Amigo, amigo
Haben die Amigos Wulff das Amt gekostet? Und kann es echte Freundschaften im Politikbetrieb überhaupt geben? Ein Gespräch mit Soziologen Vincenz Leuschner, der seine Dissertation über politische Freundschaften geschrieben hat.
Klaus Pokatzky: Was bedeutet der Begriff Freundschaft in der Politik? Wie schwierig diese Amigo-Frage zu beantworten ist, zeigt der Fall Christian Wulff. Schließlich ist der Bundespräsident heute zurückgetreten, weil er die Grenzen zwischen privaten und politischen beziehungsweise wirtschaftlichen Beziehungen offenbar nicht so klar definiert hatte, wie es nötig ist. Wäre es anders, hätte die Staatsanwaltschaft nicht die Aufhebung seiner Immunität beantragt, damit sie einem Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme nachgehen kann. Der Soziologe Vincenz Leuschner hat seine Dissertation über politische Freundschaften geschrieben. Sie ist im letzten Jahr erschienen und hat dazu zahlreiche Interviews mit Bundestagsabgeordneten gemacht. Jetzt ist er bei uns im Studio, willkommen, Herr Leuschner!
Vincenz Leuschner: Ja, vielen Dank!
Pokatzky: Es gibt ja, Herr Leuschner, das geflügelte Wort: Wer solche Parteifreunde hat, braucht keine Feinde mehr, oder diese Steigerung: Freund, Feind, Parteifreund. – Ist Freundschaft also, Herr Leuschner, in der Politik überhaupt möglich?
Leuschner: Das kommt ganz darauf an, wie man Freundschaft definiert, würde ich sagen. Diese Steigerungsformel, die Sie da gebracht haben, zeigt schon sehr gut dass eigentlich der emphatische Begriff von Freundschaft, so wie wir ihn als Privatfreundschaft verstehen, mit Politik in der Regel eigentlich nichts zu tun hat und nichts zu tun haben sollte, weil wir die Vorstellung haben, dass öffentliche Ämter frei sein sollten von persönlichen Interessen, persönlichen Verbindungen. Und im Grunde genommen, insofern ist der Begriff der Freundschaft eigentlich ein Widerspruch in sich zum Begriff der Politik und zum Begriff des politischen Systems.
Pokatzky: Da muss ich jetzt fragen, wie würden Sie den Begriff Freundschaft definieren? Was muss passieren, damit wir beide Freunde werden?
Leuschner: Das ist sehr schwierig, weil wir auch im privaten Bereich sehr unterschiedliche Vorstellungen von Freundschaft haben …
Pokatzky: … wissen Sie doch gar nicht, welche ich habe!
Leuschner: Ja, eben! Aber es ist nicht davon auszugehen … Wir haben vielleicht ungefähr eine gemeinsame Vorstellung, was so damit verbunden sein könnte, aber wenn man es dann genau runterbricht, unterscheiden sich die Definitionen doch schon sehr stark. Und trotz alledem würde ich sagen, dass es natürlich eine Form von politischer Freundschaft gibt und auch geben muss.
Pokatzky: Aber wie haben denn die Abgeordneten, die Sie befragt haben, den Begriff Freundschaft für sich definiert?
Leuschner: Auch da sehr unterschiedlich. Also, manche verbinden mit dem Begriff Freund an sich ganz klar diese private Freundschaft außerhalb der Politik, wo nichts, wo die Politik nicht reinspielt …
Pokatzky: … auch nicht reinspielen soll?
Leuschner: Auch nicht reinspielen soll, zum Teil. Andere haben ein sehr viel breiteres Verständnis von Freundschaft und verstehen darunter natürlich auch jede Menge Beziehungen, die sie in der Politik führen. Also, vertrauensvolle Beziehungen, die ihnen Beratungen geben im Vorfeld von wichtigen Entscheidungen und so weiter. Manche gehen sogar so weit, den Begriff der Freundschaft auch auszudehnen eben auf sogenannte Zweckbeziehungen, wo es schlicht darum geht, dass der eine dem anderen etwas gibt und man sich gegenseitig quasi in der politischen Auseinandersetzung hilft.
Pokatzky: Verwischen dann im Laufe eines politischen Lebens vielleicht auch ganz klare Unterschiede dann?
