Altmeister des bayerischen Lebensgefühls

Der satirische Alltagsphilosoph und Ethnograf Gerhard Polt ist vor allem ein Stimmwunder. Einen Querschnitt seines ausufernden Schaffens während 40 Jahren bietet die Hörbuch-Kompilation "Opus Magnum" - gehustete Harmonien und zermampfte Melodien inbegriffen.
"Ja, wen sehe ich denn da? Der Willi! Der Willi! Ja, servus! Was ist das? Bist du es?"

Gerhard Polt singt, wenn er spricht. Und das nicht nur, wenn er ganz im Stil von Karl Valentin in die Rolle eines nervigen Musikliebhabers schlüpft.

"Ich war gestern im Konzert. Also wirklich, Melodien waren da. Herrlich. Einfach süß. Wie war jetzt die eine? Dieses: Da-da-di, da-ra-ra. Nein. Moment. So: Ra-ra-rara, da-dumpf, da-da."

In dem gut zehnminütigen Sketch "Longline" spannt Polt zum Beispiel meisterhaft den Bogen seines breiten Stimm-Repertoires:

"Jeder hat seine Musik, die er mag. (lacht) Ich hab auch meine. Die meine geht nur anders. Die geht: p-p-p. (lacht) Ja, ich weiß nicht wie sie es sehen, aber ich war wieder so fasziniert, wie ich diesen Becker gesehen habe."

"Longline" - eine bitterböse Abrechnung mit der aufgesetzten Welt der Tennissnobs. Was im niedlichen Tonfall beginnt, wird nach und nach zu einem brutalen Wortgewitter. Die Stimme von Gerhard Polt: säuselnde Satire. Die Sprache: gehustete Harmonien. Der Dialekt: zermampfte Melodien.

"Und dann schreit die immer: Oliver, pass auf, er spielt Longline. Da sag ich: Gnädige Frau, jetzt bitte! Ja, Sie dumme Gans! Wir sind doch hier nicht im Wirtshaus, sondern auf einem Tennisplatz! Du Amsel, du blöde."

Beim bloßen Zuhören sieht man den gestikulierenden Resonanzkörper von Gerhard Polt immer auch vor sich stehen: Unförmig - die Statur. Schweißtriefend - die faltige Stirn. Auf dem Gesicht: Ein Maskenspiel der Mimik. Doch hier geht es um mehr: Polt summt, zischt und braust sich in die Gehörgänge seiner Zuhörer. Er zieht alle Register und inszeniert großes Sprachtheater.

"Manchmal fragt man sich wirklich: Ist das ein Theater im Theater? Oder: Ist das Ganze ein Theater? Wo hört das Theater auf? Welcher Akt? Nein, also das ist doch absurd."

So trifft etwa der fauchende Jähzorn in dem Stück "Realität" - eine Kritik an mangelnder Zivilcourage - auf dem "Opus Magnum" nur ein paar Minuten später in der Episode "1705" auf eine betrunken jodelnde Militäransprache:

"Im Namen der hier angetretenen Gebirgsschützen: ein herzliches Grüß Gott!"

Und da ist noch das Gerhard-Polt-Kabarett, begleitet von der Musik-Formation Biermösln Blosn: In "E-Mam-Be-Le" vereint sich bayerische Blasmusik mit improvisierten Jazzklängen. Polt brummt zur Tuba und jault zur Trompete - Vokal-Akrobatik als Weltmusik-Parodie:

"E-Mam-Be-Le... "

Frühe Rundfunkaufnahmen aus dem Jahr 1977 und aktuellere Livemitschnitte von 2008: Dieser Querschnitt aus über 40 Jahren Gerhard Polt - auf der fast neunstündigen CD-Box "Opus Magnum" - ist ein unterhaltsames Zeitdokument mit eindringlicher Sozialkritik. Doch viel mehr noch ist es ein parodistisches Spiel mit lauschiger Lebensart aus Bayern - zwischen Brauchtum und Bierseligkeit.

"Diese Ruhe. Diese Natur. Leise fächelt der Wind durch die Kastanienblätter. Diese Ruhe. Der Hypophysen-Lappen im Hinterkopf geht nur noch ganz langsam. Propellert nicht mehr. Wie ein Segel in der Flaute."

Gerhard Polt ist ein leise seufzendes und laut schallendes Stimmwunder in einem. Ein akustisches Wechselbad der Gefühle - zwischen bitterböse und nostalgisch, Bayern-Zerrbild und Volkstümelei.

"Langsam greift man zum Krug und führt den selbigen zum Kopf. Niemals mit dem Kopf zum Krug. Und dann hält man inne. Es könnte vielleicht noch ein Gedanke daher kommen. Nein, das ist unwahrscheinlich. Das ist die Gemütlichkeit."

Besprochen von Andi Hörmann

Gerhard Polt: Opus Magnum
Verlag Kein & Aber, Zürich 2012
9 CDs, 525 Minuten, 49 Euro

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