"Am Werkstor wird die Seele nicht abgegeben"
Der Präsident des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte registriert "sehr starke Veränderungsprozesse in den Unternehmen", die eine Zunahme von psychischen Erkrankungen wie Burn-out zur Folge hätten. Zugleich gingen wichtige "Anker" wie Familie und Religion häufig verloren.
Ute Welty: Dass Arbeit nicht immer Spaß macht, das weiß wohl jeder außer vielleicht Moderatorinnen bei Deutschlandradio Kultur. Nein, im Ernst: Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat erschreckende Zahlen vorgelegt, die Hälfte der Befragten fühlt sich bei der Arbeit gehetzt, zwei Drittel geben an, immer mehr leisten zu müssen, und in den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Ausfälle aufgrund psychischer Störungen fast verdoppelt. Über dieses Problem berät der Bundestag heute und auch die deutschen Betriebs- und Werksärzte, die sich in Weimar treffen. Deren Verband wird geleitet von Dr. Wolfgang Panter, guten Morgen!
Wolfgang Panter: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Sie sind selbst Betriebsarzt, und zwar bei den Hüttenwerken Krupp Mannesmann. Können Sie bestätigen, was die Gewerkschaft sagt, dass nämlich die psychische Belastung am Arbeitsplatz stark zunimmt?
Panter: Wir haben sehr starke Veränderungsprozesse in den Unternehmen, die Schnelligkeit der Veränderungen nimmt zu. Und das fordert Menschen, und gerade wenn die Qualifikation nicht stimmt, kann es schnell zu einer Überforderung kommen. Also, insgesamt sehen wir auch in den Betrieben zunehmend Mitarbeiter, die psychische Veränderungen, psychische Störungen haben, denen wir helfen müssen.
Welty: Was erleben Sie da an Ihrem Arbeitsplatz?
Panter: Wir erleben querbeet, was es auch in der Gesellschaft gibt: Wir sehen zum Beispiel deutlich eine Zunahme von depressiven Störungen, depressiven Erkrankungen. Das nimmt in den letzten Jahren insgesamt deutlich zu, nicht nur bei der arbeitenden Bevölkerung, sondern insgesamt. Das hat sicher auch ein Stück damit zu tun, dass wir heute offener mit solchen Erkrankungen umgehen, die vielleicht in früheren Jahren verdeckt wurden durch somatische Erkrankungen, dass es als Wirbelsäulendiagnose lief oder als Magenleiden. Das ist sicher auch ein Aspekt. Das ist aber auch gut so, denn nur durch Offenheit kann eine solche Erkrankung dann auch geheilt und gebessert werden.
Welty: Sie haben es schon angesprochen, das dazu passende Wort in aller Munde ist das vom Burn-out. Was halten Sie von diesem Begriff und der Problematik dahinter?
Panter: In früheren Jahren hat man nicht vom Burn-out gesprochen, sondern vom sogenannten psychovegetativen Erschöpfungszustand. Also, so etwas hat es immer schon gegeben, heute wird es neuer mit dem Begriff Burn-out verbunden. Ich glaube, es geht insbesondere darum, herauszufinden: Steckt hinter einem Burn-out eine stärkere psychische Störung? Erschöpft zu sein wird jeder mal erleben. Es kommt darauf an, wie häufig das ist, was es für persönliche Veränderungen bei dem Einzelnen hervorruft, und insbesondere: Liegt da eine stärkere Störung im Hintergrund vor, die sich zunächst so nach außen hin darstellt?
Welty: Erleben Sie womöglich auch, dass sich Patienten hinter solch populären Begriffen verstecken? Denn die Symptome eines Burn-outs sind ja überall nachzulesen.
Panter: Also, verstecken glaube ich nicht. Sondern in der Regel wird ein Mitarbeiter einfach seine Sorgen und Nöte schildern, mit denen er nicht klarkommt, und dann werden wir gemeinsam versuchen, nach Wegen zu suchen. Das können ja Fragen der Arbeitsorganisation oder Fragen der Arbeitsgestaltung sein, aber es kann genauso gut sein, dass man überlegen muss, wie man seine psychische Resilienz stärken kann. Denn eins darf man, glaube ich, auch nicht verkennen: Neben den beruflichen Veränderungen gibt es auch starke soziale Veränderungen in unserer Gesellschaft. Wichtige Ankerfunktionen wie Familie, Religion und anderes sind verloren oder vermindern sich, und das führt natürlich auch dazu, dass die Stabilität und Resilienz dann nachlässt.