Leuschner: Ja, also, man muss davon ausgehen, dass jeder Berufspolitiker natürlich sozialisiert wird. Ich mache das immer so fest an diesem Begriff des Feldes von Bourdieu, also dieses politischen Feldes: Man kommt in dieses Feld hinein und wird sozialisiert und lernt bestimmte Praktiken, bestimmte Verhaltensweisen, die einem quasi ermöglichen, auch in diesem politischen Feld zu funktionieren. Einer der wichtigsten Punkte eigentlich ist, dass sich ein professioneller Politiker eine sehr starke Unterscheidungsfähigkeit aneignen muss, wann er wie angesprochen wird. Ob er als Privatperson angesprochen wird, ob jemand sein politisches Amt meint oder ob er einfach kalkulatorische Interessen verfolgt.
Pokatzky: Aber kann ich einen Politiker ansprechen, ohne nicht sein Amt damit zu meinen? Muss ich dann nicht doch ein ganz alter, so enger Freund sein, dass das keine Rolle spielt? Gibt es das überhaupt, dass ich einem Politiker begegne, ihn kennenlerne und dann eine Freundschaft zu ihm aufbauen könnte, wo so was nicht im Hintergrund steht?
Leuschner: Ich würde auch sagen, es ist, während jemand schon ein politisches Amt bekleidet, sehr schwierig, eine Beziehung aufzubauen, die gänzlich von dieser Amtsführung unbehelligt ist. Nichtsdestotrotz ist es, denke ich, durchaus möglich. Also, gerade Politiker lernen wahnsinnig viele Leute kennen und warum sollten sie nicht genau so die Möglichkeit haben, Freundschaften zu pflegen, die nichts mit Politik zu tun haben? – In der Regel haben sie dazu keine Zeit, muss ich auch dazu sagen. Das ist auch ein Erleben, was für viele natürlich auch ein schmerzlicher Verlust ist, dass sie merken, während ihrer politischen Arbeit ist es kaum noch möglich, echte, wahre Freundschaften, wie man es so versteht, zu führen.
Pokatzky: Wir sprechen mit dem Soziologen Vincenz Leuschner über politische Freundschaften. Herr Leuschner, Sie haben ja so ein bisschen aufgedröselt drei Ebenen von Freundschaften: Da ist die private Freundschaft, die wir jetzt schließen könnten, wenn wir heute Abend zu einem Fußballspiel, wo wir die gleichen Neigungen haben, gehen könnten; dann sind es so emotionale Freundschaften, wo wir gleiche Berufsinteressen vielleicht auch haben, oder die Politiker, die in der gleichen Partei sind oder im gleichen Ausschuss sitzen, die der privaten Freundschaft ähneln, das ist so die zweite Ebene; und die dritte sind dann so nützliche Freundschaften, Sie wollen unbedingt noch mal hier eingeladen werden zum Interview und ich bin der, der das vielleicht entscheiden könnte. Können wir diese drei Typen von Freundschaft überhaupt so klar voneinander trennen, oder sind da die Übergänge nicht auch fließend?
Leuschner: Die Übergänge sind natürlich fließend, weil sich jede Form von persönlicher Beziehung quasi aus diesem Grad von Nähe und Distanz bestimmen lässt und auch des Grades quasi der Inanspruchnahme von persönlichen Verhaltenserwartungen und Rollenerwartungen. Das ist natürlich ein fließendes Kontinuum. Nun ist es allerdings so, dass gerade Politiker eine ganz spezifische Balancierungsfähigkeit entwickeln müssen, das miteinander auszutarieren. Sie müssen wissen, wann eine Beziehung tatsächlich zweckorientiert ist, und sie dürfen nicht darauf reinfallen, dass sie glauben, das sind private Freunde. Und das ist eine ganz schwierige Angelegenheit.
Pokatzky: Rollenerwartung heißt, also: Ich denke jetzt, das ist mein Freund, und es geht ja jetzt gar nicht, sagen wir mal, um unsaubere Geschichten, aber ich möchte einfach nur, Sie möchten eben noch mal ins Studio eingeladen werden oder ich möchte, dass der Politiker zumindest ja vielleicht mal eine Rede hält bei einem Verein, wo ich im Vorstand sitze, oder was auch immer. Wenn die Rolle dann nicht erfüllt wird, wird dann sozusagen auch mit Liebesentzug gegenüber dem, der das nicht erfüllt hat, geantwortet?
