Altwerden unter Touristen
Wenn sie vor die Tür treten, stehen sie im Gewühl zwischen Touristen, Taxis und Boutiquen: die Bewohner eines Seniorenheims in Berlin-Mitte. Beschaulich ist es hier weniger, dafür gibt es ständig etwas zu beobachten.
"Ja, da fühle ich mich eigentlich sehr wohl, weil es beginnt morgens schon früh um acht, wenn die ganzen Lieferwagen kommen, und das ist heute eine besondere Freude: Jedes Auto ist anders angemalt, hat eine besondere Spezialität, sich zu gestalten, und das ist erst mal ganz interessant..."
Vera Stankoweit, 83 Jahre, dunkelblaue Nicky-Trainingsjacke, sportliche Schuhe steht, gestützt auf ihren Rollator, auf dem schmalen Gehweg. Hinter ihr drängeln Passanten in den Drogeriemarkt, gegenüber Touristen in die Hackeschen Höfe, Berlins beliebteste Sehenswürdigkeit. Für einen kurzen Moment verschwindet Vera Stankoweit zwischen den Menschen, dann reckt sie ihren Kopf mit der grauen Kurzhaarfrisur empor und zeigt mit der Hand auf ein Fenster zwei Stockwerke über ihr. Es gehört zur 205, ihrem Zimmer im Altenheim Pro Seniore, von dem aus sie alles bestens beobachten kann.
"Dann kommen die jungen Männer raus und gehen rein in die Geschäfte, und die Autos sind interessant, da kommt Coca Cola – und manchmal kommt Straßenbahn nicht durch, weil der Wagen so breit ist."
Seit knapp einem halben Jahr wohnt sie wieder hier in Mitte, an einem der belebtesten Flecken der Stadt. Umgeben von Designerboutiquen, Coffee Shops und Sprachen, mit denen sie nichts anfangen kann. Ein paar Meter weiter Richtung S-Bahn Hackescher Markt steht die "Windmühle", ein Hochhaus, das die DDR in den 70ern gebaut hat. Hier haben sie und ihr Mann lange gelebt. Nach seinem Tod holt die Tochter sie zu sich nach Brandenburg, in eine ruhige Einliegerwohnung, aber Vera Stankoweit hält es im Grünen nicht aus:
"Also das war mir so langweilig, es mag Leute geben, die das mögen, aber mein Ding ist das nicht, die Stadt muss belebt sein, besonders mit Cafés, die hier draußen sind."
Die Cafés hier sucht sie dennoch selten auf, bei Starbucks gegenüber gönnt sie sich manchmal einen Latte Macchiato, aber zum Essen ist es ihr rund um den Hackeschen Markt zu teuer. Meist bleibt sie im Heim und geht in den Speisesaal, wie heute. Ein heller Raum mit großem Fenster, vor dem eine Voliere mit Wellensittichen steht. Der Linoleumboden riecht ein wenig nach Putzmittel, der Saal nach Krankenhaus, doch das Essen schmeckt:
"Die Küche ist von mir schon ein paar Mal gelobt worden, weil sie sich phantasievoll gestaltet, machen immer noch was Besonderes rein. Ich esse nur hier."
Vera Stankoweit, 83 Jahre, dunkelblaue Nicky-Trainingsjacke, sportliche Schuhe steht, gestützt auf ihren Rollator, auf dem schmalen Gehweg. Hinter ihr drängeln Passanten in den Drogeriemarkt, gegenüber Touristen in die Hackeschen Höfe, Berlins beliebteste Sehenswürdigkeit. Für einen kurzen Moment verschwindet Vera Stankoweit zwischen den Menschen, dann reckt sie ihren Kopf mit der grauen Kurzhaarfrisur empor und zeigt mit der Hand auf ein Fenster zwei Stockwerke über ihr. Es gehört zur 205, ihrem Zimmer im Altenheim Pro Seniore, von dem aus sie alles bestens beobachten kann.
"Dann kommen die jungen Männer raus und gehen rein in die Geschäfte, und die Autos sind interessant, da kommt Coca Cola – und manchmal kommt Straßenbahn nicht durch, weil der Wagen so breit ist."