Welty: Das heißt, die Menschen nehmen auch ihre Probleme mit an den Arbeitsplatz, und nicht unbedingt die Probleme vom Arbeitsplatz in ihren Alltag?
Panter: Also, natürlich ist es so, dass am Werkstor die Seele nicht abgegeben wird, sowohl wenn man reingeht, als auch wenn man rausgeht. Das heißt, hat jemand persönliche Probleme, ist in einer schwierigen Scheidungssituation, dann wird er diese genau so an seinen Arbeitsplatz mitnehmen. Genau so derjenige, der Stress mit seinen Kollegen hat, wird das auch mit nach Hause nehmen.
Welty: Sind denn die Betriebsärzte ausreichend darauf eingestellt, dass immer mehr Menschen mit psychischen Beschwerden kommen und nicht mehr mit Rückenschmerzen durch schlechte Stühle oder Hautausschlag durch zu viel Chemikalien?
Panter: Wir beschäftigen uns schon seit vielen Jahren mit diesem Thema. Wir haben angefangen im Jahr 2006, uns damit auseinanderzusetzen. Uns hat sehr bewegt die zahlreichen Selbstmordfälle in Frankreich, in französischen Unternehmen, wir haben auch mit den französischen Kollegen da den Dialog dazu geführt. Und wir haben schon im Jahre 2009 mit Schulungen und Qualifizierungen der Betriebsärzte angefangen. Wir haben in diesem Jahr allein im ersten Halbjahr 300 Betriebsärzte gehabt, die an einer Seminarveranstaltung zum Thema psychische Gesundheit teilgenommen haben. Und die ist immer so gestaltet, dass es einmal darum geht, wie kann ich Mitarbeitern helfen individuell, aber auch genau so, wie kann ich Einfluss nehmen auf die Arbeitsorganisation und insbesondere auf das Thema Führung im Betrieb?
Welty: Die Linken im Bundestag fordern heute eine Antistressverordnung, die Grünen wollen, dass Arbeitsplätze alters- und alternsgerecht gestaltet werden. Ich nehme mal an, dass Sie beidem erst mal nicht widersprechen?
Panter: Ich glaube, wir haben eine Fülle von Instrumenten jetzt. Wir haben gemeinsam mit dem Bundesarbeitsministerium, der Ausschuss für Arbeitsmedizin hat das erarbeitet, Empfehlungen zur psychischen Gesundheit gemacht, die jetzt konkret im Betrieb umgesetzt werden können. Da brauchen wir nicht erst eine Verordnung, sondern da gibt es eine Fülle von Maßnahmen, die sofort umgesetzt werden können.
Denn wenn eine Verordnung erst mal ihren Gang geht, gehen zunächst mal ein oder zwei Jahre ins Land, bevor sie langsam anfängt zu wirken. Ich glaube, wir sollten jetzt anfangen mit den Instrumentarien, die wir haben, und dann auch erproben, was geht gut, was geht nicht so gut. Diese Instrumente, von denen ich gesprochen habe, die sind stark auf Partizipation ausgelegt. Das heißt, immer unter Beteiligung der Betroffenen. Das halte ich in diesem Zusammenhang für einen ganz zentral wichtigen Weg.
Welty: Verstehe ich Sie richtig, dass es Ihnen am liebsten wäre, wenn der Bundestag heute mal gar nichts beschließt?
Panter: Nein. Mit Sicherheit nicht. Grundsätzlich kann so etwas helfen. Aber man muss einfach sehen: Bis eine Verordnung wirklich greift im Lande, dauert das einige Zeit. Es gibt schon nach dem Arbeitsschutzgesetz von 1996 die Verpflichtung zur Gefährdungsbeurteilung und die schließt auch die psychischen Risiken ein. Dass diese noch nicht so umgesetzt worden ist, steht auf einem anderen Papier. Aber es zeigt, dass manches Gesetz oder Verordnung auch einige Zeit braucht, bis es in den Unternehmen umgesetzt wird.