Leuschner: Ja, natürlich. Also, der entscheidende Verbindungsmodus in politischen Freundschaften ist der Austausch von Geheimnissen, die quasi verschwiegen bleiben müssen, so. Und natürlich ist es so, dass, wenn man einmal so eine Beziehung eingegangen ist und möglicherweise etwas miteinander geteilt hat, was nicht öffentlich werden kann, hat der andere quasi eine Geisel in der Hand. Und wenn man quasi sich zurückzieht allein auf die Rollenerwartung, auf die Rollenbeziehung, hat der andere sicherlich die Möglichkeit, mit diesem, dieses Geheimnis öffentlich zu machen und dadurch diesen Politiker zu diskreditieren zum Beispiel. Das läuft natürlich auch andersrum. Das heißt also, es ist sehr schwierig. Wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, sind diese Beziehungen sehr schwer zu trennen. Man sieht das an einigen Beispielen, die dann gemeinsam untergegangen sind, weil man eben nicht mehr die Grenze ziehen konnte, weil man auch nicht mehr zurückkonnte, von der Beziehung zurücktreten konnte.
Pokatzky: Ja, aber welche Geheimnisse sind das? Müssen das unbedingt Geheimnisse sein, die auch im Bereich der Illegalität liegen?
Leuschner: Nein, das hat überhaupt nichts mit Illegalität zu tun. Also, das hat erst mal etwas zu tun, dass Politik im Kampf um Gestaltungsideen ist, dass da strategische Erwägungen eine Rolle spielen. Es ist natürlich nicht sinnvoll, wenn ich … Nehmen wir an, eine politische Freundschaft zwischen zwei Politikern verschiedener Parteien und der eine weiß etwas, wie die Diskussion in der Partei, in der anderen Fraktion von mir aus ist, könnte seine Partei darauf ausrichten oder seine Fraktion darauf ausrichten. Ja, so etwas ist quasi dann schon, kann als Geheimnis gewertet werden einfach, weil da ein strategisches Interesse dahintersteht. Also, solche Sachen. Das muss nicht zwangsläufig etwas mit Illegalität zu tun haben, ganz und gar nicht.
Pokatzky: Das heißt, im Hintergrund schwebt dann noch immer sozusagen die Instrumentalisierung der Freundschaft. Passen denn da Begriffe wie Freundschaft und Politik überhaupt zusammen, können die überhaupt zusammengefügt werden?
Leuschner: Ja. Sagen wir mal so, von Alters her wurde dieser Begriff schon immer zusammengeführt. Es gibt jede Menge Beispiele aus zum Beispiel der römischen Antike, wo der Begriff sehr eng miteinander verbunden war …
Pokatzky: … amicus …
Leuschner: … ja, die amicitia, also, die Beziehung, die politische Freundschaft zu der Zeit. Dort gab es auch keine wirklich klare Trennung zwischen Privatbeziehung und politischer Beziehung. Und wir haben im Grunde erst dieses Verständnis entwickelt, seit es den modernen Staat gibt, seit es quasi die Bezugnahme gibt auf ein unpersönliches Staatssystem und die Verpflichtung auch quasi des Politikers, diesem Staatswohl zu dienen. Seitdem erst haben wir eigentlich diese wirklich klare Unterscheidung und seitdem ist das ein Problem. Früher wäre das wahrscheinlich positiv konnotiert gewesen.
Pokatzky: Nun wissen wir ja alle, dass Politiker zeitlich enorm belastet sind, ist ja überhaupt keine Frage. Also, wenn ich mir angucke, selbst der ganz normale Bundestagshinterbänkler, welches leidvolle Leben er hier in Berlin, von einem Ausschuss zum nächsten, wenn er sich reinarbeitet in seine Sachthemen, dann, wenn er im Wahlkreis ist, muss er hier zum Kaninchenzüchterverein, da muss er irgendwie ein Haus eröffnen, was auch immer oder so. Die treffen ja oft dann immer wieder dieselben Leute, die jetzt auch Verständnis vielleicht haben, gerade für diese Nöte eines Politikers. Führt das nicht dazu, dass die ohnehin dann so zusammenklumpen, dass dann vielleicht also auch Freundschaften mit Menschen eingegangen werden und Grenzen überschritten werden wie bei Wulff?