Seit knapp einem halben Jahr wohnt sie wieder hier in Mitte, an einem der belebtesten Flecken der Stadt. Umgeben von Designerboutiquen, Coffee Shops und Sprachen, mit denen sie nichts anfangen kann. Ein paar Meter weiter Richtung S-Bahn Hackescher Markt steht die "Windmühle", ein Hochhaus, das die DDR in den 70ern gebaut hat. Hier haben sie und ihr Mann lange gelebt. Nach seinem Tod holt die Tochter sie zu sich nach Brandenburg, in eine ruhige Einliegerwohnung, aber Vera Stankoweit hält es im Grünen nicht aus:
"Also das war mir so langweilig, es mag Leute geben, die das mögen, aber mein Ding ist das nicht, die Stadt muss belebt sein, besonders mit Cafés, die hier draußen sind."
Die Cafés hier sucht sie dennoch selten auf, bei Starbucks gegenüber gönnt sie sich manchmal einen Latte Macchiato, aber zum Essen ist es ihr rund um den Hackeschen Markt zu teuer. Meist bleibt sie im Heim und geht in den Speisesaal, wie heute. Ein heller Raum mit großem Fenster, vor dem eine Voliere mit Wellensittichen steht. Der Linoleumboden riecht ein wenig nach Putzmittel, der Saal nach Krankenhaus, doch das Essen schmeckt:
"Die Küche ist von mir schon ein paar Mal gelobt worden, weil sie sich phantasievoll gestaltet, machen immer noch was Besonderes rein. Ich esse nur hier."
"Erholung in der Stadt"
Die Bewohner speisen an langen Tischen, meist stumm, einige werden gefüttert. Dann schaut der Leiter im Saal vorbei, ein schlaksiger, blonder Mann Anfang 30, der auch mit Bart und Anzug jünger aussieht.
"Mahlzeit, ja genau, hier kommen unsere Bewohner zum Essen. Im hinteren Bereich sind die Bewohner der dementen Abteilung, ganz interessante Persönlichkeiten."
Benjamin Stahl setzt für jeden ein Lächeln auf und begrüßt die, deren Namen er schon kennt, persönlich. Erst vor ein paar Wochen hat er die Leitung des Seniorenheims übernommen, von den 233 Pflegeplätzen auf sieben Etagen sind derzeit nur rund 100 belegt. Er will sich und das ganze Haus von der besten Seite zeigen, so engagiert geht er nun voran und zeigt jedes Detail. Er hat ein Prospekt der Einrichtung eingesteckt, holt es aus dem Jackett und liest vor.
"Also im Prinzip haben sie hier einen groben Querschnitt unserer Einrichtung im Grünen, herzlich willkommen, Einrichtung zum Verweilen mit schönen ansprechenden Bildern, speziell vom Innenhofbereich, dem Eingangsbereich..."
Wer zuhört und sich dabei umblickt, denkt, er redet von einem anderen Ort. Senffarben gestrichene Gänge ohne Fenster. Einen Baum sieht nur, wer nach hinten zum Hof wohnt, alle anderen blicken auf Straßenbahnhaltestelle, Taxis und Häuserfronten. Je nach Pflegestufe müssen die Bewohner zwischen 1600 und 2000 Euro pro Monat dazuzahlen, wer keine Pflege braucht legt für ein 37 Quadratmeter großes Service-Appartement rund 1000 Euro hin:
"Im Vergleich zum Grünen ist hier was geboten. Man sieht was, man erlebt was. Das ist auch die Intention, wenn man sich für einen Platz hier entscheidet, dass man immer noch stattfinden will, auch wenn der Kiez oder Berlin-Mitte als Stadtbezirk immer mehr schwindet."
Die Mieten im Viertel sind teuer geworden, nicht nur für Alte und Rentner, die oft weg müssen, wenn ihre Wohnungen saniert werden. Auch Benjamin Stahl hat lange eine bezahlbare Wohnung in der Nähe gesucht.
"Ich persönlich mag das Bunte, dass man das Gefühl hat, man macht Urlaub zu Hause. Und ich finde, dass Erholung auch in der Stadt stattfinden kann. Ja, Erholung hier."
