"True Crime" auf Kosten von Persönlichkeitsrechten?
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Die US-Journalistin Amanda Knox kritisiert den neuen Film "Stillwater". Der verarbeite ungefragt ihren Justizskandal um einen Mordfall. Filmkritiker Patrick Wellinski hält dagegen: "Die Welt ist Material für Kunstwerke."
Die Geschichte der Amerikanerin Amanda Knox ist Stoff für Filme: Es geht um Sex, Mord und einen Justizskandal. Keine Überraschung, dass Regisseure und Drehbuchschreiberinnen sich gerne davon inspirieren lassen.
Doch das kann Konflikte schaffen, wie nun im Fall des Filmes "Stillwater". Seit Freitag läuft der Krimi in den amerikanischen Kinos.
Darin geht es um einen Vater aus Stillwater, der nach Marseille fliegt. In der französischen Stadt wurde seine Tochter des Mordes verurteilt und sitzt deswegen im Gefängnis. Der Mann beginnt selbstständig vor Ort, nach Beweisen für die Unschuld seines Kindes zu suchen.
Knox sieht im Film ihre eigene Geschichte verarbeitet. Um sich dagegen zu wehren, hat sie für die Onlineplattform "Medium" unter dem Titel "Who Owns My Name?" (zu Deutsch: Wem gehört mein Name?) einen Essay geschrieben.
Sie kritisiert, durch den Film würden ihr Name und auch ihr Bild wieder in die Schlagzeilen zurückgebracht. Zudem beschmutze der Film ihre eigene Lebensgeschichte, da die angeklagte Amerikanerin in "Stillwater" auch wieder, wie Knox, in die USA reist, aber am Schluss des Filmes, in einer großen Enthüllung, nicht unschuldig ist.
"An der Figur der Tochter lassen sich Parallelen zum Fall Amanda Knox und zur Person festmachen", sagt Kritiker Patrick Wellinski, der den Film bei den Festspielen in Cannes gesehen hat.
Freispruch für Knox und ihren Freund
Kurz zur Erinnerung: 2007 wurde die britische Erasmus-Studentin Meredith Kercher im italienischen Perugia umgebracht. Das Geschworenengericht befand aufgrund der Indizien Knox und ihren damaligen Freund Raffaele Sollecito für schuldig. Sie sollten für 26 Jahre ins Gefängnis.
Nach einem Freispruch und einer weiteren Verurteilung sprach schließlich der Oberste Kassationshof in letzter Instanz die beiden frei. Das Gericht sah es erwiesen an, dass keine DNA-Spuren der Angeklagten im Zimmer des Mordopfers zu finden gewesen seien. Außerdem bemängelte es die schlechte Qualität des Straf- sowie Ermittlungsverfahrens. Geboren war der Justizskandal um Amanda Knox.
Eine "parasitäre" Filmbewerbung
Regisseur Tom McCarthy, der die ebenfalls umstrittene Serie "Tote Mädchen lügen nicht" produzierte, sagte in mehreren Interviews, der Film "Stillwater" sei direkt von Knoxs Geschichte inspiriert.
"Wir haben es hier, mit einer unglaublich schlechten PR-Taktik des Filmstudios zu tun, die sehr parasitär den Film bewerben will, eben mit dem Trigger-Wort Knox", meint Wellinski. Das klage Knox in ihrem Essay zu Recht an. Er habe Verständnis für sie, dass sie als Opfer eines Justizskandals nicht "für unsere Lust am True Crime" herhalten möchte.
In dem Vorgang sieht Wellinski "ein schönes Lehrstück über das aggressive Framing, vor allem von Boulevardmedien und darüber, dass, auch wenn die Unschuld bewiesen ist, nach so einem medialen Skandal eben immer etwas hängen bleibt".
Wie viel Zeit ist angemessen?
Fraglich finde es Wellinski jedoch, ob alle ähnlich gelagerten Geschichten von Protagonisten der realen Begebenheiten immer vorher abgesegnet werden müssten. "Die Welt ist Material für Kunstwerke", sagt der Filmkritiker. "So ein Film ist in gewisser Weise immer auch ein Gewaltakt".
Stattdessen müsse über angemessene Zeitspannen diskutiert werden. "Natürlich ist es vulgär, drei Tage nach einem Unglück einen Film darüberzumachen. Aber was ist drei, vier Jahre später?"
Wellinski meint, Knox sei direkt in den PR-Krieg eingestiegen. Auch sie müsse sich nun den Vorwurf gefallen lassen, dass sie Gewinn daraus ziehen möchte. Sie arbeitet mittlerweile als Journalistin und betriebt einen eigenen Podcast, für den sie den Hauptdarsteller Matt Damon und Tom McCarthy eingeladen habe. Sie sei finanziell am Podcast beteiligt.
Eigentlich habe Wellinski beim Anschauen nicht sofort die Assoziation zum Fall Knox gehabt. Jedoch werde "nach dieser medialen Debatte keiner mehr diesen Film so unbefleckt sehen können, wie naiverweise ich das gemacht habe".
(sbd)