An den Wendepunkten des Lebens
Die Helden in den Kurzgeschichten des US-amerikanischen Autors David Benioff befinden sich in Situationen, die ihr Leben verändern werden. Nicht alle werden dem Leser sympathisch - trotzdem bangt man mit jedem Einzelnen.
Ein alternder Plattenboss versucht, eine Sängerin unter Vertrag zu bekommen, doch dafür muss er sie sowohl deren Band als auch ihrem Freund ausspannen. Der wiederum hatte gerade ein zünftiges Straßenfest veranstaltet – zu Ehren seines alten Ford Galaxy, dessen Tachonadel statt fünf mal neun nun wieder fünf Nullen zeigt – "When the nines roll over", "Alles auf Anfang".
David Benioff erzählt in seinem neuesten Werk acht Geschichten. Acht Figuren, alles junge US-Amerikaner, müssen in den Erzählungen erkennen, dass das Leben Überraschungen bereithält und sich die Dinge oft anders entwickeln als gedacht.
Ein 16-Jähriger stiehlt ein Auto und bricht auf nach Kalifornien. Unterwegs gabelt er Maureen auf und hat eine kurze Romanze mit ihr. Dann kehrt er um und wird Versicherungskaufmann. 14 Jahre später ist sein großer Traum, ein Football-Star zu werden, zerbrochen, denn er hatte einen schweren Sportunfall. Doch er möchte wissen, was aus Maureen geworden ist, vielleicht empfindet ja auch sie heimliche Sehnsucht nach ihm. In der Bibliothek ihrer Schule aber muss er erfahren, dass Maureen schon vor Jahren von ihrem letzten Freund brutal ermordet worden ist.
Die Figuren in Benioffs acht Geschichten sind mit Besonnenheit gezeichnet, ihre Erlebnisse eher poetisch geprägt denn actionreich. Die Situationen sind sorgsam gewählt: bedeutende Lebenssituationen, manchmal gar Wendepunkte im Leben.
David Benioff ist in seiner Sprache nicht nur treff-, sondern auch stilsicher, und man möchte hoffen, dass er dem Genre der amerikanischen Kurzgeschichte eine Renaissance bescheren möge. Dass der Autor seinen Durchbruch mit Film-Drehbüchern – etwa zu "Troja" und "Drachenläufer" – hatte, spürt man an seiner sprachlichen Prägnanz und schnörkellosen Bildgewalt auf jeder Seite.
Nicht alle Helden in den kurzen Geschichten werden dem Leser wirklich sympathisch, aber man bangt zumindest mit ihnen: Der russische Soldat Leksi etwa soll auf Geheiß seiner Kameraden im Tschetschenien-Krieg eine alte Frau exekutieren. Aber er träumt sich in eine Märchenwelt hinein, die fast schon an die Erzählungen aus 1001 Nacht erinnert, auch wenn Leksis Märchenwelt am Ende gar nichts Lebensrettendes hat.
Welche der Geschichten einen am meisten packt, hängt ohne Zweifel mit der eigenen Lebenssituation und individuellen Erfahrungen zusammen. Allerdings wird einen keine der acht Short Stories kaltlassen, denn vom jeweils ersten Absatz an ist man kein bloßer Zaungast mehr, wird buchstäblich in die Erzählung hineingesogen.
Selbst der deutsche Titel "Alles auf Anfang" ist gut gewählt, denn nur selten gewinnen Benioffs Figuren eine weiterführende Erkenntnis. Statt endgültiger Antworten stellen sich weitere Fragen, manche Illusion platzt wie eine Seifenblase, doch David Benioff kratzt niemals an der menschlichen Würde seiner Charaktere, und seien diese auch noch so absonderlich - wie etwa die Figur eines Überlebenden, der nach einem atomaren Schlag einsam in seinem Bunker wohnt und versucht, seine Erinnerungen für die Nachwelt in einen Computer zu schreiben. Das Vorhaben misslingt tragikomisch, weil sich im Speicher des Computers ein Virus festgesetzt hat, der die Texte infiziert.
