André Karipuna holt aus, zielt mit der Machete auf einen verwucherten Knoten aus Lianen, Dornen und Schlingpflanzen. Mit schweren Hieben bahnt der Kazike uns den Weg durch den Urwald.
Copaíba-Bäume breiten ihr schattiges Dach aus, darunter Farne und Palmen, verschlungen in innigem Grün, aus dem majestätische Baumriesen ragen, wie der elegante Ipê mit seinen gelben Blüten oder die Sumaúma: mit bis zu 50 Metern Höhe die Königin des Regenwaldes.
"Die Amazonasregion ist heute ein Land ohne Gesetze." – Illegaler Holzschlag auf dem Land der Karipuna.© Anne Herrberg, ARD-Studio Rio de Janeiro
André führt eine steile Böschung hinauf. Plötzlich stehen wir auf einer Lichtung – oder besser gesagt: vor Kahlschlag. Dicke Stämme, die vor Kurzem noch in den Himmel ragten, liegen abgeschlagen im Unterholz, wertvolle Hölzer, deren Bestände als gefährdet gelten.
André streicht über den Stamm eines Castanheiro-Baumes. „Es macht mich so traurig, das zu sehen", sagt er. "All die Zerstörung auf unserem Land. Das hier ist gerade einmal einen Monat alt. Vier Hektar haben sie etwa gerodet. Die fangen gerade erst an." Er zeigt auch Markierungen, die zu sehen sind. "Das heißt, sie teilen das Land in Parzellen ein. Der Raubbau wird Jahr für Jahr mehr. Das macht uns große Sorgen.“
Es herrscht das Recht des Stärkeren
André Karipuna trägt Jeans, ein graues Shirt und Flipflops. Er ist 28 und bereits Kazike, ein Anführer der Karipuna. Ihr rund 150.000 Hektar großes Schutzgebiet im Bundesstaat Rondônia ist eines von rund 500 indigenen Reservaten in Brasilien. Die meisten liegen am Amazonas und sind dort die wichtigsten Bollwerke gegen die Waldzerstörung. Die Verfassung von 1988 schützt sie. Doch das Gesetz wird im Amazonas oft durch das Recht des Stärkeren ersetzt.
Die Karipuna wollen das nicht hinnehmen. Deswegen überwachen sie ihr Land selbst – mit GPS-Trackern, Satellitendaten und regelmäßigen Patrouillen. 2017 baten sie den indigenen Missionsrat Cimi um Unterstützung. Seitdem ist auch Laura Vicuna immer dabei, eine 1,50 Meter große Nonne, die sich bereits Goldgräbern und Zuhältern in den Weg gestellt hat.
"Es wird gern gesagt, das sind ja selbst arme Schlucker, die hier in den Wald eindringen", erzählt sie. "Das mag auf manche Holzfäller zutreffen. Aber sie werden angeheuert. Das Holz wird verkauft, dann wird im Unterholz Feuer gelegt, Gras wird gesät, Rinder draufgestellt und niemand vertreibt sie. Das alles ist nur in Komplizenschaft mit mächtigen Leuten möglich, die Zerstörung und Landraub weiter vorantreiben.“
"Es macht mich so traurig, all die Zerstörung auf unserem Land zu sehen." – Der 28-jährige Kazike André Karipuna mit seinem Sohn auf Patrouille.© Anne Herrberg, ARD-Studio Rio de Janeiro
Mit dem Motorboot geht es über den Rio Jací Paraná. Träge und glatt wie ein Spiegel fließt er dahin. Immer wieder treffen wir auf Fischer. Kamera weg, sagt André, alles illegal.
Trockenheit als Folge der Abholzung
Dann muss er wieder Sandbänken und Baumstämmen ausweichen, denn der Fluss führt ungewöhnlich wenig Wasser. „Es ist sehr trocken. Dabei beginnt die Trockenzeit hier eigentlich erst im Oktober. Das ist auch eine Folge der massiven Abholzung. Siehst du dort? Da liegt das Schutzgebiet Jací Paraná. Aber Bäume stehen da nur noch am Ufer, wie eine Fassade. Gleich dahinter beginnen die Weiden und Fazendas.“
Das Land der Karipuna war einst Teil eines grünen Gürtels aus weiteren Schutzgebieten: einem Reservat für traditionelle Kautschukpflanzer und einem Nationalpark. Doch das Parlament von Rondônia beschloss am 20. April 2021, um 10 Uhr abends, die strategisch wichtigen Gebiete um 200.000 Hektar zu reduzieren – das entspricht in etwa der Fläche von Berlin, Hamburg und Köln zusammen.
