Amanda Lee Koe: "Die letzten Strahlen eines Sterns"
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Berühmt, berüchtigt und verkannt in Hollywood
06:42 Minuten
Amanda Lee Koe
Übersetzt von Zoë Beck
Die letzten Strahlen eines SternsCulturBooks, Hamburg 2022471 Seiten
22,00 Euro
Marlene Dietrich, Leni Riefenstahl und Anna May Wong – alle drei machen Karriere in Hollywood. Doch einer schlagen auch Anfeindungen entgegen. Amanda Lee Koe spinnt eine faktenbasierte Fiktion um den Rassismus der Traumfabrik.
1928 fotografiert Alfred Eisenstädt drei Schauspielerinnen in Berlin: die damals noch unbekannte Marlene Dietrich, die chinesisch-stämmige US-Amerikanerin Anna May Wong und Leni Riefenstahl. Dieses Foto ist der Ausgangspunkt von Amanda Lee Koes vielschichtigem Debütroman, in dem sie den Lebenswegen der drei Frauen in einer komplexen und überzeugenden Montage aus Fakten und Fiktionen nachspürt.
Glamour trifft Realität
In dreimal drei Kapitel ist dieses Buch gegliedert. Die einzelnen Kapitel erinnern an Filmrollen, die gewechselt werden und vom Leben jeweils einer der Frauen zu einer bestimmten Zeit erzählen. Dafür stehen Dietrich, Wong und Riefenstahl verschiedenen historischen und fiktiven Personen gegenüber.
So wird die alternden Marlene Dietrich in ihrem Pariser Apartment von der jungen Chinesin Bébé gepflegt. Sie wird als billige Arbeitskraft eingesetzt, dabei träumte sie, wie einst die junge Marlene Dietrich, von einem anderen Leben.
Leni Riefenstahl trifft bei Dreharbeiten auf den Beleuchter Hans. Der weiß, er muss diesen Job behalten, um nicht wieder an die Front zu müssen.
Anna May Wong begegnet indes Walter Benjamin, dem auffällt, dass er zu oft klischeehafte Worte benutzt, um sie und ihre Begegnung zu beschreiben.
Exotismus des Westens
Die Begegnungen machen deutlich, dass die drei Frauen unterschiedliche Handlungsräume haben – aufgrund ihrer Herkunft, ihres Status, ihrer Position innerhalb der Gesellschaft und ihrer Prominenz zu verschiedenen Zeiten. Auch zeigen sie, wie hartnäckig sich Diskriminierungen und Ausbeutung halten.
Bébé wird einen jungen Mann kennenlernen, der 1988 in Westdeutschland diskriminiert und angefeindet wird, weil seine Mutter eine Türkin ist. Wie Anna May Wong in Hollywood wird ihm an der Universität zu verstehen gegeben, dass er aufgrund seiner Herkunft dort nicht hingehöre.
Anna May Wong ist die interessanteste Figur in diesem Roman. Trotz ihres schauspielerischen Talents bekam sie in Hollywood nur Nebenrollen, weil sie entweder „zu chinesisch“ oder „nicht chinesisch genug“ aussah.
Indem Amanda Lee Koe sie gleichberechtigt neben Marlene Dietrich und Leni Riefenstahl stellt, macht sie auf eine Ungleichheit, auch in der Perspektive der Leserinnen und Leser aufmerksam: Dass Dietrich und Riefenstahl bekannter sind, liegt nicht zuletzt am tatsächlichen Rassismus in Hollywood und in der Filmgeschichte.
Fakten für glaubwürdige Fiktion
Aber Amanda Lee Koe geht in der Fiktion noch einen Schritt weiter. Als Anna May Wong das erste Mal nach China reist, lässt sie ihr Ablehnung entgegenschlagen, weil sie in ihren Filmen die westlichen, exotisierenden Fantasien Hollywoods über chinesische Menschen bedient habe.
Wong ist erschüttert über diesen Vorwurf, hat sie sich bislang eher als Opfer denn Mitschuldige gesehen. „Konnte man es Hattie McDaniel verübeln, immer nur Hausmädchen zu spielen?“, fragt sie sich und bezieht sich dabei auf die erste Schwarze Schauspielerin, die einen Oscar erhalten hat – für die Rolle eines Hausmädchens in „Vom Winde verweht“.
„Die letzten Strahlen eines Sterns“ ist ein überwältigendes Buch, in dem sehr viele Lektüremöglichkeiten stecken. Es ist voller Episoden mit legendären Persönlichkeiten, in denen ausreichend Fakten stecken, um die Fiktionen glaubwürdig erscheinen zu lassen. So geht Bébé in Marlene Dietrichs legendären Schwanenmantel auf eine Reise, die fatal enden wird, ihr aber auch glückliche Momente beschert.
Dazu kommen kluge Beobachtungen über die Verbindungen aus Gender, race und Klasse und komplexe Fragen nach (Mit-)Schuld und Täterschaft. Ein beeindruckendes Debüt.