Tanguy Viel: Das Verschwinden des Jim Sullivan. Ein amerikanischer Roman
aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Wagenbach, Berlin 2014
120 Seiten, 16,90 Euro
Ambivalente Bewunderung
Etwas Roadmovie, Barbecues mit Nachbarn, ein CIA-Agent: Es scheint, als habe der französische Autor Tanguy Viel kein Klischee ausgelassen in "Das Verschwinden des Jim Sullivan. Ein amerikanischer Roman". Doch das Buch ist voller Ironie gegenüber diesem Genre - und damit doch typisch französische Literatur.
Romane, in denen Schriftsteller über Schriftsteller schreiben, die Romane schreiben – davon hatten wir eigentlich genug. Auf den ersten Blick scheint sich Tanguy Viel mit dem "Verschwinden des Jim Sullivan" in diese Mode einzureihen - doch nur, um voller Ironie mit ihr zu spielen. Wir werden keineswegs mit der Schilderung von Schreibblockaden, der Suche nach dem richtigen Wort oder Ähnlichem gelangweilt.
Wie schon in "Paris-Brest", dem letzten ins Deutsche übertragenen Buch Viels, ist das fiktive Werk zu Beginn der Handlung bereits fertiggestellt. Dort reist der Protagonist, ein junger Autor, in die bretonische Heimat, im Gepäck sein erstes Manuskript, die literarisierte Version seiner Familiengeschichte, deren spannende Details nach und nach preisgegeben werden. In "Das Verschwinden des Jim Sullivan" nun erklärt uns der Ich-Erzähler gleich eingangs, dass er lange selbst "französische Geschichten mit französischem Personal" geschrieben hat.
In der Tat stehen Tanguy Viels bisherige Bücher durchaus in guter französischer Tradition; sie wurden allesamt im renommierten Verlag Minuit publiziert, wie die Werke Becketts, der Autoren des Nouveau roman und heute von Jean Echenoz oder Jean-Philippe Toussaint. Es sind also keine seichten "Unterhaltungsromane", aber Viel jongliert auf durchaus unterhaltsame Weise mit verschiedenen Genres und greift regelmäßig auf Elemente des Krimis zurück.
Kein Klischee ausgelassen
So auch in seinem aktuellen Text, nur hat der Ich-Erzähler beschlossen, diesmal einen der "amerikanischen Romane" zu schreiben, "die man in sämtliche Sprachen der Welt übersetzt findet und die in vielen Buchhandlungen verkauft werden". Die vermeintliche Naivität des Satzes zeigt deutlich die kritische Distanz zu dieser Art Literatur, die indes mit einer ambivalenten Bewunderung gepaart ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass selbst die Werke des Nobelpreisträgers Patrick Modiano nur punktuell und seit 1997 gar nicht mehr ins Englische übersetzt wurden.
Wie sieht er nun aus, dieser "amerikanische" Roman, von dem der Erzähler uns berichtet, einschließlich der Rezepte, auf die er zurückgegriffen hat? Man möchte meinen, dass kein Klischee ausgelassen wurde: etwas Roadmovie, etwas Campusnovel, Liebe und Wahnsinn, Barbecues mit Nachbarn, Golf im Countryclub, Motels, eine einsame Hütte mit Angelausrüstung am See, die Musik von Jim Sullivan, illegale Finanzierung von Wahlkampagnen, der Irak-Krieg und schließlich noch ein CIA-Agent.
Die Geschichte selbst, wie ein 50-jähriger Professor beim Sex mit einer Studentin überrascht wird, den Halt verliert und sich in finsteren Machenschaften verliert, ist dabei sekundär, selbst wenn die Story nach und nach ihren eigenen Drive bekommt. Spannend ist vor allem die durch die Schriftstellerfigur ständig ironisch gebrochene und keineswegs chronologische Erzählweise, was das Buch eben doch zu typisch französischer Literatur macht. Ob das leicht pathetische Ende tatsächlich überzeugt, muss jeder selbst entscheiden. Es soll halt ein "amerikanischer" Roman sein.