Leuschner: Ja, definitiv. Also, ich glaube schon, allein wenn man sieht, dass die gesamten Lobbyvereinigungen in Berlin sich natürlich auch darauf ausrichten, dass ja quasi sie Politiker einladen, die dann hier, wenn sie ihren Wahlkreis nicht in Berlin haben, dann während der Zeiten abends natürlich hier auch rumsitzen. Die können in jede Menge Veranstaltung gehen, die von diesen Veranstaltern, von diesen Lobbyisten eingeleitet werden, natürlich mit dem Hintergrund, einen persönlichen Kontakt zu bekommen und dadurch auch einen persönlichen Zugang, da Interessen reinzubringen, ganz klar. Und dass daraus quasi auch so eine Verklumpung entsteht, weil der Alltag auch keine groß anderen Beziehungen zulässt oder weil man jetzt nicht die großen Wahlfreiheiten hat, sich jetzt andere Freunde zu suchen, weil die Zeit auch gar nicht dafür da ist, das ist augenscheinlich.
Pokatzky: Wenn Sie dazu einen Rat geben könnten – wir bleiben wieder bei Ihren drei Freundschaftsarten, sage ich jetzt mal, private Freundschaften, dann diese emotionalen Bindungen in einer selben politischen Situation, muss ja nicht in derselben politischen Partei sein, können auch die gleichen politischen Interessenlagen sein, Themen etwa, und dann diese nützlichen, diese Zweckfreundschaften –, was würden Sie einem jungen Politiker, der jetzt, sagen wir mal, mit 23 in den Bundestag kommt, raten: Für welche Art Freundschaft soll er sich entscheiden?
Leuschner: Ja, also, man kann ihm nur wirklich viele Freunde wünschen, die ihm ehrliche Ratschläge geben, mit denen er ehrlich umgehen kann. Und trotz alledem – das ist vielleicht jetzt auch am Fall Wulff mal wieder deutlich geworden – es ist auch immer wieder schwierig, das politische System erfordert, dass wir solche Zweckfreundschaften haben, das erfordert, dass dieser Politiker solche Zweckfreundschaften hat, ansonsten hat er überhaupt gar keine Möglichkeit, zu den Ämtern zu kommen, die er anstrebt. Das ist also gar nicht möglich.
Pokatzky: Herr Leuschner, ich danke Ihnen! Der Soziologe Vincenz Leuschner war das, er hat seine Dissertation über politische Freundschaften geschrieben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Vincenz Leuschner: Ja, vielen Dank!
Pokatzky: Es gibt ja, Herr Leuschner, das geflügelte Wort: Wer solche Parteifreunde hat, braucht keine Feinde mehr, oder diese Steigerung: Freund, Feind, Parteifreund. – Ist Freundschaft also, Herr Leuschner, in der Politik überhaupt möglich?
Leuschner: Das kommt ganz darauf an, wie man Freundschaft definiert, würde ich sagen. Diese Steigerungsformel, die Sie da gebracht haben, zeigt schon sehr gut dass eigentlich der emphatische Begriff von Freundschaft, so wie wir ihn als Privatfreundschaft verstehen, mit Politik in der Regel eigentlich nichts zu tun hat und nichts zu tun haben sollte, weil wir die Vorstellung haben, dass öffentliche Ämter frei sein sollten von persönlichen Interessen, persönlichen Verbindungen. Und im Grunde genommen, insofern ist der Begriff der Freundschaft eigentlich ein Widerspruch in sich zum Begriff der Politik und zum Begriff des politischen Systems.
Pokatzky: Da muss ich jetzt fragen, wie würden Sie den Begriff Freundschaft definieren? Was muss passieren, damit wir beide Freunde werden?
Leuschner: Das ist sehr schwierig, weil wir auch im privaten Bereich sehr unterschiedliche Vorstellungen von Freundschaft haben …
Pokatzky: … wissen Sie doch gar nicht, welche ich habe!