Die Begründung: Die Gebiete stünden Rinderweiden im Weg. Das Oberste Gericht des Bundesstaates erklärte die Entscheidung später zwar für verfassungswidrig. Aber niemand kam, um die Eindringlinge zu vertreiben.
Es gibt dort mittlerweile 160.000 Rinder. Was sagt uns das? Obwohl der Beschluss illegal ist, gibt er dem Landraub in den Schutzeinheiten politische Rückendeckung. Das heißt: Da werden Fakten geschaffen.
André Karipuna
"Für die Eindringlinge ist der Amazonas eine Ware. Sie müssen keine Strafen mehr fürchten." – Hier: das gerade verlassene Zelt einer Holzfäller-Bande.© Anne Herrberg, ARD-Studio Rio de Janeiro
Grilagem nennt man diese Form von Inbesitznahme von fremdem Land in Brasilien. Darin steckt Grilo, das brasilianische Wort für eine Grille. Denn früher verschloss man gefälschte Land- und Eigentumstitel gern in einen Kasten voller Insekten, die das Papier anfraßen, sodass es später alt aussah. Eine Form, die Dokumente glaubwürdig erscheinen zu lassen.
Grundstück selbst online registrieren
Das braucht es heute nicht mehr: Grundstücke kann man, mit den entsprechenden GPS-Daten, heute einfach selbst online registrieren. Damit sind sie zwar noch nicht legalisiert, aber die Prüfung zieht sich hin. Grilagem gilt heute als Hauptmotor der Abholzung am Amazonas. Auch auf dem Land der Indigenen gibt es bereits 87 illegale Anmeldungen – auf einer stehen wir jetzt.
Dort wollten wir ein neues Dorf errichten, sagt André. Er zeigt auf ein einfach zusammengezimmertes Holzhaus nur 50 Meter von einer gerodeten Fläche entfernt. Nun ist daneben eine Plastikplane gespannt. Wohl der Unterschlupf der illegalen Holzfäller, und eine Botschaft prangt an der Tür: "Wenn du dich ruhig verhältst, dann werden wir gute Nachbarn sein", steht da in krakeligen Buchstaben, mit schwarzer Kohle geschrieben. Eine Drohung, so interpretiert das André, es ist nicht die erste.
Deswegen hat er sich das lange schwarze Haar kurz geschnitten, trägt eine weiße Baseballkappe, das fällt weniger auf. Plötzlich warnt sein Sohn: von fern ist eine Motorsäge zu hören. André drängt zur Umkehr. „Wir können uns nur noch in einem Radius von einem bis zwei Kilometern frei bewegen, weil wir regelrecht von den Eindringlingen umzingelt sind. Wir sind ständig in Gefahr. Doch für uns ist es wichtig, uns zu bewegen", sagt er.
"Der Wald ist unser Haus, wir jagen und wir fischen, wir sind es gewohnt, weite Wege zu gehen, diese Erde hier ist unser Leben, das Land unserer Vorfahren. Nun sind wir gefangen in unserem eigenen Haus. Das passiert, weil das Gesetz geschwächt wurde."
Bei der Präsidentschaftswahl am 2. Oktober wird sich Präsident Jair Bolsonaro auch für seine Amazonaspolitik verantworten müssen.© IMAGO / ZUMA Wire / IMAGO / O Globo
Deswegen sind die Karipuna vor Gericht gezogen. Sie klagen gegen den Bundesstaat Rondônia, gegen die Indigenenbehörde Funai und die Regierung von Jair Bolsonaro:
„Unter dieser Regierung ist es sehr viel schlimmer geworden mit der Abholzung", sagt André. "Für sie ist der Amazonas eine Ware. Sie hat alle Kontrollbehörden geschwächt. Die Eindringlinge müssen keine Strafen mehr fürchten. Sie fühlen sich unterstützt, auch von Gesetzesvorhaben, die Schutzgebiete zur Ausbeutung freigeben wollen. Für uns Indigene ist das eine große Gefahr. Es wäre das Ende unserer Territorien.“
"Schnell die Rinderherde drüber treiben"
Keinen Zentimeter mehr wolle er für Schutzgebiete hergeben, versprach Jair Bolsonaro bereits vor Amtsantritt 2019. Stattdessen soll indigenes Land für die wirtschaftliche Ausbeutung freigegeben werden.
Dazu liegt bereits ein ganzes Gesetzespaket im Kongress, und Bolsonaros einstiger Umweltminister Ricardo Salles schlug vor, die mediale Ablenkung während der Corona-Pandemie zu nutzen, um Umweltauflagen zu schwächen. Der Ausdruck, den er dazu benutzte, ist bezeichnend: "Lasst uns schnell die Rinderherde drüber treiben." Das ist, wie gesagt, wortwörtlich zu nehmen.
