Amelia Horgan: „Lost in Work“

Ein Hoch auf die widerständige Faulheit

07:01 Minuten
Das Cover von Amelia Horgans Buch „Lost in Work“ zeigten neben dem Namen der Autorin und dem Buchtitel im Anriss ein Gemälde von Menschen, die schrecklich gequält werden.
© Edition Konturen

Amelia Horgan

Aus dem Englischen von Georg Hauptfeld

Lost in Work. Dem Kapitalismus entkommenEdition Konturen, Wien 2022

192 Seiten

22,00 Euro

Von Vera Linß |
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Die Philosophin Amelia Horgan fordert, einen klaren Blick auf die Machtstrukturen zu richten, unter denen Arbeit im Kapitalismus organisiert ist. Nur so ließen sich ungerechte Verhältnisse zum Besseren wenden.
Locker arbeiten im Homeoffice? Als Kurierfahrer das Hobby zum Beruf machen? Job und Familie vereinbaren, dank flexibler Arbeitszeiten? Klingt verheißungsvoll. In der Praxis aber folgt meist Ernüchterung.
Für Amelia Horgan kommt das nicht überraschend. Weil niemand die Wahl habe, nicht zu arbeiten, sei Arbeit im Kapitalismus stets mit Gewalt und Zwang verbunden – selbst dann, wenn es anders erscheint. Und darum sei sie grundsätzlich schlecht für alle. Und zwar jede Arbeit.

Radikale Kritik an jeder kapitalistischen Arbeit

Doch warum gibt es dagegen so wenig Widerstand? Vor allem wegen der Mythen, die um die Arbeit kreisen, kritisiert die britische Philosophin und räumt gründlich mit dieser „Fantasiewelt“ auf.
Etwa mit dem „Fortschrittsnarrativ“, der weit verbreiteten Vorstellung, moderne Technologien hätten die Arbeitswelt humaner gemacht. Die Zahlen, die Amelia Horgan präsentiert, sprechen klar dagegen: 60 Prozent der Weltbevölkerung zum Beispiel arbeiten ohne jede vertragliche Absicherung.

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Ebenso falsch: der hartnäckige Glaube, es sei leicht, einen guten Arbeitsplatz zu finden. Nicht so in der Bekleidungsindustrie, nur einer von vielen Niedriglohnsektoren. Dort können gerade mal zwei Prozent der Beschäftigten von ihrem Einkommen leben.
Neu sind diese Zahlen nicht. Und auch die Gründe, warum sie gesellschaftlich so oft ausgeblendet werden, überraschen kaum. Amelia Horgan erklärt dies damit, dass viele Menschen schlicht abgeschirmt leben von prekären Welten. Aber auch ein tief verwurzeltes Arbeitsethos, das Beschäftigung mit Selbstverwirklichung koppelt, trage zur Verklärung bei.

Höherer Stress führt zu höherem Sterberisiko

Dennoch gibt ihr Buch zu denken. Denn die Philosophin verbindet ihre Beschreibungen nicht nur mit einer theoretischen Analyse, für die sie Klassiker wie Karl Marx oder den Soziologen Richard Sennett hinzuzieht, sondern auch mit beißender Radikalität.
Ihre ablehnende Haltung gegenüber jeglicher Arbeit wurzelt etwa in der Erkenntnis, dass diese aufgrund der Machtverhältnisse in der Regel zu Langeweile, Fremdbestimmung und Krankheit führt. Eine Studie unter britischen Beamten hat gezeigt, dass Untergebene ein höheres Sterberisiko als ihre Vorgesetzten haben, einfach weil das Fehlen der Kontrolle über die täglichen Arbeitsaufgaben Stress verursacht.
Horgans absolute Sichtweise birgt aber auch lustige Momente. Etwa, wenn sie sich unverblümt mit all jenen solidarisiert, die sich in der täglichen Arbeitsroutine kleine Auszeiten erschummeln. In einer „Taxonomie der Faulheit“ schildert sie jede Menge „Widerstandspraktiken“: mal die Pause verlängern, in den sozialen Medien surfen oder mit den Kollegen beim Rauchen abhängen.
Natürlich weiß Horgan, dass sich damit die Verhältnisse nicht ändern. Deshalb fordert sie zu Recht eine Neuausrichtung der Gewerkschaften. Diese müssten neue Bündnisse und Taktiken entwickeln, damit Arbeit für alle demokratisiert wird. Voraussetzung dafür sei, ein Bewusstsein gegen die kapitalistische Arbeit zu entwickeln. Ihr lesenswertes Buch ist dafür bestens geeignet.
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