Leuschner: Ja, eben! Aber es ist nicht davon auszugehen … Wir haben vielleicht ungefähr eine gemeinsame Vorstellung, was so damit verbunden sein könnte, aber wenn man es dann genau runterbricht, unterscheiden sich die Definitionen doch schon sehr stark. Und trotz alledem würde ich sagen, dass es natürlich eine Form von politischer Freundschaft gibt und auch geben muss.
Pokatzky: Aber wie haben denn die Abgeordneten, die Sie befragt haben, den Begriff Freundschaft für sich definiert?
Leuschner: Auch da sehr unterschiedlich. Also, manche verbinden mit dem Begriff Freund an sich ganz klar diese private Freundschaft außerhalb der Politik, wo nichts, wo die Politik nicht reinspielt …
Pokatzky: … auch nicht reinspielen soll?
Leuschner: Auch nicht reinspielen soll, zum Teil. Andere haben ein sehr viel breiteres Verständnis von Freundschaft und verstehen darunter natürlich auch jede Menge Beziehungen, die sie in der Politik führen. Also, vertrauensvolle Beziehungen, die ihnen Beratungen geben im Vorfeld von wichtigen Entscheidungen und so weiter. Manche gehen sogar so weit, den Begriff der Freundschaft auch auszudehnen eben auf sogenannte Zweckbeziehungen, wo es schlicht darum geht, dass der eine dem anderen etwas gibt und man sich gegenseitig quasi in der politischen Auseinandersetzung hilft.
Pokatzky: Verwischen dann im Laufe eines politischen Lebens vielleicht auch ganz klare Unterschiede dann?
Leuschner: Ja, also, man muss davon ausgehen, dass jeder Berufspolitiker natürlich sozialisiert wird. Ich mache das immer so fest an diesem Begriff des Feldes von Bourdieu, also dieses politischen Feldes: Man kommt in dieses Feld hinein und wird sozialisiert und lernt bestimmte Praktiken, bestimmte Verhaltensweisen, die einem quasi ermöglichen, auch in diesem politischen Feld zu funktionieren. Einer der wichtigsten Punkte eigentlich ist, dass sich ein professioneller Politiker eine sehr starke Unterscheidungsfähigkeit aneignen muss, wann er wie angesprochen wird. Ob er als Privatperson angesprochen wird, ob jemand sein politisches Amt meint oder ob er einfach kalkulatorische Interessen verfolgt.
Pokatzky: Aber kann ich einen Politiker ansprechen, ohne nicht sein Amt damit zu meinen? Muss ich dann nicht doch ein ganz alter, so enger Freund sein, dass das keine Rolle spielt? Gibt es das überhaupt, dass ich einem Politiker begegne, ihn kennenlerne und dann eine Freundschaft zu ihm aufbauen könnte, wo so was nicht im Hintergrund steht?
Leuschner: Ich würde auch sagen, es ist, während jemand schon ein politisches Amt bekleidet, sehr schwierig, eine Beziehung aufzubauen, die gänzlich von dieser Amtsführung unbehelligt ist. Nichtsdestotrotz ist es, denke ich, durchaus möglich. Also, gerade Politiker lernen wahnsinnig viele Leute kennen und warum sollten sie nicht genau so die Möglichkeit haben, Freundschaften zu pflegen, die nichts mit Politik zu tun haben? – In der Regel haben sie dazu keine Zeit, muss ich auch dazu sagen. Das ist auch ein Erleben, was für viele natürlich auch ein schmerzlicher Verlust ist, dass sie merken, während ihrer politischen Arbeit ist es kaum noch möglich, echte, wahre Freundschaften, wie man es so versteht, zu führen.
Pokatzky: Wir sprechen mit dem Soziologen Vincenz Leuschner über politische Freundschaften. Herr Leuschner, Sie haben ja so ein bisschen aufgedröselt drei Ebenen von Freundschaften: Da ist die private Freundschaft, die wir jetzt schließen könnten, wenn wir heute Abend zu einem Fußballspiel, wo wir die gleichen Neigungen haben, gehen könnten; dann sind es so emotionale Freundschaften, wo wir gleiche Berufsinteressen vielleicht auch haben, oder die Politiker, die in der gleichen Partei sind oder im gleichen Ausschuss sitzen, die der privaten Freundschaft ähneln, das ist so die zweite Ebene; und die dritte sind dann so nützliche Freundschaften, Sie wollen unbedingt noch mal hier eingeladen werden zum Interview und ich bin der, der das vielleicht entscheiden könnte. Können wir diese drei Typen von Freundschaft überhaupt so klar voneinander trennen, oder sind da die Übergänge nicht auch fließend?