Inzwischen musste Salles zurücktreten. Gegen ihn wird wegen Verbindungen zur Holzmafia ermittelt. Den Anstoß dazu gab unter anderem Alexandre Saraiva. Als oberster Polizeichef im Bundestaat Amazonas hatte er Ende 2020 die größte Operation gegen illegale Holzhändler angeführt – kurz darauf wurde Saraiva von seinem Posten suspendiert.
Die Amazonasregion ist heute ein Land ohne Gesetze. Die Regeln werden von der organisierten Kriminalität gemacht, die ihren Gewinn aus dem Drogenhandel bezieht, aus Holzschmuggel und illegalem Goldbergbau. Wo es was zu holen gibt, da mischt sie mit. Dabei kann sie längst auf die Unterstützung von Politikern zählen, nicht nur auf lokaler Ebene. Sie streckt ihre Tentakel sogar in die höchsten Sphären der brasilianischen Regierung. Das hat unser Schlag gegen die Holzmafia deutlich gemacht. Der Umweltminister hat nicht uns, sondern die Illegalen unterstützt.
Alexandre Saraiva, suspendierter oberster Polizeichef
"Das ist nur in Komplizenschaft mit mächtigen Leuten möglich." – Gefällte Baumriesen in einem Sägewerk auf der Transamazônica, der Fernstraße durch den Urwald.© Anne Herrberg, ARD-Studio Rio de Janeiro
Alexandre Saraiva ist nicht der einzige Beamte, der unter der Bolsonaro-Regierung wegen seinem entschlossenen Vorgehen gegen Umweltverbrechen suspendiert wurde. In der Indigenenschutz-Behörde Funai wurden Chefposten derweil mit evangelikalen Pastoren oder fachfremden Militärs besetzt.
Wer Umweltverbrechen aufdeckt, der fliegt
Ebenso wurde Hugo Loss kaltgestellt, der jahrelang die Umweltfahndung der Naturschutzbehörde IBAMA leitete – nach einem spektakulären Schlag gegen Holzdiebe und Goldgräber musste er für fast anderthalb Jahre in den Innendienst.
„Es gab früher auch keine institutionelle Taskforce, die im Kampf gegen die Abholzung perfekt funktioniert hätte. Das nicht. Aber während sich die Verbrecherbanden immer besser organisiert haben, hat sich der Staat selbst geschwächt. Heute gibt es Goldgräber-Vereinigungen, Holzfäller-Kooperativen, Genossenschaften von Landspekulanten, die immer mehr an Einfluss gewinnen. Mit ihren illegalen Geldern finanzieren sie Wahlkämpfe von Politikern, die ihre Interessen vertreten. Stadträte, Bürgermeister, inzwischen auch Parlamentsabgeordnete bis nach Brasilia.“
Es ist die Geschichte der „American Frontier“, nur, dass der Wilde Westen im Norden Brasiliens liegt – und ein Ökosystem bedroht, das eine zentrale Rolle für das Klima auf der ganzen Welt spielt.
Der Amazonas in 20 Jahren eine Savanne?
Niemand erklärt das besser als der Wissenschaftler Carlos Nobre, vor Bolsonaro Teil des Teams von Brasiliens renommierter Weltraumbehörde INPE, die die Abholzung am Amazonas per Satellitendaten überwacht.
Der Amazonas ist in einem ernsten Zustand, wie ein Patient, der dahinsiecht und der sich einem Punkt nähert, ab dem er sich nicht mehr erholen kann. Unsere Studien gehen davon aus, dass dies erreicht ist, wenn 20, maximal 25 Prozent des Waldes abgeholzt sind. Zum jetzigen Zeitpunkt ist bereits 18 Prozent der Flächen verloren. Die globale Erwärmung beschleunigt den Prozess der Degradierung.
Wissenschaftler Carlos Nobre
"Wenn wir so weitermachen, kann der Amazonas in weniger als 20 Jahren an einen Punkt geraten, wo es kein Zurück mehr gibt und zur Savanne degradieren", sagt Nobre. "Der Amazonas würde seine Kapazität verlieren, Wasser zu recyceln und stattdessen Treibhausgase abgeben. Wir beobachten, wie das im Süden des Amazonasbeckens bereits anfängt. Diese Region wäre die erste, die sich in eine tropische Savanne verwandelt.“
Genau dort liegt die neue Agrargrenze Brasiliens – also jene Linie zwischen Weideland und Sojafeldern, und noch unberührten Waldflächen. Diese Linie wandert immer mehr nach Norden. Das hat viel mit einer Straße zu tun.
