Amanda Gorman: "The Hill We Climb – Den Hügel hinauf"
Zweisprachig. Mit einem Vorwort von Oprah Winfrey
Aus dem amerikanischen Englisch von Uda Strätling, Hadija Haruna-Oelker und Kübra Gümüşay
Hoffmann und Campe, Hamburg 2021
63 Seiten, 10 Euro
Mehr juristische Rede als Poesie
06:18 Minuten
Wer darf Amanda Gormans Inaugurationsgedicht übersetzen? An dieser Frage entzündeten sich identitätspolitische Debatten. Nun kann man endlich die deutsche Ausgabe von "The Hill We Climb" lesen. Sie ist leider nur in Teilen gelungen.
Als Amanda Gorman am 20. Januar vor dem Kapitol ihr klangstarkes Gedicht "The Hill We Climb" vortrug, waren die Bilder von der Erstürmung des Kapitolshügels durch aufgeputschte Trump-Anhänger sehr frisch. Dass auf dem Gedicht-Hügel noch ganz andere Echos zu hören sind, von Anspielungen auf die Bibel bis zu Gedichtzitaten, wurde in vielen Kommentaren erwähnt. Wie zahlreich die Verweise jedoch tatsächlich sind und vor welche Schwierigkeiten sie die Übersetzung stellen, kann man sich jetzt in der deutschen Buchausgabe genauer ansehen.
Selten hat ein Gedicht solche Aufmerksamkeit erregt. Was Amanda Gorman zum Amtsantritt von Joe Biden sagte, war nicht nur ein Abgesang auf die Trump-Regierung, es gelang ihr auch, die USA als eine "unvollendete Nation" zu beschreiben, aus der es endlich ein "Land für Menschen aller Art" zu machen gelte.
In kleine und kleinste Strophen zerstückelt
Die Frage nach der Übersetzung des Gedichts verband sich schnell mit identitätspolitischen Fragestellungen. Wer spricht hier, aus welcher Position und vor welchem Hintergrund? Muss die Übersetzung diesen Hintergrund aus eigener Erfahrung kennen? Muss es ebenfalls eine Frau sein, am besten eine afroamerikanische Lyrikerin? Bei Hoffmann und Campe hat man sich für ein Trio entschieden: die erfahrene Übersetzerin Uda Strätling, die Politikwissenschaftlerin Hadija Haruna-Oelker und die Autorin Kübra Gümüşay.
Die deutschsprachige Ausgabe orientiert sich ganz an der amerikanischen Originalausgabe. Diese Originalausgabe ist mit Blick auf den Text durchaus überraschend. "The Hill We Climb" ist in jeder Faser seiner Form ein Langgedicht, von den rhythmischen Bögen über die Satzführung bis zur Verkettung durch klangliche Momente. Für die amerikanische Buchausgabe aber wurde das Gedicht nun von Gorman selbst in kleine und kleinste Strophen zerstückelt (manchmal sind es nur drei Zeilen). Das ist, poetologisch betrachtet, ein eher fragwürdiges Verfahren, was die Vermutung nahelegt, hier sollte der für eine Buchausgabe doch zu kurze Text seitenmäßig gestreckt und für die Leserschaft "zugänglicher" gemacht werden. Dafür spricht auch die Anreicherung mit einem an Sprachhülsen nicht gerade armen Mini-Vorwort von Oprah Winfrey.
Man merkt dem Gedicht seine Herkunft aus einer performativen Tradition an, da spielen Blues und Gospel eine Rolle, vor allem aber Rap und Spoken Word. Es ist die Art, wie rhythmisch Abkürzungen genommen oder wie Reime ganz bewusst als Pointen und Betonungsmomente eingesetzt werden. Das Pathos und die große Deutlichkeit, die nicht zum geringsten Teil der Form des Inaugurationsgedichts geschuldet sind, werden im Original so immerhin ab und an gebrochen.
Hilfreicher Anmerkungsapparat
Dieser Gestus fehlt in der Übersetzung leider fast ganz. So spielt sich das Pathos weiter in den Vordergrund und wird ungünstigerweise auch noch mit einer Diktion verbunden, die sich der Orientierung an juristischen Redeweisen verdankt. Manche Stellen klingen eher nach einem Verfassungszusatz als nach einem poetischen Text, etwa wenn aus dem genau getakteten "we are striving to forge our union with purpose" die Formulierung "Wir streben vielmehr nach Verbundenheit, / gemeinsamen Perspektiven und Zielen" wird.
Gelungen aber ist das letzte Drittel des Textes. Die Übersetzerinnen fangen hier Gormans Vergnügen an Lautspielen ein (an vielen Stellen gibt es ganze Kaskaden von Alliterationen und Reimen), indem sie zum Beispiel Klänge verschieben. So verwandeln sie die B-Reihe "our blunders become their burdens" in die Ü-Reihe "Wir würden ihnen unsere Übel aufbürden". Sehr hilfreich ist auch der Anmerkungsapparat. Hier werden viele der identitätspolitischen Fragen konkret auf die Verse angewandt. Zugleich zeigt er, wie Gorman sich etwa auf Bibelstellen bezieht, auf Dichterinnen wie Maya Angelou, auf Reden von Martin Luther King und Barack Obama oder auf andere Inaugurationsgedichte. "The Hill We Climb" war eben von Anfang an auch ein Texthügel.