Leuschner: Die Übergänge sind natürlich fließend, weil sich jede Form von persönlicher Beziehung quasi aus diesem Grad von Nähe und Distanz bestimmen lässt und auch des Grades quasi der Inanspruchnahme von persönlichen Verhaltenserwartungen und Rollenerwartungen. Das ist natürlich ein fließendes Kontinuum. Nun ist es allerdings so, dass gerade Politiker eine ganz spezifische Balancierungsfähigkeit entwickeln müssen, das miteinander auszutarieren. Sie müssen wissen, wann eine Beziehung tatsächlich zweckorientiert ist, und sie dürfen nicht darauf reinfallen, dass sie glauben, das sind private Freunde. Und das ist eine ganz schwierige Angelegenheit.
Pokatzky: Rollenerwartung heißt, also: Ich denke jetzt, das ist mein Freund, und es geht ja jetzt gar nicht, sagen wir mal, um unsaubere Geschichten, aber ich möchte einfach nur, Sie möchten eben noch mal ins Studio eingeladen werden oder ich möchte, dass der Politiker zumindest ja vielleicht mal eine Rede hält bei einem Verein, wo ich im Vorstand sitze, oder was auch immer. Wenn die Rolle dann nicht erfüllt wird, wird dann sozusagen auch mit Liebesentzug gegenüber dem, der das nicht erfüllt hat, geantwortet?
Leuschner: Ja, natürlich. Also, der entscheidende Verbindungsmodus in politischen Freundschaften ist der Austausch von Geheimnissen, die quasi verschwiegen bleiben müssen, so. Und natürlich ist es so, dass, wenn man einmal so eine Beziehung eingegangen ist und möglicherweise etwas miteinander geteilt hat, was nicht öffentlich werden kann, hat der andere quasi eine Geisel in der Hand. Und wenn man quasi sich zurückzieht allein auf die Rollenerwartung, auf die Rollenbeziehung, hat der andere sicherlich die Möglichkeit, mit diesem, dieses Geheimnis öffentlich zu machen und dadurch diesen Politiker zu diskreditieren zum Beispiel. Das läuft natürlich auch andersrum. Das heißt also, es ist sehr schwierig. Wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, sind diese Beziehungen sehr schwer zu trennen. Man sieht das an einigen Beispielen, die dann gemeinsam untergegangen sind, weil man eben nicht mehr die Grenze ziehen konnte, weil man auch nicht mehr zurückkonnte, von der Beziehung zurücktreten konnte.
Pokatzky: Ja, aber welche Geheimnisse sind das? Müssen das unbedingt Geheimnisse sein, die auch im Bereich der Illegalität liegen?
Leuschner: Nein, das hat überhaupt nichts mit Illegalität zu tun. Also, das hat erst mal etwas zu tun, dass Politik im Kampf um Gestaltungsideen ist, dass da strategische Erwägungen eine Rolle spielen. Es ist natürlich nicht sinnvoll, wenn ich … Nehmen wir an, eine politische Freundschaft zwischen zwei Politikern verschiedener Parteien und der eine weiß etwas, wie die Diskussion in der Partei, in der anderen Fraktion von mir aus ist, könnte seine Partei darauf ausrichten oder seine Fraktion darauf ausrichten. Ja, so etwas ist quasi dann schon, kann als Geheimnis gewertet werden einfach, weil da ein strategisches Interesse dahintersteht. Also, solche Sachen. Das muss nicht zwangsläufig etwas mit Illegalität zu tun haben, ganz und gar nicht.
Pokatzky: Das heißt, im Hintergrund schwebt dann noch immer sozusagen die Instrumentalisierung der Freundschaft. Passen denn da Begriffe wie Freundschaft und Politik überhaupt zusammen, können die überhaupt zusammengefügt werden?
