Althen: Donnerwetter, worüber man schreiben kann

Als einziger Juror hat der Filmkritiker Michael Althaen die vier Stücke ausgesucht, die in Werkstattinszenierungen entstehen. Sie werden am 17. April in der Langen Nacht der Autoren am Deutschen Theater in Berlin gezeigt. Die Autorentheatertage wollen die junge deutsche Dramatik fördern.
Liane von Billerbeck: "If you want my interest, interest me." Also etwa, wenn du meine Aufmerksamkeit willst, dann mach mich neugierig. Mit diesem Satz des Schauspielers Robert Mitchum, der sich von vielen Drehbüchern unterfordert fühlte, hat der Kritiker und Autor Michael Althen junge Dramatiker aufgefordert, ihm, dem einzigen Juror der ersten Berliner Autorentheatertage ihre neuesten Stücke zuzusenden. Welche Ergebnisse dieser Aufruf gezeitigt hat, das wollen wir jetzt wissen, denn heute beginnen sie am Deutschen Theater in Berlin: die Autorentheatertage. Michael Althen, ich grüße Sie!

Michael Althen: Grüß Gott!

von Billerbeck: 160 Autoren, habe ich gelesen, haben mit ihren Stücken versucht, Ihr Interesse zu erringen. War das Lesen eher Lust oder Qual?

Althen: Na, das ist natürlich in erster Linie mal eine Qual, weil 160 Stücke einfach eine Menge Holz sind und nicht viel Zeit blieb zwischen dem Abgabetermin am 1. Dezember und der Entscheidung. Also da muss man sich schon mächtig ranhalten. Aber am Ende ist es dann natürlich trotzdem eine Lust, wenn man dann auf irgendetwas stößt, was das Interesse fesselt.

von Billerbeck: Wladimir Kaminer hat mal als einer von mehreren Juroren schwer gestöhnt unter den Werken, also er hat auch eher von der Last als von der Lust gesprochen. Von welcher Qualität waren denn die Stücke, die Sie da bekommen haben? Kann man so was überhaupt sagen, dass da auch richtig tolle Sachen dabei waren?

Althen: Das kann man schon sagen, und das kann man dann ja auch besichtigen am 17. April in der Langen Nacht der Autoren. Was die Qualität insgesamt angeht, da finde ich es müßig, ein Urteil zu treffen, weil a) fehlt es mir an Vergleichmöglichkeiten, und b), letztlich zählt nur das, was am Ende unten rauskommt. Also klar waren auch Sachen dabei, die mich nicht gepackt haben, und Sachen, die von mir aus auch schlecht geschrieben waren. Klar, bei 160 Stücken, die eingesandt werden, und jeder kann einsenden, bleibt es nicht aus, dass das von unterschiedlicher Qualität ist.

von Billerbeck: Es ist ja vielen Dramatikern – auch Literaten, aber jetzt bleiben wir mal bei den Dramatikern – oft vorgeworfen worden, den jungen Dramatikern, dass sie wenig Konflikte in ihrem Leben erlebt hatten, also außer dass sich ich sag mal der ICE verspätet hat oder ihre Eltern haben scheiden lassen. Welche Themen wurden Ihnen denn da angeboten in den Stücken?

Althen: Auch da muss ich Sie enttäuschen, weil natürlich würde man gern hören, also 160 Stücke und ...

von Billerbeck: Alles Schrott.

Althen: Nein ... und danach kann man sagen, der junge Stückeschreiber heute beschäftigt sich überwiegend mit der Krise oder der Arbeitslosigkeit oder der Perspektivlosigkeit. Es ist eher so, dass man beim Lesen überrascht ist, wie breit die Palette ist, also sowohl an Themen und Interessen als auch an Sprechweisen und Schreibweisen, sodass quasi je länger ich las, sich das nicht zuspitzte und ich dann sagen konnte, aha, das bewegt die jungen Menschen, sondern es eher aufging und ich mir dachte, Donnerwetter, über was man alles Stücke schreiben kann, wenn man mag.

von Billerbeck: Sagen Sie doch mal ein besonders extremes Beispiel.

Althen: Besonders extremes Beispiel war dann auch eines, das ich ausgewählt habe, nämlich das Stück "Sam" von Katharina Schmidt, die eine Arbeit eines taiwanesischen Performancekünstlers aus den 70ern in New York quasi genommen hat und sich ihren Reim drauf gemacht hat. Der hat sich nämlich ein Jahr lang in einen Holzkäfig in seinem Studio eingesperrt und wurde nur einmal täglich besucht von jemandem, der ihm ein bisschen was zu essen brachte. Und das finde ich fürs Theater schon auch eine extreme Herausforderung. Also es ist schon als künstlerische Arbeit extrem, und da, mit den Mitteln des Theaters, sich ranzuwagen, fand ich irgendwie von all den Sachen im Grunde die extremste Herausforderung.

von Billerbeck: Nun haben Sie ein Stück von den vieren, die Sie ausgewählt haben, damit daraus Werkstattinszenierungen während der Berliner Autorentheatertage entstehen, eines gezeigt wird. Was waren denn die anderen drei, die Ihr Interesse so besonders erregen konnten?