"Das ist ein Geschäft." – Regenwald in Flammen in Apui, im Süden des Bundesstaates Amazonas.© Anne Herrberg, ARD-Studio Rio de Janeiro
Hinter dem Rio Madeira, auf dem in Sichtweite mehrere Flösse von Goldgräbern treiben, beginnt die rote Lehmstraße. Zur Regenzeit ist sie Matsch, nun fahren wir durch Staubwolken, weichen Schlaglöchern und Erdhügeln aus, überqueren wackelige Holzbrücken und überholen Lastwagen voller Baumstämme, Viehtransporter und Pick-ups.
"Der Amazonas gehört uns"
Die Transamazônica, ein schmales, endloses Band, das Brasiliens Generäle einst quer durch den Urwald schlagen ließen – „der historische Beginn der Eroberung dieser gigantischen grünen Welt“, hieß es zum ersten Spatenstich am 9. Oktober 1970.
In ein Land ohne Menschen sollte Menschen ohne Land gelockt werden. Pioniere wie Jorge Luis, ein glatzköpfiger Haudegen in gelb-grünem Nationaltrikot, dessen Familie deutscher Abstammung, 1975 aus dem südlichen Santa Catarina hierherkam. „Die NGOs wollen uns hier verbieten zu arbeiten. Warum ausgerechnet hier? Na, weil der Amazonas voller Reichtümer ist! Bolsonaro hat immer gesagt, der Amazonas gehört uns, nicht dem Ausländer", sagt er.
"So Gott will, gewinnt er die Wahlen. Denn es stimmt nicht, was die Leute sagen, dass der halbe Regenwald abgeholzt wird. Hier gibt es genug Wald, nicht einmal ein Prozent ist abgeholzt.“
"Hier gibt es genug Wald", sagt der deutschstämmige Jorge Luis, Bolsonaro-Fan und einer der Pioniere der Trasnamazônica.© Anne Herrberg, ARD-Studio Rio de Janeiro
Das Prestigeprojekt der Militärs ist heute nichts als Staub. Links und rechts Weideland, mal mit, oft aber auch ohne Rinder. Und immer wieder Abzweigungen, „Nova Vida“ steht auf einer, „Neues Leben“.
Männer füllen Benzin in Cola-Flaschen
Als wir nach etwa zehn Kilometern auf das Land von Milene und Wellington Reculiano kommen, sehen wir gerade noch drei Männer auf Motorrädern, die Benzin in Cola-Flaschen füllen, beim Anblick unseres Pick-ups dann schnell davonbrausen. Die Mittagssonne brennt erbarmungslos auf das einfache Holzhaus des Ehepaares. Ein paar Hühner verstecken sich unter Maniokpflanzen. Sonst ist alles sauber, wie man hier sagt. Gerodet und mit langem Caipim-Gras bepflanzt.
Milene und Wellington Reculiano hoffen, sich bald Rinder kaufen zu können. Vor sechs Monaten sind sie aus Rondônia zugewandert. „Wir lebten auf der Farm seines Vaters. Dann gingen wir in die Stadt. Ich arbeite als Kassiererin, er als Fahrer, neun Jahre lang. Aber wir sahen, dass Viehzucht mehr Geld abwirft als ein Jahr unserer Arbeit. Wir wollten unser eigenes Stück Land. Aber in Rondônia können Leute wie wir heute nichts mehr kaufen. Nur Leute mit viel Geld.“
Knapp 100 Hektar kosteten sie hier, bei Apui im Süden des Bundesstaates Amazonas, ein Zehntel dessen, was 1000 Kilometer entfernt in Rondonia verlangt wird, erklärt Wellington – dort, wo sich die Sojaweiden ausgebreitet haben, es befestigte Straßen gibt, Elektrizität und Internet. Ob sie einen Titel über ihr Land besitzen, wollen wir wissen.
Nein, nur einen Kaufvertrag von einem Kerl, der nicht mehr zu erreichen sei. Was ein Problem ist, denn inzwischen wissen sie, dass ein Großteil des Landes einst illegal gerodet wurde – die Naturschutzbehörde IBAMA hat deswegen ein Embargo ausgestellt. Den Strafzoll müssen jetzt sie bezahlen, um die Lizenz zur Rinderzucht zu erhalten – doch von welchem Geld?
Schwarze Rauchsäule steigt auf
Am Horizont, kaum 10 Kilometer entfernt, hinter einem Waldstück, steigt eine schwarze Rauchsäule auf, dann noch eine. Wer waren eigentlich die Männer vorher auf den Motorrädern? Und warum wirken Milene und Wellington plötzlich so besorgt?
