliesslich zerstört es sein wissenschaftliches Projekt der Gottwerdung oder auch nur das finanzielle Investment ins biologische Upgrade auf einen Schlag.
Zweitens stellt sich die Frage, was wir eigentlich hätten vom ewigen Leben? Wird ewig zu leben nicht irgendwann unfassbar langweilig? Hand aufs Herz: In der ewigen Repetition werden doch selbst der attraktive Strandurlaub, die leidenschaftliche Affäre, das meisterhaft gekochte Essen fad - ganz abgesehen davon, dass sich ja auch Misserfolg, Liebeskummer und Grippe in die Endlosschlaufe fügen würden.
Mozart wollte sein Requiem beenden
Was also, wenn uns die Alltagsfreuden im ewigen, aber irdischen Leben doch langweilen – haben wir dann noch Grund, weiter am Leben zu bleiben? Der Philosoph Bernard Williams verneint. Denn einen Grund weiterzuleben, gibt uns ausschließlich die Erfüllung von kategorischen Wünschen. Damit meint Bernard Williams Projekte, die uns in die Zukunft ziehen, weil wir sie vollenden wollen: Ueli Steck will zum Beispiel unbedingt noch die Everest-Lhotse-Traversierung schaffen. Mozart wollte noch sein Requiem zu Ende bringen. Und viele Eltern wünschen sich, noch Großeltern zu werden.
Diese kategorischen Wünsche geben unserem Leben nicht nur Sinn, sie geben uns auch Grund, weiter am Leben sein zu wollen. Die schlechte Nachricht, die Bernard Williams für uns hat: Diese Wünsche gehen uns irgendwann zwangsläufig aus. Eines Tages sind nämlich alle Kletterrouten geschafft, alle Symphonien vollendet und selbst die Enkel schon erwachsen. Dann müssen neue kategorische Wünsche her: neue Herzensprojekte, für die es sich zu leben lohnt.
Das Leben als Serie
Das Problem, dass auch unsere Lebensprojekte ein Verfalldatum kennen, haben wir schon heute. Wir werden immer älter, und wenn wir bald schon 150 Jahre alt werden, dann reichen ein, zwei Herzensprojekte nicht aus, um die lange Lebensspanne prickelnd zu gestalten. Der langlebige Mensch lebt deshalb sein Leben nicht mehr als eine Erzählung, sondern als Serie. Der langlebige Mensch betreibt serielle Monogamie und heiratet drei bis vier Mal, er hat serielle Berufskarrieren und startet auch im 4. und 5. Lebensalter nochmals durch. Und warum nicht zwei bis drei Mal Eltern werden – im Abstand von je 20 Jahren? Mit Eizellspenden und Leihmüttern kein Problem. Der langlebige Mensch muss erfinderisch bleiben, sonst wird’s garantiert langweilig.
Das aber klingt auch ein bisschen anstrengend. Denn hat es nicht etwas Befreiendes zu wissen, dass wir nicht endlos in diesem Theater mitspielen, sondern irgendwann der Vorhang fällt? Die philosophische Schule der Stoa predigte Gelassenheit angesichts des Todes – und damit ist nicht nur gemeint, dass wir den Tod gelassen hinzunehmen haben. Gemeint ist damit auch, dass uns die eigene Vergänglichkeit entlasten kann. Irgendwann darf auch mal gut sein. Denn, wie doch Woody Allen so schön sagte: "Die Ewigkeit dauert lange, besonders gegen Ende."