Welty: Wolfgang Panter, Präsident des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte. Ich danke fürs Interview und wünsche einen erfolgreichen Kongress in Weimar, bei dem Sie wahrscheinlich viel zu viel sitzen müssen!
Panter: Nein, ich gehe zunächst mal heute Morgen zur Messehalle, ist schon ein Fußweg von einer Viertelstunde, das tut auch gut.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wolfgang Panter: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Sie sind selbst Betriebsarzt, und zwar bei den Hüttenwerken Krupp Mannesmann. Können Sie bestätigen, was die Gewerkschaft sagt, dass nämlich die psychische Belastung am Arbeitsplatz stark zunimmt?
Panter: Wir haben sehr starke Veränderungsprozesse in den Unternehmen, die Schnelligkeit der Veränderungen nimmt zu. Und das fordert Menschen, und gerade wenn die Qualifikation nicht stimmt, kann es schnell zu einer Überforderung kommen. Also, insgesamt sehen wir auch in den Betrieben zunehmend Mitarbeiter, die psychische Veränderungen, psychische Störungen haben, denen wir helfen müssen.
Welty: Was erleben Sie da an Ihrem Arbeitsplatz?
Panter: Wir erleben querbeet, was es auch in der Gesellschaft gibt: Wir sehen zum Beispiel deutlich eine Zunahme von depressiven Störungen, depressiven Erkrankungen. Das nimmt in den letzten Jahren insgesamt deutlich zu, nicht nur bei der arbeitenden Bevölkerung, sondern insgesamt. Das hat sicher auch ein Stück damit zu tun, dass wir heute offener mit solchen Erkrankungen umgehen, die vielleicht in früheren Jahren verdeckt wurden durch somatische Erkrankungen, dass es als Wirbelsäulendiagnose lief oder als Magenleiden. Das ist sicher auch ein Aspekt. Das ist aber auch gut so, denn nur durch Offenheit kann eine solche Erkrankung dann auch geheilt und gebessert werden.
Welty: Sie haben es schon angesprochen, das dazu passende Wort in aller Munde ist das vom Burn-out. Was halten Sie von diesem Begriff und der Problematik dahinter?
Panter: In früheren Jahren hat man nicht vom Burn-out gesprochen, sondern vom sogenannten psychovegetativen Erschöpfungszustand. Also, so etwas hat es immer schon gegeben, heute wird es neuer mit dem Begriff Burn-out verbunden. Ich glaube, es geht insbesondere darum, herauszufinden: Steckt hinter einem Burn-out eine stärkere psychische Störung? Erschöpft zu sein wird jeder mal erleben. Es kommt darauf an, wie häufig das ist, was es für persönliche Veränderungen bei dem Einzelnen hervorruft, und insbesondere: Liegt da eine stärkere Störung im Hintergrund vor, die sich zunächst so nach außen hin darstellt?
Welty: Erleben Sie womöglich auch, dass sich Patienten hinter solch populären Begriffen verstecken? Denn die Symptome eines Burn-outs sind ja überall nachzulesen.
Panter: Also, verstecken glaube ich nicht. Sondern in der Regel wird ein Mitarbeiter einfach seine Sorgen und Nöte schildern, mit denen er nicht klarkommt, und dann werden wir gemeinsam versuchen, nach Wegen zu suchen. Das können ja Fragen der Arbeitsorganisation oder Fragen der Arbeitsgestaltung sein, aber es kann genauso gut sein, dass man überlegen muss, wie man seine psychische Resilienz stärken kann. Denn eins darf man, glaube ich, auch nicht verkennen: Neben den beruflichen Veränderungen gibt es auch starke soziale Veränderungen in unserer Gesellschaft. Wichtige Ankerfunktionen wie Familie, Religion und anderes sind verloren oder vermindern sich, und das führt natürlich auch dazu, dass die Stabilität und Resilienz dann nachlässt.
Welty: Das heißt, die Menschen nehmen auch ihre Probleme mit an den Arbeitsplatz, und nicht unbedingt die Probleme vom Arbeitsplatz in ihren Alltag?
