Am liebsten unter seinesgleichen
Zwei parallele Liebesgeschichten erzählt Pierre Loti in seinem Roman "Islandfischer". In dem 1886 erstmalig erschienenen und jetzt neu aufgelegten Buch spielt der Fischer Yann die Hauptrolle. Der liebt und heiratet eine Tochter aus "gutem Hause". Richtig wohl fühlt er sich aber nur unter Männern und insbesondere in der Anwesenheit eines ganz bestimmten Mannes.
Zu den vielen Romanciers, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sozusagen die Speerspitze der modernen Literatur bildeten und europaweit gelesen, um nicht zu sagen: verschlungen wurden, gehört auch Pierre Loti (1850-1923). Vom Jahrgang her zwar der naturalistischen Schule um Emile Zola und Guy de Maupassant zuzurechnen, bildet er doch eine Ausnahme.
Diesem Status hat er es vielleicht auch zu verdanken, dass er heute in Deutschland weit weniger bekannt ist als seine Generationsgenossen. Die möglichst detailgetreue Schilderung sozialer und eben oft auch asozialer Verhältnisse in der Großstadt Paris mit seiner zunehmenden Verelendung war seine Sache nicht. Überhaupt schrieb er keine Metropolen-Literatur, sondern hielt es mit den exotischen Gestaden.
Loti, der auch zur See fuhr und sich viel zugute hielt auf sein raues Leben unter echten Kerlen, sah sich als Globetrotter, als Weltenbummler. Mit seinen Romanen trug er entscheidend zur Orientmode bei, die um 1900 in Frankreich alle Künste durchzog. Am bekanntesten wurde "Aziyadé", die Geschichte eines französischen Offiziers, der sich in ein Türkenmädchen verliebt, von dem er sich schließlich trennen muss, was diese vor Kummer sterben lässt - eine ähnliche Konstellation wie in Puccinis unsterblicher "Madame Butterfly".
Eine Sonderstellung in Lotis vielgestaltigem Werk nimmt der Roman "Islandfischer" von 1886 ein, den jetzt der Deutsche Taschenbuchverlag wieder auflegt. Sonderstellung insofern, als dieses Buch weitgehend an der bretonischen Küste, unter Franzosen spielt, die jedes Jahr im Frühjahr ausziehen, um in isländischen Gewässern zu fischen - ein beschwerliches Unterfangen, das für die Besatzung auf den spärlich bemannten Booten auch tödlich enden kann.
Die Liebe zwischen Yann, dem einfachen Fischer, und Gaud, der Tochter eines reichen Händlers, die Yann erst heiratet, als sie durch den plötzlichen Tod des Vaters verarmt, ist nur von kurzer Dauer: Yann muss bereits eine Woche nach der Hochzeit wieder auf See, von der er nicht zurückkommt.
Ohnehin war er wohl für die Ehe und das Zusammenleben mit einer Frau, die in Paris die Annehmlichkeiten eines komfortablen Lebens kennengelernt hat, nicht geschaffen. Richtig wohl fühlt sich der geradlinig-eigenwillige Naturbursche eigentlich nur unter seinesgleichen - unter Männern. Einer von ihnen kommt ihm auch emotional sehr nahe.
Äußerst subtil deutet Loti, der selber bisexuell war, hier eine homoerotisch angehauchte parallele Liebesgeschichte an, deren Protagonisten mit den verfeinerten homosexuellen Figuren, wie sie beispielsweise bei Proust vorkommen, gar nichts zu tun haben.
Der Hauptreiz des Buches liegt neben der Gestaltung dieser unterschwelligen "verbotenen" Liebe in der großen Kunst, die Loti in die Schilderung von Natureindrücken legt. Das Meer in allen seinen Stimmungen, die karge Küste der Bretagne, schließlich das Leben der Fischer mit ihren elementaren Lebensäußerungen - das alles wird ohne Psychologie und reflektierendes Kommentieren dem Leser dargeboten.
Bisweilen in einer fragmentierten, elliptischen Sprache voller Halbsätze. Damit sollte sich Pierre Loti als besonders zukunftsträchtig erweisen, nahm er doch stilistische Verfahren des literarischen Impressionismus vorweg. Die "Islandfischer" bieten einen reizvollen, atmosphärisch gesättigten Blick auf das "einfache Leben" zu einer Zeit, als dieses keine verkitschte Idylle, sondern ein entbehrungsreiches Dasein voller Gefahren und Risiken war.