„Die Kerle, die hier waren, als ihr kamt, die haben uns informiert, dass sie da Feuer legen. Sie haben abgeholzt, um es in Weidegras zu verwandeln. Deswegen sind wir besorgt. Wir müssen aufpassen, dass das Feuer nicht zu uns rüberkommt. Wenn, dann müssen wir es melden, weil das IBAMA es auf den Satelliten sieht und dann uns bestraft, weil wir die einzigen sind, die hier wirklich leben.“
Um was für eine Fläche geht es? Um 2000 Alqueires, sagt Wellington. Das sind fast 5000 Hektar. Und das Feuer kommt. Es ist kein Unterholz, was da brennt, es ist ein Stück dichter, noch stehender Regenwald. Die Flammen donnern, brausen und schreien, schleudern Bäume meterhoch in die Luft. Die Hitze lässt den Himmel flimmern wie eine Fata Morgana. Alles geht plötzlich ganz schnell.
"Ich habe solche Angst um mein Leben." – Amazonas-Zuwanderin Milene Reculiano löscht den Brand um ihr Haus.© Anne Herrberg, ARD-Studio Rio de Janeiro
Milene und Wellington rennen los, sammeln Hühner und drei aufgeregt grunzende Schweine ein. Sie stecken das Gras und Unterholz um ihr Haus nun selbst in Brand, damit das Feuer dort kein Fressen mehr findet.
"Die Täter werden nie bestraft"
Ein Schutzring, der doch gleichzeitig das wenige vernichtet, das sie sich in den letzten sechs Monaten erarbeitet haben.
„Ich habe solche Angst, um mein Leben, um mein Haus! Guck dir dieses Feuer an, das ist kein Kinderspiel. Guck, alles was wir gepflanzt haben, ist verbrannt. Ich wollte das nie. Deswegen haben wir das teurere Land gekauft, das schon gerodet war und nun das! Wenn der Staat uns hier unterstützen würde, allen ein Stück zuteilen würde, ich glaube, dann würden die Leute, den Wald stehen lassen. Aber so ist es ein Geschäft! Die, die da dahinterstecken, werden nie bestraft. Wir Kleinen sind die Verlierer, und ihr im Ausland, glaubt, dass der Amazonas durch uns zerstört wird.“
Laut Daten der Weltraumbehörde Inpe ist Apui heute die Gemeinde im Amazonasgebiet, in der 2022 am meisten Waldflächen vernichtet und am meisten Brände gemeldet wurden. Sie gehört zu den zehn Städten Brasilien, die aktuell am meisten Treibhausgase in die Atmosphäre ausstoßen, neben Megacities wie Sao Paulo und Rio de Janeiro.
85 Prozent des Holzes wird illegal gefällt
Mindestens 85 Prozent des Amazonas-Holzes, das exportiert wird, wurde illegal gefällt, sagen Alexandre Saraiva von der Bundespolizei und der Wissenschaftler Carlos Nobre. Dazu wurden vergangenes Jahr 19.000 Tonnen Gold illegal ausgeführt. Und laut einer kürzlichen Recherche der "New York Times" landeten Rinder aus dem Schutzgebiet direkt neben dem Karipuna-Land in Schlachtereien, die Leder für Autositze in die USA liefern.
"Alles im Amazonas ist gefährdet, alles kann enden, wenn die Natur weiter zerstört wird." – Sonnenuntergang über verbrannten Feldern an der Transmazônica.© Anne Herrberg, ARD-Studio Rio de Janeiro
Zurück auf dem Land der Karipuna in Rondônia. Es liegt heute wie eine Insel zwischen Sojaplantagen und Rinderweiden. André steht an einer neuen Schneise in das Land seiner Vorfahren. Eine Straße, wahrscheinlich um illegal gefälltes Holz zum Wasser zu transportieren. Die Reifenspuren eines Baggers sind zu erkennen. Schweres Gerät also.
Die Hitze ist hier, wo kein Baum mehr steht, fast unerträglich. André Karipuna bückt sich und füllt seine Hand mit Erde, die ihm sandig durch die Finger rinnt.
„Wir müssen den Amazonas anders betrachten. Nicht nur wir, die indigenen Völker: Die ganze Welt muss auf den Amazonas schauen. Leben gibt es im Amazonas nur, wenn es hier Wald gibt, von ihm hängt ab, ob es Wasser und Biodiversität gibt. Alles im Amazonas ist gefährdet, alles kann enden, wenn die Natur weiter zerstört wird.“