Panter: Also, natürlich ist es so, dass am Werkstor die Seele nicht abgegeben wird, sowohl wenn man reingeht, als auch wenn man rausgeht. Das heißt, hat jemand persönliche Probleme, ist in einer schwierigen Scheidungssituation, dann wird er diese genau so an seinen Arbeitsplatz mitnehmen. Genau so derjenige, der Stress mit seinen Kollegen hat, wird das auch mit nach Hause nehmen.
Welty: Sind denn die Betriebsärzte ausreichend darauf eingestellt, dass immer mehr Menschen mit psychischen Beschwerden kommen und nicht mehr mit Rückenschmerzen durch schlechte Stühle oder Hautausschlag durch zu viel Chemikalien?
Panter: Wir beschäftigen uns schon seit vielen Jahren mit diesem Thema. Wir haben angefangen im Jahr 2006, uns damit auseinanderzusetzen. Uns hat sehr bewegt die zahlreichen Selbstmordfälle in Frankreich, in französischen Unternehmen, wir haben auch mit den französischen Kollegen da den Dialog dazu geführt. Und wir haben schon im Jahre 2009 mit Schulungen und Qualifizierungen der Betriebsärzte angefangen. Wir haben in diesem Jahr allein im ersten Halbjahr 300 Betriebsärzte gehabt, die an einer Seminarveranstaltung zum Thema psychische Gesundheit teilgenommen haben. Und die ist immer so gestaltet, dass es einmal darum geht, wie kann ich Mitarbeitern helfen individuell, aber auch genau so, wie kann ich Einfluss nehmen auf die Arbeitsorganisation und insbesondere auf das Thema Führung im Betrieb?
Welty: Die Linken im Bundestag fordern heute eine Antistressverordnung, die Grünen wollen, dass Arbeitsplätze alters- und alternsgerecht gestaltet werden. Ich nehme mal an, dass Sie beidem erst mal nicht widersprechen?
Panter: Ich glaube, wir haben eine Fülle von Instrumenten jetzt. Wir haben gemeinsam mit dem Bundesarbeitsministerium, der Ausschuss für Arbeitsmedizin hat das erarbeitet, Empfehlungen zur psychischen Gesundheit gemacht, die jetzt konkret im Betrieb umgesetzt werden können. Da brauchen wir nicht erst eine Verordnung, sondern da gibt es eine Fülle von Maßnahmen, die sofort umgesetzt werden können.
Denn wenn eine Verordnung erst mal ihren Gang geht, gehen zunächst mal ein oder zwei Jahre ins Land, bevor sie langsam anfängt zu wirken. Ich glaube, wir sollten jetzt anfangen mit den Instrumentarien, die wir haben, und dann auch erproben, was geht gut, was geht nicht so gut. Diese Instrumente, von denen ich gesprochen habe, die sind stark auf Partizipation ausgelegt. Das heißt, immer unter Beteiligung der Betroffenen. Das halte ich in diesem Zusammenhang für einen ganz zentral wichtigen Weg.
Welty: Verstehe ich Sie richtig, dass es Ihnen am liebsten wäre, wenn der Bundestag heute mal gar nichts beschließt?
Panter: Nein. Mit Sicherheit nicht. Grundsätzlich kann so etwas helfen. Aber man muss einfach sehen: Bis eine Verordnung wirklich greift im Lande, dauert das einige Zeit. Es gibt schon nach dem Arbeitsschutzgesetz von 1996 die Verpflichtung zur Gefährdungsbeurteilung und die schließt auch die psychischen Risiken ein. Dass diese noch nicht so umgesetzt worden ist, steht auf einem anderen Papier. Aber es zeigt, dass manches Gesetz oder Verordnung auch einige Zeit braucht, bis es in den Unternehmen umgesetzt wird.
Welty: Wolfgang Panter, Präsident des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte. Ich danke fürs Interview und wünsche einen erfolgreichen Kongress in Weimar, bei dem Sie wahrscheinlich viel zu viel sitzen müssen!
Panter: Nein, ich gehe zunächst mal heute Morgen zur Messehalle, ist schon ein Fußweg von einer Viertelstunde, das tut auch gut.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.