Am liebsten auf dem Land
Nach Jahren in Kiel, Berlin, Göttingen und London lebt der 43-jährige Henning Ahrens als Dichter, Übersetzer und alleinerziehender Vater in einem Dorf in Niedersachsen. Der Lyriker in Cowboystiefeln nennt das Schreiben "ein langsames Umgraben", wofür das Land ein guter Ort sei. Gerade ist sein neuer Gedichtband "Kein Schlaf in Sicht" erschienen.
Ahrens: "Dorf, Stille. Ist augenblicklich recht still auf dem Dorf, wenn man vom Nachbarn gegenüber absieht, der dröhnend laute deutsche Schlager hört."
Das Dorf, in dem Henning Ahrens lebt, heißt Handorf, es liegt bei Peine.
"Also ich lebe da inzwischen ganz gern oder sogar sehr gern, bin da aber in dieses Dorf nicht wirklich integriert. Man ist da schon ein Fremdkörper, weil man natürlich einen völlig anderen Job macht, niemand macht da so was. Man hat ganz andere Arbeitszeiten, das wurde am Anfang misstrauisch beäugt, inzwischen merke ich, ich werde da irgendwie toleriert, mische mich da aber nicht groß rein."
Ein Kaff mit ein paar Gehöften, dort lebt Ahrens, nur wenige Kilometer entfernt von dem Bauernhof, auf dem er aufwuchs. Den ersten Interviewtermin vergisst der Lyriker in Cowboystiefeln, weil seine Mutter ihren 74. Geburtstag feiert. Das Land: für einen wie den 43-jährigen Henning Ahrens ein guter Ort zum Schreiben, sehr ruhig.
"Und dann gibt es die Natur, die mir immer schon sehr viel bedeutet hat. Irgendwann habe ich mal überlegt: Was ist dir eigentlich lieber? Würdest du lieber in einem schicken Café sitzen oder eine Runde durch die Felder drehen, und dann merkte ich: Nein, ich will eigentlich lieber eine Runde durch die Felder drehen."
Henning Ahrens lebt nicht seit jeher in der Provinz. Davor lagen Jahre in Kiel und Berlin, das Literatur-Studium in Göttingen, Aufenthalte in London. Schlank und hochgewachsen, dunkelblondes Haar, ist Ahrens ein durch und durch norddeutsches Temperament und wirkt geerdet. Er sagt, Literatur sei "ein langsames Umgraben".
Doch so ruhig, wie es scheint, ist der Lyriker nicht immer. Als einmal in Braunschweig nur einige wenige Leute zu seiner Lesung kamen, stieg er ebenso zornig wie kurz entschlossen ins Auto und ließ die Veranstaltung platzen. Henning Ahrens: Ein Poet, der angenervt vom Literaturbetrieb, lieber - wie sein lyrisches Ich in einem seiner neuen Gedichte - "singend durch die modrig riechenden Rapsfelder" radelt und ganz "betrunken" "den Duft des blühenden Flieders" atmet.
"Wenn ich dann abends mit einem Glas Wein draußen auf der Bank sitze und mein Nachbar wieder Scha-heiße brüllt, weil die Anhängerkupplung seines Treckers klemmt, bin ich froh. Ja, es ist wirklich still auf dem Dorf, und ich kann in Ruhe den Code der Amseln entschlüsseln."
Der da die Geheimsprache der Vögel zu dechiffrieren versucht, hat über den eigensinnigen, weithin unbekannten Briten John Cowper Powys seine Doktorarbeit geschrieben: einen zuweilen sonderbaren Schriftsteller, der "Bäume umarmte, mit Steinen redete". Poesie aber ist für Ahrens weit mehr als "Versenkung in die Natur".
"Das ist so eine Art Sprachgymnastik, da geht’s dann wirklich zur Sache."
