Amüsante Klischeemühle

In "Dojczland" lässt der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk seinen Klischee-Polen durch ein Klischee-Deutschland reisen. Er beschreibt es als ein bestens, aber seelenlos funktionierendes, höfliches Land, wo niemand weine. Sein mal aufschneidender, mal sarkastischer Erzähler brachte Stasiuks neues Buch in Polen auf die Bestsellerlisten.
Selbst im hintersten Winkel Polens konnte sich Andrzej Stasiuk dem Ruf seines deutschen Verlags nicht entziehen. War ein neues Buch übersetzt, musste der wortkarge und scheue polnische Erfolgsautor sein beskidisches Bergdorf verlassen und auf Lesereise in Deutschland gehen, im Handgepäck die große slawische Seele und eine Flasche Jim Beam, aus der er niemals vor ein Uhr mittags einen Schluck nahm: "Da bin ich eisern""

In "Dojczland", so heißt der kleine, von Olaf Kühl treffend lakonisch übersetzte Band, braucht es solch eherne Grundsätze. Denn für einen Polen ist Deutschland, das auf Polnisch übrigens "Niemcy" heißt, ein Trauma. "Man kann nicht einfach mal nach Deutschland fahren. So wie zum Beispiel nach Monaco, Portugal oder nach Ungarn. Nach Deutschland fahren, das ist Psychoanalyse."

Na ja. Stasiuk erteilt sich jedenfalls markig die Lizenz zum Drauflosschwadronieren. Als "wandernder Gastarbeiter" besucht er, heißt es zunächst, 38 deutsche Städte. Wenige Seiten später sind es schon 60, schließlich 216, dann 117. Ein gern flunkernder und trinkfester Klischeepole bramabasiert sich durch die Bundesrepublik. Letzte Ausfahrt Detmold. Oder Minden. Oder Cottbus.

Alle diese Städte bleiben schemenhaft. Der liebevolle, transzendierende Blick auf Verfall und Stillstand, den der 1960 geborene Pole in "Die Welt hinter Dukla" oder den Reiseberichten "Babadag" und "Fado" auf die osteuropäische Welt geworfen hat, würde im Westen ohnehin abgleiten. Stasiuk lässt seinen Klischeepolen stattdessen durch ein Klischeedeutschland reisen: ein bestens, aber seelenlos funktionierendes, höfliches Land, wo niemand weine, die Motorisierung mit BMW oder Mercedes als neuer Gotha, als Adelsnachweis, diene und ständig in italienischen Restaurants gegessen werde, was ein untrügliches Kennzeichen eines nationalen Komplexes sei. Deutschland wäre überhaupt am Schönsten ohne Deutsche, sie könnten ja aus dem Ausland Geld überweisen.

Dem "Rätsel der deutschen Seele" hält Stasiuks mal aufschneidender, mal sarkastischer Erzähler nur mit Erinnerungen an den Osten stand: Der Stuttgarter Hauptbahnhof sieht dem "weißen Neger" aus wie der Bukarester Gara de Nord; Bettlern, Straßenmusikanten und Provinzlern fühlt er sich nahe, weil sie Osteuropäern glichen.

Stasiuk spürt also die geliebte "Realität geringsten Ranges", ein zentraler polnischer Topos, auch in Strausberg, Boltenhagen oder Hameln auf. Er verbindet sie jedoch mit einem Polen geringsten Ranges, einem ziemlich abgerissenen und trinkfesten Vertreter, der die slawische Seele wie einen Airbag handhabt. So reiben sich polnische Eigen- und Fremdklischees kräftig aneinander. Die konservative polnische Presse regte sich über die wenig stolze Darstellung des Polen auf, konnte aber den Bestsellererfolg des Buches nicht verhindern.

Das "Amerika auf etwas langsameren Touren" wird gelassener reagieren. Auch Deutsche wollen zwar geliebt werden, nur stehen dem ein wenig die Nazi-Verbrechen im Weg. Weil Andrzej Stasiuks über weite Strecken amüsante Klischeemühle gerade in dieser Hinsicht nahe am deutschen Selbstbild liegt, darf man sich immerhin bestätigt fühlen: Beiläufig, aber eindrucksvoll spricht er vom Massenmord an den Juden, dem Besuch des deutschen Papstes in Auschwitz und der Beinahe-Erschießung der eigenen Großmutter durch einen Wehrmachtssoldaten.

Rezensiert von Jörg Plath

Andrzej Stasiuk, Dojczland,
Aus dem Polnischen von Olaf Kühl,
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008, 93 Seiten, 9 Euro