Althen: Die anderen drei waren die "Fabelhafte Familie Baader" von Carsten Brandau, der praktisch die Geschichte der RAF nimmt und so tut, als sei sie nie passiert, und Andreas Baader und Gudrun Ensslin als Paar in die 80er-Jahre der Bundesrepublik verpflanzt und guckt, wie die da versuchen, Karriere zu machen. Und merkwürdigerweise tauchen aber die Gespenster der Vergangenheit, der nicht stattgefundenen Vergangenheit, dann wie von Geisterhand immer wieder auf. Also es gibt so merkwürdige Szenen, wo die immer mit Prothesen handeln und ihnen irgendwie die Finger abfallen, und das ist wie so ein Gespensterstück – von dem ich auch gar nicht sagen könnte, ob das auf der Bühne dann letztlich funktioniert, war auch gar nicht meine Aufgabe. Aber ich fand es interessant zu gucken, was machen die denn draus, wenn man ihnen sagt, hier ist das Stück, jetzt inszeniert mal schön!

von Billerbeck: Sind Sie eigentlich ein eifriger Theatergänger?

Althen: Nein, ganz im Gegenteil.

von Billerbeck: Ganz im Gegenteil. Nun waren Sie ja als einziger Juror in der komfortablen Situation, die Stücke zur Inszenierung vorgeschlagen, die Ihnen gefallen. Hat sich damit so ein Kritikertraum erfüllt, also endlich kann ich mir das Theater backen, wie es mir gefällt?

Althen: Ja, der hätte sich vielleicht erfüllt, wenn ich denn Theaterkritiker wäre, bin ich aber nicht.

von Billerbeck: Sie sind ja Filmkritiker.

Althen: Ja, ich bin Filmkritiker, und ich bin noch nicht einmal Theatergeher, und insofern hat sich jetzt da kein alter Lebenstraum von mir erfüllt. Es war eher so, na ja, man arbeitet sich eben immer an der nächsten Aufgabe ab und eher so, als das geschafft war, die 160 Stücke durch waren und ich mich dann für vier entschieden hatte, wurde mir das plötzlich klar, was das eigentlich heißt – also hätte ich ja auch vorher schon drauf kommen können, aber es stellte sich mir nie so dar, dieser unglaubliche Luxus, den das auch bedeutet.

von Billerbeck: Nun haben Sie ein Stück schon geschildert, "Sam", also diese klaustrophobische Situation, wo sich jemand ein Jahr lang in einem Käfig einsperrt und ist das auch so ein bisschen Schadenfreude dabei, wenn Sie so ein Stück auswählen und dann denjenigen, die das inszenieren müssen, dann quasi sagen: Na, nun inszeniert mal, seht mal zu, wie ihr damit klarkommt! Oder ist das Neugier, was machen die draus?

Althen: Das klang jetzt etwas flapsig, aber so ist es natürlich nicht gemeint, sondern es ist wirklich eine aufrichtige Neugier, was das Theater mit so was anstellen kann. Und nachdem ich, seit ich da zum Juror berufen wurde, angefangen habe oder wieder angefangen habe, ins Theater zu gehen, ist da natürlich schon auch eine andere Art von Neugier und auch Vertrauen in die Mittel und Möglichkeiten des Theaters geweckt worden, sodass ich also da mit ganz, ja, aufrichtiger Spannung dem entgegensehe, was denen dazu eingefallen ist.

von Billerbeck: Die vier Stücke, die Sie ausgewählt haben, die werden ja – Sie haben es schon erwähnt – während der Langen Nacht am 17. April gezeigt während der Autorentheatertage im DT. Werden Sie da sein und sich angucken, was da aus Ihrer Wahl geworden ist?

Althen: Ja, ja, unbedingt, zumal das ja der einzige Abend ist, an dem die Stücke aufgeführt werden. Die ganze Arbeit, der ganze Aufwand existiert praktisch nur für diese eine Nacht, und das finde ich natürlich als Filmkritiker auch wahnsinnig reizvoll, weil es ja nun das Gegenteil von dem ist, was im Kino jeden Tag mir entgegentritt, wo ich ja weiß, ich kann das alles wiederholen, kann es auf DVD noch mal gucken. Das macht dann schon einen Unterschied. Natürlich ist es eine Binsenweisheit, dass im Theater eine andere Form von Aura dadurch entsteht, dass das eben ...

von Billerbeck: Einmalig ist.

Althen: ... einmalig ist ... Gut, Stücke werden auch eine Saison lang gespielt, aber trotzdem ist die eine Art, wie es an dem Abend gespielt wird, im Grunde einmalig. Und in diesem einen Fall ist es aber tatsächlich ganz einmalig.

von Billerbeck: Würden Sie sich das wieder antun, 160 Stücke lesen als Einzeljuror, oder reicht's?

Althen: Na, nicht in naher Zukunft, aber das würde ich mir schon wieder antun, weil damit einherging auch so eine Entdeckung des Theaters für mich. Also ich fand das schon spannend, und ich glaube, dass das, wenn ich dann die Stücke inszeniert gesehen habe, natürlich umso reizvoller wäre, dann noch mal mit so einer Erfahrung so was durchzumachen. Aber auch dies ist einmalig gewesen.

von Billerbeck: Michael Althen, der Filmkritiker und Autor hat als einziger Juror vier Stücke junger Dramatiker ausgewählt, die bei den ersten Berliner Autorentheatertagen in Werkstattinszenierungen gezeigt werden in der Langen Nacht der Autoren am 17. April im Deutschen Theater. Herr Althen, herzlichen Dank!

Althen: Gern geschehen!

Service:
Die Autorentheatertage Berlin finden vom 8. bis 17. April 2010 am Deutschen Theater statt.