American Writers Museum in Chicago

Von Tennessee Williams bis Tupac Shakur

Mit einem übergroßen Glas Whisky und einer Zigarette hat es sich der amerikanische Schriftsteller und Bühnenautor Tennessee Williams auf dem Dachgarten des Londoner Carlton Tower Hotels bequem gemacht, aufgenommen am 1. August 1962
Der amerikanische Schriftsteller und Bühnenautor Tennessee Williams, aufgenommen 1962 © picture-alliance / dpa / UPI
Von Michael Marek |
Das American Writers Museum in Chicago widmet sich der Bedeutung des geschriebenen Wortes für die US-Kultur. Dabei umfasst es nicht nur die Geschichte der Literatur: Auch Politiker wie Thomas Jefferson oder der Rapper Tupac Shakur haben es in die Ausstellung geschafft.
Michigan Avenue, Downtown Chicago: Hier, zwischen The Loop und der silbernen Cloud-Bohne im Millennium Park, ist das American Writers Museum untergebracht. In einem schlichten Bürohochhaus, das eher an Immobilienmakler und Vermögensverwalter denken lässt, befindet sich das 10 Millionen Dollar Projekt - finanziert ausschließlich aus privaten Mitteln.
"Dieses Land beruht auf dem geschriebenen Wort", sagt Carey Cranston, der Präsident des Museums. "Denken Sie nur an die Unabhängigkeitserklärung. Seine Bedeutung für unsere Geschichte und Kultur ist gewaltig."

Ein Museum für die ganze Geschichte amerikanischer Autoren

Das American Writers Museum ist das erste Museum der Vereinigten Staaten, das sich der Geschichte US-amerikanischer Autoren als ganzer widmen will und nicht nur einzelnen Autoren wie Ernest Hemingway in Oak Park, Mark Twain in Hannibal oder Edgar Allen Poe in Philadelphia. Lebende Autoren? Fehlanzeige! Es werden nur verstorbene Personen gewürdigt, noch lebende Schriftsteller bleiben draußen vor der Ausstellungstür, erklärt Museumsmitbegründer Werner Hein.
"Nach welchen Kriterien sollte man auswählen bei den Hunderten lebender Schriftsteller? Dazu kommt, dass wir noch die unterschiedlichen Genres, die im Museum vertreten sind, abdecken müssen. Schließlich: Schriftsteller haben ihre Fans. Die Entscheidung für einen Autoren würde zu Protesten eines unberücksichtigten führen."

Keine Schreibtische, Ohrensessel oder Schreibmaschinen

Beim Gang durch die fünf Ausstellungshallen fällt auf: Die Kuratoren haben fast vollständig auf Artefakte mit auratischer Wirkung verzichtet. Es gibt keinen Salinger Schreibtisch, keinen Jack London Ohrensessel, keine Dashiell Hammett Schreibmaschine und kein Emily Dickinson Original Manuskript. Genau das gehöre zum Konzept des American Writers Museum, so Carey Cranston:
"Bei uns gibt es stattdessen interaktive Touchscreens. Da können die Besucher zum Beispiel herausfinden, wo Autoren gelebt haben, wo sie geboren wurden. Durch moderne, multimediale Ausstellungstechniken zeigen wir einen repräsentativen Querschnitt des amerikanischen Schriftstellertums. Wir sind keine Bibliothek, keine Sammlung, wo alles unter einer Glasvitrine aufbewahrt wird."

Der Rapper neben den Naturwissenschaftlern

Im nächsten Ausstellungsraum gibt es eine riesige Wand mit Autorenportraits – chronologisch geordnet von der Entdeckung Nordamerikas bis zur Gegenwart. Darunter befinden sich erstaunlicherweise nicht nur Schriftsteller, sondern auch Seefahrer, Geistes- und Naturwissenschaftler, Politiker, Bürgerrechtler, Sänger wie der Rapper Tupac Shakur.
Es wird auf Thomas Jefferson und die von ihm verfasste amerikanische Unabhängigkeitserklärung verwiesen, auf Abraham Lincolns Gedenkrede an die im Bürgerkrieg Gefallenen - oder auf einen Brief Martin Luther Kings aus dem Gefängnis. Dazu zwei, drei Absätze Info-Text, was in seiner Kürze nicht einmal annähernd an Wikipedia heranreicht. Eines aber wird klar: Im American Writers Museum geht es nicht nur um Lyriker und Romanciers, sondern um Textproduzenten. Zum Beispiel auch Präsident John F. Kennedy:
"Kennedy war auch ein Redenschreiber, der durch seine Worte dieses Land beeinflusst hat. Wir wollen zeigen, wie wichtig zum Beispiel Reiseerzählungen sind, theologische Reden, Wildwestgeschichten, Gastrokritiken, Comics. Es geht uns nicht nur um Kurzgeschichten, Lyrik und Dramen. Wir interessieren uns auch für Sachbuch-Literatur."

Besucher verfassen "The Story of the Day"

In der Installation "American Voices" erfährt man, dass der österreichische Komponist Franz Schubert auf seinem Sterbebett seinen Bruder bat, beim nächsten Besuch ein Buch von James Fenimore Cooper mitzubringen, am besten "Der letzte Mohikaner". Solche Verbindungen sind überraschend und interessant.
Eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart schaffen im nächsten Raum ein Do-it-yourself-Dialog-Generator und alte Schreibmaschinen, an denen man eine "Story of the Day" verfassen kann. Sie drücken das Credo des Hauses aus: In jedem schlummert das Potenzial zum Dichter. Probiere es selber aus, so Werner Hein.
"Unabhängig von Kategorien wie High Art oder Low Art möchten wir den Besucher zeigen, was gutes Schreiben bewirkt hat oder bewirken kann. Versuche es einmal, sagen wir dem Besucher, setzt dich und schreibe einmal eine Geschichte oder ein Gedicht. Am Ende soll dem Besucher bewusst sein, wie wichtig das Schreiben ist und das Lesen für ein sinnvolles Leben."
Ein frommer Wunsch. Ob er tatsächlich erfüllt wird, darüber erfährt man hier nichts. Direktor Carey Cranston aber glaubt fest daran:
"Wir feiern die Vergangenheit, promoten die Gegenwart und inspirieren dadurch die Zukunft."
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