"Die Wahrheit der Schriftsteller muss wehtun"
"Zwischen mir und Guadeloupe, das ist eine schmerzvolle Beziehung", sagt die französische Schriftstellerin Maryse Condé über ihre Heimat. Jetzt wird die 81-Jährige mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt und in Guadeloupe bejubelt.
In der Stadt Pointe-à-Pitre im französischen Übersee-Departément Guadeloupe sagt eine Buchhändlerin: "Das ist eine Anerkennung für die karibische Literatur, aber auch für Maryse Condé, weil sie diese Auszeichnung auch ihrer Heimat Guadeloupe widmet, die ihr sehr gefehlt hat und die ihr in der Vergangenheit vielleicht auch unrecht getan hat."
Die Buchhändlerin am Hafen von Pointe-à-Pitre, Hauptstadt der französischen Karibik-Insel Guadeloupe, hat die bekanntesten Titel der Preisträgerin wieder ganz vorne ins Schaufenster gestellt. Die Kunden beißen an:
"Ich wusste sowieso, dass Maryse Condé preiswürdig ist. Mittlerweile lese ich überhaupt keine klassische französische Literatur mehr, sondern ausschließlich Literatur von den Antillen."
Schon als Kind suchte Condé die Wahrheit
Glaubt man den Berichten im Lokalfernsehen, ist die Bewunderung für Maryse Condé in ihrer Heimat ungetrübt und einstimmig. Das war nicht immer so. Maryse Condé, achtes Kind zweier schwarzafrikanischer Franzosen, eckt an. Schon als Kind suchte sie die Wahrheit, ohne Lügen und Scheinheiligkeit, wie sie selbst sagt.
"Als ich neun war, habe ich meiner Mutter ein Gedicht zum Geburtstag geschrieben. Während alle sie mit Schmeicheleien und Geschenken überschüttet haben, habe ich ihr ganz offen gesagt, was mir an ihr als Frau und als Mutter gefällt und was nicht. Sie hat mich dafür gehasst. Das war mein Beginn als Schriftstellerin. Denn die Wahrheit der Schriftsteller muss wehtun und verletzen, um so auf den Grund der Dinge vorzudringen."
In Paris erfuhr Condé erstmals Rassismus
Auf Guadeloupe wuchs die heute 81-Jährige wohlbehütet auf, als Sprössling des aufstrebenden schwarzen Bürgertums. Ihre Kindheit sei von obsessiver sozialer Abgrenzung geprägt und die langweiligste Zeit ihres Lebens gewesen, erinnert sich Condé, die mittlerweile nicht mehr gut zu Fuß ist und ihre Augen hinter einer großen Sonnenbrille verdeckt. 1953, mit 16 Jahren, ging sie zum Studieren nach Paris. Dort habe sie entdeckt, dass ihre Hautfarbe eine Rolle in ihrer sozialen Identität spielt.
"Ich entdeckte, dass meine Wurzeln in Afrika sind und ich wie eine Französin erzogen worden war, von Eltern, die blind waren für diesen Konflikt. Mein erster Reflex war, wegzugehen. Wir Schwarzen dachten: Frankreich will uns nicht, wir sind keine echten Franzosen, also gehen wir. Uns hat damals der Mut gefehlt, die koloniale Lüge beim Wort zu nehmen und Frankreich zu zwingen, uns alle wie gleichwertige Bürger der französischen Republik zu respektieren."
In Westafrika suchte Condé nach ihren Vorfahren
Zehn Jahre verbringt Condé daraufhin in Westafrika, erlebt im Zuge der Unabhängigkeitsbewegung extreme Armut und politisches Chaos. Die Suche nach den Wurzeln ihrer Vorfahren mündet in einer herben Enttäuschung.
"In Guinea hielt der Diktator Sekou Touré Sonntagsreden im Radio, während die Menschen an Hunger starben. Diese Lehre hat meine Erinnerung an Afrika tief geprägt. Guinea ist das Land, in dem ich geheiratet habe, in dem ich vier Kinder bekam. Ich versuchte Guineerin zu sein, Afrikanerin zu werden. Es ist mir nicht gelungen."
Berühmt wird Condé durch ihren Epos "Segu"
Mitte der Siebzigerjahre wird Maryse Condé Professorin an der Sorbonne. Ihr zweibändiges afrikanisches Familien-Epos "Segu" macht sie 1984 dann schlagartig als Autorin berühmt, auch in Deutschland. Die jüngste Auszeichnung der vielfach preisgekrönten Autorin beschert auch den Verlegern hierzulande eine wachsende Nachfrage. Der Kleinverlag Litradukt bringt dieser Tage die zweite Auflage von Condés Familienbiographie "Victoire" auf den Markt. Darin erzählt sie über ihre Großmutter in der Kolonialzeit und über die sozialen und ethnischen Konflikte auf Guadeloupe, die bis heute fortwirken. Mit ihrem kritischen Blick hat sie sich in ihrer alten Heimat nicht nur Freunde gemacht.
"Zwischen mir und Guadeloupe, das ist eine schmerzvolle Beziehung. Ich hätte es gemocht, in meiner Heimat geliebt und anerkannt zu sein. Aber das war nicht der Fall. Was soll’s!"
Der Alternative Literaturnobelpreis, so scheint es, versöhnt nun die weitgereiste Autorin mit ihrer karibischen Heimat. Vom Alter stark gezeichnet lebt sie seit einigen Jahren zurückgezogen in Südfrankreich.
"Ich bin sehr glücklich und sehr stolz auf diesen Preis. Ich möchte ihn teilen, mit meiner Familie, mit meinen Freunden, aber vor allem mit allem Menschen auf Guadeloupe, ich wiederhole: mit allen Menschen auf Guadeloupe!"