Kurve statt Kante
Sein Name Aalto heißt auf Finnisch Welle, und tatsächlich ist der finnische Architekt Alvar Aalto bekannt für Kurven, Wellen und Formen in seinem Werk. Seine wellenförmige Vase "Savoy" ist eine Design-Ikone und wird bis heute erfolgreich produziert. Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein zeigt eine große Retrospektive zum Werk Aaltos.
1933 hat Alvar Aalto das Lungensanatorium von Paimio gebaut, im Südwesten Finnlands mitten im Wald, mit strahlend weiß verputzten Trakten und einer offenen Liegehalle auf dem Dach. Ein Schlüsselwerk, sagt der Kurator Jochen Eisenbrandt.
"Weil das ein Bau ist, der sich nach der Sonne ausrichtet, der wunderbar in dieser Landschaft platziert ist, wo auch die psychologischen und physiologischen Aspekte des Bauens berücksichtigt werden. Also: wie fühle ich mich in dem Fall als Patient in diesem Raum. Er hat also versucht, das mit einzubeziehen, es gehörte für ihn mit zur Funktion des Gebäudes, dass man sich darin wohl fühlt."
Wegbereiter des nordischen Designs
Heilung durch Architektur, nichts weniger hatte Aalto mit dem Bau im Sinn. In der Schau hat man sogar ein Krankenzimmer rekonstruiert mit der von Aalto entworfenen Einrichtung: ein schmales Stahlrohrbett, blassgrün lackiert; Wandschrank, Nachttisch, Hocker und Deckenleuchte; sogar einen Spucknapf für die Lungenkranken und ein besonders geräuscharmes Waschbecken hatte sich Aalto ausgedacht, und nicht zuletzt den berühmten Paimio-Sessel aus gebogenem Schichtholz, der schnell zu einem Design-Klassiker wurde. Mit sanftem Schwung schmiegt sich der Sitz dem Körper an, die langen Kufen federn das Gewicht ab – ein damals neues, fast schwereloses Sitzerlebnis.
1935 hatte Aalto mit seiner Frau Aino die Firma Artek gegründet, ein kulturell ambitioniertes Unternehmen, das sich erfolgreich um die Vermarktung ihrer Design-Entwürfe kümmerte: die wellenförmig geschwungene Glasvase "Savoy", Glasgeschirr, Leuchten und Sitzmöbel in allen Varianten.
"Er war auf jeden Fall einer der Wegbereiter für diesen Erfolgszug des nordischen oder skandinavischen Designs schon in den 30er-Jahren und hat da gezeigt, wie man diese Objekte, die er entworfen hat, wie man die geschickt präsentiert und wie man die auch so präsentiert, dass die so wirken, als seien sie direkt aus der finnischen Natur, was auch immer ein Verkaufsargument war."
Die Schau will beweisen, dass die Inspirationsquelle für Aaltos organische Formen nicht nur die finnische Natur war. Viel mehr noch waren es die sanft gerundeten Werke von mit ihm befreundeten Künstlern wie Hans Arp, Alexander Calder und Fernand Léger, die man zu Aaltos eigenen Werken in einen aufschlussreichen Dialog setzt. Zudem wird betont, dass sich Aalto beim Entwurfsprozess gerne von tranceähnlichen Praktiken leiten ließ, die organische Linie also auch Ausfluss des Unterbewussten gewesen sei.
Nachhaltiger Umgang mit Materialien
Kurven statt Kanten – nach der Methode entwickelte Aalto Bauten wie die Universität in Jyväskylä, halb in der Erde, halb im Licht; schuf Kirchen, Theater, Wohnhäuser, Industrie- und Verwaltungsgebäude, Kinos und Bibliotheken. Nicht immer folgte deren Form dem rein ästhetischen Konzept. Die lichten, oftmals von gewellten Wänden und Decken in Bewegung gehaltenen Räume waren schlichtweg den akustischen Erfordernissen geschuldet. Bauen ist eben auch Physik.
Überhaupt war Aalto sehr interessiert an Technik, Medien, Kino und Theater und hatte 1929 eine durchaus visionäre Idee:
"Er hat ein Zeitungsgebäude entworfen in der ehemaligen Hauptstadt Turku und hatte die Idee, die Fassade des Gebäudes täglich mit der ersten Seite der Zeitung zu bespielen, also die erste Seite der Zeitung auf die Fassade des Hauses zu projizieren."
Die Medienfassade freilich zerschlug sich wegen technischer und wirtschaftlicher Probleme, doch was bis heute wirkt und überzeugt, ist Aaltos nachhaltiger Umgang mit den Materialien und sein am Menschen orientierter Funktionalismus im Sinne einer humanen Moderne. Eine Baukunst, die sich als eine "zweite Natur" begreift.
Manche seiner Möbel muten aus heutiger Sicht etwas hausbacken an, manche Sessel wegen der fehlenden Polsterung auch unbequem und trotz der flotten Schwünge wenig elegant.
Das gilt nicht für die Bauten, für die Aalto gerne auch die kleinsten Details entwarf. Die Türklinke, sagte er, sei so etwas wie der "Handschlag des Gebäudes", und der müsse eben stimmig sein, damit sich ein Bewohner willkommen fühle. Und selbst Backsteinen versuchte er die perfekte Form zu verpassen:
"Er hat ja viel von Standardisierung gesprochen und meinte immer, das sei für ihn so die kleinste Einheit, also ein ganz einfaches Modul, aus dem man dann aber wunderbare Bauten schaffen kann."
Zwei dieser Ziegelsteine liegen in der Schau: sanft gerundet, ohne Ecken, vom Meister selbst geformt. So viel Demut vor seinem Werkstoff wünschte man manch anderem Architekten auch.
Die Ausstellung ist im Vitra Design Museum in Weil am Rhein bis zum 1. März 2015 zu sehen.