Unten auf der Straße kämpft sich Vera Stankoweit mit Rollator über die Bordsteinkante, dann durch eine Lücke zwischen den Taxis. Sie wird oft nach dem Weg gefragt. Die Touristen haben aber wenig Zeit, ihr zuzuhören:
Sie könnte wunderbar erzählen, etwa wie sie im Berliner Ensemble mit Bertolt Brecht und der Weigel diskutierte. Auch würde sie in der Sophienstraße den Bäcker mit den besten Schrippen zeigen, die sie von früher kennt. Sonst ist ihr alles fremd geworden:
"Der größte Teil ist weggezogen, am Speckgürtel, oder leben nicht mehr. Das ist eine Frage der Einstellung, belebte Stadt – da passiert eben was."
Manchmal geht sie zum Spaß in die Modeläden – nur Gucken, erzählt sie, und lächelt. Letztens hat sie eine Verkäuferin wieder fortgeschickt – mit den Worten: "Sorry, wir haben hier nichts für Sie."
"Mahlzeit, ja genau, hier kommen unsere Bewohner zum Essen. Im hinteren Bereich sind die Bewohner der dementen Abteilung, ganz interessante Persönlichkeiten."
Benjamin Stahl setzt für jeden ein Lächeln auf und begrüßt die, deren Namen er schon kennt, persönlich. Erst vor ein paar Wochen hat er die Leitung des Seniorenheims übernommen, von den 233 Pflegeplätzen auf sieben Etagen sind derzeit nur rund 100 belegt. Er will sich und das ganze Haus von der besten Seite zeigen, so engagiert geht er nun voran und zeigt jedes Detail. Er hat ein Prospekt der Einrichtung eingesteckt, holt es aus dem Jackett und liest vor.
"Also im Prinzip haben sie hier einen groben Querschnitt unserer Einrichtung im Grünen, herzlich willkommen, Einrichtung zum Verweilen mit schönen ansprechenden Bildern, speziell vom Innenhofbereich, dem Eingangsbereich..."
Wer zuhört und sich dabei umblickt, denkt, er redet von einem anderen Ort. Senffarben gestrichene Gänge ohne Fenster. Einen Baum sieht nur, wer nach hinten zum Hof wohnt, alle anderen blicken auf Straßenbahnhaltestelle, Taxis und Häuserfronten. Je nach Pflegestufe müssen die Bewohner zwischen 1600 und 2000 Euro pro Monat dazuzahlen, wer keine Pflege braucht legt für ein 37 Quadratmeter großes Service-Appartement rund 1000 Euro hin:
"Im Vergleich zum Grünen ist hier was geboten. Man sieht was, man erlebt was. Das ist auch die Intention, wenn man sich für einen Platz hier entscheidet, dass man immer noch stattfinden will, auch wenn der Kiez oder Berlin-Mitte als Stadtbezirk immer mehr schwindet."
Die Mieten im Viertel sind teuer geworden, nicht nur für Alte und Rentner, die oft weg müssen, wenn ihre Wohnungen saniert werden. Auch Benjamin Stahl hat lange eine bezahlbare Wohnung in der Nähe gesucht.
"Ich persönlich mag das Bunte, dass man das Gefühl hat, man macht Urlaub zu Hause. Und ich finde, dass Erholung auch in der Stadt stattfinden kann. Ja, Erholung hier."
Unten auf der Straße kämpft sich Vera Stankoweit mit Rollator über die Bordsteinkante, dann durch eine Lücke zwischen den Taxis. Sie wird oft nach dem Weg gefragt. Die Touristen haben aber wenig Zeit, ihr zuzuhören:
Sie könnte wunderbar erzählen, etwa wie sie im Berliner Ensemble mit Bertolt Brecht und der Weigel diskutierte. Auch würde sie in der Sophienstraße den Bäcker mit den besten Schrippen zeigen, die sie von früher kennt. Sonst ist ihr alles fremd geworden:
"Der größte Teil ist weggezogen, am Speckgürtel, oder leben nicht mehr. Das ist eine Frage der Einstellung, belebte Stadt – da passiert eben was."
Manchmal geht sie zum Spaß in die Modeläden – nur Gucken, erzählt sie, und lächelt. Letztens hat sie eine Verkäuferin wieder fortgeschickt – mit den Worten: "Sorry, wir haben hier nichts für Sie."