Als Leser denkt man zunächst, es müsse sich um Druckfehler handeln, und insgeheim ärgert man sich schon über die vermeintlich lausige Korrektur des Verlags. Dann aber wird einem klar, dass es David Benioff ist, der seinem Leser auf diese Weise auflauert. Dichterische Klasse!
Besprochen von Roland Krüger
David Benioff: Alles auf Anfang
Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner
Karl Blessing Verlag, München 2010
272 Seiten, 17,95 Euro
David Benioff erzählt in seinem neuesten Werk acht Geschichten. Acht Figuren, alles junge US-Amerikaner, müssen in den Erzählungen erkennen, dass das Leben Überraschungen bereithält und sich die Dinge oft anders entwickeln als gedacht.
Ein 16-Jähriger stiehlt ein Auto und bricht auf nach Kalifornien. Unterwegs gabelt er Maureen auf und hat eine kurze Romanze mit ihr. Dann kehrt er um und wird Versicherungskaufmann. 14 Jahre später ist sein großer Traum, ein Football-Star zu werden, zerbrochen, denn er hatte einen schweren Sportunfall. Doch er möchte wissen, was aus Maureen geworden ist, vielleicht empfindet ja auch sie heimliche Sehnsucht nach ihm. In der Bibliothek ihrer Schule aber muss er erfahren, dass Maureen schon vor Jahren von ihrem letzten Freund brutal ermordet worden ist.
Die Figuren in Benioffs acht Geschichten sind mit Besonnenheit gezeichnet, ihre Erlebnisse eher poetisch geprägt denn actionreich. Die Situationen sind sorgsam gewählt: bedeutende Lebenssituationen, manchmal gar Wendepunkte im Leben.
David Benioff ist in seiner Sprache nicht nur treff-, sondern auch stilsicher, und man möchte hoffen, dass er dem Genre der amerikanischen Kurzgeschichte eine Renaissance bescheren möge. Dass der Autor seinen Durchbruch mit Film-Drehbüchern – etwa zu "Troja" und "Drachenläufer" – hatte, spürt man an seiner sprachlichen Prägnanz und schnörkellosen Bildgewalt auf jeder Seite.
Nicht alle Helden in den kurzen Geschichten werden dem Leser wirklich sympathisch, aber man bangt zumindest mit ihnen: Der russische Soldat Leksi etwa soll auf Geheiß seiner Kameraden im Tschetschenien-Krieg eine alte Frau exekutieren. Aber er träumt sich in eine Märchenwelt hinein, die fast schon an die Erzählungen aus 1001 Nacht erinnert, auch wenn Leksis Märchenwelt am Ende gar nichts Lebensrettendes hat.
Welche der Geschichten einen am meisten packt, hängt ohne Zweifel mit der eigenen Lebenssituation und individuellen Erfahrungen zusammen. Allerdings wird einen keine der acht Short Stories kaltlassen, denn vom jeweils ersten Absatz an ist man kein bloßer Zaungast mehr, wird buchstäblich in die Erzählung hineingesogen.
Selbst der deutsche Titel "Alles auf Anfang" ist gut gewählt, denn nur selten gewinnen Benioffs Figuren eine weiterführende Erkenntnis. Statt endgültiger Antworten stellen sich weitere Fragen, manche Illusion platzt wie eine Seifenblase, doch David Benioff kratzt niemals an der menschlichen Würde seiner Charaktere, und seien diese auch noch so absonderlich - wie etwa die Figur eines Überlebenden, der nach einem atomaren Schlag einsam in seinem Bunker wohnt und versucht, seine Erinnerungen für die Nachwelt in einen Computer zu schreiben. Das Vorhaben misslingt tragikomisch, weil sich im Speicher des Computers ein Virus festgesetzt hat, der die Texte infiziert.
Als Leser denkt man zunächst, es müsse sich um Druckfehler handeln, und insgeheim ärgert man sich schon über die vermeintlich lausige Korrektur des Verlags. Dann aber wird einem klar, dass es David Benioff ist, der seinem Leser auf diese Weise auflauert. Dichterische Klasse!
Besprochen von Roland Krüger
David Benioff: Alles auf Anfang
Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner
Karl Blessing Verlag, München 2010
272 Seiten, 17,95 Euro