Strom aus Wasserdampf
Weil immer mehr Menschen Zugang zum Stromnetz haben, steigt der Energiebedarf in Kenia stark an. Strom aus Erdwärme soll die Lücke schließen. In fünf Jahren, so der Plan, sollen Geothermie-Kraftwerke die Hälfte des Strombedarfs decken.
Eine Großbaustelle in der afrikanischen Savanne. Bulldozer reißen die rote Erde für Fundamente auf, von den mit Schirmakazien bewachsenen Hügeln weht das Quietschen von<ins cite="mailto:Asendorpf" datetime="2014-05-19T15:06"> </ins>Bohrgestänge herüber. 100 Kilometer nordwestlich der kenianischen Hauptstadt Nairobi erweitert die staatliche Elektrizitätsgesellschaft das Kraftwerk Olkaria, Afrikas älteste und bislang größte Anlage zur Nutzung der Geothermie.
Dicke weiße Wolken zischen aus Erdspalten, es stinkt nach faulen Eiern. Hells Gate – Tor zur Hölle – wird dieser Teil des afrikanischen Grabens genannt. George Ochieng ist für die Wartung des verzweigten Rohrnetzes zuständig, durch das der Dampf aus über 50 Bohrlöchern zum Kraftwerk strömt.
"Die Rohre sind dick isoliert, um den Wärmeverlust auf dem Weg zu den Turbinen möglichst gering zu halten. Jetzt vergrößern wir das Dampffeld. Die neuen Quellen, die dort angebohrt werden, sollen uns den Dampf für die Kraftwerkserweiterung liefern."
An den Hängen führen die meterdicken Rohre an einigen Stellen nicht am Boden entlang, sondern formen hohe Durchgänge.
"Die Bögen haben wir über den Wildwechsel der Giraffen gebaut. Jeden Nachmittag gehen sie dort entlang und grasen."
Kenias Geothermiekraftwerk liegt mitten in einem Nationalpark. Und es nimmt nicht nur Rücksicht auf Giraffen, es dient auch dem Klimaschutz. Henry Wesula ist der Betriebsleiter. Wie die Stromerzeugung aus Erdwärme funktioniert, erklärt der bedächtige Ingenieur mit der randlosen Brille an einem Modell im Konferenzraum.
"Das Wasser unter der Erdoberfläche ist heiß und steht unter Druck. Wenn wir dort bohren, kommt ein Gemisch aus Dampf und Wasser nach oben. Diese Energie ist erneuerbar, denn nachdem wir den Dampf genutzt haben, um Strom daraus zu erzeugen, kondensieren wir ihn und drücken das Wasser zurück in den Boden. Dort gelangt es wieder in die Nähe des heißen Gesteins und der Magma, die hier wegen der vulkanischen Aktivität zum Glück nicht weit von der Oberfläche entfernt sind. Das Wasser wird wieder erhitzt und wir bekommen es als Dampf zurück."
Ein fortwährender Kreislauf
Ein Ende dieses Kreislaufs ist nicht in Sicht. Denn die Hitzequelle im Erdmantel, davon sind Geologen überzeugt, wird es auch in ein paar Millionen Jahren noch geben. Und sie ist so leicht anzubohren wie sonst fast nirgendwo auf der Welt. Während Strom aus Geothermie in Deutschland 25 Cent pro Kilowattstunde kostet, wird er hier für weniger als zwei Cent erzeugt. Und gegenüber den stark schwankenden Erträgen von Wind- oder Solarparks hat das Geothermiekraftwerk einen weiteren großen Vorteil: die Energie steht rund um die Uhr zur Verfügung, 365 Tage im Jahr.
Allerdings lagern sich mit der Zeit Schwefel und Kielsäure in den Dampfrohren ab. George Ochieng hat ständig damit zu tun.
"Diese Bohrung hier ist tot. Das Rohr ist von einer Siliziumdioxidablagerung blockiert. Jetzt müssen wir es mit Chemikalien wieder freispülen."
Im Leitstand des Kraftwerks überwacht Francis Maungoma den Dampfdruck.
"Der Computer warnt uns, dass zu wenig Dampf ankommt. Eigentlich sollen es 190,8 Tonnen pro Stunde mit einer Temperatur von 151 Grad sein.
Diese Kraft ist nicht leicht zu bändigen. Die Feinjustierung der Anlage erfordert Fingerspitzengefühl und viel Erfahrung.
Tote bei Bohrarbeiten durch Schwefelwasserstoff
Kenia verfügt über ein gewaltiges Geothermie-Potenzial. Doch viele der besten Standorte liegen in unwirtlichen Gegenden, Hunderte Kilometer von der nächsten Stadt entfernt. Das treibt die Kosten für den Anschluss ans Stromnetz in die Höhe und erschwert die Suche nach geeignetem Personal. Denn der Job ist anspruchsvoll – und nicht ungefährlich. An den Gestank des Schwefelwasserstoffs, der ganz Olkaria überzieht, kann man sich zwar gewöhnen. Doch in hoher Konzentration ist das Gas äußerst giftig.
"Wir hatten schon Todesfälle beim Bohren und während der Bauarbeiten. Deshalb sind wir gezwungen, das gesamte Gelände mit Gassensoren zu bestücken, die uns warnen, wenn irgendwo ein Schwefelwasserstoff-Leck auftritt."
Zum Glück kommt das nur selten vor. Die Nutzung der Erdwärme ist aber auch wirtschaftlich riskant. Eine Bohrung kostet über zwei Millionen Dollar – und fast jeder dritte Versuch trifft selbst am Tor zur Hölle nicht auf ausreichenden Dampfdruck. Deshalb muss der Staat den Bohrfirmen eine Ausfallgarantie geben. Trotzdem: Mit einer durchschnittlichen Verfügbarkeit von über 90 Prozent ist Afrikas größtes Geothermiekraftwerk eine zuverlässige Stütze der Stromversorgung.