Alzheimer-Forschung

Zwei Schritte vor, einen zurück

07:36 Minuten
Illustration: eine große Hand löscht einen Teil des Gehirns mit einem Radiergummi am Ende eines Bleistifts.
Bis 2050 könnte sich die Zahl der Alzheimer-Fälle verdoppeln, warnen Experten. © imago / Ikon Images / Gary Waters
Von Katja Ridderbusch |
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Auf Hochtouren läuft weltweit die Suche nach einer Alzheimer-Therapie. Derzeit suchen viele Forscher ihr Heil in nicht-medikamentösen Therapien - bis hin zur Operation. Doch deren Nutzen könnte sich als begrenzt erweisen.
Lary Walker beugt sich tief über das Mikroskop in seinem Labor. In 400-facher Vergrößerung liegt dort das Gehirngewebe eines verstorbenen Alzheimer-Patienten. Das Bild erinnert an die Luftaufnahme einer Kraterlandschaft nach einem Bombenangriff: Wild gesprenkelte dunkle Flecken auf hellem Hintergrund sind zu sehen.
Es sei immer wieder beängstigend zu sehen, wie sehr das Gehirn eines Alzheimer-Patienten zerstört ist, sagt Walker. Der Neurowissenschaftler an der Emory-Universität in Atlanta arbeitet seit 35 Jahren daran, die Krankheit zu verstehen, die die Erinnerung ausradiert und die Persönlichkeit zersetzt.

Kehrtwende bei Alzheimer-Medikament

Weltweit leiden rund 47 Millionen Menschen an Alzheimer. In den USA sind es knapp sechs Millionen, in Deutschland 1,5 Millionen. Bis 2050 könnte sich diese Zahl verdoppeln. Die Forschung läuft weltweit auf Hochtouren, es gibt Fortschritte und immer wieder Rückschläge.
So wurden im vergangenen Jahr gleich zwei große Studien für ein neuartiges Medikament abgebrochen, weil die Ergebnisse nicht eindeutig waren. Der Wirkstoff Aducanumab ist eine Antikörper-Therapie gegen die charakteristischen Eiweißablagerungen im Gehirn.
Dennoch hat der Hersteller bei der US-Pharmaaufsicht die Zulassung beantragt. Eine richtige Entscheidung, findet Walker. Es gebe klare Hinweise darauf, dass Aducanumab sehr wohl bei der Entfernung toxischer Plaques wirke. "Das Problem bei den Studien war, dass sie zu spät eingesetzt haben", so der Alzheimer-Forscher. Zu einem Zeitpunkt, als die Gehirne der Patienten bereits stark mit den Beta-Amyloid- und Tau-Proteinen belegt waren.
Beide Eiweißablagerungen stören die Kommunikation zwischen den Nervenzellen im Gehirn. Die genaue Rolle der Eiweiße bei der Erkrankung ist noch nicht völlig geklärt. Klar ist aber: Sie lassen sich bis zu 20 Jahre vor dem Auftreten der ersten Symptome nachweisen.
Deshalb plädieren Walker und andere Alzheimer-Forscher dafür, die Krankheit sehr viel früher zu behandeln. Die lange Zeit zwischen der Bildung der toxischen Proteine und dem Einsetzen der Demenz müsse besser genutzt werden.

Sind nicht-medikamentöse Therapien die Lösung?

