Amazonas-Volk berät Humboldt-Forum

Nicht bloß Dinge, sondern lebendige Wesen

Eine Delegation der Tuyuka begutachtet Artefakte ihres Volkes im Depotraum des Ethnologischen Museums in Berlin Dahlem
Eine Delegation der Tuyuka begutachtet Artefakte ihres Volkes im Depotraum des Ethnologischen Museums in Berlin Dahlem © Christiane Habermalz
Von Christiane Habermalz |
Im Berliner Humboldt Forum sollen ab kommenden Jahr Ausstellungen über außereuropäische Kulturen gezeigt werden. Eine Delegation des Tuyuka-Volkes ist nun nach Berlin gereist, um die Kuratoren im richtigen Umgang mit ihren sakralen Artefakten zu schulen.
Der Anblick hat etwas höchst Surreales. Guilherme Pimental Pinório steht in einem Depotraum des Ethnologischen Museums in Berlin Dahlem. Er ist von Kopf bis Fuß in einen weißen, sterilen Schutzanzug gekleidet, trägt eine Atemmaske und grüne Gummihandschuhe. In der Hand hält er eine hölzerne, federngeschmückte Rassel-Lanze, einen heiligen Gegenstand seines Volkes. Er führt vor, wie man sie benutzt. Durch die Atemmaske klingt seine Stimme gedämpft.
Die Lanze, erzählt er, sei eigentlich eine Wirbelsäule, eine Person. Sie stehe für den Menschen des Ursprungs der Tuyuka, seines Volkes, des ersten Menschen auf der Welt. Die Lanze wurde diesen Ahnen vom Schöpfer der Welt gegeben, damit sie sie in den Boden stecken konnten – sie reichte vom Himmel bis zur Erde, ein Symbol für die Inbesitznahmen des Territoriums der Tuyuka am Rio Nero.

Die heiligen Gegenstände sind mächtig

Die Schutzkleidung ist notwendig, weil die Objekte aus organischen Materialien zum Schutz gegen Insekten und Pilze im Museum jahrzehntelang mit giftigen Chemikalien vollgepumpt wurden. Doch Guilherme, Experte für die Rituale seines Volkes, findet das weniger merkwürdig als man denken würde. Denn die heiligen Gegenstände sind mächtig, sagt er, von ihnen geht eine große Gefahr aus, wenn sie nicht von kundigen Schamanen benutzt werden. Auch sie selber seien nicht kundig, zu Hause seien sie deswegen von Schamanen mit Rauchritualen und Schutzformeln besprochen worden, damit ihnen die Objekte in Berlin keinen Schaden zufügen können, erklärt auch Diana Guzmán. Sie ist Lehrerin an der Indigenen Oberschule Maria Reina in Mitú, Kolumbien.
"Diese Objekte hier sind für uns nicht nur Dinge, sie sind lebendige Wesen", erklärt Diana. "Deswegen haben sie auch so viel Kraft." Gemeinsam mit acht anderen Indigenen aus dem Amazonas-Gebiet sind Guilherme und Diana nach Berlin gereist, um das Kuratorenteam des Ethnologischen Museums im Umgang mit ihren Kulturobjekten zu beraten. "Geteiltes Wissen" heißt das Projekt, das vor vier Jahren im Humboldt-Lab begann und nun mit Hilfe der Volkswagen-Stiftung fortgeführt wird. Um die 3.000 Objekte aus dem Amazonastiefland gehören dem Museum – ein wichtiger Schwerpunkt der Sammlung, der auch im Humboldt-Forum präsentiert werden soll. Doch nicht mehr länger nur mit dem unkundigen und voyeuristischen Blick des Westens. Die Herkunftsgemeinschaften sollen künftig einbezogen werden in die Art und Weise der Präsentation ihrer Objekte. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, spricht gern von "geteilter Deutungshoheit" und von einer Zusammenarbeit, aus der sich viel lernen lasse. Gelernt hätten sie zum Beispiel, dass bestimmte rituelle Flöten auf keinen Fall von Frauen angeschaut werden dürfen, erzählt Projektleiterin Andrea Scholz.
"Das war auch ein bisschen sensibel, weil wir wirklich diese Flöten in einem Haufen in irgendeinem Schrank unten drin hatten und natürlich die Restauratorin und ich, beides Frauen, und dann haben wir das halt alles schön beiseite gepackt und gesagt, hier, Männer, ihr könnt euch jetzt mal angucken, was damit ist und uns dann sagen, was wir damit machen sollen."

Viele Rituale sind zu Hause bereits vergessen

Auch für die Indigenen aus dem Amazonas ist die Begegnung mit den Objekten von großer Bedeutung. Denn viele Rituale sind zu Hause vergessen, die Missionare haben sie über Jahrhunderte als Teufelswerk verpönt, die heiligen Instrumente verbrannt. Guilherme öffnet mit unendlicher Vorsicht eine alte Kiste mit dem rituellen Federschmuck eines Tänzers. Er ist wunderschön, kunstvoll gefertigt aus gelben und roten Arafedern und Jaguarknochen. Diese Kiste ist einzigartig – solche Objekte gibt es nicht mehr im Rio Nero. Doch zurückhaben wollen sie sie nicht.
Dafür müsste man genau wissen, zu welcher Gruppe, zu welchem Clan sie früher gehörten, sagt Diana. In fremden Händen sind sie viel zu gefährlich, sie würden Krankheiten auslösen und viel Schaden anrichten. Deswegen ist es besser, wenn sie hier bleiben, und wir sie ab und zu besuchen können.
Dann zückt Diana ihr Handy und zeigt Bilder von Jugendlichen, die im Kreis stehen und genau solch einen Federschmuck tragen. Nach dem ersten Besuch vor vier Jahren hat ihre Schule einen Satz Kopien anfertigen lassen, jetzt werden die jungen Leute in den alten Ritualen wieder ausgebildet. Die Kopien sind rein didaktischer Art, sagt sie, aus nicht-heiligen Materialien angefertigt, damit niemand Schaden nimmt. Und giftig sind sie auch nicht.
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