Ganz schön fit
Ob Silver Surfer oder Power Ager - die Werber haben die Senioren schon lange als Zielgruppe entdeckt. Doch jenseits der Einkommenssituation sind Daten über die ältere Generation Mangelware. Das wollen Mediziner jetzt ändern.
"Guten Morgen, guten Tag, würden Sie bitte mitkommen, ja, kann ich meine Jacke hier lassen?"
Jivko Nikolov begrüßt seinen nächsten Probanden. Der Ernährungswissenschaftler bittet ins Untersuchungszimmer. "BASE II" steht an der Tür. BASE - das steht für Berliner Altersstudie, Teil II.
Nikolow: "So, herzlich willkommen bei unserer Studie.. Wir freuen uns sehr das sie an unserer Studie teilnehmen möchten."
Nikolow: "Wie würden sie ihren gegenwärtigen Gesundheitszustand beschreiben? Und zwar auf einer Skala von eins bis fünf, eins: sehr gut und fünf: schlecht."
Rentner: "Also gut, altersgemäß sehr gut vielleicht sogar, aber jut."
Nikolow vermerkt die Antwort. Mehr als 2000 Mal haben er und seine Kollegen am Evangelischen Geriatriezentrum in Berlin diese Frage bisher gestellt. Weiter geht es: soziale Situation, Schlaf- und Sexualverhalten, Ernährungsgewohnheiten, Medikemanteneinnahme. Der Auftakt für Deutschlands größte Altersstudie.
Nikolov: "Es geht um ihre Zufriedenheit mit ihrem Leben insgesamt: Wie zufrieden sind Sie: Zehn, ich bin sehr zufrieden, und null, ich bin gar nicht zufrieden."
Rentner: "Eine Neun."
Nikolov: "Oooh, eine neun, uuh, wunderbar."
"Oh, jetzt gibt's schon Geld."
In Untersuchungsraum 2 beugt sich währenddessen ein sportlicher älterer Herr über seine Testaufgabe.
Ärztin: "Wir machen jetzt weiter mit der Feinmotorik: Zuerst fangen wir an ... den fettgedruckten Satz müssten Sie hier auf die zwei Zeilen übertragen mit ihrer Handschrift: 'Zwölf große Boxkämpfer jagen Viktor quer über den Sylter Deich'.
Proband: "Genau, da schreibe ich jetzt..."
Flüssig und schnell schreibt der 64-Jährige. Die Ärztin notiert die Zeit. Greift dann zu einem kleinen schwarzen Portemonnaie - dem Feinmotoriktest.
Ärztin: "Dann haben wir hier das Portemonnaie."
Rentner: "Oh, jetzt gibt's schon Geld."
Ärztin: "Wir wollen, dass Sie hier dort drin das Geld hier zählen, im Scheinfach ist was drin, im Münzfach. Sie können das dann gerne rausholen. Und ich stoppe die Zeit."
"Wo treffen wir uns heute wegen der Inkontinenz?" - "Hier bei uns..."
Die Grande Dame der Altersforschung
Während der Rentner das Kleingeld zählt, eilt einige Räume weiter Elisabeth Steinhagen-Thiessen durchs Vorzimmer in ihr Büro:
"Wissen sie, wir lernen ja jetzt erst was über das Alter. Alles was wir in der Inneren Medizin bisher mit den alten Menschen gemacht haben, das haben wir ja abgeleitet aus unserem Erfahrungswissen mit den jungen und mittelalterlichen."
Für viele ist Steinhagen die Grande Dame der Altersforschung. Mehr als die Hälfte ihres Lebens untersucht sie Alterungsprozesse. Leitet, wo andere längst in Rente sind, den Lehrstuhl Geriatrie an der Charite. Und koordiniert die "BASE II"-Studie. Steinhagen:
"Dass aber ein älterer Mensch einen anderen Stoffwechsel hat und viele Dinge in seinem Körper ganz anders sind, das entdecken wir ja jetzt erst langsam."
Manchmal zu langsam. Alt = krank und gebrechlich. Diese Gleichung bringen die Wissenschaftlerin und ihre Kollegen Mitte der 90er ins Wanken. Sie untersuchen mehr als 500 Senioren, alle älter als 70 Jahre: Knapp 70 Prozent beurteilen ihre körperliche Gesundheit als sehr gut bis befriedigend. Zwei Drittel der Teilnehmer geben an, dass sie das Gefühl haben, ihre Geschicke vor allem selbst zu beeinflussen. Weltweit sorgen diese Daten für Schlagzeilen.
"Damals haben wir uns interessiert für die Krankheiten ... Heute interessieren wir uns nicht für die Krankheiten, wenn sie schon da sind, sondern wir interessieren uns für Krankheitsentstehung..."
1600 Senioren werden durchgecheckt
Im zweiten Teil des Mammutprogramms werden 1600 Senioren durchgecheckt. Diesmal stehen auch genetische und psychologische Test auf dem Programm. Parallel untersuchen die Wissenschaftler eine Gruppe von 600 jungen Personen. Über 20 Jahre werden die Wissenschaftler sie beim Altern beobachten:
"Wir wollen Menschen untersuchen, die heute noch keine Zuckerkrankheit haben. Und die wollen wir genau verfolgen, um dann herauskriegen, warum wird der Mensch zuckerkrank und der Mensch nicht, zum Beispiel."
Elisabeth Steinhagen-Thiessen lächelt. Schon jetzt liefert die Untersuchung erste Ergebnisse:
"Erstmals ist es so, wir stellen fest, dass eine Menge unserer Probanden einen hohen Blutdruck hat, von dem sie gar nichts wissen. Dass eine zweite große Menge unserer Probanden einen hohen Blutdruck hat, der zwar mit Medikamenten eingestellt ist, aber wie wir finden, nicht ausreichend behandelt ist."
Die resolute Professorin schiebt den Papierstapel zusammen. Ein ganzes Rechenzentrum ist damit beschäftigt, rund um die Uhr die Daten aufzubereiten. Den Alterungsprozess greifbar zu machen. Steinhagen:
"Wenn man schon mal ein bisschen in die Daten hineinschielt, dann kann ich ihnen heute schon sagen, dass die heute 70-Jährigen fitter, mobiler und kognitiv besser beieinander sind als diejenigen, mit denen wir damals bei BASE I angefangen haben, das wissen wir schon."
Die junge Ärztin staunt
Zurück im Untersuchungsraum 2. Der Rentner, der bis eben noch Geld gezählt hat, absolviert jetzt seine letzte Untersuchung: die Greifkraftmessung. Mit der rechten Hand drückt er eine Klammer so stark wie er kann zusammen. Die junge Ärztin steht daneben und staunt:
Ärztin: "So, jetzt habe ich bei ihnen 60 gesehen, das war der höchste Betrag, den ich bei mir je gesehen habe."
Rentner: "Gibt's da ne Prämie?"
Vielleicht, nein, auf jeden Fall Super-Ergebnisse.
Ärztin: "Wir sind beide soweit durch..."
Der Rentner verabschiedet sich. In drei bis vier Monaten bekommt er eine Auswahl der Test-Ergebnisse zugeschickt.