Weltweit finden tausende Alzheimer-Studien statt. Viele konzentrieren sich auf die Eiweißplaques und die Rolle von Entzündungsprozessen im Gehirn. Andere erkunden neue Methoden zur Früherkennung, wie etwa einen Bluttest. Auch nicht-medikamentöse Therapien werden erprobt.
Porträtaufnahme Lary Walker, mit grauen, kurzen Haaren, Bart und Brille, im weißen Laborkittel.
Seit 35 Jahren untersucht der Neurowissenschaftler Lary Walker Alzheimer.© Emory University
Doch Forschung braucht Probanden. Patienten, die vielleicht selbst nicht mehr von den Studienergebnissen profitieren. Patienten wie Jackie Spierman. Sie wisse nicht, ob es einmal eine Heilung geben werde, so die 77-Jährige. "Aber ich hoffe es. Ich hoffe es sehr."
Spierman hat lange in Kalifornien gelebt, wo sie Sozialarbeiterin tätig war. Vor knapp zehn Jahren zog sie mit ihrem Mann nach Atlanta, um enger bei ihren Töchtern sein zu können. Kurz darauf merkte sie, dass etwas mit ihrem Gedächtnis nicht stimmte: "Stellen Sie sich ein Gepäckband vor, das die Worte vom Gehirn zum Mund trägt", sagt Spierman. Von diesem Band nehme jemand ab und zu ein Wort herunter. "Und dann ist es plötzlich weg." Nach mehreren Tests diagnostizierten die Ärzte Alzheimer im frühen Stadium.
Ende vergangenen Jahres nahm sie in Atlanta an der Flicker-Studie teil. Dabei werden Patienten täglich jeweils eine Stunde lang Licht- und Tonsignalen in einer Frequenz von 40 Hertz ausgesetzt. Bei Versuchen mit Alzheimer-Mäusen führt diese Sinnesstimulation dazu, dass die Hirnleistung ansteigt und die Eiweißklumpen im Hirn sich zurückbilden. Doch was bei Mäusen wirkt, muss nicht beim Menschen funktionieren.
Jackie Spierman will an weiteren Studien teilnehmen. Und wenn sie für den Rest ihres Lebens ein totes Stinktier um den Hals tragen müsse, weil das helfe: "Dann würde ich das auch machen", so die 77-Jährige.

Von der Parkinson-Therapie lernen

Kein totes Stinktier, aber Drähte im Hirn sind ein weiteres nicht-medikamentöses Verfahren, das derzeit in einer internationalen Studie – genannt Advance-II – getestet wird. Elektrische Impulse sollen das Gehirn stimulieren. Es ist die erste Operation zur Therapie von Alzheimer.
Timo Grimmer ist Facharzt für Psychiatrie am Klinikum rechts der Isar an der Technischen Universität München. Die tiefe Hirnstimulation sei ein gut etabliertes Verfahren in der Behandlung von Parkinson. Er könne sich gut vorstellen, dass Stromimpulse auch Patienten mit Alzheimer helfen könnten. Dazu rege man die noch funktionierenden Nervenzellen an, die so womöglich wieder im Hirnnetzwerk funktionierten. "Das ist ein völlig neuer Therapieansatz, den wir bisher noch nicht versucht haben."
Eine Alzheimer-Patientin aus Grimmers Praxis war die erste, die sich in Deutschland dem minimalinvasiven Eingriff unterzog. Eine Vorläuferstudie in den USA weckte leise Hoffnung, aber Grimmer will seinen Patienten keine Heilsversprechen geben: "Vielleicht wird man am Ende sagen müssen, dass der Nutzen eher geringer Natur ist."

Je früher die Behandlung, desto besser

Trotz aller Vorsicht sind Timo Grimmer und Lary Walker, der Arzt und der Forscher, überzeugt: Es wird neue Methoden zur Früherkennung von Alzheimer geben. Und auch Therapien mit Antikörpern – so wie das Medikament Aducanumab – haben Potenzial, allerdings nur für Patienten, die noch keine oder kaum Symptome zeigten.
Deshalb plädiert Grimmer für einen möglichst breiten Ansatz im Kampf gegen Alzheimer. Es werde immer eine große Zahl von Menschen geben, die aus unterschiedlichen Gründen keine Therapie bekämen oder erst dann, wenn sie ausgeprägte Beschwerden hätten. "Für solche Patienten sind Therapien dringend notwendig, die lindernd wirken", so Grimmer. Das könne den Erkrankten dabei helfen, wieder mehr Alltagskompetenz aufzubauen.
Seit Lary Walker die Alzheimer-Krankheit erforscht, seit mehr als drei Jahrzehnten also, hört er immer wieder die Frage: Wann wird es eine wirksame Therapie geben? Der Neurowissenschaftler gibt darauf immer dieselbe Antwort: In den nächsten fünf bis zehn Jahren. Doch im Laufe seines Forscherlebens habe sich etwas verändert: "Die Chancen, dass das stimmt, sind sehr viel besser als noch vor 20 Jahren."
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