Amerikas Taufschein

24.01.2011
1507 erscheint die "Cosmographia introductio", der zwei Karten beigelegt sind - auf denen erstmals die neu entdeckte Welt im Westen "America" genannt wird. Der Journalist Toby Lester hat die Weltkarten und die damalige Weltsicht analysiert.
Am 25. April 1507 erscheint in der lothringischen Kleinstadt St. Die ein höchst modern anmutendes Medienpaket: Ein Büchlein, die "Cosmographia introductio", verfasst von Martin Waldseemüller und Matthias Ringmann. Dem beigelegt sind zwei Karten, eine, aus der sich ein kleiner Erdglobus basteln lässt, sowie eine 1,38 x 2,48 Meter große Weltkarte aus zwölf Einzelblättern. Das Besondere an Globus und Wandkarte: Auf ihnen wird erstmals die neu entdeckte Welt im Westen "America" genannt.

Toby Lester, ein amerikanischer Journalist, hat sich die Karte, die heute in der "Library of Congress" in Washington DC ausgestellt ist, genau angesehen. Und mit der Weltkarte auch die Weltsicht, die dahinter steht. Denn Lesters Buch bietet zweierlei: Es beschreibt die Geschichte der Karte und ihre Entstehung, erzählt, dass sie lange als verschollen galt und wie sie schließlich 1901 ein Exemplar durch einen Jesuitenpater in Schloss Wolfegg in Oberschwaben wiedergefunden wurde. Zugleich zeigt Lester, warum die beiden humanistischen Gelehrten Waldseemüller und Ringmann ihre Karte genau so anfertigten. Ihn interessiert, welche Entdeckungen und Ideen in ihre Arbeit einflossen.

Lester geht dafür weit zurück in der Geschichte der Entdeckung der Erde und ihrer Darstellung. Er berichtet von der mittelalterlichen Dreiteilung der Welt mit Jerusalem als Zentrum, vom Mongolensturm und Wilhelm von Rubruks Reise nach Asien im 13. Jahrhundert, von Marco Polos Berichten über seine Chinafahrt und der Rezeption der antiken Schriftsteller und Gelehrten wie Strabo, Pomponius Mela oder Ptolemäus im Spätmittelalter.

Ein Kapitel widmet sich der Entwicklung der Zentralperspektive im Florenz des 15. Jahrhunderts. Im Zentrum stehen die Entdeckungsfahrten der Portugiesen und Spanier, wobei Kolumbus’ kreativer Irrtum – er stellte sich den Erdumfang deutlich kleiner vor als er real ist – ausführlich vorgestellt wird. Waldseemüllers Irrtum ebenfalls: Dieser begründete seine Namenswahl "America" für die Neue Welt damit, dass ihr Entdecker Amerigo heiße. Gemeint war Amerigo Vespucci, ein Italiener, der angeblich selbst vier Mal nach Südamerika gesegelt ist – bewiesen sind nur zwei Reisen – und sehr populäre Reiseberichte veröffentlichte, in denen es von wilden Tieren und sonnigen Küsten mit schamlosen, nackten Eingeborenen und furchtbaren Kannibalen wimmelte. Bestsellerstoff eben.

Toby Lesters Buch ist ebenfalls flott geschrieben, nur leider hat das dicke, detailreiche Buch auch ein paar Schwächen: Fehler wie die falsche Zuordnungen von Orten, ein fehlender Hinweis darauf, dass Marco Polo höchstwahrscheinlich nie in China gewesen ist oder auch die Unterschätzung des Gewürzhandels für die portugiesischen Entdeckungsfahrten. Den Rest kann man nur loben. Denn auch der Verlag hat sich Mühe gegeben: Das Buch ist schön eingebunden, liegt wunderbar in der Hand, zeigt zahlreiche zeitgenössische Stiche, besitzt zwei Lesebändchen, ein Dutzend farbiger Tafeln sowie eine Kopie der Waldseemüller-Karte im A2-Format.

Besprochen von Günther Wessel

Toby Lester: Der vierte Kontinent. Wie eine Karte die Welt veränderte
Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber
Berlin Verlag, Berlin 2010
528 Seiten, 39,90 Euro