Leuschner: Ja. Sagen wir mal so, von Alters her wurde dieser Begriff schon immer zusammengeführt. Es gibt jede Menge Beispiele aus zum Beispiel der römischen Antike, wo der Begriff sehr eng miteinander verbunden war …
Pokatzky: … amicus …
Leuschner: … ja, die amicitia, also, die Beziehung, die politische Freundschaft zu der Zeit. Dort gab es auch keine wirklich klare Trennung zwischen Privatbeziehung und politischer Beziehung. Und wir haben im Grunde erst dieses Verständnis entwickelt, seit es den modernen Staat gibt, seit es quasi die Bezugnahme gibt auf ein unpersönliches Staatssystem und die Verpflichtung auch quasi des Politikers, diesem Staatswohl zu dienen. Seitdem erst haben wir eigentlich diese wirklich klare Unterscheidung und seitdem ist das ein Problem. Früher wäre das wahrscheinlich positiv konnotiert gewesen.
Pokatzky: Nun wissen wir ja alle, dass Politiker zeitlich enorm belastet sind, ist ja überhaupt keine Frage. Also, wenn ich mir angucke, selbst der ganz normale Bundestagshinterbänkler, welches leidvolle Leben er hier in Berlin, von einem Ausschuss zum nächsten, wenn er sich reinarbeitet in seine Sachthemen, dann, wenn er im Wahlkreis ist, muss er hier zum Kaninchenzüchterverein, da muss er irgendwie ein Haus eröffnen, was auch immer oder so. Die treffen ja oft dann immer wieder dieselben Leute, die jetzt auch Verständnis vielleicht haben, gerade für diese Nöte eines Politikers. Führt das nicht dazu, dass die ohnehin dann so zusammenklumpen, dass dann vielleicht also auch Freundschaften mit Menschen eingegangen werden und Grenzen überschritten werden wie bei Wulff?
Leuschner: Ja, definitiv. Also, ich glaube schon, allein wenn man sieht, dass die gesamten Lobbyvereinigungen in Berlin sich natürlich auch darauf ausrichten, dass ja quasi sie Politiker einladen, die dann hier, wenn sie ihren Wahlkreis nicht in Berlin haben, dann während der Zeiten abends natürlich hier auch rumsitzen. Die können in jede Menge Veranstaltung gehen, die von diesen Veranstaltern, von diesen Lobbyisten eingeleitet werden, natürlich mit dem Hintergrund, einen persönlichen Kontakt zu bekommen und dadurch auch einen persönlichen Zugang, da Interessen reinzubringen, ganz klar. Und dass daraus quasi auch so eine Verklumpung entsteht, weil der Alltag auch keine groß anderen Beziehungen zulässt oder weil man jetzt nicht die großen Wahlfreiheiten hat, sich jetzt andere Freunde zu suchen, weil die Zeit auch gar nicht dafür da ist, das ist augenscheinlich.
Pokatzky: Wenn Sie dazu einen Rat geben könnten – wir bleiben wieder bei Ihren drei Freundschaftsarten, sage ich jetzt mal, private Freundschaften, dann diese emotionalen Bindungen in einer selben politischen Situation, muss ja nicht in derselben politischen Partei sein, können auch die gleichen politischen Interessenlagen sein, Themen etwa, und dann diese nützlichen, diese Zweckfreundschaften –, was würden Sie einem jungen Politiker, der jetzt, sagen wir mal, mit 23 in den Bundestag kommt, raten: Für welche Art Freundschaft soll er sich entscheiden?
Leuschner: Ja, also, man kann ihm nur wirklich viele Freunde wünschen, die ihm ehrliche Ratschläge geben, mit denen er ehrlich umgehen kann. Und trotz alledem – das ist vielleicht jetzt auch am Fall Wulff mal wieder deutlich geworden – es ist auch immer wieder schwierig, das politische System erfordert, dass wir solche Zweckfreundschaften haben, das erfordert, dass dieser Politiker solche Zweckfreundschaften hat, ansonsten hat er überhaupt gar keine Möglichkeit, zu den Ämtern zu kommen, die er anstrebt. Das ist also gar nicht möglich.
Pokatzky: Herr Leuschner, ich danke Ihnen! Der Soziologe Vincenz Leuschner war das, er hat seine Dissertation über politische Freundschaften geschrieben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.