Altgriechisch als Schulfach

Von Sokrates das Fragen lernen

Eine antike Büste von Sokrates, die eine schwarze Sonnenbrille trägt.
Wer Altgriechisch lernt, saugt nicht nur die Grundlagen der Demokratie auf, sondern wird dabei auch noch glücklich, ist die Kommunikationsberaterin Claudia Cornelsen überzeugt. © Getty Images / akinbostanci
Ein Standpunkt von Claudia Cornelsen · 24.11.2022
Ob Nike-Turnschuhe, Chloe-Parfüm oder die platonische Liebe - es steckt deutlich mehr Altgriechisch in unserem Wortschatz als Leber im Leberkäs, sagt die Kommunikationsberaterin Claudia Cornelsen. In keinem Schulfach hat sie mehr übers Leben gelernt.
Altgriechisch ist angeblich eine tote Sprache und verdient deswegen keine Beachtung. Das sagen übrigens auch Eltern, die mit ihren Kinder Dinosaurier im Naturkundemuseum angucken oder den Ötzi in Südtirol.
Natürlich ist Altgriechisch als Sprache nicht unmittelbar alltagstauglich. Aber mit Schulenglisch oder Schulfranzösisch kommt man auch nicht weiter als bis zum Check-in des Urlaubshotels. Wenn es darum ginge, fürs Leben zu lernen, müssten wir in der Schule Kochen, Putzen und das Bedienen eines Fahrkartenautomaten in einer fremden Stadt unterrichten.
Die Zweckfixierung in der Bildungsdiskussion halte ich für einen Irrtum einer seelenlosen Pseudo-Leistungsgesellschaft. In meiner Matheprüfung im Abitur musste ich das Volumen eines Stromlinienkörpers berechnen. Ich kann mich an keine Situation erinnern, in der ich später diese Fähigkeit jemals wieder gebraucht hätte. Für die mathematischen Anforderungen meines Alltags genügt das Niveau der 8. Klasse. Und mit Physik, Bio, Chemie ist es nicht anders.

Lernen zu lernen

Die Alphabetisierung ist eh der wichtigste Schlüssel für die spätere Lebenstauglichkeit. Wer lesen und schreiben kann, kann sich alles andere aneignen. Trotzdem waren die letzten fünf Jahre meiner Schulzeit keine Zeitverschwendung. Denn in der Schule lernen wir nicht einfach irgendetwas, sondern wir lernen zu lernen und wir trainieren zu lernen.
Die Vielfalt der Schulfächer bestücken das Fitnessstudio fürs Gehirn, bieten eine Art Schnupperkurs der Wissenschaften. Die Welt entpuppt sich als Aneinanderreihung von Rätseln, die sich lösen lassen. Die Komplexität der Welt in kleinen Häppchen serviert. Ein Erlebnispark der Neugierde. Was es nicht alles zu entdecken gibt!

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Altgriechisch ist eine der schönsten Entdeckungen. Ich habe es so sehr geliebt, dass ich es sogar als Leistungskurs wählte, obwohl mir niemand in meiner Familie bei den Hausaufgaben helfen konnte – oder vielleicht gerade deswegen? Was für ein Frevel ohnehin, zu meinen, die heutigen Kinder könnten von uns Alten was lernen.
Heute können Eltern ja noch nicht mal TikTok! Meine Mutter jedenfalls war eher pragmatisch veranlagt. Auf das humanistische Gymnasium kam ich, weil die Schule verkehrstechnisch günstig gelegen war. Hermes sei Dank! Nein, ich meine nicht den Hermes-Paketdienst, sondern Hermes, den olympischen Schutzgott des Verkehrs – und der Kaufleute, der Rhetorik und der Diebe. Eine göttliche Mischung.

Sokrates, Homer und Platon als Lehrer

In keinem Schulfach konnte ich so viel lernen wie in Altgriechisch: Von Sokrates habe ich Fragen gelernt, von Homer, dass Sprache Musik ist, und von Platon, dass Streitgespräche ein Fest sein können.
Ich habe gelernt, warum Sirenen heulen, warum Amor und Psyche miteinander zu tun haben und dass man ein trojanisches Pferd nicht satteln, sondern fürchten sollte – egal ob aus Holz oder digital. Ich habe die Grundgedanken der Demokratie, den Geist der Olympischen Spiele und auch die Essenz des Theaters von der Komödie bis zur Tragödie mit der Schulmilch aufgesogen.
Ob platonische Liebe, stoische Ruhe oder drakonische Strafen, ob Rhythmus, Panik oder Utopie, ob Nike-Turnschuhe, Chloe-Parfüm, ob Asylgesetze, Biomarkt oder Öko-Latschen – es steckt deutlich mehr Altgriechisch in unserem Wortschatz als Leber im Leberkäs.

Altgriechisch macht glücklich

Wer über das A und O, das Alpha und Omega unseres Alltags nachdenkt, kommt am Altgriechischen nicht vorbei. Deswegen: Wenn man schon so viel Unsinn in der Schule lernt, dann doch bitte gern den Quatsch aus der Wiege des europäischen Abendlandes. Denn dann ist Schule wenigstens ein vergnügliches Wolkenkuckucksheim. Übrigens auch eine sehr lebendige Erfindung aus der angeblich so toten Antike. Kurz: Altgriechisch macht glücklich. Mega glücklich.

Claudia Cornelsen ist gelernte Journalistin und arbeitet als Kommunikationsberaterin und Ghostwriterin in Berlin. Auch unter ihrem eigenen Namen veröffentlichte sie mehrere Bücher, zuletzt "Was würdest Du tun? Wie uns das bedingungslose Grundeinkommen verändert" (gemeinsam mit Michael Bohmeyer, Econ-Verlag 2019)

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