Und wie es da zur Sache geht in Ahrens’ neuem, seinem dritten Gedichtband. Zum Beispiel setzt er sich darin ironisch mit den Literaturkritikern auseinander:
Eine große Herde ist das, die da auf den Büchern grast, /
Köttel wie Korrekturzeichen auf die Seiten fallen lässt, /
und vieles zertrampelt, wenn der Leithammel blökt./
Dann stimmen nämlich alle in das Blöken ein, preschen hinterher und /
vergessen beim Galopp komplett das Denken./
Sie verdrängen gern, dass ihre Bedeutung nur geborgt ist, /
sind aber oft eitler als jene, von denen sie mit Futter versorgt werden, /
und in deren Hand sie beißen, /
weil sie, wie diese, lieber Selbstversorger wären.
Dummerweise sind ihre Beine dafür zu kurz, und wenn ihre Hufe über die Seiten stampfen, wirbeln sie mächtig Staub auf, /
den sie dann selbst wieder wegzupusten versuchen, /
um ihre Unverzichtbarkeit zu beweisen.
Deutliche Worte über die Kritiker, die Ahrens’ Lyrik und seine Romane nicht immer fair behandeln, ihn aber fast immer überschwänglich loben für seine Kunst als Übersetzer von Werken aus dem englischsprachigen Raum. Von John Updike und Hanif Kureishi zum Beispiel. Gerade hat er einen Klassiker neu übersetzt: "Die Abenteuer des Augie March" vom Nobelpreisträger Saul Bellow, den Job des Übersetzers liebt er sehr.
"In den eigenen Texten kann man ja machen, was man will, da hat man seinen Stil, und hier muss man eben das Kunststück vollbringen, sich in etwas Fremdes reinzufinden, sich dem anzuverwandeln und auch unterzuordnen, und das ist eigentlich immer, wenn es sich um einen guten Text handelt, eine sehr schöne Herausforderung."
Um aber die eigenen "Seelenkarambolagen" zu verarbeiten, schreibt Ahrens, der alleinerziehende Vater zweier Söhne, Lyrik, und stellt seinem neuen Gedichtband "Kein Schlaf in Sicht" als Motto den Satz eines Neunjährigen voran: "Man muss das Leben von der krassen Seite sehen, sonst schockt es nicht."
"Naja, zunächst mal ist das ein Zitat meines jüngsten Sohnes, der das eines Tages aus heiterem Himmel von sich gab – sehr weise, sehr weise -, und zum anderen schreibt man ja auch, weil man immer mal wieder vom Leben erschüttert wird."
Rezensiert von Knut Cordsen
Henning Ahrens, "Kein Schlaf in Sicht"
S. Fischer Verlag, 16.90 Euro
Das Dorf, in dem Henning Ahrens lebt, heißt Handorf, es liegt bei Peine.
"Also ich lebe da inzwischen ganz gern oder sogar sehr gern, bin da aber in dieses Dorf nicht wirklich integriert. Man ist da schon ein Fremdkörper, weil man natürlich einen völlig anderen Job macht, niemand macht da so was. Man hat ganz andere Arbeitszeiten, das wurde am Anfang misstrauisch beäugt, inzwischen merke ich, ich werde da irgendwie toleriert, mische mich da aber nicht groß rein."
Ein Kaff mit ein paar Gehöften, dort lebt Ahrens, nur wenige Kilometer entfernt von dem Bauernhof, auf dem er aufwuchs. Den ersten Interviewtermin vergisst der Lyriker in Cowboystiefeln, weil seine Mutter ihren 74. Geburtstag feiert. Das Land: für einen wie den 43-jährigen Henning Ahrens ein guter Ort zum Schreiben, sehr ruhig.
"Und dann gibt es die Natur, die mir immer schon sehr viel bedeutet hat. Irgendwann habe ich mal überlegt: Was ist dir eigentlich lieber? Würdest du lieber in einem schicken Café sitzen oder eine Runde durch die Felder drehen, und dann merkte ich: Nein, ich will eigentlich lieber eine Runde durch die Felder drehen."
Henning Ahrens lebt nicht seit jeher in der Provinz. Davor lagen Jahre in Kiel und Berlin, das Literatur-Studium in Göttingen, Aufenthalte in London. Schlank und hochgewachsen, dunkelblondes Haar, ist Ahrens ein durch und durch norddeutsches Temperament und wirkt geerdet. Er sagt, Literatur sei "ein langsames Umgraben".