Rezensiert von Tilman Krause
Pierre Loti: Islandfischer
Aus dem Französischen von Dirk Hemjeoltmanns und Otfried Schulze
Deutscher Taschenbuchverlag (DTV), München, 2008
224 Seiten, 8,90 Euro
Diesem Status hat er es vielleicht auch zu verdanken, dass er heute in Deutschland weit weniger bekannt ist als seine Generationsgenossen. Die möglichst detailgetreue Schilderung sozialer und eben oft auch asozialer Verhältnisse in der Großstadt Paris mit seiner zunehmenden Verelendung war seine Sache nicht. Überhaupt schrieb er keine Metropolen-Literatur, sondern hielt es mit den exotischen Gestaden.
Loti, der auch zur See fuhr und sich viel zugute hielt auf sein raues Leben unter echten Kerlen, sah sich als Globetrotter, als Weltenbummler. Mit seinen Romanen trug er entscheidend zur Orientmode bei, die um 1900 in Frankreich alle Künste durchzog. Am bekanntesten wurde "Aziyadé", die Geschichte eines französischen Offiziers, der sich in ein Türkenmädchen verliebt, von dem er sich schließlich trennen muss, was diese vor Kummer sterben lässt - eine ähnliche Konstellation wie in Puccinis unsterblicher "Madame Butterfly".
Eine Sonderstellung in Lotis vielgestaltigem Werk nimmt der Roman "Islandfischer" von 1886 ein, den jetzt der Deutsche Taschenbuchverlag wieder auflegt. Sonderstellung insofern, als dieses Buch weitgehend an der bretonischen Küste, unter Franzosen spielt, die jedes Jahr im Frühjahr ausziehen, um in isländischen Gewässern zu fischen - ein beschwerliches Unterfangen, das für die Besatzung auf den spärlich bemannten Booten auch tödlich enden kann.
Die Liebe zwischen Yann, dem einfachen Fischer, und Gaud, der Tochter eines reichen Händlers, die Yann erst heiratet, als sie durch den plötzlichen Tod des Vaters verarmt, ist nur von kurzer Dauer: Yann muss bereits eine Woche nach der Hochzeit wieder auf See, von der er nicht zurückkommt.
Ohnehin war er wohl für die Ehe und das Zusammenleben mit einer Frau, die in Paris die Annehmlichkeiten eines komfortablen Lebens kennengelernt hat, nicht geschaffen. Richtig wohl fühlt sich der geradlinig-eigenwillige Naturbursche eigentlich nur unter seinesgleichen - unter Männern. Einer von ihnen kommt ihm auch emotional sehr nahe.
Äußerst subtil deutet Loti, der selber bisexuell war, hier eine homoerotisch angehauchte parallele Liebesgeschichte an, deren Protagonisten mit den verfeinerten homosexuellen Figuren, wie sie beispielsweise bei Proust vorkommen, gar nichts zu tun haben.
Der Hauptreiz des Buches liegt neben der Gestaltung dieser unterschwelligen "verbotenen" Liebe in der großen Kunst, die Loti in die Schilderung von Natureindrücken legt. Das Meer in allen seinen Stimmungen, die karge Küste der Bretagne, schließlich das Leben der Fischer mit ihren elementaren Lebensäußerungen - das alles wird ohne Psychologie und reflektierendes Kommentieren dem Leser dargeboten.
Bisweilen in einer fragmentierten, elliptischen Sprache voller Halbsätze. Damit sollte sich Pierre Loti als besonders zukunftsträchtig erweisen, nahm er doch stilistische Verfahren des literarischen Impressionismus vorweg. Die "Islandfischer" bieten einen reizvollen, atmosphärisch gesättigten Blick auf das "einfache Leben" zu einer Zeit, als dieses keine verkitschte Idylle, sondern ein entbehrungsreiches Dasein voller Gefahren und Risiken war.
Rezensiert von Tilman Krause
Pierre Loti: Islandfischer
Aus dem Französischen von Dirk Hemjeoltmanns und Otfried Schulze
Deutscher Taschenbuchverlag (DTV), München, 2008
224 Seiten, 8,90 Euro