Doch so ruhig, wie es scheint, ist der Lyriker nicht immer. Als einmal in Braunschweig nur einige wenige Leute zu seiner Lesung kamen, stieg er ebenso zornig wie kurz entschlossen ins Auto und ließ die Veranstaltung platzen. Henning Ahrens: Ein Poet, der angenervt vom Literaturbetrieb, lieber - wie sein lyrisches Ich in einem seiner neuen Gedichte - "singend durch die modrig riechenden Rapsfelder" radelt und ganz "betrunken" "den Duft des blühenden Flieders" atmet.
"Wenn ich dann abends mit einem Glas Wein draußen auf der Bank sitze und mein Nachbar wieder Scha-heiße brüllt, weil die Anhängerkupplung seines Treckers klemmt, bin ich froh. Ja, es ist wirklich still auf dem Dorf, und ich kann in Ruhe den Code der Amseln entschlüsseln."
Der da die Geheimsprache der Vögel zu dechiffrieren versucht, hat über den eigensinnigen, weithin unbekannten Briten John Cowper Powys seine Doktorarbeit geschrieben: einen zuweilen sonderbaren Schriftsteller, der "Bäume umarmte, mit Steinen redete". Poesie aber ist für Ahrens weit mehr als "Versenkung in die Natur".
"Das ist so eine Art Sprachgymnastik, da geht’s dann wirklich zur Sache."
Und wie es da zur Sache geht in Ahrens’ neuem, seinem dritten Gedichtband. Zum Beispiel setzt er sich darin ironisch mit den Literaturkritikern auseinander:
Eine große Herde ist das, die da auf den Büchern grast, /
Köttel wie Korrekturzeichen auf die Seiten fallen lässt, /
und vieles zertrampelt, wenn der Leithammel blökt./
Dann stimmen nämlich alle in das Blöken ein, preschen hinterher und /
vergessen beim Galopp komplett das Denken./
Sie verdrängen gern, dass ihre Bedeutung nur geborgt ist, /
sind aber oft eitler als jene, von denen sie mit Futter versorgt werden, /
und in deren Hand sie beißen, /
weil sie, wie diese, lieber Selbstversorger wären.
Dummerweise sind ihre Beine dafür zu kurz, und wenn ihre Hufe über die Seiten stampfen, wirbeln sie mächtig Staub auf, /
den sie dann selbst wieder wegzupusten versuchen, /
um ihre Unverzichtbarkeit zu beweisen.
Deutliche Worte über die Kritiker, die Ahrens’ Lyrik und seine Romane nicht immer fair behandeln, ihn aber fast immer überschwänglich loben für seine Kunst als Übersetzer von Werken aus dem englischsprachigen Raum. Von John Updike und Hanif Kureishi zum Beispiel. Gerade hat er einen Klassiker neu übersetzt: "Die Abenteuer des Augie March" vom Nobelpreisträger Saul Bellow, den Job des Übersetzers liebt er sehr.
"In den eigenen Texten kann man ja machen, was man will, da hat man seinen Stil, und hier muss man eben das Kunststück vollbringen, sich in etwas Fremdes reinzufinden, sich dem anzuverwandeln und auch unterzuordnen, und das ist eigentlich immer, wenn es sich um einen guten Text handelt, eine sehr schöne Herausforderung."
Um aber die eigenen "Seelenkarambolagen" zu verarbeiten, schreibt Ahrens, der alleinerziehende Vater zweier Söhne, Lyrik, und stellt seinem neuen Gedichtband "Kein Schlaf in Sicht" als Motto den Satz eines Neunjährigen voran: "Man muss das Leben von der krassen Seite sehen, sonst schockt es nicht."
"Naja, zunächst mal ist das ein Zitat meines jüngsten Sohnes, der das eines Tages aus heiterem Himmel von sich gab – sehr weise, sehr weise -, und zum anderen schreibt man ja auch, weil man immer mal wieder vom Leben erschüttert wird."
Rezensiert von Knut Cordsen
Henning Ahrens, "Kein Schlaf in Sicht"
S. Fischer Verlag, 16.90 Euro